Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

1879. ja bis zum Jahre 1877 gab es nicht einmal eine eigne Finanzabteilung
im Reichskanzleramt, sondern nur einen vortragenden Rat in Reichsfinanzsachen.
Bei der Errichtung des Amtes im Jahre 1879 trat der vorzügliche Finanzmann
Scholz zunächst als Unterstaatssekretär an die Spitze, erst später wurde ein Staats¬
sekretär und eine Exzellenz daraus, nachdem Fürst Bismarck in, Reichstag erklärt
hatte, auf ein paar Ministertitel käme es nicht an. Ähnlich ist es der Kolonial¬
verwaltung ergangen. Bis nach Bismarcks Rücktritt im Jahre 1890 wurden die
Kolonialangelegenheiten im Auswärtigen Amt von einem vortragenden Rat, I)r.
Kayser, der sich selbst damals als "Mädchen für alles" bezeichnete, bearbeitet.

Erst im Laufe des Jahres errichtete Bismarcks Nachfolger, Caprivi, der
kolonialfeindlichste aller Reichskanzler, die Kolonialabteilung als fünfte Abteilung
des Auswärtigen Amts mit or. Kayser als Dirigenten, später als Ministerialdirektor
an der Spitze. Unter Hohenlohe wurde dann die Abteilung unmittelbar unter deu
Reichskanzler gestellt, d. h. der Direktor hatte direkten Vortrag. Nach dem Dienst¬
schematismus gehört die Abteilung aber formell noch zum Auswärtigen Amt, mit
dem sie ja auch noch mancherlei Berührungspunkte hat. Will man ein selbständiges
Amt aus ihr machen, so ist es mit dem Titel und mit der Abtrennung der Be¬
hörde und ihrer Angehörigen vom Ressort des Auswärtigen Amts nicht getan.
Die wichtigste Frage bleibt die des Verhältnisses des Leiters der Zentralstelle
zu den Gouverneuren, die die einzelnen Kolonien verwalten. Im allgemeinen
besteht die Annahme, der Staatssekretär der Kolonien stehe zu den Gouverneuren
ungefähr in demselben Verhältnis wie der Staatssekretär des Reichspostamts zu
den Oberpostdirektoren. Die Annahme ist jedoch irrig. Im Hinblick sowohl auf
die Entfernungen als auch auf die Vielseitigkeit des Dienstes in den Kolonien
würde das nicht durchführbar sein. Der Oberpostdirektor kann einen noch so großen
Bezirk haben, dieser liegt doch immer mitten im Reich, ist von Berlin in zehn bis
zwölf Stunden erreichbar, telephonisch in wenig Minuten, und der ganze Dienst¬
betrieb beschränkt sich auf Post- und Telegraphenverwaltung. So ist das Ressort
des Reichspostamts ungeachtet der ihm unterstellten weit über 100090 Beamten
doch immer sehr einheitlich geordnet und leicht übersehbar. Ju den Kolomen um¬
faßt aber die Leitung jeder einzelnen fast alle Zweige des Staatsdienstes: Militär,
Polizei, Gericht, Zollwesen, Eisenbahn, Straßenbau, Schiffahrt, Eingebornenfragen,
die Rechtsverhältnisse der in der Kolonie arbeitenden deutschen und fremden Gesell¬
schaften usw. usw. Dazu Berührungen mit der Marine, deren Schiffe an der Küste
kreuzen, mit den benachbarten fremden Kolonialbehörden, mit allerlei wissenschaft¬
lichen und andern Expeditionen, die von Europa kommen. Hier liegt, noch völlig
abgesehen von den Personnlangelcgenheiten, eine reiche Fülle von Fragen, deren
Behandlung sich von Berlin aus weder im allgemeinen reglementieren noch ini
einzelnen vorschreiben läßt, sodaß dem Gouverneur ein weiter Spielraum zu eigner
Betätigung notgedrungen verbleiben muß. Das Reichspostamt hat immer nur mit
seinem eignen, höchst übersichtlich geordneten Dienst zu tun, andre Ressorts sprechen
selten mit oder kommen doch nnr als "wünschende" in Betracht. Der Gouverneur
in Afrika sowohl als die Kolonialleituug in Berlin haben aber mit allen Ressorts
zu rechnen, die draußen irgendwie beteiligt sind; man denke nur an die Mitwirkung
der Armeeverwaltung, insbesondre des Militärkabinetts, bei der Anstellung oder
dem Ausscheiden von Offizieren, Verstärkung oder Ablösung der Schutztruppen usw.
Sowohl den Gouverneuren als den mitwirkenden heimischen Ressorts gegenüber ist
es aber doch in hohem Grade wünschenswert, daß die oberste Stelle der Kolonial¬
verwaltung mit der vollen ressortmäßigen Selbständigkeit nicht nur, vorbehaltlich der
entscheidenden Stellung des Reichskanzlers, sondern auch mit dem Ansehen der äußern
Rangstellung bekleidet sei und in allen Personalfragen, abgesehen von den militärischen,
völlig freie Hand habe. Alles Militärische, das gesamte Schutztruppenwcsen, sollte
dagegen, mit Einschluß der sehr wenig sachgemäßen und auch wenig sympathischen
Bezeichnung, auf das Kriegsministerium übergehn, demgemäß auch neben dem Etat
der Reichsmilitärverwaltung geführt werden. Das Reich, das die Kolonien unter


Maßgebliches und Unmaßgebliches

1879. ja bis zum Jahre 1877 gab es nicht einmal eine eigne Finanzabteilung
im Reichskanzleramt, sondern nur einen vortragenden Rat in Reichsfinanzsachen.
Bei der Errichtung des Amtes im Jahre 1879 trat der vorzügliche Finanzmann
Scholz zunächst als Unterstaatssekretär an die Spitze, erst später wurde ein Staats¬
sekretär und eine Exzellenz daraus, nachdem Fürst Bismarck in, Reichstag erklärt
hatte, auf ein paar Ministertitel käme es nicht an. Ähnlich ist es der Kolonial¬
verwaltung ergangen. Bis nach Bismarcks Rücktritt im Jahre 1890 wurden die
Kolonialangelegenheiten im Auswärtigen Amt von einem vortragenden Rat, I)r.
Kayser, der sich selbst damals als „Mädchen für alles" bezeichnete, bearbeitet.

Erst im Laufe des Jahres errichtete Bismarcks Nachfolger, Caprivi, der
kolonialfeindlichste aller Reichskanzler, die Kolonialabteilung als fünfte Abteilung
des Auswärtigen Amts mit or. Kayser als Dirigenten, später als Ministerialdirektor
an der Spitze. Unter Hohenlohe wurde dann die Abteilung unmittelbar unter deu
Reichskanzler gestellt, d. h. der Direktor hatte direkten Vortrag. Nach dem Dienst¬
schematismus gehört die Abteilung aber formell noch zum Auswärtigen Amt, mit
dem sie ja auch noch mancherlei Berührungspunkte hat. Will man ein selbständiges
Amt aus ihr machen, so ist es mit dem Titel und mit der Abtrennung der Be¬
hörde und ihrer Angehörigen vom Ressort des Auswärtigen Amts nicht getan.
Die wichtigste Frage bleibt die des Verhältnisses des Leiters der Zentralstelle
zu den Gouverneuren, die die einzelnen Kolonien verwalten. Im allgemeinen
besteht die Annahme, der Staatssekretär der Kolonien stehe zu den Gouverneuren
ungefähr in demselben Verhältnis wie der Staatssekretär des Reichspostamts zu
den Oberpostdirektoren. Die Annahme ist jedoch irrig. Im Hinblick sowohl auf
die Entfernungen als auch auf die Vielseitigkeit des Dienstes in den Kolonien
würde das nicht durchführbar sein. Der Oberpostdirektor kann einen noch so großen
Bezirk haben, dieser liegt doch immer mitten im Reich, ist von Berlin in zehn bis
zwölf Stunden erreichbar, telephonisch in wenig Minuten, und der ganze Dienst¬
betrieb beschränkt sich auf Post- und Telegraphenverwaltung. So ist das Ressort
des Reichspostamts ungeachtet der ihm unterstellten weit über 100090 Beamten
doch immer sehr einheitlich geordnet und leicht übersehbar. Ju den Kolomen um¬
faßt aber die Leitung jeder einzelnen fast alle Zweige des Staatsdienstes: Militär,
Polizei, Gericht, Zollwesen, Eisenbahn, Straßenbau, Schiffahrt, Eingebornenfragen,
die Rechtsverhältnisse der in der Kolonie arbeitenden deutschen und fremden Gesell¬
schaften usw. usw. Dazu Berührungen mit der Marine, deren Schiffe an der Küste
kreuzen, mit den benachbarten fremden Kolonialbehörden, mit allerlei wissenschaft¬
lichen und andern Expeditionen, die von Europa kommen. Hier liegt, noch völlig
abgesehen von den Personnlangelcgenheiten, eine reiche Fülle von Fragen, deren
Behandlung sich von Berlin aus weder im allgemeinen reglementieren noch ini
einzelnen vorschreiben läßt, sodaß dem Gouverneur ein weiter Spielraum zu eigner
Betätigung notgedrungen verbleiben muß. Das Reichspostamt hat immer nur mit
seinem eignen, höchst übersichtlich geordneten Dienst zu tun, andre Ressorts sprechen
selten mit oder kommen doch nnr als „wünschende" in Betracht. Der Gouverneur
in Afrika sowohl als die Kolonialleituug in Berlin haben aber mit allen Ressorts
zu rechnen, die draußen irgendwie beteiligt sind; man denke nur an die Mitwirkung
der Armeeverwaltung, insbesondre des Militärkabinetts, bei der Anstellung oder
dem Ausscheiden von Offizieren, Verstärkung oder Ablösung der Schutztruppen usw.
Sowohl den Gouverneuren als den mitwirkenden heimischen Ressorts gegenüber ist
es aber doch in hohem Grade wünschenswert, daß die oberste Stelle der Kolonial¬
verwaltung mit der vollen ressortmäßigen Selbständigkeit nicht nur, vorbehaltlich der
entscheidenden Stellung des Reichskanzlers, sondern auch mit dem Ansehen der äußern
Rangstellung bekleidet sei und in allen Personalfragen, abgesehen von den militärischen,
völlig freie Hand habe. Alles Militärische, das gesamte Schutztruppenwcsen, sollte
dagegen, mit Einschluß der sehr wenig sachgemäßen und auch wenig sympathischen
Bezeichnung, auf das Kriegsministerium übergehn, demgemäß auch neben dem Etat
der Reichsmilitärverwaltung geführt werden. Das Reich, das die Kolonien unter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293178"/>
              <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
              <p xml:id="ID_2157" prev="#ID_2156"> 1879. ja bis zum Jahre 1877 gab es nicht einmal eine eigne Finanzabteilung<lb/>
im Reichskanzleramt, sondern nur einen vortragenden Rat in Reichsfinanzsachen.<lb/>
Bei der Errichtung des Amtes im Jahre 1879 trat der vorzügliche Finanzmann<lb/>
Scholz zunächst als Unterstaatssekretär an die Spitze, erst später wurde ein Staats¬<lb/>
sekretär und eine Exzellenz daraus, nachdem Fürst Bismarck in, Reichstag erklärt<lb/>
hatte, auf ein paar Ministertitel käme es nicht an. Ähnlich ist es der Kolonial¬<lb/>
verwaltung ergangen. Bis nach Bismarcks Rücktritt im Jahre 1890 wurden die<lb/>
Kolonialangelegenheiten im Auswärtigen Amt von einem vortragenden Rat, I)r.<lb/>
Kayser, der sich selbst damals als &#x201E;Mädchen für alles" bezeichnete, bearbeitet.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_2158" next="#ID_2159"> Erst im Laufe des Jahres errichtete Bismarcks Nachfolger, Caprivi, der<lb/>
kolonialfeindlichste aller Reichskanzler, die Kolonialabteilung als fünfte Abteilung<lb/>
des Auswärtigen Amts mit or. Kayser als Dirigenten, später als Ministerialdirektor<lb/>
an der Spitze. Unter Hohenlohe wurde dann die Abteilung unmittelbar unter deu<lb/>
Reichskanzler gestellt, d. h. der Direktor hatte direkten Vortrag. Nach dem Dienst¬<lb/>
schematismus gehört die Abteilung aber formell noch zum Auswärtigen Amt, mit<lb/>
dem sie ja auch noch mancherlei Berührungspunkte hat. Will man ein selbständiges<lb/>
Amt aus ihr machen, so ist es mit dem Titel und mit der Abtrennung der Be¬<lb/>
hörde und ihrer Angehörigen vom Ressort des Auswärtigen Amts nicht getan.<lb/>
Die wichtigste Frage bleibt die des Verhältnisses des Leiters der Zentralstelle<lb/>
zu den Gouverneuren, die die einzelnen Kolonien verwalten.  Im allgemeinen<lb/>
besteht die Annahme, der Staatssekretär der Kolonien stehe zu den Gouverneuren<lb/>
ungefähr in demselben Verhältnis wie der Staatssekretär des Reichspostamts zu<lb/>
den Oberpostdirektoren. Die Annahme ist jedoch irrig. Im Hinblick sowohl auf<lb/>
die Entfernungen als auch auf die Vielseitigkeit des Dienstes in den Kolonien<lb/>
würde das nicht durchführbar sein. Der Oberpostdirektor kann einen noch so großen<lb/>
Bezirk haben, dieser liegt doch immer mitten im Reich, ist von Berlin in zehn bis<lb/>
zwölf Stunden erreichbar, telephonisch in wenig Minuten, und der ganze Dienst¬<lb/>
betrieb beschränkt sich auf Post- und Telegraphenverwaltung. So ist das Ressort<lb/>
des Reichspostamts ungeachtet der ihm unterstellten weit über 100090 Beamten<lb/>
doch immer sehr einheitlich geordnet und leicht übersehbar.  Ju den Kolomen um¬<lb/>
faßt aber die Leitung jeder einzelnen fast alle Zweige des Staatsdienstes: Militär,<lb/>
Polizei, Gericht, Zollwesen, Eisenbahn, Straßenbau, Schiffahrt, Eingebornenfragen,<lb/>
die Rechtsverhältnisse der in der Kolonie arbeitenden deutschen und fremden Gesell¬<lb/>
schaften usw. usw. Dazu Berührungen mit der Marine, deren Schiffe an der Küste<lb/>
kreuzen, mit den benachbarten fremden Kolonialbehörden, mit allerlei wissenschaft¬<lb/>
lichen und andern Expeditionen, die von Europa kommen.  Hier liegt, noch völlig<lb/>
abgesehen von den Personnlangelcgenheiten, eine reiche Fülle von Fragen, deren<lb/>
Behandlung sich von Berlin aus weder im allgemeinen reglementieren noch ini<lb/>
einzelnen vorschreiben läßt, sodaß dem Gouverneur ein weiter Spielraum zu eigner<lb/>
Betätigung notgedrungen verbleiben muß. Das Reichspostamt hat immer nur mit<lb/>
seinem eignen, höchst übersichtlich geordneten Dienst zu tun, andre Ressorts sprechen<lb/>
selten mit oder kommen doch nnr als &#x201E;wünschende" in Betracht. Der Gouverneur<lb/>
in Afrika sowohl als die Kolonialleituug in Berlin haben aber mit allen Ressorts<lb/>
zu rechnen, die draußen irgendwie beteiligt sind; man denke nur an die Mitwirkung<lb/>
der Armeeverwaltung, insbesondre des Militärkabinetts, bei der Anstellung oder<lb/>
dem Ausscheiden von Offizieren, Verstärkung oder Ablösung der Schutztruppen usw.<lb/>
Sowohl den Gouverneuren als den mitwirkenden heimischen Ressorts gegenüber ist<lb/>
es aber doch in hohem Grade wünschenswert, daß die oberste Stelle der Kolonial¬<lb/>
verwaltung mit der vollen ressortmäßigen Selbständigkeit nicht nur, vorbehaltlich der<lb/>
entscheidenden Stellung des Reichskanzlers, sondern auch mit dem Ansehen der äußern<lb/>
Rangstellung bekleidet sei und in allen Personalfragen, abgesehen von den militärischen,<lb/>
völlig freie Hand habe. Alles Militärische, das gesamte Schutztruppenwcsen, sollte<lb/>
dagegen, mit Einschluß der sehr wenig sachgemäßen und auch wenig sympathischen<lb/>
Bezeichnung, auf das Kriegsministerium übergehn, demgemäß auch neben dem Etat<lb/>
der Reichsmilitärverwaltung geführt werden.  Das Reich, das die Kolonien unter</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] Maßgebliches und Unmaßgebliches 1879. ja bis zum Jahre 1877 gab es nicht einmal eine eigne Finanzabteilung im Reichskanzleramt, sondern nur einen vortragenden Rat in Reichsfinanzsachen. Bei der Errichtung des Amtes im Jahre 1879 trat der vorzügliche Finanzmann Scholz zunächst als Unterstaatssekretär an die Spitze, erst später wurde ein Staats¬ sekretär und eine Exzellenz daraus, nachdem Fürst Bismarck in, Reichstag erklärt hatte, auf ein paar Ministertitel käme es nicht an. Ähnlich ist es der Kolonial¬ verwaltung ergangen. Bis nach Bismarcks Rücktritt im Jahre 1890 wurden die Kolonialangelegenheiten im Auswärtigen Amt von einem vortragenden Rat, I)r. Kayser, der sich selbst damals als „Mädchen für alles" bezeichnete, bearbeitet. Erst im Laufe des Jahres errichtete Bismarcks Nachfolger, Caprivi, der kolonialfeindlichste aller Reichskanzler, die Kolonialabteilung als fünfte Abteilung des Auswärtigen Amts mit or. Kayser als Dirigenten, später als Ministerialdirektor an der Spitze. Unter Hohenlohe wurde dann die Abteilung unmittelbar unter deu Reichskanzler gestellt, d. h. der Direktor hatte direkten Vortrag. Nach dem Dienst¬ schematismus gehört die Abteilung aber formell noch zum Auswärtigen Amt, mit dem sie ja auch noch mancherlei Berührungspunkte hat. Will man ein selbständiges Amt aus ihr machen, so ist es mit dem Titel und mit der Abtrennung der Be¬ hörde und ihrer Angehörigen vom Ressort des Auswärtigen Amts nicht getan. Die wichtigste Frage bleibt die des Verhältnisses des Leiters der Zentralstelle zu den Gouverneuren, die die einzelnen Kolonien verwalten. Im allgemeinen besteht die Annahme, der Staatssekretär der Kolonien stehe zu den Gouverneuren ungefähr in demselben Verhältnis wie der Staatssekretär des Reichspostamts zu den Oberpostdirektoren. Die Annahme ist jedoch irrig. Im Hinblick sowohl auf die Entfernungen als auch auf die Vielseitigkeit des Dienstes in den Kolonien würde das nicht durchführbar sein. Der Oberpostdirektor kann einen noch so großen Bezirk haben, dieser liegt doch immer mitten im Reich, ist von Berlin in zehn bis zwölf Stunden erreichbar, telephonisch in wenig Minuten, und der ganze Dienst¬ betrieb beschränkt sich auf Post- und Telegraphenverwaltung. So ist das Ressort des Reichspostamts ungeachtet der ihm unterstellten weit über 100090 Beamten doch immer sehr einheitlich geordnet und leicht übersehbar. Ju den Kolomen um¬ faßt aber die Leitung jeder einzelnen fast alle Zweige des Staatsdienstes: Militär, Polizei, Gericht, Zollwesen, Eisenbahn, Straßenbau, Schiffahrt, Eingebornenfragen, die Rechtsverhältnisse der in der Kolonie arbeitenden deutschen und fremden Gesell¬ schaften usw. usw. Dazu Berührungen mit der Marine, deren Schiffe an der Küste kreuzen, mit den benachbarten fremden Kolonialbehörden, mit allerlei wissenschaft¬ lichen und andern Expeditionen, die von Europa kommen. Hier liegt, noch völlig abgesehen von den Personnlangelcgenheiten, eine reiche Fülle von Fragen, deren Behandlung sich von Berlin aus weder im allgemeinen reglementieren noch ini einzelnen vorschreiben läßt, sodaß dem Gouverneur ein weiter Spielraum zu eigner Betätigung notgedrungen verbleiben muß. Das Reichspostamt hat immer nur mit seinem eignen, höchst übersichtlich geordneten Dienst zu tun, andre Ressorts sprechen selten mit oder kommen doch nnr als „wünschende" in Betracht. Der Gouverneur in Afrika sowohl als die Kolonialleituug in Berlin haben aber mit allen Ressorts zu rechnen, die draußen irgendwie beteiligt sind; man denke nur an die Mitwirkung der Armeeverwaltung, insbesondre des Militärkabinetts, bei der Anstellung oder dem Ausscheiden von Offizieren, Verstärkung oder Ablösung der Schutztruppen usw. Sowohl den Gouverneuren als den mitwirkenden heimischen Ressorts gegenüber ist es aber doch in hohem Grade wünschenswert, daß die oberste Stelle der Kolonial¬ verwaltung mit der vollen ressortmäßigen Selbständigkeit nicht nur, vorbehaltlich der entscheidenden Stellung des Reichskanzlers, sondern auch mit dem Ansehen der äußern Rangstellung bekleidet sei und in allen Personalfragen, abgesehen von den militärischen, völlig freie Hand habe. Alles Militärische, das gesamte Schutztruppenwcsen, sollte dagegen, mit Einschluß der sehr wenig sachgemäßen und auch wenig sympathischen Bezeichnung, auf das Kriegsministerium übergehn, demgemäß auch neben dem Etat der Reichsmilitärverwaltung geführt werden. Das Reich, das die Kolonien unter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/381>, abgerufen am 18.05.2024.