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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

und berechtigte Furcht, in den folgenden Jahren in der Verbesserung seiner
maritimen Stellung, auf die es ihm als Inselstaat besonders ankam, mit Ru߬
land nicht Schritt halten zu können. Hierzu kam die Sicherheit, den Kredit
des reichen mit ihm verbündeten Englands zu haben und im Falle eines Krieges
nur gegen Rußland kämpfen zu müssen. Infolgedessen nutzte es diesen für
ihn glücklichen Augenblick aus und begann, nachdem Rußland seine Oberhoheit
über die Mandschurei offiziell durch die Gründung der Statthalterschaft und die
Schließung des Landes ausgesprochen und die schon begonnene Räumung rück¬
gängig gemacht hatte, bestimmte Forderungen an Rußland zu stellen. Diese
Forderungen wurden außer von England auch von den Bereinigten Staaten
unterstützt, indem sich diese auf ihren Handelsvertrag mit China beriefen.

Was hat nun England veranlaßt, sich mit einem großen Industriestaat
und gefährlichen Konkurrenten zu verbünden? Nur die Entlastung seiner in¬
dischen Grenzen vom russischen Druck und die erhoffte Schwächung der russischen
Stellung in Ostasien durch Japan kann der Grund hierfür sein. Japan aber,
durch das Bündnis moralisch gestärkt, wird seine Forderungen höher schrauben
und sich leichter zum Kriege hinreißen lassen. Falls nun Rußland in diesem
Kampfe siegen sollte, wird England das Anwachsen des russischen Einflusses nur
wenig aufhalten können, da ihm ein aktives Eingreifen Indiens wegen unsym¬
pathisch ist. Falls aber Japan siegreich wäre, würden England und die Welt
einen Konkurrenten am Großen Ozean erhalten, wie er gefährlicher nicht zu
denken wäre. Also nur das gegenseitige Schwächen beider Staaten, ohne die
vollkommne Niederlage des einen wäre ihm von Vorteil. Ein Resultat, das
aber bei zwei modernen und energisch geleiteten Großmächten kaum zu er¬
warten ist. --

Man muß zwar bei der Begründung der großen Erfolge, die Rußland in
den letzten Jahrzehnten in Ostasien errungen hat, berücksichtigen, daß es durch
seine geographische Lage außerordentliche Vorteile vor den andern konkurrierenden
Staaten hat. Wenn man aber bedenkt, welche gewaltigen Summen die Er¬
bauung der Eisenbahn, die russische Besiedlung Ostsibiriens und die Unter¬
haltung einer so großen Streitmacht in Ostasien kosten, durch die ja allein
Rußlands dominierende Stellung gesichert ist, und mit deren Hilfe es seine
Politik in Asien durchführen konnte, so muß man sich sagen, daß es auch weder
Mittel noch Menschen geschont hat, um die ihm von der Natur gegebnen Vor¬
teile auszunutzen. Folgerichtig, ohne Übereilung, ging es Schritt für Schritt
vor. Zuerst führte Murawiew die friedliche Besetzung Ostsibiriens durch, indem
er, möglichst ohne auf Verhandlungen mit China einzugehen, immer weiter nach
Süden vordrang und nur dann Verträge abschloß, wenn die politische Kon¬
stellation für Rußland günstig und seine Machtmittel allen eintretenden Ver¬
hältnissen gewachsen waren, sodaß sie furchtgebietend einen Rußland günstigen
Abschluß verbürgten. Weiter wurde dann nach Abtretung der Gebiete in gro߬
artiger Weise deren Kolonisation und Russifizierung begonnen, und nach Anlegung
der hierfür notwendigen Verkehrsmittel und nach Aufstellung einer gewaltigen
Streitmacht seine dominierende Stellung im Osten so befestigt, daß Japan und
England von ihm aus Nordchina nur durch diplomatische Verhandlungen hinaus-


Rußland und Japan

und berechtigte Furcht, in den folgenden Jahren in der Verbesserung seiner
maritimen Stellung, auf die es ihm als Inselstaat besonders ankam, mit Ru߬
land nicht Schritt halten zu können. Hierzu kam die Sicherheit, den Kredit
des reichen mit ihm verbündeten Englands zu haben und im Falle eines Krieges
nur gegen Rußland kämpfen zu müssen. Infolgedessen nutzte es diesen für
ihn glücklichen Augenblick aus und begann, nachdem Rußland seine Oberhoheit
über die Mandschurei offiziell durch die Gründung der Statthalterschaft und die
Schließung des Landes ausgesprochen und die schon begonnene Räumung rück¬
gängig gemacht hatte, bestimmte Forderungen an Rußland zu stellen. Diese
Forderungen wurden außer von England auch von den Bereinigten Staaten
unterstützt, indem sich diese auf ihren Handelsvertrag mit China beriefen.

Was hat nun England veranlaßt, sich mit einem großen Industriestaat
und gefährlichen Konkurrenten zu verbünden? Nur die Entlastung seiner in¬
dischen Grenzen vom russischen Druck und die erhoffte Schwächung der russischen
Stellung in Ostasien durch Japan kann der Grund hierfür sein. Japan aber,
durch das Bündnis moralisch gestärkt, wird seine Forderungen höher schrauben
und sich leichter zum Kriege hinreißen lassen. Falls nun Rußland in diesem
Kampfe siegen sollte, wird England das Anwachsen des russischen Einflusses nur
wenig aufhalten können, da ihm ein aktives Eingreifen Indiens wegen unsym¬
pathisch ist. Falls aber Japan siegreich wäre, würden England und die Welt
einen Konkurrenten am Großen Ozean erhalten, wie er gefährlicher nicht zu
denken wäre. Also nur das gegenseitige Schwächen beider Staaten, ohne die
vollkommne Niederlage des einen wäre ihm von Vorteil. Ein Resultat, das
aber bei zwei modernen und energisch geleiteten Großmächten kaum zu er¬
warten ist. —

Man muß zwar bei der Begründung der großen Erfolge, die Rußland in
den letzten Jahrzehnten in Ostasien errungen hat, berücksichtigen, daß es durch
seine geographische Lage außerordentliche Vorteile vor den andern konkurrierenden
Staaten hat. Wenn man aber bedenkt, welche gewaltigen Summen die Er¬
bauung der Eisenbahn, die russische Besiedlung Ostsibiriens und die Unter¬
haltung einer so großen Streitmacht in Ostasien kosten, durch die ja allein
Rußlands dominierende Stellung gesichert ist, und mit deren Hilfe es seine
Politik in Asien durchführen konnte, so muß man sich sagen, daß es auch weder
Mittel noch Menschen geschont hat, um die ihm von der Natur gegebnen Vor¬
teile auszunutzen. Folgerichtig, ohne Übereilung, ging es Schritt für Schritt
vor. Zuerst führte Murawiew die friedliche Besetzung Ostsibiriens durch, indem
er, möglichst ohne auf Verhandlungen mit China einzugehen, immer weiter nach
Süden vordrang und nur dann Verträge abschloß, wenn die politische Kon¬
stellation für Rußland günstig und seine Machtmittel allen eintretenden Ver¬
hältnissen gewachsen waren, sodaß sie furchtgebietend einen Rußland günstigen
Abschluß verbürgten. Weiter wurde dann nach Abtretung der Gebiete in gro߬
artiger Weise deren Kolonisation und Russifizierung begonnen, und nach Anlegung
der hierfür notwendigen Verkehrsmittel und nach Aufstellung einer gewaltigen
Streitmacht seine dominierende Stellung im Osten so befestigt, daß Japan und
England von ihm aus Nordchina nur durch diplomatische Verhandlungen hinaus-


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[0332] Rußland und Japan und berechtigte Furcht, in den folgenden Jahren in der Verbesserung seiner maritimen Stellung, auf die es ihm als Inselstaat besonders ankam, mit Ru߬ land nicht Schritt halten zu können. Hierzu kam die Sicherheit, den Kredit des reichen mit ihm verbündeten Englands zu haben und im Falle eines Krieges nur gegen Rußland kämpfen zu müssen. Infolgedessen nutzte es diesen für ihn glücklichen Augenblick aus und begann, nachdem Rußland seine Oberhoheit über die Mandschurei offiziell durch die Gründung der Statthalterschaft und die Schließung des Landes ausgesprochen und die schon begonnene Räumung rück¬ gängig gemacht hatte, bestimmte Forderungen an Rußland zu stellen. Diese Forderungen wurden außer von England auch von den Bereinigten Staaten unterstützt, indem sich diese auf ihren Handelsvertrag mit China beriefen. Was hat nun England veranlaßt, sich mit einem großen Industriestaat und gefährlichen Konkurrenten zu verbünden? Nur die Entlastung seiner in¬ dischen Grenzen vom russischen Druck und die erhoffte Schwächung der russischen Stellung in Ostasien durch Japan kann der Grund hierfür sein. Japan aber, durch das Bündnis moralisch gestärkt, wird seine Forderungen höher schrauben und sich leichter zum Kriege hinreißen lassen. Falls nun Rußland in diesem Kampfe siegen sollte, wird England das Anwachsen des russischen Einflusses nur wenig aufhalten können, da ihm ein aktives Eingreifen Indiens wegen unsym¬ pathisch ist. Falls aber Japan siegreich wäre, würden England und die Welt einen Konkurrenten am Großen Ozean erhalten, wie er gefährlicher nicht zu denken wäre. Also nur das gegenseitige Schwächen beider Staaten, ohne die vollkommne Niederlage des einen wäre ihm von Vorteil. Ein Resultat, das aber bei zwei modernen und energisch geleiteten Großmächten kaum zu er¬ warten ist. — Man muß zwar bei der Begründung der großen Erfolge, die Rußland in den letzten Jahrzehnten in Ostasien errungen hat, berücksichtigen, daß es durch seine geographische Lage außerordentliche Vorteile vor den andern konkurrierenden Staaten hat. Wenn man aber bedenkt, welche gewaltigen Summen die Er¬ bauung der Eisenbahn, die russische Besiedlung Ostsibiriens und die Unter¬ haltung einer so großen Streitmacht in Ostasien kosten, durch die ja allein Rußlands dominierende Stellung gesichert ist, und mit deren Hilfe es seine Politik in Asien durchführen konnte, so muß man sich sagen, daß es auch weder Mittel noch Menschen geschont hat, um die ihm von der Natur gegebnen Vor¬ teile auszunutzen. Folgerichtig, ohne Übereilung, ging es Schritt für Schritt vor. Zuerst führte Murawiew die friedliche Besetzung Ostsibiriens durch, indem er, möglichst ohne auf Verhandlungen mit China einzugehen, immer weiter nach Süden vordrang und nur dann Verträge abschloß, wenn die politische Kon¬ stellation für Rußland günstig und seine Machtmittel allen eintretenden Ver¬ hältnissen gewachsen waren, sodaß sie furchtgebietend einen Rußland günstigen Abschluß verbürgten. Weiter wurde dann nach Abtretung der Gebiete in gro߬ artiger Weise deren Kolonisation und Russifizierung begonnen, und nach Anlegung der hierfür notwendigen Verkehrsmittel und nach Aufstellung einer gewaltigen Streitmacht seine dominierende Stellung im Osten so befestigt, daß Japan und England von ihm aus Nordchina nur durch diplomatische Verhandlungen hinaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/332>, abgerufen am 17.06.2024.