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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

Haupt) Eingang gefunden hat, daß aber auch umgekehrt mancher studentische Kunst¬
ausdruck von den Gaunern aufgenommen ist. Denn unrichtig ist die Behauptung
Api-Lallemants, daß sich im Rotwelsch gar kein wirkliches, echtes Studeutenwort
finde. Nur begegnet man solchen Vokabeln allerdings meist erst in den Wörter¬
sammlungen aus neuerer Zeit. So läßt sich die bekannte Bezeichnung "Schwager"
für Postillon (die später auch in unsre Gemeinsprache überging) schon am Ende,
"Manichäer" für Gläubiger (mit Anklang an "mahnen") sogar schon zu Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts als studentisch nachweisen, während bei den Gaunern
das erste dieser Wörter im Jahre 1820, das zweite erst 1847 zum erstenmal vor¬
kommt. Auch Linsen (ursprünglich "christliche Linsen") für Geld, Pech für Unglück,
Stoff für Bier (dem wohl auch der "Elementensärber" für Bierbrauer entspricht),
Pechhengst für den Schuster, Polypee (neben Poliquetsch, Polente u. a.) für die
Polizei, den Polizisten (studentisch: Polyp) sind sämtlich Ausdrücke des neuern Rot¬
welsch und in dieses zum Teil wohl überhaupt erst durch Vermittlung der Kunstsprache
der wandernden (sich auf der "Walze" befindenden) und "fechtenden" Handwerks¬
burschen oder sonstigen Vagabunden eingedrungen. Diese sogenannte "Kundensprache"
selbst ist endlich so nahe mit der Gaunersprache verwandt, daß man sie als eine
Art jüngern Sproß von ihr bezeichnen kann. Man darf sie zwar nicht, wie es wohl
geschehen ist, ohne weiteres dein Rotwelsch gleichstellen, ebensowenig aber auch als
etwas gänzlich davon Verschiednes betrachten; denn zwischen beiden Spracharten hat
ein fortwährendes Hinüber- und Herüberwogen stattgefunden, und wir würden ihre
großen Ähnlichkeiten einerseits, ihre Unterschiede andrerseits noch viel deutlicher er¬
kennen, wenn uns über die Kundensprache ein annähernd so reichhaltiges Literatur¬
material zur Verfügung stünde wie über das Rotwelsch der Gauner. Leider aber
fließen dafür die Quellen, die sämtlich erst aus neuerer Zeit stammen, nur sehr
spärlich.

Mit der Aufnahme von Archaismen, mundartlichen Formen und Ausdrücken
aus den Standessprachen sind die Besonderheiten der deutschen Bestandteile im
Rotwelsch noch keineswegs erschöpft; die Gauner haben vielmehr auf diesem
Gebiet auch selbständige Neubildungen geliefert. Dabei kann es nun eigentlich
nicht sonderlich befremden, daß sie, der Mehrzahl nach doch Leute aus den niedern
Volksschichten, nicht selten neue Wortformen nach Art der Kinder und der Natur¬
völker geschaffen haben, indem sie nämlich Tiere oder Gegenstände nach den an
ihnen mit dem Ohre wahrgenommnen Tönen bezeichneten (Lautmalerei, Onoma-
topöie). Wenn freilich Lombroso diese Tatsache sür den Nachweis einer Art von Atavis¬
mus bei den "gebornen Verbrechern" auszubeuten versucht hat, so geht das natürlich
viel zu weit, da sich bekanntlich auch die gebildeten Erwachsenen in ihrer Rede¬
weise gar nicht ungern solcher schallnachahmender oder onomatopoetischer Ausdrücke
bedienen; man denke z. B. an den "Wauwau" in übertragnem Sinne, etwa für einen
brummigen und "bissigen" Vorgesetzten, an das "Tam-Tam," das "Tingeltangel"
für Lecks edautÄnt, das "ori-cri" der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und
das neueste, sofort sehr beliebt gewordne "Töff-Töff" für das Automobil; ja manche
auf diese Weise gebildeten Tiernamen (wie Kuckuck, Uhu, Glucke) sind sogar in unsre
Schriftsprache ausgenommen worden. Im Rotwelsch gibt u. a. das mit dem "Tik-
Tak" der Kindersprache übereinstimmende Wort Tick (oder Tickert) für die Uhr
recht anschaulich den Schlag des Pendels wieder (daher auch übereinstimmend bei
den italienischen Gaunern "tlo" und bei den dänischen "liccksi't"), während die Glocke
nach ihre" Tönen beim Läuten "Bimbam" (oder "Bim") heißt, und daher "den
Bim(dazu) überrutschen" soviel bedeutet wie das Geläute der Hausschelle beim Ein¬
tritt in ein Haus vorsichtigerweise abstellen. Von dem Gänsegeschnatter rührt
offenbar "Gickes-Gackes" für albernes Gerede her, woraus dann zunächst das
gaunerische, halbjüdische 1c> ZiM", lo xaM" für "nichts (weder dies noch das)
anfangen können," dann aber auch wohl die allgemein bekannte Phrase "weder
Gix noch Gax (Kiels noch Kath) von etwas wissen" entstanden ist. Nach dem Klänge


Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

Haupt) Eingang gefunden hat, daß aber auch umgekehrt mancher studentische Kunst¬
ausdruck von den Gaunern aufgenommen ist. Denn unrichtig ist die Behauptung
Api-Lallemants, daß sich im Rotwelsch gar kein wirkliches, echtes Studeutenwort
finde. Nur begegnet man solchen Vokabeln allerdings meist erst in den Wörter¬
sammlungen aus neuerer Zeit. So läßt sich die bekannte Bezeichnung „Schwager"
für Postillon (die später auch in unsre Gemeinsprache überging) schon am Ende,
„Manichäer" für Gläubiger (mit Anklang an „mahnen") sogar schon zu Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts als studentisch nachweisen, während bei den Gaunern
das erste dieser Wörter im Jahre 1820, das zweite erst 1847 zum erstenmal vor¬
kommt. Auch Linsen (ursprünglich „christliche Linsen") für Geld, Pech für Unglück,
Stoff für Bier (dem wohl auch der „Elementensärber" für Bierbrauer entspricht),
Pechhengst für den Schuster, Polypee (neben Poliquetsch, Polente u. a.) für die
Polizei, den Polizisten (studentisch: Polyp) sind sämtlich Ausdrücke des neuern Rot¬
welsch und in dieses zum Teil wohl überhaupt erst durch Vermittlung der Kunstsprache
der wandernden (sich auf der „Walze" befindenden) und „fechtenden" Handwerks¬
burschen oder sonstigen Vagabunden eingedrungen. Diese sogenannte „Kundensprache"
selbst ist endlich so nahe mit der Gaunersprache verwandt, daß man sie als eine
Art jüngern Sproß von ihr bezeichnen kann. Man darf sie zwar nicht, wie es wohl
geschehen ist, ohne weiteres dein Rotwelsch gleichstellen, ebensowenig aber auch als
etwas gänzlich davon Verschiednes betrachten; denn zwischen beiden Spracharten hat
ein fortwährendes Hinüber- und Herüberwogen stattgefunden, und wir würden ihre
großen Ähnlichkeiten einerseits, ihre Unterschiede andrerseits noch viel deutlicher er¬
kennen, wenn uns über die Kundensprache ein annähernd so reichhaltiges Literatur¬
material zur Verfügung stünde wie über das Rotwelsch der Gauner. Leider aber
fließen dafür die Quellen, die sämtlich erst aus neuerer Zeit stammen, nur sehr
spärlich.

Mit der Aufnahme von Archaismen, mundartlichen Formen und Ausdrücken
aus den Standessprachen sind die Besonderheiten der deutschen Bestandteile im
Rotwelsch noch keineswegs erschöpft; die Gauner haben vielmehr auf diesem
Gebiet auch selbständige Neubildungen geliefert. Dabei kann es nun eigentlich
nicht sonderlich befremden, daß sie, der Mehrzahl nach doch Leute aus den niedern
Volksschichten, nicht selten neue Wortformen nach Art der Kinder und der Natur¬
völker geschaffen haben, indem sie nämlich Tiere oder Gegenstände nach den an
ihnen mit dem Ohre wahrgenommnen Tönen bezeichneten (Lautmalerei, Onoma-
topöie). Wenn freilich Lombroso diese Tatsache sür den Nachweis einer Art von Atavis¬
mus bei den „gebornen Verbrechern" auszubeuten versucht hat, so geht das natürlich
viel zu weit, da sich bekanntlich auch die gebildeten Erwachsenen in ihrer Rede¬
weise gar nicht ungern solcher schallnachahmender oder onomatopoetischer Ausdrücke
bedienen; man denke z. B. an den „Wauwau" in übertragnem Sinne, etwa für einen
brummigen und „bissigen" Vorgesetzten, an das „Tam-Tam," das „Tingeltangel"
für Lecks edautÄnt, das „ori-cri" der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und
das neueste, sofort sehr beliebt gewordne „Töff-Töff" für das Automobil; ja manche
auf diese Weise gebildeten Tiernamen (wie Kuckuck, Uhu, Glucke) sind sogar in unsre
Schriftsprache ausgenommen worden. Im Rotwelsch gibt u. a. das mit dem „Tik-
Tak" der Kindersprache übereinstimmende Wort Tick (oder Tickert) für die Uhr
recht anschaulich den Schlag des Pendels wieder (daher auch übereinstimmend bei
den italienischen Gaunern „tlo" und bei den dänischen „liccksi't"), während die Glocke
nach ihre» Tönen beim Läuten „Bimbam" (oder „Bim") heißt, und daher „den
Bim(dazu) überrutschen" soviel bedeutet wie das Geläute der Hausschelle beim Ein¬
tritt in ein Haus vorsichtigerweise abstellen. Von dem Gänsegeschnatter rührt
offenbar „Gickes-Gackes" für albernes Gerede her, woraus dann zunächst das
gaunerische, halbjüdische 1c> ZiM«, lo xaM« für „nichts (weder dies noch das)
anfangen können," dann aber auch wohl die allgemein bekannte Phrase „weder
Gix noch Gax (Kiels noch Kath) von etwas wissen" entstanden ist. Nach dem Klänge


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[0353] Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners Haupt) Eingang gefunden hat, daß aber auch umgekehrt mancher studentische Kunst¬ ausdruck von den Gaunern aufgenommen ist. Denn unrichtig ist die Behauptung Api-Lallemants, daß sich im Rotwelsch gar kein wirkliches, echtes Studeutenwort finde. Nur begegnet man solchen Vokabeln allerdings meist erst in den Wörter¬ sammlungen aus neuerer Zeit. So läßt sich die bekannte Bezeichnung „Schwager" für Postillon (die später auch in unsre Gemeinsprache überging) schon am Ende, „Manichäer" für Gläubiger (mit Anklang an „mahnen") sogar schon zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts als studentisch nachweisen, während bei den Gaunern das erste dieser Wörter im Jahre 1820, das zweite erst 1847 zum erstenmal vor¬ kommt. Auch Linsen (ursprünglich „christliche Linsen") für Geld, Pech für Unglück, Stoff für Bier (dem wohl auch der „Elementensärber" für Bierbrauer entspricht), Pechhengst für den Schuster, Polypee (neben Poliquetsch, Polente u. a.) für die Polizei, den Polizisten (studentisch: Polyp) sind sämtlich Ausdrücke des neuern Rot¬ welsch und in dieses zum Teil wohl überhaupt erst durch Vermittlung der Kunstsprache der wandernden (sich auf der „Walze" befindenden) und „fechtenden" Handwerks¬ burschen oder sonstigen Vagabunden eingedrungen. Diese sogenannte „Kundensprache" selbst ist endlich so nahe mit der Gaunersprache verwandt, daß man sie als eine Art jüngern Sproß von ihr bezeichnen kann. Man darf sie zwar nicht, wie es wohl geschehen ist, ohne weiteres dein Rotwelsch gleichstellen, ebensowenig aber auch als etwas gänzlich davon Verschiednes betrachten; denn zwischen beiden Spracharten hat ein fortwährendes Hinüber- und Herüberwogen stattgefunden, und wir würden ihre großen Ähnlichkeiten einerseits, ihre Unterschiede andrerseits noch viel deutlicher er¬ kennen, wenn uns über die Kundensprache ein annähernd so reichhaltiges Literatur¬ material zur Verfügung stünde wie über das Rotwelsch der Gauner. Leider aber fließen dafür die Quellen, die sämtlich erst aus neuerer Zeit stammen, nur sehr spärlich. Mit der Aufnahme von Archaismen, mundartlichen Formen und Ausdrücken aus den Standessprachen sind die Besonderheiten der deutschen Bestandteile im Rotwelsch noch keineswegs erschöpft; die Gauner haben vielmehr auf diesem Gebiet auch selbständige Neubildungen geliefert. Dabei kann es nun eigentlich nicht sonderlich befremden, daß sie, der Mehrzahl nach doch Leute aus den niedern Volksschichten, nicht selten neue Wortformen nach Art der Kinder und der Natur¬ völker geschaffen haben, indem sie nämlich Tiere oder Gegenstände nach den an ihnen mit dem Ohre wahrgenommnen Tönen bezeichneten (Lautmalerei, Onoma- topöie). Wenn freilich Lombroso diese Tatsache sür den Nachweis einer Art von Atavis¬ mus bei den „gebornen Verbrechern" auszubeuten versucht hat, so geht das natürlich viel zu weit, da sich bekanntlich auch die gebildeten Erwachsenen in ihrer Rede¬ weise gar nicht ungern solcher schallnachahmender oder onomatopoetischer Ausdrücke bedienen; man denke z. B. an den „Wauwau" in übertragnem Sinne, etwa für einen brummigen und „bissigen" Vorgesetzten, an das „Tam-Tam," das „Tingeltangel" für Lecks edautÄnt, das „ori-cri" der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und das neueste, sofort sehr beliebt gewordne „Töff-Töff" für das Automobil; ja manche auf diese Weise gebildeten Tiernamen (wie Kuckuck, Uhu, Glucke) sind sogar in unsre Schriftsprache ausgenommen worden. Im Rotwelsch gibt u. a. das mit dem „Tik- Tak" der Kindersprache übereinstimmende Wort Tick (oder Tickert) für die Uhr recht anschaulich den Schlag des Pendels wieder (daher auch übereinstimmend bei den italienischen Gaunern „tlo" und bei den dänischen „liccksi't"), während die Glocke nach ihre» Tönen beim Läuten „Bimbam" (oder „Bim") heißt, und daher „den Bim(dazu) überrutschen" soviel bedeutet wie das Geläute der Hausschelle beim Ein¬ tritt in ein Haus vorsichtigerweise abstellen. Von dem Gänsegeschnatter rührt offenbar „Gickes-Gackes" für albernes Gerede her, woraus dann zunächst das gaunerische, halbjüdische 1c> ZiM«, lo xaM« für „nichts (weder dies noch das) anfangen können," dann aber auch wohl die allgemein bekannte Phrase „weder Gix noch Gax (Kiels noch Kath) von etwas wissen" entstanden ist. Nach dem Klänge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/353>, abgerufen am 12.05.2024.