Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die älteste Heimatskunde Westfalens

alljährlich sollen die Edelleute zur Beratung ihrer Interessen zusammenkommen,
sollen Beiträge zu Standeszwecken zahlen usw. Auf der andern Seite warnt
er vor Heckenreiterei. So ungern er es tut, er muß zugeben, daß der west¬
fälische Adel keineswegs immer echt ritterliche Sitte pflegt. Denn:

ist Seil, Wahlspruch, wogegen der geplagte Landmann erwidert:

Diese gefährlichen Schnapphähne sind meist hoch gewachsne. kräftige und
geistig aufgeweckte Leute, die auch ihren Freunden gegenüber auf Treue halten;
allein die leidige Armut ist es, sagt Nolevinck zur Entschuldigung seiner Lands¬
leute, die sie zum Raube treibt. Denn ihre Äcker sind so unfruchtbar, daß
sonst teil, Mensch sie bebauen würde. Nicht ohne Bedauern, meint er weiter,
sieht man unter ihnen schöne Junkerlein, die um geringe Nahrung und Kleidung
tagtäglich Galgen und Rad entgegengehn. Ihnen gilt es als unbestreitbares
Recht, den Nachbarn Fehdebriefe zu senden, und dann ist alles wohlgetan und
ehrenwert, was sie verüben. Nach Blut dürsten sie nicht; großer Grundbesitz,
Renten, Turniere und üppiges Leben sind ebensowenig das Ziel ihres Strebens:
nur ihren Lebensunterhalt wollen sie gewinnen. So kann man denn mancherlei
in ihren Behausungen finden, was anderwärts abhanden gekommen ist.

Höchst lebenswahr ist das Bild, das Nolevinck von der Erziehung der
jungen Strnnchritter entwirft. Ihre Lehrzeit ist ein reines Märtyrerinn,.
Aus der Wiege gerissen, werden fünfjährige Bürschchen auf große Gäule gesetzt
und auf dein Sattel festgebunden. Dann sprengt man davon. Nach einen,
ausgedehnten, höchst anstrengenden Ritt ruhen die Erwachsnen im Bette aus,
die Kinder aber werden unbarmherzig im Stalle untergebracht, wo sie sich aus
den, Miste und der Jauche nicht eher erheben dürfen, als bis der Stallmeister
kommt. Dann erscheint auch der gnädige Herr und befiehlt, daß die Kerlchen
exerzieren sollen, um zu sehen, ob einmal etwas aus ihnen werden kaun. Hierbei
werden sie weidlich gedrillt, und Schläge und Schimpfworte fallen hageldicht.
Sind sie etwas herangewachsen und kräftiger geworden, dann gibt man ihnen
Schild und Schwert, Lanze und Armbrust, und bald ziehen sie, gleichsam den,
Galgen geweiht, mutig ins Feld. Haben sie Glück, gut; werden sie aufgeknüpft,
kräht kein Huhu und kein Hahn danach.

So sehr Nolevinck auch das Treiben dieser "Märtyrer des Teufels" mi߬
billigt, so ist es ihm doch ein Trost, daß sie nicht die Nachkommen uransüssiger
Westfalen, sondern zur Zeit Karls des Großen eingewanderter Franken sind.
Diese habe,,, so meint er. ohne freilich einen stichhaltigen Grund dafür anzu¬
fahren, das Land, soweit es nicht vertragsmäßig den ansässigen Bewohnern
verblieb, aufgeteilt; da aber der Grundbesitz der zahlreichen Nachkommenschaft
schließlich nicht mehr genügte, auch das hörige Volk so viel Junker acht füttern
konnte, mußten diese ihre unfruchtbare Scholle mit Raub düngen. Das wurde
unterblieben sein, wenn ihre Voreltern im blühenden Frankenreiche geblieben


Die älteste Heimatskunde Westfalens

alljährlich sollen die Edelleute zur Beratung ihrer Interessen zusammenkommen,
sollen Beiträge zu Standeszwecken zahlen usw. Auf der andern Seite warnt
er vor Heckenreiterei. So ungern er es tut, er muß zugeben, daß der west¬
fälische Adel keineswegs immer echt ritterliche Sitte pflegt. Denn:

ist Seil, Wahlspruch, wogegen der geplagte Landmann erwidert:

Diese gefährlichen Schnapphähne sind meist hoch gewachsne. kräftige und
geistig aufgeweckte Leute, die auch ihren Freunden gegenüber auf Treue halten;
allein die leidige Armut ist es, sagt Nolevinck zur Entschuldigung seiner Lands¬
leute, die sie zum Raube treibt. Denn ihre Äcker sind so unfruchtbar, daß
sonst teil, Mensch sie bebauen würde. Nicht ohne Bedauern, meint er weiter,
sieht man unter ihnen schöne Junkerlein, die um geringe Nahrung und Kleidung
tagtäglich Galgen und Rad entgegengehn. Ihnen gilt es als unbestreitbares
Recht, den Nachbarn Fehdebriefe zu senden, und dann ist alles wohlgetan und
ehrenwert, was sie verüben. Nach Blut dürsten sie nicht; großer Grundbesitz,
Renten, Turniere und üppiges Leben sind ebensowenig das Ziel ihres Strebens:
nur ihren Lebensunterhalt wollen sie gewinnen. So kann man denn mancherlei
in ihren Behausungen finden, was anderwärts abhanden gekommen ist.

Höchst lebenswahr ist das Bild, das Nolevinck von der Erziehung der
jungen Strnnchritter entwirft. Ihre Lehrzeit ist ein reines Märtyrerinn,.
Aus der Wiege gerissen, werden fünfjährige Bürschchen auf große Gäule gesetzt
und auf dein Sattel festgebunden. Dann sprengt man davon. Nach einen,
ausgedehnten, höchst anstrengenden Ritt ruhen die Erwachsnen im Bette aus,
die Kinder aber werden unbarmherzig im Stalle untergebracht, wo sie sich aus
den, Miste und der Jauche nicht eher erheben dürfen, als bis der Stallmeister
kommt. Dann erscheint auch der gnädige Herr und befiehlt, daß die Kerlchen
exerzieren sollen, um zu sehen, ob einmal etwas aus ihnen werden kaun. Hierbei
werden sie weidlich gedrillt, und Schläge und Schimpfworte fallen hageldicht.
Sind sie etwas herangewachsen und kräftiger geworden, dann gibt man ihnen
Schild und Schwert, Lanze und Armbrust, und bald ziehen sie, gleichsam den,
Galgen geweiht, mutig ins Feld. Haben sie Glück, gut; werden sie aufgeknüpft,
kräht kein Huhu und kein Hahn danach.

So sehr Nolevinck auch das Treiben dieser „Märtyrer des Teufels" mi߬
billigt, so ist es ihm doch ein Trost, daß sie nicht die Nachkommen uransüssiger
Westfalen, sondern zur Zeit Karls des Großen eingewanderter Franken sind.
Diese habe,,, so meint er. ohne freilich einen stichhaltigen Grund dafür anzu¬
fahren, das Land, soweit es nicht vertragsmäßig den ansässigen Bewohnern
verblieb, aufgeteilt; da aber der Grundbesitz der zahlreichen Nachkommenschaft
schließlich nicht mehr genügte, auch das hörige Volk so viel Junker acht füttern
konnte, mußten diese ihre unfruchtbare Scholle mit Raub düngen. Das wurde
unterblieben sein, wenn ihre Voreltern im blühenden Frankenreiche geblieben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0709" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242779"/>
          <fw type="header" place="top"> Die älteste Heimatskunde Westfalens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2599" prev="#ID_2598" next="#ID_2600"> alljährlich sollen die Edelleute zur Beratung ihrer Interessen zusammenkommen,<lb/>
sollen Beiträge zu Standeszwecken zahlen usw. Auf der andern Seite warnt<lb/>
er vor Heckenreiterei. So ungern er es tut, er muß zugeben, daß der west¬<lb/>
fälische Adel keineswegs immer echt ritterliche Sitte pflegt. Denn:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_37" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2600" prev="#ID_2599"> ist Seil, Wahlspruch, wogegen der geplagte Landmann erwidert:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_38" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2601"> Diese gefährlichen Schnapphähne sind meist hoch gewachsne. kräftige und<lb/>
geistig aufgeweckte Leute, die auch ihren Freunden gegenüber auf Treue halten;<lb/>
allein die leidige Armut ist es, sagt Nolevinck zur Entschuldigung seiner Lands¬<lb/>
leute, die sie zum Raube treibt. Denn ihre Äcker sind so unfruchtbar, daß<lb/>
sonst teil, Mensch sie bebauen würde. Nicht ohne Bedauern, meint er weiter,<lb/>
sieht man unter ihnen schöne Junkerlein, die um geringe Nahrung und Kleidung<lb/>
tagtäglich Galgen und Rad entgegengehn. Ihnen gilt es als unbestreitbares<lb/>
Recht, den Nachbarn Fehdebriefe zu senden, und dann ist alles wohlgetan und<lb/>
ehrenwert, was sie verüben. Nach Blut dürsten sie nicht; großer Grundbesitz,<lb/>
Renten, Turniere und üppiges Leben sind ebensowenig das Ziel ihres Strebens:<lb/>
nur ihren Lebensunterhalt wollen sie gewinnen. So kann man denn mancherlei<lb/>
in ihren Behausungen finden, was anderwärts abhanden gekommen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2602"> Höchst lebenswahr ist das Bild, das Nolevinck von der Erziehung der<lb/>
jungen Strnnchritter entwirft. Ihre Lehrzeit ist ein reines Märtyrerinn,.<lb/>
Aus der Wiege gerissen, werden fünfjährige Bürschchen auf große Gäule gesetzt<lb/>
und auf dein Sattel festgebunden. Dann sprengt man davon. Nach einen,<lb/>
ausgedehnten, höchst anstrengenden Ritt ruhen die Erwachsnen im Bette aus,<lb/>
die Kinder aber werden unbarmherzig im Stalle untergebracht, wo sie sich aus<lb/>
den, Miste und der Jauche nicht eher erheben dürfen, als bis der Stallmeister<lb/>
kommt. Dann erscheint auch der gnädige Herr und befiehlt, daß die Kerlchen<lb/>
exerzieren sollen, um zu sehen, ob einmal etwas aus ihnen werden kaun. Hierbei<lb/>
werden sie weidlich gedrillt, und Schläge und Schimpfworte fallen hageldicht.<lb/>
Sind sie etwas herangewachsen und kräftiger geworden, dann gibt man ihnen<lb/>
Schild und Schwert, Lanze und Armbrust, und bald ziehen sie, gleichsam den,<lb/>
Galgen geweiht, mutig ins Feld. Haben sie Glück, gut; werden sie aufgeknüpft,<lb/>
kräht kein Huhu und kein Hahn danach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2603" next="#ID_2604"> So sehr Nolevinck auch das Treiben dieser &#x201E;Märtyrer des Teufels" mi߬<lb/>
billigt, so ist es ihm doch ein Trost, daß sie nicht die Nachkommen uransüssiger<lb/>
Westfalen, sondern zur Zeit Karls des Großen eingewanderter Franken sind.<lb/>
Diese habe,,, so meint er. ohne freilich einen stichhaltigen Grund dafür anzu¬<lb/>
fahren, das Land, soweit es nicht vertragsmäßig den ansässigen Bewohnern<lb/>
verblieb, aufgeteilt; da aber der Grundbesitz der zahlreichen Nachkommenschaft<lb/>
schließlich nicht mehr genügte, auch das hörige Volk so viel Junker acht füttern<lb/>
konnte, mußten diese ihre unfruchtbare Scholle mit Raub düngen. Das wurde<lb/>
unterblieben sein, wenn ihre Voreltern im blühenden Frankenreiche geblieben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0709] Die älteste Heimatskunde Westfalens alljährlich sollen die Edelleute zur Beratung ihrer Interessen zusammenkommen, sollen Beiträge zu Standeszwecken zahlen usw. Auf der andern Seite warnt er vor Heckenreiterei. So ungern er es tut, er muß zugeben, daß der west¬ fälische Adel keineswegs immer echt ritterliche Sitte pflegt. Denn: ist Seil, Wahlspruch, wogegen der geplagte Landmann erwidert: Diese gefährlichen Schnapphähne sind meist hoch gewachsne. kräftige und geistig aufgeweckte Leute, die auch ihren Freunden gegenüber auf Treue halten; allein die leidige Armut ist es, sagt Nolevinck zur Entschuldigung seiner Lands¬ leute, die sie zum Raube treibt. Denn ihre Äcker sind so unfruchtbar, daß sonst teil, Mensch sie bebauen würde. Nicht ohne Bedauern, meint er weiter, sieht man unter ihnen schöne Junkerlein, die um geringe Nahrung und Kleidung tagtäglich Galgen und Rad entgegengehn. Ihnen gilt es als unbestreitbares Recht, den Nachbarn Fehdebriefe zu senden, und dann ist alles wohlgetan und ehrenwert, was sie verüben. Nach Blut dürsten sie nicht; großer Grundbesitz, Renten, Turniere und üppiges Leben sind ebensowenig das Ziel ihres Strebens: nur ihren Lebensunterhalt wollen sie gewinnen. So kann man denn mancherlei in ihren Behausungen finden, was anderwärts abhanden gekommen ist. Höchst lebenswahr ist das Bild, das Nolevinck von der Erziehung der jungen Strnnchritter entwirft. Ihre Lehrzeit ist ein reines Märtyrerinn,. Aus der Wiege gerissen, werden fünfjährige Bürschchen auf große Gäule gesetzt und auf dein Sattel festgebunden. Dann sprengt man davon. Nach einen, ausgedehnten, höchst anstrengenden Ritt ruhen die Erwachsnen im Bette aus, die Kinder aber werden unbarmherzig im Stalle untergebracht, wo sie sich aus den, Miste und der Jauche nicht eher erheben dürfen, als bis der Stallmeister kommt. Dann erscheint auch der gnädige Herr und befiehlt, daß die Kerlchen exerzieren sollen, um zu sehen, ob einmal etwas aus ihnen werden kaun. Hierbei werden sie weidlich gedrillt, und Schläge und Schimpfworte fallen hageldicht. Sind sie etwas herangewachsen und kräftiger geworden, dann gibt man ihnen Schild und Schwert, Lanze und Armbrust, und bald ziehen sie, gleichsam den, Galgen geweiht, mutig ins Feld. Haben sie Glück, gut; werden sie aufgeknüpft, kräht kein Huhu und kein Hahn danach. So sehr Nolevinck auch das Treiben dieser „Märtyrer des Teufels" mi߬ billigt, so ist es ihm doch ein Trost, daß sie nicht die Nachkommen uransüssiger Westfalen, sondern zur Zeit Karls des Großen eingewanderter Franken sind. Diese habe,,, so meint er. ohne freilich einen stichhaltigen Grund dafür anzu¬ fahren, das Land, soweit es nicht vertragsmäßig den ansässigen Bewohnern verblieb, aufgeteilt; da aber der Grundbesitz der zahlreichen Nachkommenschaft schließlich nicht mehr genügte, auch das hörige Volk so viel Junker acht füttern konnte, mußten diese ihre unfruchtbare Scholle mit Raub düngen. Das wurde unterblieben sein, wenn ihre Voreltern im blühenden Frankenreiche geblieben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/709
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/709>, abgerufen am 09.06.2024.