Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches keit im überwallenden Ärger einen "Esel" nennt! Im Militärdienst aber, wo es Desgleichen müssen wir uns gegen die auch von hoher militärischer Seite Wir können nicht umhin, bei der Behandlung dieser Verhältnisse unsre feste Maßgebliches und Unmaßgebliches keit im überwallenden Ärger einen „Esel" nennt! Im Militärdienst aber, wo es Desgleichen müssen wir uns gegen die auch von hoher militärischer Seite Wir können nicht umhin, bei der Behandlung dieser Verhältnisse unsre feste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/292929"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_622" prev="#ID_621"> keit im überwallenden Ärger einen „Esel" nennt! Im Militärdienst aber, wo es<lb/> sich nicht um ein oder zwei zu erziehende junge Leute handelt, sondern um starke,<lb/> aus den verschiedensten Gesellschaften zusammengesetzte Rekrutenabteilungen, da soll<lb/> ein in der Hitze des Gefechts fallendes Kraftwort als Beleidigung gelten, die nicht<lb/> nur eine Beschwerde zuläßt, sondern sogar erheischt! Jede planmäßig fortgesetzte<lb/> Mißhandlung von Soldaten, wie sie, leider Gottes, mehrfach vorgekommen ist, soll<lb/> selbstverständlich mit der äußersten Strenge bestraft werden, und die direkten Vor¬<lb/> gesetzten, namentlich der Kompagnie- oder der Eskadronchef, sollen unbedingt dafür<lb/> zur Verantwortung gezogen werden. Kein Mittel soll unbenutzt bleiben, solche<lb/> Roheiten aus der Armee zu verbannen, und wenn der Kriegsminister sagt: „Ich<lb/> bin überzeugt, daß wir diese Mißhandlungen aus der Armee herausbekommen<lb/> werden und müssen," so kann man überzeugt sein, daß es an dem nötigen Ernste<lb/> hierzu nicht fehlen wird; aber man soll einen großen Unterschied machen zwischen Mi߬<lb/> handlung und einer in der Erregung einmal vorgekommnen „nicht vorschriftmäßigcn<lb/> Behandlung."</p><lb/> <p xml:id="ID_623"> Desgleichen müssen wir uns gegen die auch von hoher militärischer Seite<lb/> verlangte Ausdehnung des Beschwerderechts zur Beschwerdepflicht wenden. Der<lb/> Soldat muß und soll das Recht der Beschwerde haben, wenn er fortgesetzten plan¬<lb/> mäßigen Mißhandlungen — zu denen wir auch wiederholte ungerechtfertigte Be¬<lb/> schimpfungen rechnen — ausgesetzt ist; er muß aber wissen, daß sich jede unbe¬<lb/> rechtigte Beschwerde gegen ihn selbst kehrt. Es darf unter keiner Bedingung<lb/> dahin kommen, daß dem Soldaten, überhaupt dem Untergebnen, die Kritik über<lb/> seinen Vorgesetzte» zusteht, und daß demnach dieser jenem mehr oder weniger auf<lb/> Gnade oder Ungnade überliefert ist, denn das wäre der Untergang jeder Dis¬<lb/> ziplin. Man denke sich einmal die Lage des Nekrntenunteroffiziers oder des die<lb/> Aufsicht führenden Offiziers, wenn sie jeden Abend vor der Frage stünden: Wird<lb/> sich wohl heute ein Rekrut über dich beschweren? Hast du nicht vielleicht, als du<lb/> dem N. N. das Gewehr richtig auf die Schulter legtest zu fest zugegriffen? usw.<lb/> Man muß mir berücksichtige», daß wen» auch die Beschwerde vielleicht ergebnislos<lb/> verläuft, es dennoch einen Makel auf den Unteroffizier wirft — wenigstens in<lb/> vieler Augen —, wenn es heißt, daß er wegen Svldatenmißhandlung in Unter¬<lb/> suchung gewesen sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> Wir können nicht umhin, bei der Behandlung dieser Verhältnisse unsre feste<lb/> Überzeugung auszusprechen, daß all diese sittliche Empörung gegen „unVorschrift-<lb/> mäßige Behandlung der Soldaten" — wir sprechen nicht von den scheußliche»<lb/> planmäßigen Mißhandlungen —, der man in sozialdemokratischen und in freisinnig¬<lb/> demokratischen Blättern begegnet, und der auf der Tribüne des Reichstags Aus¬<lb/> druck gegeben wird, zum großen Teil ihren Grund in der Feindschaft gegen das<lb/> feste Gefüge der stehenden Armee, gegen die Disziplin, gegen das Subordinations-<lb/> verhültnis findet, und daß namentlich die sozialdemokratische Partei die Besprechung<lb/> dieser Ausschreitungen als ein vorzügliches Mittel zur Agitation und zur Unter¬<lb/> grabung der militärischen Disziplin betrachtet. Wäre das nicht der Fall, sonder»<lb/> wären es nur edle Motive, die hier maßgebend wären, so würden der Partei doch<lb/> »och andre Verhältnisse denselben oder noch stärkern Anlaß zur Kritik biete». Wir<lb/> verweisen uur auf die Schule. Warum wird von den Sozialdemokraten nicht<lb/> ebenso energisch gegen die körperliche Züchtigung und gegen Mißhandlungen in<lb/> der Schule Front gemacht? Das Schulkind, das vom sechsten bis zum vierzehnten<lb/> Lebensjahre den: Lehrer überlassen ist — weit verteidigungsloscr als der Soldat<lb/> dem Vorgesetzten gegenüber —, und das nicht nur körperlich sondern anch moralisch,<lb/> lebenslängliche» Schaden durch falsche, rohe Behandlung leidet oder leiden kann,<lb/> das bedürfte des Schutzes weit mehr als der junge, gesunde, kräftige Mann, dem<lb/> zudem die Möglichkeit der Beschwerdeführnug viel näher liegt als dem Kinde.<lb/> Wir wisse» sehr wohl, daß unser Lehrerstand so hoch steht und so gewissenhaft ist,<lb/> daß rohe oder gar grausame Behandlung der Kinder zu den größten Ausnahmen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
keit im überwallenden Ärger einen „Esel" nennt! Im Militärdienst aber, wo es
sich nicht um ein oder zwei zu erziehende junge Leute handelt, sondern um starke,
aus den verschiedensten Gesellschaften zusammengesetzte Rekrutenabteilungen, da soll
ein in der Hitze des Gefechts fallendes Kraftwort als Beleidigung gelten, die nicht
nur eine Beschwerde zuläßt, sondern sogar erheischt! Jede planmäßig fortgesetzte
Mißhandlung von Soldaten, wie sie, leider Gottes, mehrfach vorgekommen ist, soll
selbstverständlich mit der äußersten Strenge bestraft werden, und die direkten Vor¬
gesetzten, namentlich der Kompagnie- oder der Eskadronchef, sollen unbedingt dafür
zur Verantwortung gezogen werden. Kein Mittel soll unbenutzt bleiben, solche
Roheiten aus der Armee zu verbannen, und wenn der Kriegsminister sagt: „Ich
bin überzeugt, daß wir diese Mißhandlungen aus der Armee herausbekommen
werden und müssen," so kann man überzeugt sein, daß es an dem nötigen Ernste
hierzu nicht fehlen wird; aber man soll einen großen Unterschied machen zwischen Mi߬
handlung und einer in der Erregung einmal vorgekommnen „nicht vorschriftmäßigcn
Behandlung."
Desgleichen müssen wir uns gegen die auch von hoher militärischer Seite
verlangte Ausdehnung des Beschwerderechts zur Beschwerdepflicht wenden. Der
Soldat muß und soll das Recht der Beschwerde haben, wenn er fortgesetzten plan¬
mäßigen Mißhandlungen — zu denen wir auch wiederholte ungerechtfertigte Be¬
schimpfungen rechnen — ausgesetzt ist; er muß aber wissen, daß sich jede unbe¬
rechtigte Beschwerde gegen ihn selbst kehrt. Es darf unter keiner Bedingung
dahin kommen, daß dem Soldaten, überhaupt dem Untergebnen, die Kritik über
seinen Vorgesetzte» zusteht, und daß demnach dieser jenem mehr oder weniger auf
Gnade oder Ungnade überliefert ist, denn das wäre der Untergang jeder Dis¬
ziplin. Man denke sich einmal die Lage des Nekrntenunteroffiziers oder des die
Aufsicht führenden Offiziers, wenn sie jeden Abend vor der Frage stünden: Wird
sich wohl heute ein Rekrut über dich beschweren? Hast du nicht vielleicht, als du
dem N. N. das Gewehr richtig auf die Schulter legtest zu fest zugegriffen? usw.
Man muß mir berücksichtige», daß wen» auch die Beschwerde vielleicht ergebnislos
verläuft, es dennoch einen Makel auf den Unteroffizier wirft — wenigstens in
vieler Augen —, wenn es heißt, daß er wegen Svldatenmißhandlung in Unter¬
suchung gewesen sei.
Wir können nicht umhin, bei der Behandlung dieser Verhältnisse unsre feste
Überzeugung auszusprechen, daß all diese sittliche Empörung gegen „unVorschrift-
mäßige Behandlung der Soldaten" — wir sprechen nicht von den scheußliche»
planmäßigen Mißhandlungen —, der man in sozialdemokratischen und in freisinnig¬
demokratischen Blättern begegnet, und der auf der Tribüne des Reichstags Aus¬
druck gegeben wird, zum großen Teil ihren Grund in der Feindschaft gegen das
feste Gefüge der stehenden Armee, gegen die Disziplin, gegen das Subordinations-
verhültnis findet, und daß namentlich die sozialdemokratische Partei die Besprechung
dieser Ausschreitungen als ein vorzügliches Mittel zur Agitation und zur Unter¬
grabung der militärischen Disziplin betrachtet. Wäre das nicht der Fall, sonder»
wären es nur edle Motive, die hier maßgebend wären, so würden der Partei doch
»och andre Verhältnisse denselben oder noch stärkern Anlaß zur Kritik biete». Wir
verweisen uur auf die Schule. Warum wird von den Sozialdemokraten nicht
ebenso energisch gegen die körperliche Züchtigung und gegen Mißhandlungen in
der Schule Front gemacht? Das Schulkind, das vom sechsten bis zum vierzehnten
Lebensjahre den: Lehrer überlassen ist — weit verteidigungsloscr als der Soldat
dem Vorgesetzten gegenüber —, und das nicht nur körperlich sondern anch moralisch,
lebenslängliche» Schaden durch falsche, rohe Behandlung leidet oder leiden kann,
das bedürfte des Schutzes weit mehr als der junge, gesunde, kräftige Mann, dem
zudem die Möglichkeit der Beschwerdeführnug viel näher liegt als dem Kinde.
Wir wisse» sehr wohl, daß unser Lehrerstand so hoch steht und so gewissenhaft ist,
daß rohe oder gar grausame Behandlung der Kinder zu den größten Ausnahmen
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