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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Der westafrikanischo Neger

Dorfe drüben bat er jedesmal durch eine feierliche Einladung um unser Er¬
scheinen, und man konnte ihn empfindlich strafen, wenn man dieser Bitte nicht
Folge leistete.

Ist oder bleibt die Begierde aber rein materiell, so beginnt nunmehr
systematisch das schamloseste Auspressen. Mit offner Gewalt sich der Schätze
des Weißen zu bemächtigen, scheut auch ein übermächtiger Häuptling in den
meisten Fällen. Nicht selten verbindet sich eine Art von Humor, der aber in
dieser Situation nur die peinvolle Lage noch krasser macht, mit solchem Aus¬
plündern. So erzählt Nachtigal von seinem Leidensausenthalte bei den Tubu-
Reschade in Barden, der Häuptling Tafertemi habe ihn selbst in seiner Hütte
aufgesucht, als er, rein ausgeplündert, dem habgierigen Herrscher auf seine steten
Forderungen nichts mehr zu senden hatte. Nachdem sich Tafertemi von der
Nichtigkeit der Beteuerung des Forschers durch eingehende Untersuchung seiner
geleerten Koffer überzeugt hatte, drehte er sich um mit den Worten: "Er könne
nun allerdings gehn, nachdem er den Mann gesehen, der das leere Holz ge¬
bracht habe!"

Gewiß stößt der Weiße nicht immer auf solche mehr oder weniger offen
feindlich gesinnte Eingeborne; auch freundliche Aufnahme vom ersten Augenblick
an findet er. Aber häufiger ist eben das Gegenteil der Fall. Da muß sich denn
die "passive Schneid" zeigen: Geduld. Geduld und nochmals Geduld und Zähig¬
keit. Alle afrikanischen Diplomatenkünste kommen auf beiden Seiten zur Geltung.
Gut gespielter Zorn ist nicht selten von überraschender Wirkung. Aber nur
geschcmspielter, bei dem man innerlich Herr über sich bleibt. Nachtigal erzählt
bei der Schilderung seines Auszugs aus Kuka, daß ihm ein alter Ratgeber Scheich
Omars eine Strecke Wegs das Geleit und dabei eine Fülle guter Ratschlüge
gab, darunter ganz besonders den, sich "vor der unschicklichen und gefährlichen
Heftigkeit der Weißen" zu hüten.

Dieses Zitat führt mich dazu, ausdrücklich zu betonen, daß nicht immer
die Veranlassung zu der ablehnenden, mehr oder weniger offen feindlichen Hal¬
tung der Eingebornen auf deren Seite liegt, daß sie nicht eben selten den
ehrlichen Willen haben oder hatten, dem Weißen entgegenzukommen, und erst
durch das Verhalten des Weißen zum Gegenteil veranlaßt wurden. Gar
manchmal ist die feindselige, zum mindesten unfreundliche Aufnahme durch
einen Stamm die "Erbschaft" eines früher einmal zu ihm gekommnen Weißen
oder die Folge eines Gerüchtes, wie in der Nachbarschaft ein Europäer "zivili¬
sierend" gearbeitet hat! Die Überhebung, in der wir meinen, der Neger müsse
es als ein besondres Glück ansehen, mit einem Vertreter der weißen Rasse
in Berührung zu kommen, die schroffe, barsche, rücksichtslose Art des Auf¬
tretens, die dem Negercharakter stracks zuwiderläuft, sind direkte, leider nur
zu häufig begangne Fehler, die ihren Grund in Verkennung oder vornehmer
Nichtanerkennung unsers Eindringlingsstandpunktes, in mangelhafter Menschen¬
kenntnis haben.

Daneben gibt es aber etwas, was ebenfalls viel zu häufig übersehen
wird und doch sehr oft die unmittelbare Veranlassung zu einer feindseligen
Haltung der Eingebornen wird: es ist das weite Gebiet der Mißverständnisse.


Der westafrikanischo Neger

Dorfe drüben bat er jedesmal durch eine feierliche Einladung um unser Er¬
scheinen, und man konnte ihn empfindlich strafen, wenn man dieser Bitte nicht
Folge leistete.

Ist oder bleibt die Begierde aber rein materiell, so beginnt nunmehr
systematisch das schamloseste Auspressen. Mit offner Gewalt sich der Schätze
des Weißen zu bemächtigen, scheut auch ein übermächtiger Häuptling in den
meisten Fällen. Nicht selten verbindet sich eine Art von Humor, der aber in
dieser Situation nur die peinvolle Lage noch krasser macht, mit solchem Aus¬
plündern. So erzählt Nachtigal von seinem Leidensausenthalte bei den Tubu-
Reschade in Barden, der Häuptling Tafertemi habe ihn selbst in seiner Hütte
aufgesucht, als er, rein ausgeplündert, dem habgierigen Herrscher auf seine steten
Forderungen nichts mehr zu senden hatte. Nachdem sich Tafertemi von der
Nichtigkeit der Beteuerung des Forschers durch eingehende Untersuchung seiner
geleerten Koffer überzeugt hatte, drehte er sich um mit den Worten: „Er könne
nun allerdings gehn, nachdem er den Mann gesehen, der das leere Holz ge¬
bracht habe!"

Gewiß stößt der Weiße nicht immer auf solche mehr oder weniger offen
feindlich gesinnte Eingeborne; auch freundliche Aufnahme vom ersten Augenblick
an findet er. Aber häufiger ist eben das Gegenteil der Fall. Da muß sich denn
die „passive Schneid" zeigen: Geduld. Geduld und nochmals Geduld und Zähig¬
keit. Alle afrikanischen Diplomatenkünste kommen auf beiden Seiten zur Geltung.
Gut gespielter Zorn ist nicht selten von überraschender Wirkung. Aber nur
geschcmspielter, bei dem man innerlich Herr über sich bleibt. Nachtigal erzählt
bei der Schilderung seines Auszugs aus Kuka, daß ihm ein alter Ratgeber Scheich
Omars eine Strecke Wegs das Geleit und dabei eine Fülle guter Ratschlüge
gab, darunter ganz besonders den, sich „vor der unschicklichen und gefährlichen
Heftigkeit der Weißen" zu hüten.

Dieses Zitat führt mich dazu, ausdrücklich zu betonen, daß nicht immer
die Veranlassung zu der ablehnenden, mehr oder weniger offen feindlichen Hal¬
tung der Eingebornen auf deren Seite liegt, daß sie nicht eben selten den
ehrlichen Willen haben oder hatten, dem Weißen entgegenzukommen, und erst
durch das Verhalten des Weißen zum Gegenteil veranlaßt wurden. Gar
manchmal ist die feindselige, zum mindesten unfreundliche Aufnahme durch
einen Stamm die „Erbschaft" eines früher einmal zu ihm gekommnen Weißen
oder die Folge eines Gerüchtes, wie in der Nachbarschaft ein Europäer „zivili¬
sierend" gearbeitet hat! Die Überhebung, in der wir meinen, der Neger müsse
es als ein besondres Glück ansehen, mit einem Vertreter der weißen Rasse
in Berührung zu kommen, die schroffe, barsche, rücksichtslose Art des Auf¬
tretens, die dem Negercharakter stracks zuwiderläuft, sind direkte, leider nur
zu häufig begangne Fehler, die ihren Grund in Verkennung oder vornehmer
Nichtanerkennung unsers Eindringlingsstandpunktes, in mangelhafter Menschen¬
kenntnis haben.

Daneben gibt es aber etwas, was ebenfalls viel zu häufig übersehen
wird und doch sehr oft die unmittelbare Veranlassung zu einer feindseligen
Haltung der Eingebornen wird: es ist das weite Gebiet der Mißverständnisse.


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[0023] Der westafrikanischo Neger Dorfe drüben bat er jedesmal durch eine feierliche Einladung um unser Er¬ scheinen, und man konnte ihn empfindlich strafen, wenn man dieser Bitte nicht Folge leistete. Ist oder bleibt die Begierde aber rein materiell, so beginnt nunmehr systematisch das schamloseste Auspressen. Mit offner Gewalt sich der Schätze des Weißen zu bemächtigen, scheut auch ein übermächtiger Häuptling in den meisten Fällen. Nicht selten verbindet sich eine Art von Humor, der aber in dieser Situation nur die peinvolle Lage noch krasser macht, mit solchem Aus¬ plündern. So erzählt Nachtigal von seinem Leidensausenthalte bei den Tubu- Reschade in Barden, der Häuptling Tafertemi habe ihn selbst in seiner Hütte aufgesucht, als er, rein ausgeplündert, dem habgierigen Herrscher auf seine steten Forderungen nichts mehr zu senden hatte. Nachdem sich Tafertemi von der Nichtigkeit der Beteuerung des Forschers durch eingehende Untersuchung seiner geleerten Koffer überzeugt hatte, drehte er sich um mit den Worten: „Er könne nun allerdings gehn, nachdem er den Mann gesehen, der das leere Holz ge¬ bracht habe!" Gewiß stößt der Weiße nicht immer auf solche mehr oder weniger offen feindlich gesinnte Eingeborne; auch freundliche Aufnahme vom ersten Augenblick an findet er. Aber häufiger ist eben das Gegenteil der Fall. Da muß sich denn die „passive Schneid" zeigen: Geduld. Geduld und nochmals Geduld und Zähig¬ keit. Alle afrikanischen Diplomatenkünste kommen auf beiden Seiten zur Geltung. Gut gespielter Zorn ist nicht selten von überraschender Wirkung. Aber nur geschcmspielter, bei dem man innerlich Herr über sich bleibt. Nachtigal erzählt bei der Schilderung seines Auszugs aus Kuka, daß ihm ein alter Ratgeber Scheich Omars eine Strecke Wegs das Geleit und dabei eine Fülle guter Ratschlüge gab, darunter ganz besonders den, sich „vor der unschicklichen und gefährlichen Heftigkeit der Weißen" zu hüten. Dieses Zitat führt mich dazu, ausdrücklich zu betonen, daß nicht immer die Veranlassung zu der ablehnenden, mehr oder weniger offen feindlichen Hal¬ tung der Eingebornen auf deren Seite liegt, daß sie nicht eben selten den ehrlichen Willen haben oder hatten, dem Weißen entgegenzukommen, und erst durch das Verhalten des Weißen zum Gegenteil veranlaßt wurden. Gar manchmal ist die feindselige, zum mindesten unfreundliche Aufnahme durch einen Stamm die „Erbschaft" eines früher einmal zu ihm gekommnen Weißen oder die Folge eines Gerüchtes, wie in der Nachbarschaft ein Europäer „zivili¬ sierend" gearbeitet hat! Die Überhebung, in der wir meinen, der Neger müsse es als ein besondres Glück ansehen, mit einem Vertreter der weißen Rasse in Berührung zu kommen, die schroffe, barsche, rücksichtslose Art des Auf¬ tretens, die dem Negercharakter stracks zuwiderläuft, sind direkte, leider nur zu häufig begangne Fehler, die ihren Grund in Verkennung oder vornehmer Nichtanerkennung unsers Eindringlingsstandpunktes, in mangelhafter Menschen¬ kenntnis haben. Daneben gibt es aber etwas, was ebenfalls viel zu häufig übersehen wird und doch sehr oft die unmittelbare Veranlassung zu einer feindseligen Haltung der Eingebornen wird: es ist das weite Gebiet der Mißverständnisse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/23>, abgerufen am 13.05.2024.