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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die kleine Marina und ihr Gemahl

an allen Reliquienschreinen und allen wundertätigen Madonnenbildern. Jeden
Morgen, wenn die Sonne aufging, ließ die Herzogin eine Messe in der kleinen
Kapelle im Kloster der Feuillcmten lesen, die sie zu besuchen pflegte; ihre Tochter,
Dona Maria Leopoldina, fastete und las Gebete, bis es alles in ihrem Kopfe zu
einem Wirrwarr wurde, und sie kein Wort mehr von dem verstand, was sie sagte.
Und eines schonen Morgens fiel sie beim Rosenkranzabbeten pardauz, mit der
Stirn auf den steinernen Fußboden schlagend -- zum erstenmal in ihrem Leben
ohnmächtig.

Da fand die Fürstin von Starhemberg doch, daß es für einen verständigen
Menschen an der Zeit sein könnte, sich ins Mittel zu legen. Die fromme Herzogin
fing auch selber an, ein wenig bedenklich zu werden. Freilich weigerte sie sich
noch immer, Marina nach Les DLlices zu senden, aber das junge Mädchen wurde
nicht mehr mitten in der Nacht geweckt, daß sie bei Sonnenaufgang die Messe
besuche. Statt dessen sprach ihre gewissenhafte Mutter die Gebete zweimal.

Der Oheim Emanuel ließ es sich angelegen sein, sie auf seinen Ausflügen
in die Umgegend von Paris mitzunehmen. Von ihm und Mademoiselle Leonie
eskortiert konnte die kleine Marquise jetzt endlich ihre Sehnsucht nach der "Straße
und dem Landwege" befriedigen; täglich machte sie weite Ausflüge zu Wagen und
zu Pferde und bekam viel zu sehen, was sie bisher noch nicht gesehen hatte.

In dieser Zeit nahm Salm sie oft mit zu seiner Freundin Madame de
Bouillon. Ihr Gatte, der alte Herzog, hielt sich größtenteils auf seinen Gütern
in Flandern auf, und die Herzogin Maria Hedwig wohnte allein in ihrem großen
Palais am Malaquaio-Quai. Sie war gleichmütig, liebenswürdig, gastfrei und
so vollkommen wohlerzogen, daß Maria niemals -- obwohl sie darüber nach¬
zudenken pflegte -- Klarheit erlangen konnte, ob sie sich über ihren Besuch mit
Manolito zusammen freue, oder ob sie es lieber gesehen hätte, wenn er allein ge¬
kommen wäre.

So süßen sie also, diese drei -- der Prinz von Salm und seine liebe Freundin,
die kleine Marquise von El Viso zwischen sich -- an den langen, warmen Juli¬
vormittagen in dem Boudoir der Herzogin und spielten Karten oder plauderten
oder belustigten sich mit dem, was ihnen gerade einfiel. Oft kamen auch noch
andre Gäste, und während sie sich an Kaffee und Schnupftabak delektierten, Szenen
aus Theaterstücken probierten und die neusten Witze zum besten gaben, schwatzten
sie über alles zwischen Himmel und Erde: über die Niederkunft der Königin, über
Voltaires Gesundheit, über den Krieg in Amerika, über das, was der englische
Gesandte Lord Stormout sagte, und was die Kaiserin Katharina oder der König
von Preußen meinten. Sie sprachen immer interessant, klar und gewandt über
alle Themata, auf die die Rede kam, und Marina, die neugierig und altklug dasaß
und zuhörte, befand sich allmählich sehr wohl in dieser Atmosphäre gleichgiltiger
und fieberhafter Neuigkeitskrämerei, Weltlichkeit und Verfeinerung.

Über das zu grübeln, worüber der Oheim und Maria Hedwig sprachen, wenn
sie allein waren, hatte sie nach Verlauf von ein paar Wochen fast vollständig auf¬
gegeben. Sie war jetzt weltgewandter geworden, und mit einer gewissen Resignation
acceptierte sie -- so wie sie es alle andern tun sah -- das Verhältnis zwischen
der Herzogin und ihrem lieben Manolito. Sie konnte das um so leichter tun, als
sie die Herzogin mehr und mehr als eine große, sehr sinnreich eingerichtete Puppe
zu betrachten lernte. Sie war immer so blauäugig, porzellanartig, lächelnd und
glich sich selber in dem Maße von einem Tage zum andern, daß die unberechen¬
bare und spekulative kleine Marina sie sich nie recht ernsthaft oder von irgend
etwas tief ergriffen vorstellen konnte -- so wie zum Beispiel Mama es sein konnte.
Die Fürstin von Starhemberg, die ihre Freundin bewunderte, sagte von ihr, sie
sei "das Ideal einer Dame von Welt."

Aber eines Tages sah Marina etwas, was sie so betrübt machte, daß sie es
gar nicht wieder vergessen konnte. Und doch -- und das war das sonderbarste


Die kleine Marina und ihr Gemahl

an allen Reliquienschreinen und allen wundertätigen Madonnenbildern. Jeden
Morgen, wenn die Sonne aufging, ließ die Herzogin eine Messe in der kleinen
Kapelle im Kloster der Feuillcmten lesen, die sie zu besuchen pflegte; ihre Tochter,
Dona Maria Leopoldina, fastete und las Gebete, bis es alles in ihrem Kopfe zu
einem Wirrwarr wurde, und sie kein Wort mehr von dem verstand, was sie sagte.
Und eines schonen Morgens fiel sie beim Rosenkranzabbeten pardauz, mit der
Stirn auf den steinernen Fußboden schlagend — zum erstenmal in ihrem Leben
ohnmächtig.

Da fand die Fürstin von Starhemberg doch, daß es für einen verständigen
Menschen an der Zeit sein könnte, sich ins Mittel zu legen. Die fromme Herzogin
fing auch selber an, ein wenig bedenklich zu werden. Freilich weigerte sie sich
noch immer, Marina nach Les DLlices zu senden, aber das junge Mädchen wurde
nicht mehr mitten in der Nacht geweckt, daß sie bei Sonnenaufgang die Messe
besuche. Statt dessen sprach ihre gewissenhafte Mutter die Gebete zweimal.

Der Oheim Emanuel ließ es sich angelegen sein, sie auf seinen Ausflügen
in die Umgegend von Paris mitzunehmen. Von ihm und Mademoiselle Leonie
eskortiert konnte die kleine Marquise jetzt endlich ihre Sehnsucht nach der „Straße
und dem Landwege" befriedigen; täglich machte sie weite Ausflüge zu Wagen und
zu Pferde und bekam viel zu sehen, was sie bisher noch nicht gesehen hatte.

In dieser Zeit nahm Salm sie oft mit zu seiner Freundin Madame de
Bouillon. Ihr Gatte, der alte Herzog, hielt sich größtenteils auf seinen Gütern
in Flandern auf, und die Herzogin Maria Hedwig wohnte allein in ihrem großen
Palais am Malaquaio-Quai. Sie war gleichmütig, liebenswürdig, gastfrei und
so vollkommen wohlerzogen, daß Maria niemals — obwohl sie darüber nach¬
zudenken pflegte — Klarheit erlangen konnte, ob sie sich über ihren Besuch mit
Manolito zusammen freue, oder ob sie es lieber gesehen hätte, wenn er allein ge¬
kommen wäre.

So süßen sie also, diese drei — der Prinz von Salm und seine liebe Freundin,
die kleine Marquise von El Viso zwischen sich — an den langen, warmen Juli¬
vormittagen in dem Boudoir der Herzogin und spielten Karten oder plauderten
oder belustigten sich mit dem, was ihnen gerade einfiel. Oft kamen auch noch
andre Gäste, und während sie sich an Kaffee und Schnupftabak delektierten, Szenen
aus Theaterstücken probierten und die neusten Witze zum besten gaben, schwatzten
sie über alles zwischen Himmel und Erde: über die Niederkunft der Königin, über
Voltaires Gesundheit, über den Krieg in Amerika, über das, was der englische
Gesandte Lord Stormout sagte, und was die Kaiserin Katharina oder der König
von Preußen meinten. Sie sprachen immer interessant, klar und gewandt über
alle Themata, auf die die Rede kam, und Marina, die neugierig und altklug dasaß
und zuhörte, befand sich allmählich sehr wohl in dieser Atmosphäre gleichgiltiger
und fieberhafter Neuigkeitskrämerei, Weltlichkeit und Verfeinerung.

Über das zu grübeln, worüber der Oheim und Maria Hedwig sprachen, wenn
sie allein waren, hatte sie nach Verlauf von ein paar Wochen fast vollständig auf¬
gegeben. Sie war jetzt weltgewandter geworden, und mit einer gewissen Resignation
acceptierte sie — so wie sie es alle andern tun sah — das Verhältnis zwischen
der Herzogin und ihrem lieben Manolito. Sie konnte das um so leichter tun, als
sie die Herzogin mehr und mehr als eine große, sehr sinnreich eingerichtete Puppe
zu betrachten lernte. Sie war immer so blauäugig, porzellanartig, lächelnd und
glich sich selber in dem Maße von einem Tage zum andern, daß die unberechen¬
bare und spekulative kleine Marina sie sich nie recht ernsthaft oder von irgend
etwas tief ergriffen vorstellen konnte — so wie zum Beispiel Mama es sein konnte.
Die Fürstin von Starhemberg, die ihre Freundin bewunderte, sagte von ihr, sie
sei „das Ideal einer Dame von Welt."

Aber eines Tages sah Marina etwas, was sie so betrübt machte, daß sie es
gar nicht wieder vergessen konnte. Und doch — und das war das sonderbarste


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[0233] Die kleine Marina und ihr Gemahl an allen Reliquienschreinen und allen wundertätigen Madonnenbildern. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, ließ die Herzogin eine Messe in der kleinen Kapelle im Kloster der Feuillcmten lesen, die sie zu besuchen pflegte; ihre Tochter, Dona Maria Leopoldina, fastete und las Gebete, bis es alles in ihrem Kopfe zu einem Wirrwarr wurde, und sie kein Wort mehr von dem verstand, was sie sagte. Und eines schonen Morgens fiel sie beim Rosenkranzabbeten pardauz, mit der Stirn auf den steinernen Fußboden schlagend — zum erstenmal in ihrem Leben ohnmächtig. Da fand die Fürstin von Starhemberg doch, daß es für einen verständigen Menschen an der Zeit sein könnte, sich ins Mittel zu legen. Die fromme Herzogin fing auch selber an, ein wenig bedenklich zu werden. Freilich weigerte sie sich noch immer, Marina nach Les DLlices zu senden, aber das junge Mädchen wurde nicht mehr mitten in der Nacht geweckt, daß sie bei Sonnenaufgang die Messe besuche. Statt dessen sprach ihre gewissenhafte Mutter die Gebete zweimal. Der Oheim Emanuel ließ es sich angelegen sein, sie auf seinen Ausflügen in die Umgegend von Paris mitzunehmen. Von ihm und Mademoiselle Leonie eskortiert konnte die kleine Marquise jetzt endlich ihre Sehnsucht nach der „Straße und dem Landwege" befriedigen; täglich machte sie weite Ausflüge zu Wagen und zu Pferde und bekam viel zu sehen, was sie bisher noch nicht gesehen hatte. In dieser Zeit nahm Salm sie oft mit zu seiner Freundin Madame de Bouillon. Ihr Gatte, der alte Herzog, hielt sich größtenteils auf seinen Gütern in Flandern auf, und die Herzogin Maria Hedwig wohnte allein in ihrem großen Palais am Malaquaio-Quai. Sie war gleichmütig, liebenswürdig, gastfrei und so vollkommen wohlerzogen, daß Maria niemals — obwohl sie darüber nach¬ zudenken pflegte — Klarheit erlangen konnte, ob sie sich über ihren Besuch mit Manolito zusammen freue, oder ob sie es lieber gesehen hätte, wenn er allein ge¬ kommen wäre. So süßen sie also, diese drei — der Prinz von Salm und seine liebe Freundin, die kleine Marquise von El Viso zwischen sich — an den langen, warmen Juli¬ vormittagen in dem Boudoir der Herzogin und spielten Karten oder plauderten oder belustigten sich mit dem, was ihnen gerade einfiel. Oft kamen auch noch andre Gäste, und während sie sich an Kaffee und Schnupftabak delektierten, Szenen aus Theaterstücken probierten und die neusten Witze zum besten gaben, schwatzten sie über alles zwischen Himmel und Erde: über die Niederkunft der Königin, über Voltaires Gesundheit, über den Krieg in Amerika, über das, was der englische Gesandte Lord Stormout sagte, und was die Kaiserin Katharina oder der König von Preußen meinten. Sie sprachen immer interessant, klar und gewandt über alle Themata, auf die die Rede kam, und Marina, die neugierig und altklug dasaß und zuhörte, befand sich allmählich sehr wohl in dieser Atmosphäre gleichgiltiger und fieberhafter Neuigkeitskrämerei, Weltlichkeit und Verfeinerung. Über das zu grübeln, worüber der Oheim und Maria Hedwig sprachen, wenn sie allein waren, hatte sie nach Verlauf von ein paar Wochen fast vollständig auf¬ gegeben. Sie war jetzt weltgewandter geworden, und mit einer gewissen Resignation acceptierte sie — so wie sie es alle andern tun sah — das Verhältnis zwischen der Herzogin und ihrem lieben Manolito. Sie konnte das um so leichter tun, als sie die Herzogin mehr und mehr als eine große, sehr sinnreich eingerichtete Puppe zu betrachten lernte. Sie war immer so blauäugig, porzellanartig, lächelnd und glich sich selber in dem Maße von einem Tage zum andern, daß die unberechen¬ bare und spekulative kleine Marina sie sich nie recht ernsthaft oder von irgend etwas tief ergriffen vorstellen konnte — so wie zum Beispiel Mama es sein konnte. Die Fürstin von Starhemberg, die ihre Freundin bewunderte, sagte von ihr, sie sei „das Ideal einer Dame von Welt." Aber eines Tages sah Marina etwas, was sie so betrübt machte, daß sie es gar nicht wieder vergessen konnte. Und doch — und das war das sonderbarste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/233>, abgerufen am 28.05.2024.