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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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gehört, aber Ausnahmen sind die Soldatenmißhandlungen auch. In beiden Fällen
kommen Roheiten eben vor, nur mit dem Unterschiede, daß es sich beim Kinde
auch um die Seele, nicht nur um den Körper handelt. Noch ganz kürzlich haben
wir aus Elberfeld gelesen, daß ein Realschuloberlehrer und Professor wegen fort¬
gesetzter Planmäßiger Mißhandlung eines Quintaners (!), der infolgedessen unter
Qualen gestorben ist, zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden
ist. Es wurde ausdrücklich bemerkt, daß es seine Gewohnheit gewesen sei, die
Kinder in dieser Weise zu mißhandeln. Ist das nicht geradezu haarsträubend?
Ist das nicht tausendmal schlimmer und verwerflicher als die schlechte Behandlung
eines Rekruten? Wir entsinnen uns aber nicht, in einem sozialdemokratischen oder
freisinnigen Blatte einen Ruf der Empörung gelesen zu haben, und wir glauben
nicht, daß Bebel im Reichstage den Kultusminister hierüber interpellieren und eine
Abä M. nderung unsrer Schulgesetzgebung verlangen wird.


Zum Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm.

Wir erhalten folgende
Zuschrift: Der fein gegliederten und eindringenden Darstellung im ersten Dezember¬
heft der Grenzboten ließe sich kaum uoch etwas beifügen. Sie ist so abgerundet
und so überzeugend, daß man auf ihren vollen Erfolg bauen möchte, um so mehr,
als in den leitenden Kreisen, wie es scheint, der Wille herrscht, durch alle Hinder¬
nisse durchzugreifen.

Persönlich darf ich wohl ein Wort zur Erklärung der Sachlage anmerken,
die mich augenblicklich an der freien Entfaltung meiner Arbeitskraft hindert. Nach
wie vor halte ich die Stellung des akademischen Lehrers, wie ich sie in Heidelberg
inne hatte, für die glücklichste Vorbedingung erfolgreicher Arbeit am Wörterbuche.
Mir aber war es nicht länger möglich, die Opfer zu bringen, die dazu nötig
waren, diese Stellung zu behaupten, und auch die langjährigen Bemühungen der
für das Wörterbuch zuständigen Kreise haben zu anderweitigem Ersatz nicht geführt.
Darum mußte ich die Möglichkeit, meine Kräfte -- wenn auch in anderm Rahmen --
nutzbar zu verwerten, mit aufrichtigem Danke begrüßen.


Hermann Wunderlich


Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig





gehört, aber Ausnahmen sind die Soldatenmißhandlungen auch. In beiden Fällen
kommen Roheiten eben vor, nur mit dem Unterschiede, daß es sich beim Kinde
auch um die Seele, nicht nur um den Körper handelt. Noch ganz kürzlich haben
wir aus Elberfeld gelesen, daß ein Realschuloberlehrer und Professor wegen fort¬
gesetzter Planmäßiger Mißhandlung eines Quintaners (!), der infolgedessen unter
Qualen gestorben ist, zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden
ist. Es wurde ausdrücklich bemerkt, daß es seine Gewohnheit gewesen sei, die
Kinder in dieser Weise zu mißhandeln. Ist das nicht geradezu haarsträubend?
Ist das nicht tausendmal schlimmer und verwerflicher als die schlechte Behandlung
eines Rekruten? Wir entsinnen uns aber nicht, in einem sozialdemokratischen oder
freisinnigen Blatte einen Ruf der Empörung gelesen zu haben, und wir glauben
nicht, daß Bebel im Reichstage den Kultusminister hierüber interpellieren und eine
Abä M. nderung unsrer Schulgesetzgebung verlangen wird.


Zum Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm.

Wir erhalten folgende
Zuschrift: Der fein gegliederten und eindringenden Darstellung im ersten Dezember¬
heft der Grenzboten ließe sich kaum uoch etwas beifügen. Sie ist so abgerundet
und so überzeugend, daß man auf ihren vollen Erfolg bauen möchte, um so mehr,
als in den leitenden Kreisen, wie es scheint, der Wille herrscht, durch alle Hinder¬
nisse durchzugreifen.

Persönlich darf ich wohl ein Wort zur Erklärung der Sachlage anmerken,
die mich augenblicklich an der freien Entfaltung meiner Arbeitskraft hindert. Nach
wie vor halte ich die Stellung des akademischen Lehrers, wie ich sie in Heidelberg
inne hatte, für die glücklichste Vorbedingung erfolgreicher Arbeit am Wörterbuche.
Mir aber war es nicht länger möglich, die Opfer zu bringen, die dazu nötig
waren, diese Stellung zu behaupten, und auch die langjährigen Bemühungen der
für das Wörterbuch zuständigen Kreise haben zu anderweitigem Ersatz nicht geführt.
Darum mußte ich die Möglichkeit, meine Kräfte — wenn auch in anderm Rahmen —
nutzbar zu verwerten, mit aufrichtigem Danke begrüßen.


Hermann Wunderlich


Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig





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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/133>, abgerufen am 17.06.2024.