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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

sprechen, reden (zu hebr. Sibbßr), meramme sein, betrügen (zu romo), poder
machen, befreien, poker kommen, frei gelassen werden (von poturfrei, los, zu
xowr, eigentl. durchbrechen), oder aus ihnen gar ein einziges Wort gebildet, wie bei
den Substantiven Mitteleile, Mitternacht (von lana, Nacht), Mittiam, Mittag, ja
fogar Vormittiam, Vormittag (von ^om, der Tag), Sturm-Bajis, Rathaus
(wohl von Turm und b^it, Haus, also -- Turmhaus), Leilegänger, Nachtdieb,
Melochestift, Handwerksbursche (vom jüd. msISobö, Geschäft, Verrichtung), Mantel-
melochner, Dachdecker, Amtsschoder oder -Schauder, Amtsdiener (wohl von
schol, die Geißel, die der Büttel handhabt). Manchmal sieht man dabei solchen
Bildungen ihren halbdeutschen Ursprung kaum noch an, wie dem bekannten Schla¬
massel, das ursprünglich "Schlimm Masel" lautete (von masol, Planet, Stern,
Glücksstern, Glück, Geschick) und also "schlimmes Glück," Unglück, Mißgeschick bedeutet.
Umgekehrt hat man nicht selten bei Wörtern ganz oder halb hebräischer Abkunft eine
Umdeutschung nach Art der sogenannten Volksetymologie versucht und es dabei zu¬
weilen fertig gebracht, auch den deutsch klingenden Formen einen gewissen Sinn
beizulegen. So kann man bei dem wohl auf das hebräische seMKar, zechen, zurück¬
gehenden rotwelschen Zeitwort schwächen für trinken (vgl. Schwäche, Wirtshaus,
Schwächer, Wirt usw.) auch an die schwächende Wirkung des Alkohols denken, und
nicht unwitzig erscheint es, wenn man neuerdings aus S och er oder socher für
den herumziehenden Kaufmann (von hebr. sAoinu-, vgl. "schachern") einen "Sucher"
gemacht hat, gleichsam als Spottname auf die Not der armen Handlungsreisender,
die in jedem Nest und Winkel nach einem Besteller für ihre Waren suchen müssen.
Erwähnt sei ferner der Name "Kümmelblnttchen" für das bekannte Hazardspiel
der Bauernfänger, der zwar ganz deutsch klingt, in seiner ersten Hälfte aber dem
Hebräischen angehört, da diese mit dem "Kümmel" -- auch als Getränk -- nichts
zu tun hat, sondern nur hervorgegangen ist aus der Bezeichnung des dritten Buch¬
stabens im hebräischen Alphabet: Gimel. der als Zahl verwandt 3 bedeutet (also
Dreiblättchen, Spiel mit drei Karten). Auch bei den Ausdrücken "Kies" und "Moos"
für Geld (jenes abzuleiten vom hebräischen K!s, Geld, dieses die Mehrzahl vom
jüd. mo", Pfennig), oder bei "Lehm," "Leg'um" oder "Leben" für Brot (daher
"blankes Leben" -- Weißbrot; gebildet aus dem hebr. loobsm, Brot), ja sogar
bei dem bekannten Warnungsrufe der Ganner bei Störungen in ihrer Tätigkeit:
"Lampen" (von ig,wclon, eigentlich der Gelehrte, dann der gewitzigte Bestohlene,
der das Verbrechen vereitelt) kann man sich allenfalls noch etwas denken.

Ziemlich sinnlos ist dagegen das hebr. K-Mr, das Dorf, in das deutsche
"Gefahr" (pLi'ieuluw) umgebildet worden, während man umgekehrt aus dem
hebräischen w-si (jüd. torok, Rund, Beute) den Ausdruck "Dorf" oder auch "Torf"
gemacht hat für die Diebesbeute, insbesondre den Geldbeutel, das begehrteste Objekt
der Taschendiebe, die deshalb u. a. auch als "Torfdrücker" ("Dorfdrücker, -drunter")
bezeichnet werden. Hierher gehört ferner das aus dem neühebräischen 8<mLmilÄ, Wache
zurechtgeformte Wort "Schmiere" für Wache, das namentlich in der Verbindung
"Schmiere stehn" für Wache halten (später auch verändert in "Butter" oder
gnr "Käse stehen,") auch schon außerhalb der Gauucrkreise ziemlich bekannt ist.
Und was soll man vollends dazu sagen, wenn die Ganner -- auf Grund des
jüd. wrusAol, Hahn, ta,rneAoIos, Henne -- den Hahn zu eiuen "Dannegaul,"
das Huhn zu "Tannepahl" (Tanueupfahl) umgewandelt haben, oder wenn unsre
Handwerksburschen gar den Pferdeschlächter infolge verunstalteter Gaunerworte als
einen "Süßcheubäcker" bezeichnen (statt: Zoskenpeiker, vom rotw. Zvsken,
Zoschen, Suscheu usw., Deminutivform zu dem jüd.-deutsch. Sus. Pferd und
Paikeru, Pegern, begern sterben, töten, umbringen, zu xoAar, matt, hinfällig
sein). Und solche Wortungeheuer stehn keineswegs ganz vereinzelt da!

Viel reiner und unvermischter haben sich im Notwelsch einzelne Vokabeln
aus andern orientalischen Sprachen, zum Beispiel ans dem Arabischen, erhalten.
Sie sind aber gegeuüber der großen Masse des jüdisch-deutschen Wvrtmaterials so


Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

sprechen, reden (zu hebr. Sibbßr), meramme sein, betrügen (zu romo), poder
machen, befreien, poker kommen, frei gelassen werden (von poturfrei, los, zu
xowr, eigentl. durchbrechen), oder aus ihnen gar ein einziges Wort gebildet, wie bei
den Substantiven Mitteleile, Mitternacht (von lana, Nacht), Mittiam, Mittag, ja
fogar Vormittiam, Vormittag (von ^om, der Tag), Sturm-Bajis, Rathaus
(wohl von Turm und b^it, Haus, also — Turmhaus), Leilegänger, Nachtdieb,
Melochestift, Handwerksbursche (vom jüd. msISobö, Geschäft, Verrichtung), Mantel-
melochner, Dachdecker, Amtsschoder oder -Schauder, Amtsdiener (wohl von
schol, die Geißel, die der Büttel handhabt). Manchmal sieht man dabei solchen
Bildungen ihren halbdeutschen Ursprung kaum noch an, wie dem bekannten Schla¬
massel, das ursprünglich „Schlimm Masel" lautete (von masol, Planet, Stern,
Glücksstern, Glück, Geschick) und also „schlimmes Glück," Unglück, Mißgeschick bedeutet.
Umgekehrt hat man nicht selten bei Wörtern ganz oder halb hebräischer Abkunft eine
Umdeutschung nach Art der sogenannten Volksetymologie versucht und es dabei zu¬
weilen fertig gebracht, auch den deutsch klingenden Formen einen gewissen Sinn
beizulegen. So kann man bei dem wohl auf das hebräische seMKar, zechen, zurück¬
gehenden rotwelschen Zeitwort schwächen für trinken (vgl. Schwäche, Wirtshaus,
Schwächer, Wirt usw.) auch an die schwächende Wirkung des Alkohols denken, und
nicht unwitzig erscheint es, wenn man neuerdings aus S och er oder socher für
den herumziehenden Kaufmann (von hebr. sAoinu-, vgl. „schachern") einen „Sucher"
gemacht hat, gleichsam als Spottname auf die Not der armen Handlungsreisender,
die in jedem Nest und Winkel nach einem Besteller für ihre Waren suchen müssen.
Erwähnt sei ferner der Name „Kümmelblnttchen" für das bekannte Hazardspiel
der Bauernfänger, der zwar ganz deutsch klingt, in seiner ersten Hälfte aber dem
Hebräischen angehört, da diese mit dem „Kümmel" — auch als Getränk — nichts
zu tun hat, sondern nur hervorgegangen ist aus der Bezeichnung des dritten Buch¬
stabens im hebräischen Alphabet: Gimel. der als Zahl verwandt 3 bedeutet (also
Dreiblättchen, Spiel mit drei Karten). Auch bei den Ausdrücken „Kies" und „Moos"
für Geld (jenes abzuleiten vom hebräischen K!s, Geld, dieses die Mehrzahl vom
jüd. mo», Pfennig), oder bei „Lehm," „Leg'um" oder „Leben" für Brot (daher
„blankes Leben" — Weißbrot; gebildet aus dem hebr. loobsm, Brot), ja sogar
bei dem bekannten Warnungsrufe der Ganner bei Störungen in ihrer Tätigkeit:
„Lampen" (von ig,wclon, eigentlich der Gelehrte, dann der gewitzigte Bestohlene,
der das Verbrechen vereitelt) kann man sich allenfalls noch etwas denken.

Ziemlich sinnlos ist dagegen das hebr. K-Mr, das Dorf, in das deutsche
„Gefahr" (pLi'ieuluw) umgebildet worden, während man umgekehrt aus dem
hebräischen w-si (jüd. torok, Rund, Beute) den Ausdruck „Dorf" oder auch „Torf"
gemacht hat für die Diebesbeute, insbesondre den Geldbeutel, das begehrteste Objekt
der Taschendiebe, die deshalb u. a. auch als „Torfdrücker" („Dorfdrücker, -drunter")
bezeichnet werden. Hierher gehört ferner das aus dem neühebräischen 8<mLmilÄ, Wache
zurechtgeformte Wort „Schmiere" für Wache, das namentlich in der Verbindung
„Schmiere stehn" für Wache halten (später auch verändert in „Butter" oder
gnr „Käse stehen,") auch schon außerhalb der Gauucrkreise ziemlich bekannt ist.
Und was soll man vollends dazu sagen, wenn die Ganner — auf Grund des
jüd. wrusAol, Hahn, ta,rneAoIos, Henne — den Hahn zu eiuen „Dannegaul,"
das Huhn zu „Tannepahl" (Tanueupfahl) umgewandelt haben, oder wenn unsre
Handwerksburschen gar den Pferdeschlächter infolge verunstalteter Gaunerworte als
einen „Süßcheubäcker" bezeichnen (statt: Zoskenpeiker, vom rotw. Zvsken,
Zoschen, Suscheu usw., Deminutivform zu dem jüd.-deutsch. Sus. Pferd und
Paikeru, Pegern, begern sterben, töten, umbringen, zu xoAar, matt, hinfällig
sein). Und solche Wortungeheuer stehn keineswegs ganz vereinzelt da!

Viel reiner und unvermischter haben sich im Notwelsch einzelne Vokabeln
aus andern orientalischen Sprachen, zum Beispiel ans dem Arabischen, erhalten.
Sie sind aber gegeuüber der großen Masse des jüdisch-deutschen Wvrtmaterials so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/165>, abgerufen am 13.05.2024.