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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die Insel Lypern und die englische Herrschaft

erließ eine Proklamation, in der dem Volke die größten und angenehmsten Ver¬
sprechungen gemacht wurden. (Vergl. Chacalli, v^xius uncksr Liitisu rulg,
S. 41, und Paschalis, ?acts ava xiZuis abent e^xius, S. 3 und 4.) Die
Königin interessiere sich lebhaft für das Glück der Bewohner Cyperns; Ma߬
regeln würden getroffen werden, die der Entwicklung des Handels und des
Ackerbaues auf der Insel förderlich seien, das Volk solle die Wohltat von
Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit erfahren. Kein Mittel solle vernachlässigt
werden, das die geistige und die materielle Wohlfahrt heben könne, und die
Wünsche des Volkes würden berücksichtigt werden in Übereinstimmung mit seinen
alten Rechten, Sitten und Gewohnheiten. Kurz man versprach, aus der Insel
ein wahres Paradies zu machen, und die Freude der Cyprioten war allgemein
und aufrichtig, da man nun hoffte, nach der langen türkischen Mißwirtschaft
endlich in geordnete Verhältnisse zu gelangen. Diese Freude fand auch in den
englischen Zeitungen ihren lauten Widerhall. Das arme Volk konnte damals
noch nicht wissen, daß es vierundzwanzig Jahre später in äußerster Armut
schmachten werde, und daß sich viele Einwohner genötigt sehen würden, nur
um leben zu können, ihre geliebte Heimat zu verlassen. Allein im Jahre 1902
sollen bis zum Herbste dreitausend Menschen von der Insel ausgewandert sein,
und das Land steht jetzt wirklich vor seinem völligen Ruin.

Die Hauptursache dieses Niedergangs ist neben andern später zu berührenden
Gründen der "sogenannte Tribut," das ist der oben erwähnte Überschuß der
Einnahmen über die Ausgaben, den England an die Türkei zu zahlen hat,
und der, wie wir gleich sehen werden, irrtümlicherweise in der unglaublichen
Höhe von 92799 Pfund Sterling festgesetzt wurde; d. h. im Annex zum Ver¬
trage vom 4. Juni 1878 wurde der Betrag von 87686 Pfund Sterling xlus
113 Pfund Sterling 11 Schilling 3 Pence berechnet, und unter dem 3. Fe¬
bruar 1879 wurden noch 5000 Pfund Sterling als Ersatz für den Ertrag der
Staatsländereien hinzugefügt. Diese Berechnung kam nach den englischen Par¬
lamentsberichten 1880 Act Cyprus Ur. 4 in folgender Weise zustande:

Die Gesamteinnahmen der fünf Jahre von 1873 bis 1877 betrugen 83950051 Piaster
Die Ausgaben und einige besondre Steuern........ 19645105 "
Blieb von den fünf Jahren ein Überschuß von...... 64304946 Piaster
Dies gibt für ein Jahr ............. 12860989
Davon gehen ab:
Ausgaben für Militär................ 833610
Für eine Defter Khane genannte Ausgabe ....... . . S05427
1739037 Piaster
So bleibt ein Überschuß von............11121952
oder das englische Pfund zu 120 Piastern gerechnet .... 92680 Pf. Se.

Diese Summe ist aber aus zwei Gründen viel zu hoch gegriffen,
denn erstens war in den Jahren 1874 und 1875 eine Ausnahmesteuer von
4341744 Piastern oder 36242 Pfund Sterling erhoben worden, die man
gerechterweise nicht in die regelmäßigen Einnahmen mit einbeziehen darf; zweitens
aber sind in den Jahren 1876 und 1877 alle Abgaben, sowie schon manche
Steuern in den frühern Jahren in oAiru? (d. i. Papiergeld) gezahlt worden.


Die Insel Lypern und die englische Herrschaft

erließ eine Proklamation, in der dem Volke die größten und angenehmsten Ver¬
sprechungen gemacht wurden. (Vergl. Chacalli, v^xius uncksr Liitisu rulg,
S. 41, und Paschalis, ?acts ava xiZuis abent e^xius, S. 3 und 4.) Die
Königin interessiere sich lebhaft für das Glück der Bewohner Cyperns; Ma߬
regeln würden getroffen werden, die der Entwicklung des Handels und des
Ackerbaues auf der Insel förderlich seien, das Volk solle die Wohltat von
Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit erfahren. Kein Mittel solle vernachlässigt
werden, das die geistige und die materielle Wohlfahrt heben könne, und die
Wünsche des Volkes würden berücksichtigt werden in Übereinstimmung mit seinen
alten Rechten, Sitten und Gewohnheiten. Kurz man versprach, aus der Insel
ein wahres Paradies zu machen, und die Freude der Cyprioten war allgemein
und aufrichtig, da man nun hoffte, nach der langen türkischen Mißwirtschaft
endlich in geordnete Verhältnisse zu gelangen. Diese Freude fand auch in den
englischen Zeitungen ihren lauten Widerhall. Das arme Volk konnte damals
noch nicht wissen, daß es vierundzwanzig Jahre später in äußerster Armut
schmachten werde, und daß sich viele Einwohner genötigt sehen würden, nur
um leben zu können, ihre geliebte Heimat zu verlassen. Allein im Jahre 1902
sollen bis zum Herbste dreitausend Menschen von der Insel ausgewandert sein,
und das Land steht jetzt wirklich vor seinem völligen Ruin.

Die Hauptursache dieses Niedergangs ist neben andern später zu berührenden
Gründen der „sogenannte Tribut," das ist der oben erwähnte Überschuß der
Einnahmen über die Ausgaben, den England an die Türkei zu zahlen hat,
und der, wie wir gleich sehen werden, irrtümlicherweise in der unglaublichen
Höhe von 92799 Pfund Sterling festgesetzt wurde; d. h. im Annex zum Ver¬
trage vom 4. Juni 1878 wurde der Betrag von 87686 Pfund Sterling xlus
113 Pfund Sterling 11 Schilling 3 Pence berechnet, und unter dem 3. Fe¬
bruar 1879 wurden noch 5000 Pfund Sterling als Ersatz für den Ertrag der
Staatsländereien hinzugefügt. Diese Berechnung kam nach den englischen Par¬
lamentsberichten 1880 Act Cyprus Ur. 4 in folgender Weise zustande:

Die Gesamteinnahmen der fünf Jahre von 1873 bis 1877 betrugen 83950051 Piaster
Die Ausgaben und einige besondre Steuern........ 19645105 „
Blieb von den fünf Jahren ein Überschuß von...... 64304946 Piaster
Dies gibt für ein Jahr ............. 12860989
Davon gehen ab:
Ausgaben für Militär................ 833610
Für eine Defter Khane genannte Ausgabe ....... . . S05427
1739037 Piaster
So bleibt ein Überschuß von............11121952
oder das englische Pfund zu 120 Piastern gerechnet .... 92680 Pf. Se.

Diese Summe ist aber aus zwei Gründen viel zu hoch gegriffen,
denn erstens war in den Jahren 1874 und 1875 eine Ausnahmesteuer von
4341744 Piastern oder 36242 Pfund Sterling erhoben worden, die man
gerechterweise nicht in die regelmäßigen Einnahmen mit einbeziehen darf; zweitens
aber sind in den Jahren 1876 und 1877 alle Abgaben, sowie schon manche
Steuern in den frühern Jahren in oAiru? (d. i. Papiergeld) gezahlt worden.


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[0589] Die Insel Lypern und die englische Herrschaft erließ eine Proklamation, in der dem Volke die größten und angenehmsten Ver¬ sprechungen gemacht wurden. (Vergl. Chacalli, v^xius uncksr Liitisu rulg, S. 41, und Paschalis, ?acts ava xiZuis abent e^xius, S. 3 und 4.) Die Königin interessiere sich lebhaft für das Glück der Bewohner Cyperns; Ma߬ regeln würden getroffen werden, die der Entwicklung des Handels und des Ackerbaues auf der Insel förderlich seien, das Volk solle die Wohltat von Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit erfahren. Kein Mittel solle vernachlässigt werden, das die geistige und die materielle Wohlfahrt heben könne, und die Wünsche des Volkes würden berücksichtigt werden in Übereinstimmung mit seinen alten Rechten, Sitten und Gewohnheiten. Kurz man versprach, aus der Insel ein wahres Paradies zu machen, und die Freude der Cyprioten war allgemein und aufrichtig, da man nun hoffte, nach der langen türkischen Mißwirtschaft endlich in geordnete Verhältnisse zu gelangen. Diese Freude fand auch in den englischen Zeitungen ihren lauten Widerhall. Das arme Volk konnte damals noch nicht wissen, daß es vierundzwanzig Jahre später in äußerster Armut schmachten werde, und daß sich viele Einwohner genötigt sehen würden, nur um leben zu können, ihre geliebte Heimat zu verlassen. Allein im Jahre 1902 sollen bis zum Herbste dreitausend Menschen von der Insel ausgewandert sein, und das Land steht jetzt wirklich vor seinem völligen Ruin. Die Hauptursache dieses Niedergangs ist neben andern später zu berührenden Gründen der „sogenannte Tribut," das ist der oben erwähnte Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben, den England an die Türkei zu zahlen hat, und der, wie wir gleich sehen werden, irrtümlicherweise in der unglaublichen Höhe von 92799 Pfund Sterling festgesetzt wurde; d. h. im Annex zum Ver¬ trage vom 4. Juni 1878 wurde der Betrag von 87686 Pfund Sterling xlus 113 Pfund Sterling 11 Schilling 3 Pence berechnet, und unter dem 3. Fe¬ bruar 1879 wurden noch 5000 Pfund Sterling als Ersatz für den Ertrag der Staatsländereien hinzugefügt. Diese Berechnung kam nach den englischen Par¬ lamentsberichten 1880 Act Cyprus Ur. 4 in folgender Weise zustande: Die Gesamteinnahmen der fünf Jahre von 1873 bis 1877 betrugen 83950051 Piaster Die Ausgaben und einige besondre Steuern........ 19645105 „ Blieb von den fünf Jahren ein Überschuß von...... 64304946 Piaster Dies gibt für ein Jahr ............. 12860989 Davon gehen ab: Ausgaben für Militär................ 833610 Für eine Defter Khane genannte Ausgabe ....... . . S05427 1739037 Piaster So bleibt ein Überschuß von............11121952 oder das englische Pfund zu 120 Piastern gerechnet .... 92680 Pf. Se. Diese Summe ist aber aus zwei Gründen viel zu hoch gegriffen, denn erstens war in den Jahren 1874 und 1875 eine Ausnahmesteuer von 4341744 Piastern oder 36242 Pfund Sterling erhoben worden, die man gerechterweise nicht in die regelmäßigen Einnahmen mit einbeziehen darf; zweitens aber sind in den Jahren 1876 und 1877 alle Abgaben, sowie schon manche Steuern in den frühern Jahren in oAiru? (d. i. Papiergeld) gezahlt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/589>, abgerufen am 14.06.2024.