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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Hausfrau, das muß man ihr lassen, und das soll ihr auch hier nicht bestritten
werden. Daß sie aber infolge ihrer höhern Bildung ihrem Sohne gegenüber
den Vater wirksamer und erfolgreicher ersetzte, zu ersetzen vermöchte, als dies
die deutsche Frau in ihrem Kreise tut, würde sie selbst nicht glauben! auf
diesen genialen, obgleich etwas paradoxen Gedanken ist meines Wissens bis
zum heutigen Tage nur ein Mann gekommen, der Verfasser des besprochnen
Artikels. Und "der Kernpunkt der großen Unterrichtsreformen der französischen
Republik, die seit dem Unglücksjahre mit ungeheuern Geldopfern vollzogen
sind, und von denen man in Deutschland leider nnr sehr wenig weiß: Ab¬
wendung vom Internat und Rückgabe der Söhne und der Töchter an die
Familie" mag ein in die Erde gesenktes fruchtbares Saatkorn sein, aufgegangen
ist es noch nicht, und bis vor ganz kurzem wurde in mir bekannten Familien
jede Tochtererziehung -- und um die handelt es sich ja hier -- im Kloster
begonnen, fortgesetzt und -- beendet. Die jungen Damen waren, soweit ich
urteilen konnte, in allem was Wissen und Schliff anlangte, vorzüglich erzogen.
Ob sie im Durchschnitt mehr dazu angetan waren, ihren Kindern nach dem
Goethischen Worte den Vater zu ersetzen als eine deutsche Frau, möchte ich
alles Ernstes bezweifeln, und auch die so überaus erfreulich klingende Be¬
merkung, daß "die jungen Französinnen bis zum achtzehnten und neunzehnten
Jahre mit ihrer geistigen Ausbildung beschäftigt bleiben und eine Fülle von
Gedanken, Kenntnissen und sittlichen Antrieben in sich aufnehmen, die der
deutschen Frau, wenn sie nur die vom Staat oder den Städten gebvtnen
Bildungsgelegenheiten benutzt hat, für immer fremd bleiben," macht mir den
Eindruck von tönendem Erz. Einer deutscheu Frau, die von dem Aufsatz
aufs peinlichste berührt war und mich aufs Gewissen fragte, ob es in Frankreich
mit der Frauenerziehuug wirklich so glänzend beschaffen sei, wie es der Artikel
darstelle, mußte ich demütig bekennen, daß ich nur zehn Jahre in Frankreich
gelebt und deshalb vielleicht nicht genug Gelegenheit gehabt hätte, mich von
der überwältigende" Fülle der Gedanken, Kenntnisse lind sittlichen Antriebe der
Französinnen zu überzeugen: daß sich das aber alles seit meiner vor Jahr
und Tag erfolgten Abreise entwickelt haben könne.

Der Herr Professor sagt zum Schluß: "Wir stehen vor einer gänzlichen
Erneuerung und Verbesserung der Erziehung der Frauen; und das Tröstliche
ist, daß Frauen selbst sie stürmisch verlangen; an entscheidender Stelle in
der Negierung unsers Landes ist der gute Wille vorhanden." Am stürmischsten
verlangen das bekanntlich Anna Augspurg, Klara Zetkin und Rosa Luxem¬
burg, die es ja mit jedem Manne aufnehmen. Hoffentlich hat die "entscheidende
Stelle" klarere Vorstellungen über die Erziehung deutscher Mädchen, als der
Verfasser des bedauerlichen Wochenartikels.




Hausfrau, das muß man ihr lassen, und das soll ihr auch hier nicht bestritten
werden. Daß sie aber infolge ihrer höhern Bildung ihrem Sohne gegenüber
den Vater wirksamer und erfolgreicher ersetzte, zu ersetzen vermöchte, als dies
die deutsche Frau in ihrem Kreise tut, würde sie selbst nicht glauben! auf
diesen genialen, obgleich etwas paradoxen Gedanken ist meines Wissens bis
zum heutigen Tage nur ein Mann gekommen, der Verfasser des besprochnen
Artikels. Und „der Kernpunkt der großen Unterrichtsreformen der französischen
Republik, die seit dem Unglücksjahre mit ungeheuern Geldopfern vollzogen
sind, und von denen man in Deutschland leider nnr sehr wenig weiß: Ab¬
wendung vom Internat und Rückgabe der Söhne und der Töchter an die
Familie" mag ein in die Erde gesenktes fruchtbares Saatkorn sein, aufgegangen
ist es noch nicht, und bis vor ganz kurzem wurde in mir bekannten Familien
jede Tochtererziehung — und um die handelt es sich ja hier — im Kloster
begonnen, fortgesetzt und — beendet. Die jungen Damen waren, soweit ich
urteilen konnte, in allem was Wissen und Schliff anlangte, vorzüglich erzogen.
Ob sie im Durchschnitt mehr dazu angetan waren, ihren Kindern nach dem
Goethischen Worte den Vater zu ersetzen als eine deutsche Frau, möchte ich
alles Ernstes bezweifeln, und auch die so überaus erfreulich klingende Be¬
merkung, daß „die jungen Französinnen bis zum achtzehnten und neunzehnten
Jahre mit ihrer geistigen Ausbildung beschäftigt bleiben und eine Fülle von
Gedanken, Kenntnissen und sittlichen Antrieben in sich aufnehmen, die der
deutschen Frau, wenn sie nur die vom Staat oder den Städten gebvtnen
Bildungsgelegenheiten benutzt hat, für immer fremd bleiben," macht mir den
Eindruck von tönendem Erz. Einer deutscheu Frau, die von dem Aufsatz
aufs peinlichste berührt war und mich aufs Gewissen fragte, ob es in Frankreich
mit der Frauenerziehuug wirklich so glänzend beschaffen sei, wie es der Artikel
darstelle, mußte ich demütig bekennen, daß ich nur zehn Jahre in Frankreich
gelebt und deshalb vielleicht nicht genug Gelegenheit gehabt hätte, mich von
der überwältigende« Fülle der Gedanken, Kenntnisse lind sittlichen Antriebe der
Französinnen zu überzeugen: daß sich das aber alles seit meiner vor Jahr
und Tag erfolgten Abreise entwickelt haben könne.

Der Herr Professor sagt zum Schluß: „Wir stehen vor einer gänzlichen
Erneuerung und Verbesserung der Erziehung der Frauen; und das Tröstliche
ist, daß Frauen selbst sie stürmisch verlangen; an entscheidender Stelle in
der Negierung unsers Landes ist der gute Wille vorhanden." Am stürmischsten
verlangen das bekanntlich Anna Augspurg, Klara Zetkin und Rosa Luxem¬
burg, die es ja mit jedem Manne aufnehmen. Hoffentlich hat die „entscheidende
Stelle" klarere Vorstellungen über die Erziehung deutscher Mädchen, als der
Verfasser des bedauerlichen Wochenartikels.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/644>, abgerufen am 25.05.2024.