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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die kleine Marina und ihr Gemahl

In diesen Tagen war Marina mehr als sonst mit Frasquito zusammen, und
es schien, als empfinde er allmählich eine gewisse Befriedigung, fast eine Freude,
sie in seiner Nähe zu haben. Sie sprachen nicht viel miteinander. Er lag aus¬
gestreckt auf seinem Bett oder auf seinem langen Sofa, und sie saß neben ihm in
ihrem niedrigen Lehnstuhl mit einem Buch auf den Knien und las vor. Immer
Schauspiele -- von Moliere, Corneille, Ealderon oder Lope de Vega -- Bücher,
die Viera oder Cavanilles ihm in frühern Zeiten vorzulesen pflegten. Die Herzogin
hatte sich in der letzten Zeit oft über diesen sonderbaren "weltlichen" Geschmack
bei Frasquito gewundert, und sie sprach zuweilen mit ihrem Bruder davon.

Laß ihn doch tun, was er will, sagte Prinz Emanuel, als die Schwester
kam und sich beklagte. Das zerstreut ihn doch.

Er wollte es der gottesfürchtigen Dona Maria Anna nicht sagen, aber er
selber konnte so gut verstehn, was Frasquito in den Theaterbüchern suchte: es
war das Leben, das wogende, wechselnde, bunte Leben, nach dem er hier noch
einmal griff -- die Lust der Erde, die Weisheit und die Erfahrung der kämpfenden
und sehnenden Welt. Denn trotz der geheimnisvollen Krankheit, die ihn tötete,
raste in seiner zwanzigjährigen Seele ja noch der Jugend ewiger Hunger und
Durst nach -- nach -- Manolito fand nicht einmal in seinen eignen Gedanken
das richtige Wort; denn das Wort, das er suchte, war eine unaussprechliche
Mischung von "Dasein" und "Qual" und "Wissen" und "Jubel" -- ein Wort,
das er selber nie gehört hatte, und das es noch in keiner Sprache gab. . . . ^

Er ballte die starken Hände, streckte sie hoch über den Kopf in die Höhe
und seufzte.

Marina las gut vor -- es machte auch ihr Vergnügen, und sie lachte laut,
wenn eine amüsante Stelle kam. Da war auch vielerlei, worüber sie grübeln und
später nachdenken konnte. Sie war geduldig und konnte oft mehrere Stunden
ausharren -- jetzt waren ja auch nur noch wenig Tage, und dann sollte der arme
Frasquito reisen.

Santa Cruz saß da und sah die Schwiegertochter an der Seite des Sohnes
an, bis ihm Tränen in die Augen traten. Er sprach oft ernsthaft unter vier Angell
mit Dona Maria Anna über Maricas Reise -- überzeugend und flehend. Sie
saß mit niedergeschlagnen Augen und zusammengeknisfnen Lippen da -- unerbittlich.
Schließlich gab er es auf, beschied sich und kaufte als Abschiedsgeschenk ein pracht¬
volles Perlenhalsband für seine Schwiegertochter.

Und dann kam endlich der Tag des Abschieds und der Trennung. Frasquito
saß schon in dem eigens für ihn gekauften Reisewagen, und neben ihm saß seine
kleine Gemahlin, die unter Eskorte ihres Oheims, des Prinzen Emanuel, und ihrer
getreuen Kammerfrau ihren Mann bis Fontainebleau begleiten sollte. Die Herzogin
von Jnfantado hatte nicht so viel Kräfte, daß sie ihnen hätte Gesellschaft leisten
können. Jetzt, wo die Verantwortung für den kranken Schwiegersohn endlich von
ihren Schultern genommen war, fühlte sie erst so recht, wie schwer sie sie bedrückt
hatte. Durch Angst, Nachtwachen, Gebete und Fasten -- vielleicht auch infolge von
Gewissensbissen über das, was sie in ihrem innersten Herzen für unchristliche Härte
und egoistische Liebe zu ihrem eignen Fleisch und Blut hielt -- war sie jetzt an
diesem letzten, schweren Tage so mitgenommen und überanstrengt, daß sie sich kaum
aufrecht zu halten vermochte.

Lebt wohl! sagte Don Francisco und beugte sich noch einmal aus dem Wagen.
Sein Blick verweilte bei seinen kleinen, muntern, lebhaften Schwägern, die zu beiden
Seiten des Wagens standen, bei dem guten Cavanilles, der dastand und in sein
großes Taschentuch weinte, und bei der blassen Dona Maria Anna, die in diesem
Angenblick bestimmt wußte, daß sie sein Antlitz zum letztenmal sah. Der Pförtner
und ein Diener schlugen die schweren eisernen Gitter auf. Draußen auf der Straße
zog der Menschenstrom ununterbrochen vorüber -- zu Wagen und zu Fuß. Ein
Mann rief einmal über das andre sich überanstrengend mit lauter, verschriener


Die kleine Marina und ihr Gemahl

In diesen Tagen war Marina mehr als sonst mit Frasquito zusammen, und
es schien, als empfinde er allmählich eine gewisse Befriedigung, fast eine Freude,
sie in seiner Nähe zu haben. Sie sprachen nicht viel miteinander. Er lag aus¬
gestreckt auf seinem Bett oder auf seinem langen Sofa, und sie saß neben ihm in
ihrem niedrigen Lehnstuhl mit einem Buch auf den Knien und las vor. Immer
Schauspiele — von Moliere, Corneille, Ealderon oder Lope de Vega — Bücher,
die Viera oder Cavanilles ihm in frühern Zeiten vorzulesen pflegten. Die Herzogin
hatte sich in der letzten Zeit oft über diesen sonderbaren „weltlichen" Geschmack
bei Frasquito gewundert, und sie sprach zuweilen mit ihrem Bruder davon.

Laß ihn doch tun, was er will, sagte Prinz Emanuel, als die Schwester
kam und sich beklagte. Das zerstreut ihn doch.

Er wollte es der gottesfürchtigen Dona Maria Anna nicht sagen, aber er
selber konnte so gut verstehn, was Frasquito in den Theaterbüchern suchte: es
war das Leben, das wogende, wechselnde, bunte Leben, nach dem er hier noch
einmal griff — die Lust der Erde, die Weisheit und die Erfahrung der kämpfenden
und sehnenden Welt. Denn trotz der geheimnisvollen Krankheit, die ihn tötete,
raste in seiner zwanzigjährigen Seele ja noch der Jugend ewiger Hunger und
Durst nach — nach — Manolito fand nicht einmal in seinen eignen Gedanken
das richtige Wort; denn das Wort, das er suchte, war eine unaussprechliche
Mischung von „Dasein" und „Qual" und „Wissen" und „Jubel" — ein Wort,
das er selber nie gehört hatte, und das es noch in keiner Sprache gab. . . . ^

Er ballte die starken Hände, streckte sie hoch über den Kopf in die Höhe
und seufzte.

Marina las gut vor — es machte auch ihr Vergnügen, und sie lachte laut,
wenn eine amüsante Stelle kam. Da war auch vielerlei, worüber sie grübeln und
später nachdenken konnte. Sie war geduldig und konnte oft mehrere Stunden
ausharren — jetzt waren ja auch nur noch wenig Tage, und dann sollte der arme
Frasquito reisen.

Santa Cruz saß da und sah die Schwiegertochter an der Seite des Sohnes
an, bis ihm Tränen in die Augen traten. Er sprach oft ernsthaft unter vier Angell
mit Dona Maria Anna über Maricas Reise — überzeugend und flehend. Sie
saß mit niedergeschlagnen Augen und zusammengeknisfnen Lippen da — unerbittlich.
Schließlich gab er es auf, beschied sich und kaufte als Abschiedsgeschenk ein pracht¬
volles Perlenhalsband für seine Schwiegertochter.

Und dann kam endlich der Tag des Abschieds und der Trennung. Frasquito
saß schon in dem eigens für ihn gekauften Reisewagen, und neben ihm saß seine
kleine Gemahlin, die unter Eskorte ihres Oheims, des Prinzen Emanuel, und ihrer
getreuen Kammerfrau ihren Mann bis Fontainebleau begleiten sollte. Die Herzogin
von Jnfantado hatte nicht so viel Kräfte, daß sie ihnen hätte Gesellschaft leisten
können. Jetzt, wo die Verantwortung für den kranken Schwiegersohn endlich von
ihren Schultern genommen war, fühlte sie erst so recht, wie schwer sie sie bedrückt
hatte. Durch Angst, Nachtwachen, Gebete und Fasten — vielleicht auch infolge von
Gewissensbissen über das, was sie in ihrem innersten Herzen für unchristliche Härte
und egoistische Liebe zu ihrem eignen Fleisch und Blut hielt — war sie jetzt an
diesem letzten, schweren Tage so mitgenommen und überanstrengt, daß sie sich kaum
aufrecht zu halten vermochte.

Lebt wohl! sagte Don Francisco und beugte sich noch einmal aus dem Wagen.
Sein Blick verweilte bei seinen kleinen, muntern, lebhaften Schwägern, die zu beiden
Seiten des Wagens standen, bei dem guten Cavanilles, der dastand und in sein
großes Taschentuch weinte, und bei der blassen Dona Maria Anna, die in diesem
Angenblick bestimmt wußte, daß sie sein Antlitz zum letztenmal sah. Der Pförtner
und ein Diener schlugen die schweren eisernen Gitter auf. Draußen auf der Straße
zog der Menschenstrom ununterbrochen vorüber — zu Wagen und zu Fuß. Ein
Mann rief einmal über das andre sich überanstrengend mit lauter, verschriener


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[0239] Die kleine Marina und ihr Gemahl In diesen Tagen war Marina mehr als sonst mit Frasquito zusammen, und es schien, als empfinde er allmählich eine gewisse Befriedigung, fast eine Freude, sie in seiner Nähe zu haben. Sie sprachen nicht viel miteinander. Er lag aus¬ gestreckt auf seinem Bett oder auf seinem langen Sofa, und sie saß neben ihm in ihrem niedrigen Lehnstuhl mit einem Buch auf den Knien und las vor. Immer Schauspiele — von Moliere, Corneille, Ealderon oder Lope de Vega — Bücher, die Viera oder Cavanilles ihm in frühern Zeiten vorzulesen pflegten. Die Herzogin hatte sich in der letzten Zeit oft über diesen sonderbaren „weltlichen" Geschmack bei Frasquito gewundert, und sie sprach zuweilen mit ihrem Bruder davon. Laß ihn doch tun, was er will, sagte Prinz Emanuel, als die Schwester kam und sich beklagte. Das zerstreut ihn doch. Er wollte es der gottesfürchtigen Dona Maria Anna nicht sagen, aber er selber konnte so gut verstehn, was Frasquito in den Theaterbüchern suchte: es war das Leben, das wogende, wechselnde, bunte Leben, nach dem er hier noch einmal griff — die Lust der Erde, die Weisheit und die Erfahrung der kämpfenden und sehnenden Welt. Denn trotz der geheimnisvollen Krankheit, die ihn tötete, raste in seiner zwanzigjährigen Seele ja noch der Jugend ewiger Hunger und Durst nach — nach — Manolito fand nicht einmal in seinen eignen Gedanken das richtige Wort; denn das Wort, das er suchte, war eine unaussprechliche Mischung von „Dasein" und „Qual" und „Wissen" und „Jubel" — ein Wort, das er selber nie gehört hatte, und das es noch in keiner Sprache gab. . . . ^ Er ballte die starken Hände, streckte sie hoch über den Kopf in die Höhe und seufzte. Marina las gut vor — es machte auch ihr Vergnügen, und sie lachte laut, wenn eine amüsante Stelle kam. Da war auch vielerlei, worüber sie grübeln und später nachdenken konnte. Sie war geduldig und konnte oft mehrere Stunden ausharren — jetzt waren ja auch nur noch wenig Tage, und dann sollte der arme Frasquito reisen. Santa Cruz saß da und sah die Schwiegertochter an der Seite des Sohnes an, bis ihm Tränen in die Augen traten. Er sprach oft ernsthaft unter vier Angell mit Dona Maria Anna über Maricas Reise — überzeugend und flehend. Sie saß mit niedergeschlagnen Augen und zusammengeknisfnen Lippen da — unerbittlich. Schließlich gab er es auf, beschied sich und kaufte als Abschiedsgeschenk ein pracht¬ volles Perlenhalsband für seine Schwiegertochter. Und dann kam endlich der Tag des Abschieds und der Trennung. Frasquito saß schon in dem eigens für ihn gekauften Reisewagen, und neben ihm saß seine kleine Gemahlin, die unter Eskorte ihres Oheims, des Prinzen Emanuel, und ihrer getreuen Kammerfrau ihren Mann bis Fontainebleau begleiten sollte. Die Herzogin von Jnfantado hatte nicht so viel Kräfte, daß sie ihnen hätte Gesellschaft leisten können. Jetzt, wo die Verantwortung für den kranken Schwiegersohn endlich von ihren Schultern genommen war, fühlte sie erst so recht, wie schwer sie sie bedrückt hatte. Durch Angst, Nachtwachen, Gebete und Fasten — vielleicht auch infolge von Gewissensbissen über das, was sie in ihrem innersten Herzen für unchristliche Härte und egoistische Liebe zu ihrem eignen Fleisch und Blut hielt — war sie jetzt an diesem letzten, schweren Tage so mitgenommen und überanstrengt, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte. Lebt wohl! sagte Don Francisco und beugte sich noch einmal aus dem Wagen. Sein Blick verweilte bei seinen kleinen, muntern, lebhaften Schwägern, die zu beiden Seiten des Wagens standen, bei dem guten Cavanilles, der dastand und in sein großes Taschentuch weinte, und bei der blassen Dona Maria Anna, die in diesem Angenblick bestimmt wußte, daß sie sein Antlitz zum letztenmal sah. Der Pförtner und ein Diener schlugen die schweren eisernen Gitter auf. Draußen auf der Straße zog der Menschenstrom ununterbrochen vorüber — zu Wagen und zu Fuß. Ein Mann rief einmal über das andre sich überanstrengend mit lauter, verschriener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/239>, abgerufen am 23.05.2024.