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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

ein und tat die Ohren für die willkommene Weisheit so weit auf, wie er konnte,
worauf er seiner Frau vorhielt, wie sehr er von andern geschätzt werde, und welche
Meinung diese und jene gute Freundin über sie hätte.

Das Leben wurde schwer und schwül in unserm Hanse, aber es kam zu keinem
Gewitter, da bei den Leuten alles Vergnügen war, was den Blitz von einer Seele
in die andre hätte tragen können. Ein Gewitter kann nur da entsteh", wo sich
Menschen gegenüberstehn, in deren Wesen noch irgend etwas Verwandtes vorhanden
ist, ein Schmerz, eine klagende Liebe, die noch in einem Winkel des Herzens ruht,
aber emporschwebt, wenn ihre Stunde gekommen ist, und sich auseinander breitet,
dunkel und schwer wie die Wolken am Gewitterhimmel. Zwischen diesen beiden
Menschen gab es jedoch nichts gemeinsames mehr, sie haßten einander nicht, sie gingen
gleichgiltig aneinander vorüber. Es war ein Glück, daß der Tante erster Mann Sorge
getragen hatte, daß Bauer nicht an das Häuschen herankonnte. In ihrem ersten
Liebesrausch hätte die Tante ihm Wohl alles in die Hände gegeben, jetzt war aber
keine Gefahr mehr, daß sie ihm die Verfügung nur über einen Stein des Hauses
überließ. Ihr erster Mann hatte ja Wohl nicht daran gedacht, daß sie sich noch
einmal verehelichen würde; er mochte vielmehr die Kapcllengemeinde im Auge
gehabt haben, deren Bemühungen, seine Frau zu einer Heiligen umzuwandeln, ihm
immer verdächtig erschienen waren.

Einmal gerieten die beiden Eheleute jedoch fast aneinander. Bauer hatte sich
auf einen neuen Erwerbszweig besonnen, nämlich die Korbflechterei. Da die Weiden¬
gerten, die er zu dieser Unternehmung brauchte, größtenteils gestohlen waren, so
konnte er eine billige Ware herstellen. Die Tante ließ ihn gewähren. Mochte er
doch tun, was er wollte, am liebsten etwas, was ihn ins Zuchthaus brächte und
ihr eine Gelegenheit gäbe, sich von ihm zu trennen! Als er jedoch versuchte, uns
Kinder zu Geschäftsreisenden auszubilden, trat sie ihm heftig entgegen. Daß ich
einen Mann geheiratet habe, der ein Lump ist, das weiß ich, und trage mein Los.
Aber mein Kind lasse ich nicht von dir verderben. Es ist dein Kind nicht, Gott
sei Dank, du hast kein Recht darauf. Versuch es mir, du wirst etwas erleben. Und
wenn ich die ganze Stadt znsammenlänten muß, ich tue es. Ich habe immer ge¬
schwiegen, weil ich nicht in der Leute Mäuler kommen wollte. Aber ich schweige
nicht länger, ich werde einmal sehen, ob dn ein Recht hast, das Kind auszunützen
und zu einer Vettcldirne zu machen. -- Es ist gut, antwortete Bauer, so mag der
Junge allein gehn. Meine Tante schwieg darauf, glücklich, ihr eignes Kind in
Sicherheit gebracht zu haben. Ich war ein fremdes Kind, eine Last, die noch eine
Zeit lang getragen werden mußte, was lag an mir? Und wer fragte nach mir?
Von meinen Eltern hörte ich nichts, Briefe zu schreiben war nicht ihre Sache,
auch glaubten sie mich wohl aufgehoben, und die wenigen Briefe, die ich ihnen selbst
schrieb uach einem bestimmten Muster, das uns in der Schule zurecht gemacht
wurde, mochten ihnen die Zuversicht eingeflößt haben, daß ich mich zu einem tüchtigen
und gescheiten Menschen entwickelte.

Ich war damals etwa dreizehn Jahre alt und ein zwar etwas wilder, aber
im ganzen gutartiger Junge geblieben. Diese Hansiergcinge jedoch in die Stadt
hinein und nachher, als mein Kundenkreis versorgt war, auch auf die Dörfer
brachten manches zur Entfaltung, was später böse Blüten und Früchte hervor¬
trieb. Ich wurde ein kleiner Strömer, und da ich bald anfing, einige Pfennige
hinter mich zu bringen, auch ein Schlemmer. Auch lernte ich nunmehr einige
gleichgesinnte Kameraden kennen, mit denen ich später meine Streiche machte.
Um die Schule ging ich so viel wie möglich herum. Da ich jedoch ein anstelliger
Mensch war und mit der größten Leichtigkeit lernte, so nahm ich doch ziemlich alles
in mich auf, was unser Lehrer uns zu lehren für gut hielt. Er war ein gutmütiger,
aber ungewöhnlich hitziger Mann, bei dem es darum aus einem Extrem ins andre
ging. Manchmal erzählte er uns die hübschesten Sachen, sodaß es eine Lust war,
auf ihn zu hören. Wenn aber auf diese Weise ein paar Tage verzettelt waren, dann
wurde er plötzlich schneidig und ging nun scharf vor, um das Versäumte schnell


Zwei Seelen

ein und tat die Ohren für die willkommene Weisheit so weit auf, wie er konnte,
worauf er seiner Frau vorhielt, wie sehr er von andern geschätzt werde, und welche
Meinung diese und jene gute Freundin über sie hätte.

Das Leben wurde schwer und schwül in unserm Hanse, aber es kam zu keinem
Gewitter, da bei den Leuten alles Vergnügen war, was den Blitz von einer Seele
in die andre hätte tragen können. Ein Gewitter kann nur da entsteh», wo sich
Menschen gegenüberstehn, in deren Wesen noch irgend etwas Verwandtes vorhanden
ist, ein Schmerz, eine klagende Liebe, die noch in einem Winkel des Herzens ruht,
aber emporschwebt, wenn ihre Stunde gekommen ist, und sich auseinander breitet,
dunkel und schwer wie die Wolken am Gewitterhimmel. Zwischen diesen beiden
Menschen gab es jedoch nichts gemeinsames mehr, sie haßten einander nicht, sie gingen
gleichgiltig aneinander vorüber. Es war ein Glück, daß der Tante erster Mann Sorge
getragen hatte, daß Bauer nicht an das Häuschen herankonnte. In ihrem ersten
Liebesrausch hätte die Tante ihm Wohl alles in die Hände gegeben, jetzt war aber
keine Gefahr mehr, daß sie ihm die Verfügung nur über einen Stein des Hauses
überließ. Ihr erster Mann hatte ja Wohl nicht daran gedacht, daß sie sich noch
einmal verehelichen würde; er mochte vielmehr die Kapcllengemeinde im Auge
gehabt haben, deren Bemühungen, seine Frau zu einer Heiligen umzuwandeln, ihm
immer verdächtig erschienen waren.

Einmal gerieten die beiden Eheleute jedoch fast aneinander. Bauer hatte sich
auf einen neuen Erwerbszweig besonnen, nämlich die Korbflechterei. Da die Weiden¬
gerten, die er zu dieser Unternehmung brauchte, größtenteils gestohlen waren, so
konnte er eine billige Ware herstellen. Die Tante ließ ihn gewähren. Mochte er
doch tun, was er wollte, am liebsten etwas, was ihn ins Zuchthaus brächte und
ihr eine Gelegenheit gäbe, sich von ihm zu trennen! Als er jedoch versuchte, uns
Kinder zu Geschäftsreisenden auszubilden, trat sie ihm heftig entgegen. Daß ich
einen Mann geheiratet habe, der ein Lump ist, das weiß ich, und trage mein Los.
Aber mein Kind lasse ich nicht von dir verderben. Es ist dein Kind nicht, Gott
sei Dank, du hast kein Recht darauf. Versuch es mir, du wirst etwas erleben. Und
wenn ich die ganze Stadt znsammenlänten muß, ich tue es. Ich habe immer ge¬
schwiegen, weil ich nicht in der Leute Mäuler kommen wollte. Aber ich schweige
nicht länger, ich werde einmal sehen, ob dn ein Recht hast, das Kind auszunützen
und zu einer Vettcldirne zu machen. — Es ist gut, antwortete Bauer, so mag der
Junge allein gehn. Meine Tante schwieg darauf, glücklich, ihr eignes Kind in
Sicherheit gebracht zu haben. Ich war ein fremdes Kind, eine Last, die noch eine
Zeit lang getragen werden mußte, was lag an mir? Und wer fragte nach mir?
Von meinen Eltern hörte ich nichts, Briefe zu schreiben war nicht ihre Sache,
auch glaubten sie mich wohl aufgehoben, und die wenigen Briefe, die ich ihnen selbst
schrieb uach einem bestimmten Muster, das uns in der Schule zurecht gemacht
wurde, mochten ihnen die Zuversicht eingeflößt haben, daß ich mich zu einem tüchtigen
und gescheiten Menschen entwickelte.

Ich war damals etwa dreizehn Jahre alt und ein zwar etwas wilder, aber
im ganzen gutartiger Junge geblieben. Diese Hansiergcinge jedoch in die Stadt
hinein und nachher, als mein Kundenkreis versorgt war, auch auf die Dörfer
brachten manches zur Entfaltung, was später böse Blüten und Früchte hervor¬
trieb. Ich wurde ein kleiner Strömer, und da ich bald anfing, einige Pfennige
hinter mich zu bringen, auch ein Schlemmer. Auch lernte ich nunmehr einige
gleichgesinnte Kameraden kennen, mit denen ich später meine Streiche machte.
Um die Schule ging ich so viel wie möglich herum. Da ich jedoch ein anstelliger
Mensch war und mit der größten Leichtigkeit lernte, so nahm ich doch ziemlich alles
in mich auf, was unser Lehrer uns zu lehren für gut hielt. Er war ein gutmütiger,
aber ungewöhnlich hitziger Mann, bei dem es darum aus einem Extrem ins andre
ging. Manchmal erzählte er uns die hübschesten Sachen, sodaß es eine Lust war,
auf ihn zu hören. Wenn aber auf diese Weise ein paar Tage verzettelt waren, dann
wurde er plötzlich schneidig und ging nun scharf vor, um das Versäumte schnell


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[0066] Zwei Seelen ein und tat die Ohren für die willkommene Weisheit so weit auf, wie er konnte, worauf er seiner Frau vorhielt, wie sehr er von andern geschätzt werde, und welche Meinung diese und jene gute Freundin über sie hätte. Das Leben wurde schwer und schwül in unserm Hanse, aber es kam zu keinem Gewitter, da bei den Leuten alles Vergnügen war, was den Blitz von einer Seele in die andre hätte tragen können. Ein Gewitter kann nur da entsteh», wo sich Menschen gegenüberstehn, in deren Wesen noch irgend etwas Verwandtes vorhanden ist, ein Schmerz, eine klagende Liebe, die noch in einem Winkel des Herzens ruht, aber emporschwebt, wenn ihre Stunde gekommen ist, und sich auseinander breitet, dunkel und schwer wie die Wolken am Gewitterhimmel. Zwischen diesen beiden Menschen gab es jedoch nichts gemeinsames mehr, sie haßten einander nicht, sie gingen gleichgiltig aneinander vorüber. Es war ein Glück, daß der Tante erster Mann Sorge getragen hatte, daß Bauer nicht an das Häuschen herankonnte. In ihrem ersten Liebesrausch hätte die Tante ihm Wohl alles in die Hände gegeben, jetzt war aber keine Gefahr mehr, daß sie ihm die Verfügung nur über einen Stein des Hauses überließ. Ihr erster Mann hatte ja Wohl nicht daran gedacht, daß sie sich noch einmal verehelichen würde; er mochte vielmehr die Kapcllengemeinde im Auge gehabt haben, deren Bemühungen, seine Frau zu einer Heiligen umzuwandeln, ihm immer verdächtig erschienen waren. Einmal gerieten die beiden Eheleute jedoch fast aneinander. Bauer hatte sich auf einen neuen Erwerbszweig besonnen, nämlich die Korbflechterei. Da die Weiden¬ gerten, die er zu dieser Unternehmung brauchte, größtenteils gestohlen waren, so konnte er eine billige Ware herstellen. Die Tante ließ ihn gewähren. Mochte er doch tun, was er wollte, am liebsten etwas, was ihn ins Zuchthaus brächte und ihr eine Gelegenheit gäbe, sich von ihm zu trennen! Als er jedoch versuchte, uns Kinder zu Geschäftsreisenden auszubilden, trat sie ihm heftig entgegen. Daß ich einen Mann geheiratet habe, der ein Lump ist, das weiß ich, und trage mein Los. Aber mein Kind lasse ich nicht von dir verderben. Es ist dein Kind nicht, Gott sei Dank, du hast kein Recht darauf. Versuch es mir, du wirst etwas erleben. Und wenn ich die ganze Stadt znsammenlänten muß, ich tue es. Ich habe immer ge¬ schwiegen, weil ich nicht in der Leute Mäuler kommen wollte. Aber ich schweige nicht länger, ich werde einmal sehen, ob dn ein Recht hast, das Kind auszunützen und zu einer Vettcldirne zu machen. — Es ist gut, antwortete Bauer, so mag der Junge allein gehn. Meine Tante schwieg darauf, glücklich, ihr eignes Kind in Sicherheit gebracht zu haben. Ich war ein fremdes Kind, eine Last, die noch eine Zeit lang getragen werden mußte, was lag an mir? Und wer fragte nach mir? Von meinen Eltern hörte ich nichts, Briefe zu schreiben war nicht ihre Sache, auch glaubten sie mich wohl aufgehoben, und die wenigen Briefe, die ich ihnen selbst schrieb uach einem bestimmten Muster, das uns in der Schule zurecht gemacht wurde, mochten ihnen die Zuversicht eingeflößt haben, daß ich mich zu einem tüchtigen und gescheiten Menschen entwickelte. Ich war damals etwa dreizehn Jahre alt und ein zwar etwas wilder, aber im ganzen gutartiger Junge geblieben. Diese Hansiergcinge jedoch in die Stadt hinein und nachher, als mein Kundenkreis versorgt war, auch auf die Dörfer brachten manches zur Entfaltung, was später böse Blüten und Früchte hervor¬ trieb. Ich wurde ein kleiner Strömer, und da ich bald anfing, einige Pfennige hinter mich zu bringen, auch ein Schlemmer. Auch lernte ich nunmehr einige gleichgesinnte Kameraden kennen, mit denen ich später meine Streiche machte. Um die Schule ging ich so viel wie möglich herum. Da ich jedoch ein anstelliger Mensch war und mit der größten Leichtigkeit lernte, so nahm ich doch ziemlich alles in mich auf, was unser Lehrer uns zu lehren für gut hielt. Er war ein gutmütiger, aber ungewöhnlich hitziger Mann, bei dem es darum aus einem Extrem ins andre ging. Manchmal erzählte er uns die hübschesten Sachen, sodaß es eine Lust war, auf ihn zu hören. Wenn aber auf diese Weise ein paar Tage verzettelt waren, dann wurde er plötzlich schneidig und ging nun scharf vor, um das Versäumte schnell

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/66>, abgerufen am 17.06.2024.