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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Im Lande der tausend Seen

abend gesessen und den seltsamen Schiffskarawanen mit den Augen gefolgt
sind, die durch eine lange Kette verbunden von einem kleinen Bugsierdampfer
langsam dahingeschleppt werden, bis sie sich wie eine schwarze Schlange in
dem Labyrinth von Inseln und Jnselchen verlieren. Dort das im blauen
Duft verschwimmende ferne Eiland ist Toosi-Saari, das Ziel mancher abend¬
lichen Bootfahrt. Die "weise Helga," eine wetterfeste Bäuerin, die furchtlos
ganz allein auf dieser einsamen Insel hauste, hatte es uns angetan.*) Vom
jenseitigen Seeufer schaut der verwitterte Granitkoloß des Mamurafelsens zu
uns herüber. Ein hübscher Waldweg führt dahin, vorbei an der "Ferne,"
wo wir so oft Milch getrunken und uns in Theas freundlichem Stübchen
ausgeruht hatten auf dem gedrechselten Schaukelstühle, der in keinem finnischen
Bauernhause fehlt, so wenig wie auf dem Bett die bunte finnische Flicker¬
decke. -- Seltsam ist es, welche Vorliebe der Finnländer für das Schaukeln
hat! In dem weltfernsten Baucrngärtchen wie auf den elegantesten städtischen
Promenaden sieht man die langen elastischen Schaukelbänke immer besetzt von
einer lustig auf und nieder wippenden Gesellschaft, die sich, oft einander wild¬
fremd, bei diesem harmlosen Vergnügen zusammengefunden haben.

Jenseits der Posthalterei zeigt sich das dem bekannten finnischen Naphtha-
quellenbesitzer und Petroleumkönig gehörende stattliche Herrenhaus. Es liegt
schon oberhalb der großen Schleuse, um die sich der ganze kleine Ort gruppiert.
Der Saimakanal hat hier, unterhalb Lauritscilas, eine seiner schönsten Partien,
er läuft längs einer außerordentlich hohen Granitwand hin und ist teilweise in
den Felsen eingesprengt. Es gibt wohl kaum einen zweiten Ort in Finnland,
der so viele schöne, leicht erreichbare Spaziergünge böte wie Lauritsala.
Deshalb ist die Pension des Hotels salina auch immer besetzt, und zwar
ausschließlich von Angehörigen des Petersburger Literatenstandes, die hier,
am grünen Saimastrand, weitab vom Getriebe des großen Weltverkehrs, Er¬
holung suchen für Körper und Geist. Ein Zufall hatte uns vor beinahe zwei
Jahrzehnten in diesen Kreis geführt, und wir verdanken diesem Zusammen¬
leben unvergeßlich schöne anregende Stunden. . . . Was war aus der heitern
Tafelrunde geworden, die sich damals hier zusammengefunden hatte? Darunter
Gestalten von markiger Urkraft und körniger Originalität, Menschen, wie
sie uns Wischers unvergleichliches Buch "Auch Einer" schildert. ... In geistige
Nacht versunken die einen, unter dem grünen Rasen die andern -- in un¬
bekannte Fernen gezogen die wenigen, die das Schicksal gnädig verschonte. --
Nicht einen der alten Stammgäste fanden wir wieder, und es schien uns,
als ob das einst so freundlich einladende Lauritsala ein ganz neues, fremdes
Gepräge dadurch erhalten hätte. Unser bisher so ungetrübter fröhlicher Reise¬
mut war wie weggeblasen, und still, jeder den angeregten trüben Gedanken
nachhängend, kehrten wir nach Willmannsstrand und von da mit dem Nachtzug
nach Wiborg zurück.





Vgl. meine Novelle "Helgaland" (Sartorius, Moderne Novellen, 1890).
Im Lande der tausend Seen

abend gesessen und den seltsamen Schiffskarawanen mit den Augen gefolgt
sind, die durch eine lange Kette verbunden von einem kleinen Bugsierdampfer
langsam dahingeschleppt werden, bis sie sich wie eine schwarze Schlange in
dem Labyrinth von Inseln und Jnselchen verlieren. Dort das im blauen
Duft verschwimmende ferne Eiland ist Toosi-Saari, das Ziel mancher abend¬
lichen Bootfahrt. Die „weise Helga," eine wetterfeste Bäuerin, die furchtlos
ganz allein auf dieser einsamen Insel hauste, hatte es uns angetan.*) Vom
jenseitigen Seeufer schaut der verwitterte Granitkoloß des Mamurafelsens zu
uns herüber. Ein hübscher Waldweg führt dahin, vorbei an der „Ferne,"
wo wir so oft Milch getrunken und uns in Theas freundlichem Stübchen
ausgeruht hatten auf dem gedrechselten Schaukelstühle, der in keinem finnischen
Bauernhause fehlt, so wenig wie auf dem Bett die bunte finnische Flicker¬
decke. — Seltsam ist es, welche Vorliebe der Finnländer für das Schaukeln
hat! In dem weltfernsten Baucrngärtchen wie auf den elegantesten städtischen
Promenaden sieht man die langen elastischen Schaukelbänke immer besetzt von
einer lustig auf und nieder wippenden Gesellschaft, die sich, oft einander wild¬
fremd, bei diesem harmlosen Vergnügen zusammengefunden haben.

Jenseits der Posthalterei zeigt sich das dem bekannten finnischen Naphtha-
quellenbesitzer und Petroleumkönig gehörende stattliche Herrenhaus. Es liegt
schon oberhalb der großen Schleuse, um die sich der ganze kleine Ort gruppiert.
Der Saimakanal hat hier, unterhalb Lauritscilas, eine seiner schönsten Partien,
er läuft längs einer außerordentlich hohen Granitwand hin und ist teilweise in
den Felsen eingesprengt. Es gibt wohl kaum einen zweiten Ort in Finnland,
der so viele schöne, leicht erreichbare Spaziergünge böte wie Lauritsala.
Deshalb ist die Pension des Hotels salina auch immer besetzt, und zwar
ausschließlich von Angehörigen des Petersburger Literatenstandes, die hier,
am grünen Saimastrand, weitab vom Getriebe des großen Weltverkehrs, Er¬
holung suchen für Körper und Geist. Ein Zufall hatte uns vor beinahe zwei
Jahrzehnten in diesen Kreis geführt, und wir verdanken diesem Zusammen¬
leben unvergeßlich schöne anregende Stunden. . . . Was war aus der heitern
Tafelrunde geworden, die sich damals hier zusammengefunden hatte? Darunter
Gestalten von markiger Urkraft und körniger Originalität, Menschen, wie
sie uns Wischers unvergleichliches Buch „Auch Einer" schildert. ... In geistige
Nacht versunken die einen, unter dem grünen Rasen die andern — in un¬
bekannte Fernen gezogen die wenigen, die das Schicksal gnädig verschonte. —
Nicht einen der alten Stammgäste fanden wir wieder, und es schien uns,
als ob das einst so freundlich einladende Lauritsala ein ganz neues, fremdes
Gepräge dadurch erhalten hätte. Unser bisher so ungetrübter fröhlicher Reise¬
mut war wie weggeblasen, und still, jeder den angeregten trüben Gedanken
nachhängend, kehrten wir nach Willmannsstrand und von da mit dem Nachtzug
nach Wiborg zurück.





Vgl. meine Novelle „Helgaland" (Sartorius, Moderne Novellen, 1890).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/350>, abgerufen am 13.05.2024.