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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Grunow und seine Grünen

bessere Schriftsteller nachträglich ganze Reihen ihrer Bücher zur Besprechung, die
dann erfolgt, wenn ihnen einer unsrer Mitarbeiter fruchtbare Seiten abzugewinnen
weiß. Dieses individuelle Verhältnis zu unsern Gegenständen soll, auch mit seinen
notwendigen Schwächen, ein Kennzeichen unsrer Arbeit sein. So ist es auch mit
den Geschehnissen unsers politischen und sozialen Lebens. Manches Ereignis geht
ins Land, und man wird nachher gefragt: Warum haben denn die Grenzboten
nichts dazu geäußert? Sie werden wohl gedacht haben, daß Schweigen manchmal
besser ist, konnte darauf geantwortet werden. Aber die weiter reichende Auskunft
ist: Weil die Grenzboten keine Mustersammlung von phonogrciphischeu Schalltrichtern
find, sondern eine geistige Gemeinschaft. Manchmal fragt ja unser Grunow an: Wer
will denn da oder dazu etwas sagen? und keiner findet sich bereit. Das ist eben
die Bedeutung des Persönlichen unter uns; es braucht ja nicht zu allem etwas
gesagt zu werden, und es spricht nur der, der glaubt, daß er auch etwas zu sagen
hat. Dann aber läßt sich anch nicht eine Parteirichtung vernehmen oder eine
Schulmeinung, sondern man hört die Person heraus. Besondre Gelegenheiten
führen aber auch beinahe imnier den Grenzboten außerordentliche Mitarbeiter zu,
die gerade zu der Frage das Wort zu nehmen berufen sind, bedeutende und oft auch
im Leben hochstehende Männer, deren Namen dann kein Leser ahnt. Ans die lange
Reihe dieser wertvollen Hospitanten dürfen die Grenzboten besonders stolz sein.

Viele Köpfe, viele Stimmen. Der eine schreibt behaglich und wortreich, man
fühlt förmlich, wie Wohl ihm das tut; der andre sachlich und hart, sodaß man auch
einmal einen Satz zweimal lesen muß; der eine sprudelnd, spielend und anmutig, der
andre gedankenreich und philosophisch, aber ohne den Jargon der Philosophen.
Alle schreiben gut, d. h. richtig, nicht streng nach der Wustmannschen Regel, aber
ohne die Dummheiten, die das Wustmannsche Buch unter Strafe stellt; darauf hält
dessen Verleger Grunow auch als Redakteur seinen Mitarbeitern gegenüber uuncichsicht-
lich; manche haben bei ihm erst "schreiben" gelernt. Jeder, der einmal in die Grenz¬
boten geschrieben hat, weiß, wie ausgezeichnet sorgfältig in der Offizin korrigiert wird;
des Herausgebers eignen Anteil daran ahnt er nicht, weil er dessen Federstriche
in dem abgesetzten Manuskript nicht mehr findet. Wer etwas Sprachgefühl hat, erkennt
die Änderungen meist als Verbesserungen an, oder er findet sich doch mit ihnen
ub, und mancher schon Ergraute lernt in diesem wortkargen, apodiktischen Lehr¬
gang wie in einer nachträglichen Schule noch täglich dankbar nach. Aber nicht
alle, denn die deutschen Gelehrten -- das hat nicht bloß Wustmann gesagt --
schreiben nicht nur meist schlecht, sondern sie wollen es anch nicht einmal wissen.
Wie könnte es ein so hoher Herr ruhig hinnehmen, daß ihm ein Buchhändler sein
Skriptum verbessert? Er verlangt also die Wiederherstellung seines Wortlauts,
oder er besteht wenigstens für die Folge auf Respektierung seines "Originaldeutschs."
Schade! Der Aufsatz war klug und gut, von dem Verfasser ließe sich noch etwas
erwarten. Aber die völlige "Wustmannlosigkeit," und noch dazu für die Zukunft
Privilegiert und durch Patent gesichert -- unmöglich; was würden dazu die andern
Grenzbotenmänner für Gesichter machen? -- Ach, seufzt daun unser Grunow, der
übliche "Stilbrief" bleibt mir wieder einmal nicht erlassen. Und schnell, wie alles
bei ihm gehn muß, läuft seine Feder über zwei oder drei, auch vier Briefbogen
und bedeckt sie mit den lebendig sprechenden kleinen Schriftzügen, die dem Autor
eine auf seinen Fall angewandte, höchst individuell eingekleidete kleine Grammatik
des Richtigen übermitteln, freundlich, sogar mit Scherzblitzen durchsetzt und in der
Form verbindlich, aber ebenso bestimmt in den unerläßlichen Forderungen: hier liegt
Rhodus, jetzt muß gesprungen werden, oder --! Aus solchen Kraftproben haben
sich schon oft langdauernde, schöne Verhältnisse entwickelt. Oft aber wird der Stil¬
brief auch zum Scheidebrief, und jeder Jahrgang weist eine Anzahl von Passanten
auf, die nicht wiederkehren, und um manche von ihnen ist es schade, aber die
Grenzboten wollen sich ihren Ruf. daß in ihnen gutes und geschmackvolles Deutsch
geschrieben wird, bewahren.


Grunow und seine Grünen

bessere Schriftsteller nachträglich ganze Reihen ihrer Bücher zur Besprechung, die
dann erfolgt, wenn ihnen einer unsrer Mitarbeiter fruchtbare Seiten abzugewinnen
weiß. Dieses individuelle Verhältnis zu unsern Gegenständen soll, auch mit seinen
notwendigen Schwächen, ein Kennzeichen unsrer Arbeit sein. So ist es auch mit
den Geschehnissen unsers politischen und sozialen Lebens. Manches Ereignis geht
ins Land, und man wird nachher gefragt: Warum haben denn die Grenzboten
nichts dazu geäußert? Sie werden wohl gedacht haben, daß Schweigen manchmal
besser ist, konnte darauf geantwortet werden. Aber die weiter reichende Auskunft
ist: Weil die Grenzboten keine Mustersammlung von phonogrciphischeu Schalltrichtern
find, sondern eine geistige Gemeinschaft. Manchmal fragt ja unser Grunow an: Wer
will denn da oder dazu etwas sagen? und keiner findet sich bereit. Das ist eben
die Bedeutung des Persönlichen unter uns; es braucht ja nicht zu allem etwas
gesagt zu werden, und es spricht nur der, der glaubt, daß er auch etwas zu sagen
hat. Dann aber läßt sich anch nicht eine Parteirichtung vernehmen oder eine
Schulmeinung, sondern man hört die Person heraus. Besondre Gelegenheiten
führen aber auch beinahe imnier den Grenzboten außerordentliche Mitarbeiter zu,
die gerade zu der Frage das Wort zu nehmen berufen sind, bedeutende und oft auch
im Leben hochstehende Männer, deren Namen dann kein Leser ahnt. Ans die lange
Reihe dieser wertvollen Hospitanten dürfen die Grenzboten besonders stolz sein.

Viele Köpfe, viele Stimmen. Der eine schreibt behaglich und wortreich, man
fühlt förmlich, wie Wohl ihm das tut; der andre sachlich und hart, sodaß man auch
einmal einen Satz zweimal lesen muß; der eine sprudelnd, spielend und anmutig, der
andre gedankenreich und philosophisch, aber ohne den Jargon der Philosophen.
Alle schreiben gut, d. h. richtig, nicht streng nach der Wustmannschen Regel, aber
ohne die Dummheiten, die das Wustmannsche Buch unter Strafe stellt; darauf hält
dessen Verleger Grunow auch als Redakteur seinen Mitarbeitern gegenüber uuncichsicht-
lich; manche haben bei ihm erst „schreiben" gelernt. Jeder, der einmal in die Grenz¬
boten geschrieben hat, weiß, wie ausgezeichnet sorgfältig in der Offizin korrigiert wird;
des Herausgebers eignen Anteil daran ahnt er nicht, weil er dessen Federstriche
in dem abgesetzten Manuskript nicht mehr findet. Wer etwas Sprachgefühl hat, erkennt
die Änderungen meist als Verbesserungen an, oder er findet sich doch mit ihnen
ub, und mancher schon Ergraute lernt in diesem wortkargen, apodiktischen Lehr¬
gang wie in einer nachträglichen Schule noch täglich dankbar nach. Aber nicht
alle, denn die deutschen Gelehrten — das hat nicht bloß Wustmann gesagt —
schreiben nicht nur meist schlecht, sondern sie wollen es anch nicht einmal wissen.
Wie könnte es ein so hoher Herr ruhig hinnehmen, daß ihm ein Buchhändler sein
Skriptum verbessert? Er verlangt also die Wiederherstellung seines Wortlauts,
oder er besteht wenigstens für die Folge auf Respektierung seines „Originaldeutschs."
Schade! Der Aufsatz war klug und gut, von dem Verfasser ließe sich noch etwas
erwarten. Aber die völlige „Wustmannlosigkeit," und noch dazu für die Zukunft
Privilegiert und durch Patent gesichert — unmöglich; was würden dazu die andern
Grenzbotenmänner für Gesichter machen? — Ach, seufzt daun unser Grunow, der
übliche „Stilbrief" bleibt mir wieder einmal nicht erlassen. Und schnell, wie alles
bei ihm gehn muß, läuft seine Feder über zwei oder drei, auch vier Briefbogen
und bedeckt sie mit den lebendig sprechenden kleinen Schriftzügen, die dem Autor
eine auf seinen Fall angewandte, höchst individuell eingekleidete kleine Grammatik
des Richtigen übermitteln, freundlich, sogar mit Scherzblitzen durchsetzt und in der
Form verbindlich, aber ebenso bestimmt in den unerläßlichen Forderungen: hier liegt
Rhodus, jetzt muß gesprungen werden, oder —! Aus solchen Kraftproben haben
sich schon oft langdauernde, schöne Verhältnisse entwickelt. Oft aber wird der Stil¬
brief auch zum Scheidebrief, und jeder Jahrgang weist eine Anzahl von Passanten
auf, die nicht wiederkehren, und um manche von ihnen ist es schade, aber die
Grenzboten wollen sich ihren Ruf. daß in ihnen gutes und geschmackvolles Deutsch
geschrieben wird, bewahren.


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[0061] Grunow und seine Grünen bessere Schriftsteller nachträglich ganze Reihen ihrer Bücher zur Besprechung, die dann erfolgt, wenn ihnen einer unsrer Mitarbeiter fruchtbare Seiten abzugewinnen weiß. Dieses individuelle Verhältnis zu unsern Gegenständen soll, auch mit seinen notwendigen Schwächen, ein Kennzeichen unsrer Arbeit sein. So ist es auch mit den Geschehnissen unsers politischen und sozialen Lebens. Manches Ereignis geht ins Land, und man wird nachher gefragt: Warum haben denn die Grenzboten nichts dazu geäußert? Sie werden wohl gedacht haben, daß Schweigen manchmal besser ist, konnte darauf geantwortet werden. Aber die weiter reichende Auskunft ist: Weil die Grenzboten keine Mustersammlung von phonogrciphischeu Schalltrichtern find, sondern eine geistige Gemeinschaft. Manchmal fragt ja unser Grunow an: Wer will denn da oder dazu etwas sagen? und keiner findet sich bereit. Das ist eben die Bedeutung des Persönlichen unter uns; es braucht ja nicht zu allem etwas gesagt zu werden, und es spricht nur der, der glaubt, daß er auch etwas zu sagen hat. Dann aber läßt sich anch nicht eine Parteirichtung vernehmen oder eine Schulmeinung, sondern man hört die Person heraus. Besondre Gelegenheiten führen aber auch beinahe imnier den Grenzboten außerordentliche Mitarbeiter zu, die gerade zu der Frage das Wort zu nehmen berufen sind, bedeutende und oft auch im Leben hochstehende Männer, deren Namen dann kein Leser ahnt. Ans die lange Reihe dieser wertvollen Hospitanten dürfen die Grenzboten besonders stolz sein. Viele Köpfe, viele Stimmen. Der eine schreibt behaglich und wortreich, man fühlt förmlich, wie Wohl ihm das tut; der andre sachlich und hart, sodaß man auch einmal einen Satz zweimal lesen muß; der eine sprudelnd, spielend und anmutig, der andre gedankenreich und philosophisch, aber ohne den Jargon der Philosophen. Alle schreiben gut, d. h. richtig, nicht streng nach der Wustmannschen Regel, aber ohne die Dummheiten, die das Wustmannsche Buch unter Strafe stellt; darauf hält dessen Verleger Grunow auch als Redakteur seinen Mitarbeitern gegenüber uuncichsicht- lich; manche haben bei ihm erst „schreiben" gelernt. Jeder, der einmal in die Grenz¬ boten geschrieben hat, weiß, wie ausgezeichnet sorgfältig in der Offizin korrigiert wird; des Herausgebers eignen Anteil daran ahnt er nicht, weil er dessen Federstriche in dem abgesetzten Manuskript nicht mehr findet. Wer etwas Sprachgefühl hat, erkennt die Änderungen meist als Verbesserungen an, oder er findet sich doch mit ihnen ub, und mancher schon Ergraute lernt in diesem wortkargen, apodiktischen Lehr¬ gang wie in einer nachträglichen Schule noch täglich dankbar nach. Aber nicht alle, denn die deutschen Gelehrten — das hat nicht bloß Wustmann gesagt — schreiben nicht nur meist schlecht, sondern sie wollen es anch nicht einmal wissen. Wie könnte es ein so hoher Herr ruhig hinnehmen, daß ihm ein Buchhändler sein Skriptum verbessert? Er verlangt also die Wiederherstellung seines Wortlauts, oder er besteht wenigstens für die Folge auf Respektierung seines „Originaldeutschs." Schade! Der Aufsatz war klug und gut, von dem Verfasser ließe sich noch etwas erwarten. Aber die völlige „Wustmannlosigkeit," und noch dazu für die Zukunft Privilegiert und durch Patent gesichert — unmöglich; was würden dazu die andern Grenzbotenmänner für Gesichter machen? — Ach, seufzt daun unser Grunow, der übliche „Stilbrief" bleibt mir wieder einmal nicht erlassen. Und schnell, wie alles bei ihm gehn muß, läuft seine Feder über zwei oder drei, auch vier Briefbogen und bedeckt sie mit den lebendig sprechenden kleinen Schriftzügen, die dem Autor eine auf seinen Fall angewandte, höchst individuell eingekleidete kleine Grammatik des Richtigen übermitteln, freundlich, sogar mit Scherzblitzen durchsetzt und in der Form verbindlich, aber ebenso bestimmt in den unerläßlichen Forderungen: hier liegt Rhodus, jetzt muß gesprungen werden, oder —! Aus solchen Kraftproben haben sich schon oft langdauernde, schöne Verhältnisse entwickelt. Oft aber wird der Stil¬ brief auch zum Scheidebrief, und jeder Jahrgang weist eine Anzahl von Passanten auf, die nicht wiederkehren, und um manche von ihnen ist es schade, aber die Grenzboten wollen sich ihren Ruf. daß in ihnen gutes und geschmackvolles Deutsch geschrieben wird, bewahren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/61>, abgerufen am 26.05.2024.