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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Ulalmnkorstraße

Und jetzt warst du im Damenstift, Lolo? fragte die eine Freundin. Lebt
denn deine alte Tante Amalie noch?

Ja, gewiß; sie lebt und wird sicherlich noch lange leben. Aber sie ist mit dem
Alter verdrießlich geworden. Früher pflegte ich bei ihr zu wohnen, und sie war
dann recht nett mit mir; jetzt war es ganz selbstverständlich, daß ich mit Elsie bei
meiner Schwägerin Asta wohnte. Diese ist gleichfalls Stiftsdame geworden und
hat ihren Wohnsit; im Kloster aufgeschlagen.
°

sprachst dnfrüher nicht davon, daß du deine Tante beerben wolltest?

Über das feine Gesicht der andern flog ein Ausdruck der Verlegenheit.

Ach, Ria, erinnere mich nicht an alte Zungensündeu. Wenn Elsie das hörte,
was ich alles früher gesagt habe, würde sie mich aufgeben; und das wäre schrecklich,
denn sie arbeitet mit Erfolg an meinem inwendigen Menschen. Sie hat auch
bewirkt, daß Tante Amalie und ich nicht wie zwei Feinde auseinander gegangen
sind, sondern uns lieben, wie es sich für Verwandte gebührt. Ich denke nicht
mehr ans Erben, denn Tante Amalie wird mich natürlich überleben.

Die Freundin sah lächelnd in das lebhafte Gesicht der Sprecherin.

Und dein Schwager Wolf? Hat er wirklich eine schlimme Heirat gemacht?
Der arme Kerl! Früher sind wir so lustig miteinander gewesen!

Ja, die Heirat ist wohl schlimm gewesen. Nachdenklich spielte Baronin Lolo
mit ihrem Kaffeelöffel. Seine Schulden waren vielleicht noch schlimmer. Immerhin
scheint sich jetzt alles zum besten kehren zu wollen.

Ist die Frau tot?

Das nicht. -- Jedoch, es gibt ja andre Wege, seine Frau los zu werden. Asta
machte eine Andeutung -- Die Baronin hob den Kopf und hielt mit Sprechen inne.
Sie sah gerade in Elisabeths Augen, die weit geöffnet auf ihr ruhten. Hastig stand
sie auf und veranlaßte die Freundin, dasselbe zu tuu.

Die arme junge Frau! sagte sie nachher zu ihrer Freundin. Wie elend sah
sie aus! Ich mochte nicht, daß sie unser lustiges Geplauder weiter horte!

Die kleine Gesellschaft aus der Klnbuukerstraße kam wieder auf die Terrasse,
und die Kiuder hatten ihr Taschentuch voll Muscheln gesammelt. Dann folgte die
Heimfahrt. Notglühend versank die Sonne im Westen, und die graue Nebelwolke
über Hamburg hatte rosenrote Streifen.

Als Elisabeth am nächsten Morgen zu Herrn Müller kam, saß er wie ge¬
wöhnlich in seiner Sofaecke und ließ sich vorlesen, wie immer. Die Unterhaltung
zwischen ihm "ut der jungen Fran schien ganz vergessen zu sein. So ging es eine
ganze Woche lang, und Elisabeth dachte kaum mehr an das, was der alte Mann
ihr gesagt hatte. Da schrien eines Morgens die Zeitungsverkäufer das Wort:
Extrablatt! auch durch die Klabunkerstraße, und auf Herrn Müllers Wunsch ging
Elisabeth hinunter, um sich das Blatt zu erstes". Es war meist nichts besondres,
was gemeldet wurde; heute aber war es ein Eisenbahnunglück in Frankreich.

Gottlob, nicht hier! sagte die junge Frau, als sie die schrecklichen Einzelheiten
mit Widerstreben vorgelesen hatte.

Herr Müller erwiderte nichts. Aber er nahm die Brille von den Augen
und sah starr vor sich hiu.

Lauter Unschuldige! sagte er endlich. Wo bleibt die Gerechtigkeit?

Es war einige Tage später, als der alte Schlüter Elisabeth begegnete, wie
sie gerade in die Lesestunde ging.

Gutmütig nickte er ihr zu und hielt seinen Karren mit dem zähnefletschender
Tiras an.

Nu, Frau Wolffenradt, is Herr Müller noch menner so langweilig? Ich kenn
ihm ja nich mehr, weil daß er mein Milch siecht fand, sonst könnt ich ihm was
verzählen. Anton Bertram is tot. ' Hat ins Blatt gestanden. Mit den is Müller
noch in die Schule gegangen. Er und sein Frau siud reiche Herrschaftens ge¬
worden und haben in Schina gelebt und wollen um nach Hanse, weil daß sie ja
woll Heimweh kriegen. Und denn reisen sie über Frankreich, und denn fahren da


Die Ulalmnkorstraße

Und jetzt warst du im Damenstift, Lolo? fragte die eine Freundin. Lebt
denn deine alte Tante Amalie noch?

Ja, gewiß; sie lebt und wird sicherlich noch lange leben. Aber sie ist mit dem
Alter verdrießlich geworden. Früher pflegte ich bei ihr zu wohnen, und sie war
dann recht nett mit mir; jetzt war es ganz selbstverständlich, daß ich mit Elsie bei
meiner Schwägerin Asta wohnte. Diese ist gleichfalls Stiftsdame geworden und
hat ihren Wohnsit; im Kloster aufgeschlagen.
°

sprachst dnfrüher nicht davon, daß du deine Tante beerben wolltest?

Über das feine Gesicht der andern flog ein Ausdruck der Verlegenheit.

Ach, Ria, erinnere mich nicht an alte Zungensündeu. Wenn Elsie das hörte,
was ich alles früher gesagt habe, würde sie mich aufgeben; und das wäre schrecklich,
denn sie arbeitet mit Erfolg an meinem inwendigen Menschen. Sie hat auch
bewirkt, daß Tante Amalie und ich nicht wie zwei Feinde auseinander gegangen
sind, sondern uns lieben, wie es sich für Verwandte gebührt. Ich denke nicht
mehr ans Erben, denn Tante Amalie wird mich natürlich überleben.

Die Freundin sah lächelnd in das lebhafte Gesicht der Sprecherin.

Und dein Schwager Wolf? Hat er wirklich eine schlimme Heirat gemacht?
Der arme Kerl! Früher sind wir so lustig miteinander gewesen!

Ja, die Heirat ist wohl schlimm gewesen. Nachdenklich spielte Baronin Lolo
mit ihrem Kaffeelöffel. Seine Schulden waren vielleicht noch schlimmer. Immerhin
scheint sich jetzt alles zum besten kehren zu wollen.

Ist die Frau tot?

Das nicht. — Jedoch, es gibt ja andre Wege, seine Frau los zu werden. Asta
machte eine Andeutung — Die Baronin hob den Kopf und hielt mit Sprechen inne.
Sie sah gerade in Elisabeths Augen, die weit geöffnet auf ihr ruhten. Hastig stand
sie auf und veranlaßte die Freundin, dasselbe zu tuu.

Die arme junge Frau! sagte sie nachher zu ihrer Freundin. Wie elend sah
sie aus! Ich mochte nicht, daß sie unser lustiges Geplauder weiter horte!

Die kleine Gesellschaft aus der Klnbuukerstraße kam wieder auf die Terrasse,
und die Kiuder hatten ihr Taschentuch voll Muscheln gesammelt. Dann folgte die
Heimfahrt. Notglühend versank die Sonne im Westen, und die graue Nebelwolke
über Hamburg hatte rosenrote Streifen.

Als Elisabeth am nächsten Morgen zu Herrn Müller kam, saß er wie ge¬
wöhnlich in seiner Sofaecke und ließ sich vorlesen, wie immer. Die Unterhaltung
zwischen ihm »ut der jungen Fran schien ganz vergessen zu sein. So ging es eine
ganze Woche lang, und Elisabeth dachte kaum mehr an das, was der alte Mann
ihr gesagt hatte. Da schrien eines Morgens die Zeitungsverkäufer das Wort:
Extrablatt! auch durch die Klabunkerstraße, und auf Herrn Müllers Wunsch ging
Elisabeth hinunter, um sich das Blatt zu erstes». Es war meist nichts besondres,
was gemeldet wurde; heute aber war es ein Eisenbahnunglück in Frankreich.

Gottlob, nicht hier! sagte die junge Frau, als sie die schrecklichen Einzelheiten
mit Widerstreben vorgelesen hatte.

Herr Müller erwiderte nichts. Aber er nahm die Brille von den Augen
und sah starr vor sich hiu.

Lauter Unschuldige! sagte er endlich. Wo bleibt die Gerechtigkeit?

Es war einige Tage später, als der alte Schlüter Elisabeth begegnete, wie
sie gerade in die Lesestunde ging.

Gutmütig nickte er ihr zu und hielt seinen Karren mit dem zähnefletschender
Tiras an.

Nu, Frau Wolffenradt, is Herr Müller noch menner so langweilig? Ich kenn
ihm ja nich mehr, weil daß er mein Milch siecht fand, sonst könnt ich ihm was
verzählen. Anton Bertram is tot. ' Hat ins Blatt gestanden. Mit den is Müller
noch in die Schule gegangen. Er und sein Frau siud reiche Herrschaftens ge¬
worden und haben in Schina gelebt und wollen um nach Hanse, weil daß sie ja
woll Heimweh kriegen. Und denn reisen sie über Frankreich, und denn fahren da


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[0373] Die Ulalmnkorstraße Und jetzt warst du im Damenstift, Lolo? fragte die eine Freundin. Lebt denn deine alte Tante Amalie noch? Ja, gewiß; sie lebt und wird sicherlich noch lange leben. Aber sie ist mit dem Alter verdrießlich geworden. Früher pflegte ich bei ihr zu wohnen, und sie war dann recht nett mit mir; jetzt war es ganz selbstverständlich, daß ich mit Elsie bei meiner Schwägerin Asta wohnte. Diese ist gleichfalls Stiftsdame geworden und hat ihren Wohnsit; im Kloster aufgeschlagen. ° sprachst dnfrüher nicht davon, daß du deine Tante beerben wolltest? Über das feine Gesicht der andern flog ein Ausdruck der Verlegenheit. Ach, Ria, erinnere mich nicht an alte Zungensündeu. Wenn Elsie das hörte, was ich alles früher gesagt habe, würde sie mich aufgeben; und das wäre schrecklich, denn sie arbeitet mit Erfolg an meinem inwendigen Menschen. Sie hat auch bewirkt, daß Tante Amalie und ich nicht wie zwei Feinde auseinander gegangen sind, sondern uns lieben, wie es sich für Verwandte gebührt. Ich denke nicht mehr ans Erben, denn Tante Amalie wird mich natürlich überleben. Die Freundin sah lächelnd in das lebhafte Gesicht der Sprecherin. Und dein Schwager Wolf? Hat er wirklich eine schlimme Heirat gemacht? Der arme Kerl! Früher sind wir so lustig miteinander gewesen! Ja, die Heirat ist wohl schlimm gewesen. Nachdenklich spielte Baronin Lolo mit ihrem Kaffeelöffel. Seine Schulden waren vielleicht noch schlimmer. Immerhin scheint sich jetzt alles zum besten kehren zu wollen. Ist die Frau tot? Das nicht. — Jedoch, es gibt ja andre Wege, seine Frau los zu werden. Asta machte eine Andeutung — Die Baronin hob den Kopf und hielt mit Sprechen inne. Sie sah gerade in Elisabeths Augen, die weit geöffnet auf ihr ruhten. Hastig stand sie auf und veranlaßte die Freundin, dasselbe zu tuu. Die arme junge Frau! sagte sie nachher zu ihrer Freundin. Wie elend sah sie aus! Ich mochte nicht, daß sie unser lustiges Geplauder weiter horte! Die kleine Gesellschaft aus der Klnbuukerstraße kam wieder auf die Terrasse, und die Kiuder hatten ihr Taschentuch voll Muscheln gesammelt. Dann folgte die Heimfahrt. Notglühend versank die Sonne im Westen, und die graue Nebelwolke über Hamburg hatte rosenrote Streifen. Als Elisabeth am nächsten Morgen zu Herrn Müller kam, saß er wie ge¬ wöhnlich in seiner Sofaecke und ließ sich vorlesen, wie immer. Die Unterhaltung zwischen ihm »ut der jungen Fran schien ganz vergessen zu sein. So ging es eine ganze Woche lang, und Elisabeth dachte kaum mehr an das, was der alte Mann ihr gesagt hatte. Da schrien eines Morgens die Zeitungsverkäufer das Wort: Extrablatt! auch durch die Klabunkerstraße, und auf Herrn Müllers Wunsch ging Elisabeth hinunter, um sich das Blatt zu erstes». Es war meist nichts besondres, was gemeldet wurde; heute aber war es ein Eisenbahnunglück in Frankreich. Gottlob, nicht hier! sagte die junge Frau, als sie die schrecklichen Einzelheiten mit Widerstreben vorgelesen hatte. Herr Müller erwiderte nichts. Aber er nahm die Brille von den Augen und sah starr vor sich hiu. Lauter Unschuldige! sagte er endlich. Wo bleibt die Gerechtigkeit? Es war einige Tage später, als der alte Schlüter Elisabeth begegnete, wie sie gerade in die Lesestunde ging. Gutmütig nickte er ihr zu und hielt seinen Karren mit dem zähnefletschender Tiras an. Nu, Frau Wolffenradt, is Herr Müller noch menner so langweilig? Ich kenn ihm ja nich mehr, weil daß er mein Milch siecht fand, sonst könnt ich ihm was verzählen. Anton Bertram is tot. ' Hat ins Blatt gestanden. Mit den is Müller noch in die Schule gegangen. Er und sein Frau siud reiche Herrschaftens ge¬ worden und haben in Schina gelebt und wollen um nach Hanse, weil daß sie ja woll Heimweh kriegen. Und denn reisen sie über Frankreich, und denn fahren da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/373>, abgerufen am 26.05.2024.