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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

körpers gedacht war. In diesem Mißstand beruhen die Ursachen vieler bedauer¬
licher Erscheinungen in unserm politischen Leben, beruht vor allem die fortschreitende
Demokratisierung aller Verhältnisse. Je mehr unter dem Einfluß des allgemeinen
Stimmrechts und unsrer die Massen nicht nur zum Widerstande, sondern zur Offen¬
sive organisierenden Sozialpolitik im Reiche der Schwerpunkt nach links, zwischen
Zentrum und Sozialdemokratie gerückt ist -- auch das Zentrum ist demokratisch
und demokratisierend --, desto mehr hätten die Konservativen in Preußen die
Pflicht, darüber zu wachen, daß dort wenigstens die Kräfte intakt und lebendig
bleiben, mit denen es einst möglich gewesen ist, trotz aller Verkennung und Ver¬
stimmung in den Konfliktsjahren, das Reich zu bauen. In einem dauernden Gegen¬
satz zur Krone können sie diese Pflicht nicht mehr erfüllen, weil sie den Einfluß
auf den Gang unsers öffentlichen Lebens verlieren, den sie durch xar äöxit-Ab¬
stimmungen nicht ersetzen können.

Die Kündigung der Handelsverträge und die Einführung des neuen Zolltarifs
haben auch im Reichstage, zumal bei der Frage der Zuschußanleihen, eine Rolle
gespielt. Der Reichsschatzsekretär hat in Aussicht gestellt, daß der Etat für 1905
doch wohl schon unter den Auspizien des neuen Zolltarifs werde abgeschlossen
werden; von freikonservativer Seite ist dagegen verlangt worden, der neue Zoll¬
tarif möge schon der Aufstellung des Etats für 1905 zugrunde gelegt werden.
Es ist wohl Aussicht vorhanden, daß das geschieht; der Reichstag würde damit für
seine Bewilligungen einen ganz andern Maßstab haben. Was die Kündigung der
Handelsverträge angeht, so ist es doch ausgeschlossen, daß man mitten in die
schwebenden Erneuerungsverhandlungen mit Kündigungen hineinfährt, wenn das
nicht etwa durch schroffes und schwieriges Verhalten der andern Partei als Zwangs¬
mittel notwendig wird. Solchen Staaten gegenüber, die Deutschland zu große
Schwierigkeiten machen, bleibt die Anwendung dieser ullius, ratio vorgesehen, bis
jetzt scheint sie nicht nötig gewesen zu sein. Was Argentinien anlangt, so ist daran
zu erinnern, daß der am 19. September 1857 zwischen Argentinien und dem
Deutschen Zollverein abgeschlossene Vertrag nicht nur ausschließlich Handelsvertrag
ist, sondern in den Artikeln 1 und 10 bis 13 eine Reihe politischer, auf die
Religionsübung bezüglicher und konsularischer Bestimmungen enthält, die für Deutsch¬
land und die in Argentinien lebenden Reichsangehörigen von großem Wert sind.
Dieser argentinische Handelsvertrag hat den Reichstag schon einmal, am 13. und
14. März 1895, sehr stark beschäftigt, als die Abgeordneten Freiherr von Heyl,
Graf Oriola und Dr. Friedberg die Kündigung beantragt hatten. Staatssekretär
von Marschall resümierte die Debatte dahin, es sei dabei weiter nichts herausge¬
kommen als die ohnehin zur Genüge bekannte Tatsache, daß die Landwirtschaft Not
leide. Mit keiner Silbe sei dagegen nachgewiesen, daß die Kündigung des argen¬
tinischen Vertrags der Landwirtschaft auch nur den geringsten Nutzen gewähre.
Der Reichstag beschloß damals mit 146 von 224 Stimmen die Verweisung des
Antrags an eine Kommission von 21 Mitgliedern; diese hielt fünf Sitzungen, zu
denen von der Regierung viel Material geliefert worden war, und erstattete ihren
schriftlichen Bericht just genau an dem Tage, dem 24. Mai, wo der Reichstag ge¬
schlossen wurde. Der Bericht gipfelte in dem Ersuchen an den Reichskanzler, den
Handelsvertrag und Argentinien zu kündigen, die Kündigung andrer Meistbe¬
günstigungsverträge mit Ländern, zu denen sich unsre Beziehungen ungünstig ge¬
stalten, sowie Verhandlungen mit den übrigen europäischen Staaten wegen des
Abschlusses einer Zollunion in Erwägung zu ziehn. Der mit seineu Anlagen sehr
umfangreiche Bericht wanderte zu den Akten des Reichstags, und seitdem hat man
nichts mehr davon gehört.

Der argentinische Handelsvertrag besteht nun siebenundvierzig Jahre, und
es ist begreiflich, daß die Regierung in so alte Beziehungen nicht mit einer Kün¬
digung eingreift, namentlich wenn Bestimmungen darin enthalten sind, die nicht
auf wirtschaftlichem Gebiet liegen, und bei denen keineswegs feststeht, ob man sie


Grenzboten II 1904 48
Maßgebliches und Unmaßgebliches

körpers gedacht war. In diesem Mißstand beruhen die Ursachen vieler bedauer¬
licher Erscheinungen in unserm politischen Leben, beruht vor allem die fortschreitende
Demokratisierung aller Verhältnisse. Je mehr unter dem Einfluß des allgemeinen
Stimmrechts und unsrer die Massen nicht nur zum Widerstande, sondern zur Offen¬
sive organisierenden Sozialpolitik im Reiche der Schwerpunkt nach links, zwischen
Zentrum und Sozialdemokratie gerückt ist — auch das Zentrum ist demokratisch
und demokratisierend —, desto mehr hätten die Konservativen in Preußen die
Pflicht, darüber zu wachen, daß dort wenigstens die Kräfte intakt und lebendig
bleiben, mit denen es einst möglich gewesen ist, trotz aller Verkennung und Ver¬
stimmung in den Konfliktsjahren, das Reich zu bauen. In einem dauernden Gegen¬
satz zur Krone können sie diese Pflicht nicht mehr erfüllen, weil sie den Einfluß
auf den Gang unsers öffentlichen Lebens verlieren, den sie durch xar äöxit-Ab¬
stimmungen nicht ersetzen können.

Die Kündigung der Handelsverträge und die Einführung des neuen Zolltarifs
haben auch im Reichstage, zumal bei der Frage der Zuschußanleihen, eine Rolle
gespielt. Der Reichsschatzsekretär hat in Aussicht gestellt, daß der Etat für 1905
doch wohl schon unter den Auspizien des neuen Zolltarifs werde abgeschlossen
werden; von freikonservativer Seite ist dagegen verlangt worden, der neue Zoll¬
tarif möge schon der Aufstellung des Etats für 1905 zugrunde gelegt werden.
Es ist wohl Aussicht vorhanden, daß das geschieht; der Reichstag würde damit für
seine Bewilligungen einen ganz andern Maßstab haben. Was die Kündigung der
Handelsverträge angeht, so ist es doch ausgeschlossen, daß man mitten in die
schwebenden Erneuerungsverhandlungen mit Kündigungen hineinfährt, wenn das
nicht etwa durch schroffes und schwieriges Verhalten der andern Partei als Zwangs¬
mittel notwendig wird. Solchen Staaten gegenüber, die Deutschland zu große
Schwierigkeiten machen, bleibt die Anwendung dieser ullius, ratio vorgesehen, bis
jetzt scheint sie nicht nötig gewesen zu sein. Was Argentinien anlangt, so ist daran
zu erinnern, daß der am 19. September 1857 zwischen Argentinien und dem
Deutschen Zollverein abgeschlossene Vertrag nicht nur ausschließlich Handelsvertrag
ist, sondern in den Artikeln 1 und 10 bis 13 eine Reihe politischer, auf die
Religionsübung bezüglicher und konsularischer Bestimmungen enthält, die für Deutsch¬
land und die in Argentinien lebenden Reichsangehörigen von großem Wert sind.
Dieser argentinische Handelsvertrag hat den Reichstag schon einmal, am 13. und
14. März 1895, sehr stark beschäftigt, als die Abgeordneten Freiherr von Heyl,
Graf Oriola und Dr. Friedberg die Kündigung beantragt hatten. Staatssekretär
von Marschall resümierte die Debatte dahin, es sei dabei weiter nichts herausge¬
kommen als die ohnehin zur Genüge bekannte Tatsache, daß die Landwirtschaft Not
leide. Mit keiner Silbe sei dagegen nachgewiesen, daß die Kündigung des argen¬
tinischen Vertrags der Landwirtschaft auch nur den geringsten Nutzen gewähre.
Der Reichstag beschloß damals mit 146 von 224 Stimmen die Verweisung des
Antrags an eine Kommission von 21 Mitgliedern; diese hielt fünf Sitzungen, zu
denen von der Regierung viel Material geliefert worden war, und erstattete ihren
schriftlichen Bericht just genau an dem Tage, dem 24. Mai, wo der Reichstag ge¬
schlossen wurde. Der Bericht gipfelte in dem Ersuchen an den Reichskanzler, den
Handelsvertrag und Argentinien zu kündigen, die Kündigung andrer Meistbe¬
günstigungsverträge mit Ländern, zu denen sich unsre Beziehungen ungünstig ge¬
stalten, sowie Verhandlungen mit den übrigen europäischen Staaten wegen des
Abschlusses einer Zollunion in Erwägung zu ziehn. Der mit seineu Anlagen sehr
umfangreiche Bericht wanderte zu den Akten des Reichstags, und seitdem hat man
nichts mehr davon gehört.

Der argentinische Handelsvertrag besteht nun siebenundvierzig Jahre, und
es ist begreiflich, daß die Regierung in so alte Beziehungen nicht mit einer Kün¬
digung eingreift, namentlich wenn Bestimmungen darin enthalten sind, die nicht
auf wirtschaftlichem Gebiet liegen, und bei denen keineswegs feststeht, ob man sie


Grenzboten II 1904 48
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[0369] Maßgebliches und Unmaßgebliches körpers gedacht war. In diesem Mißstand beruhen die Ursachen vieler bedauer¬ licher Erscheinungen in unserm politischen Leben, beruht vor allem die fortschreitende Demokratisierung aller Verhältnisse. Je mehr unter dem Einfluß des allgemeinen Stimmrechts und unsrer die Massen nicht nur zum Widerstande, sondern zur Offen¬ sive organisierenden Sozialpolitik im Reiche der Schwerpunkt nach links, zwischen Zentrum und Sozialdemokratie gerückt ist — auch das Zentrum ist demokratisch und demokratisierend —, desto mehr hätten die Konservativen in Preußen die Pflicht, darüber zu wachen, daß dort wenigstens die Kräfte intakt und lebendig bleiben, mit denen es einst möglich gewesen ist, trotz aller Verkennung und Ver¬ stimmung in den Konfliktsjahren, das Reich zu bauen. In einem dauernden Gegen¬ satz zur Krone können sie diese Pflicht nicht mehr erfüllen, weil sie den Einfluß auf den Gang unsers öffentlichen Lebens verlieren, den sie durch xar äöxit-Ab¬ stimmungen nicht ersetzen können. Die Kündigung der Handelsverträge und die Einführung des neuen Zolltarifs haben auch im Reichstage, zumal bei der Frage der Zuschußanleihen, eine Rolle gespielt. Der Reichsschatzsekretär hat in Aussicht gestellt, daß der Etat für 1905 doch wohl schon unter den Auspizien des neuen Zolltarifs werde abgeschlossen werden; von freikonservativer Seite ist dagegen verlangt worden, der neue Zoll¬ tarif möge schon der Aufstellung des Etats für 1905 zugrunde gelegt werden. Es ist wohl Aussicht vorhanden, daß das geschieht; der Reichstag würde damit für seine Bewilligungen einen ganz andern Maßstab haben. Was die Kündigung der Handelsverträge angeht, so ist es doch ausgeschlossen, daß man mitten in die schwebenden Erneuerungsverhandlungen mit Kündigungen hineinfährt, wenn das nicht etwa durch schroffes und schwieriges Verhalten der andern Partei als Zwangs¬ mittel notwendig wird. Solchen Staaten gegenüber, die Deutschland zu große Schwierigkeiten machen, bleibt die Anwendung dieser ullius, ratio vorgesehen, bis jetzt scheint sie nicht nötig gewesen zu sein. Was Argentinien anlangt, so ist daran zu erinnern, daß der am 19. September 1857 zwischen Argentinien und dem Deutschen Zollverein abgeschlossene Vertrag nicht nur ausschließlich Handelsvertrag ist, sondern in den Artikeln 1 und 10 bis 13 eine Reihe politischer, auf die Religionsübung bezüglicher und konsularischer Bestimmungen enthält, die für Deutsch¬ land und die in Argentinien lebenden Reichsangehörigen von großem Wert sind. Dieser argentinische Handelsvertrag hat den Reichstag schon einmal, am 13. und 14. März 1895, sehr stark beschäftigt, als die Abgeordneten Freiherr von Heyl, Graf Oriola und Dr. Friedberg die Kündigung beantragt hatten. Staatssekretär von Marschall resümierte die Debatte dahin, es sei dabei weiter nichts herausge¬ kommen als die ohnehin zur Genüge bekannte Tatsache, daß die Landwirtschaft Not leide. Mit keiner Silbe sei dagegen nachgewiesen, daß die Kündigung des argen¬ tinischen Vertrags der Landwirtschaft auch nur den geringsten Nutzen gewähre. Der Reichstag beschloß damals mit 146 von 224 Stimmen die Verweisung des Antrags an eine Kommission von 21 Mitgliedern; diese hielt fünf Sitzungen, zu denen von der Regierung viel Material geliefert worden war, und erstattete ihren schriftlichen Bericht just genau an dem Tage, dem 24. Mai, wo der Reichstag ge¬ schlossen wurde. Der Bericht gipfelte in dem Ersuchen an den Reichskanzler, den Handelsvertrag und Argentinien zu kündigen, die Kündigung andrer Meistbe¬ günstigungsverträge mit Ländern, zu denen sich unsre Beziehungen ungünstig ge¬ stalten, sowie Verhandlungen mit den übrigen europäischen Staaten wegen des Abschlusses einer Zollunion in Erwägung zu ziehn. Der mit seineu Anlagen sehr umfangreiche Bericht wanderte zu den Akten des Reichstags, und seitdem hat man nichts mehr davon gehört. Der argentinische Handelsvertrag besteht nun siebenundvierzig Jahre, und es ist begreiflich, daß die Regierung in so alte Beziehungen nicht mit einer Kün¬ digung eingreift, namentlich wenn Bestimmungen darin enthalten sind, die nicht auf wirtschaftlichem Gebiet liegen, und bei denen keineswegs feststeht, ob man sie Grenzboten II 1904 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/369>, abgerufen am 20.05.2024.