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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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pas "Rotwelsch" des deutschen Gauners

gewandte und listige Polizist (Stadtknecht. Büttel), der Teckel, d. h. der Gendarm,
der, um seinem Berufe gerecht zu werden -- mit den "Fliegenden Blättern" zu
reden --, ebenfalls "schlau wie ein Dackel" sein muß, die Eule, d. h. der wie dieser
Vogel die Nacht zum Tage machende Nachtwächter, der Krebs, der (in der Kunden¬
sprache) den Seiler bedeutet, weil er sich bei der Ausübung seines Handwerks rückwärts
zu bewegen pflegt (vgl. ferner Mücke, Spion. Rabe, junger Gauner, Äffchen, u. c>,
junger, unerfahrner Handwerksbursche). Viel zahlreicher sind noch die mit Tier¬
namen gebildeten Zusammensetzungen, die teils wirklich in der Natur vorhandnen
Geschöpfen entsprechen (wie Holzwurm, der Schreiner, Taschenkrebs, der Taschen¬
dieb, Wasserratte, der Schiffsdieb), teilweise jedoch als bloße gaunerische Phantasie¬
gebilde erscheinen; so das anscheinend halbjüdische Zehkemkatze, der Verräter (vgl.
unsre "falsche Katze"), Nachtschwalbe, der Nachtdieb, Dreckschwalbe, der Maurer
oder Maler, Teigaffe, der Bäcker, Pechhengst, der Schuster, Scherbling¬
hengst, der Glaser, Kleisterhengst, der Buchbinder, Hobelhengst, der Tischler.
Am reichsten aber ist das Hasenvolk vertreten: mit Sandhase, Soldat (Infanterist),
Dachhase, Dachdecker. Kohlhase. Gärtner, Koruhase, obdachloser Vagabund,
der im Kornfeld übernachtet. Spinnhase, Feigling. Sogar einzelne Zeitwörter
für gewisse menschliche Tätigkeiten hat man von Tieren hergeleitet. Wie wir jemand
etwas "abluchsen," uns "fuchsen" (ärgern) oder "mopsen" (langweilen) können, wie
der Student aufs Examen zu "büffeln" oder zu "ochsen" Pflegt, so versteh" unsre
Vagabunden zu "eisbären" (viel Geld zusammenzubetteln), wenn aber die Polizei
naht, "Hasen zu machen" (wegzulaufen) oder zu "tigem," d. h. große Strecken
schnell (gleichsam nach Art der Tigersprünge) zurückzulegen (Vgl. auch "Katerei"
für Raschheit, Schnelligkeit).

Aber nicht bloß auf Menschen und ihr Tun und Treiben beschränken sich
solche Vergleiche aus dem Tierreiche; man hat wohl auch die Namen einzelner
Tiere auf andre, zuweilen selbst solche einer ganz verschiednen Gattung übertragen
(wie das auch sonst volkstümliche Dachhase, Katze jvgl. dar. keiämiavoi't, Feld-
kntze-^Hase^, Hornbock, Ochse, Waldhahnl, Schwan, Haifisch oder Schneider¬
karpfen, Hering ^als Gerichts, Flosserkatz, Fischotter, Spitzvogel oder Sü߬
lingvogel. Biene. Sackratten oder Bienen, Ungeziefer, Padde ^niederdeutsch
für Kröte^, Gans usw.), dann aber namentlich auch leblose Gegenstände den Tieren
gleichgestellt. Dies beweisen Ausdrücke wie Igel für Koffer (wegen dessen rauhen
Fellüberzugs in ältern Zeiten), Hund für Vorhängeschloß, das gleichsam wie der
Haushund vor dem Tore Wache hält (vgl. das franz. ebion et'un kühn; deutsch: Hahn,
engl. cock am Flintenschlosse), Schlange für Kette jeder Art, Krebs für Schere,
Spinne für Gitter, Raupe oder Katze für Ranzen, Dohle für (steifen) Hut,
Padde für Geldbeutel, Unke für Branntweinflasche. Besonders anmutig klingt
das humoristische "Klucke mit den Kücken" (Henne mit den Hühnchen), die
der Dieb gleichsam mit sich laufen läßt, wenn er sich ein ganzes Eßbesteck, den
großen Suppenlöffel samt den kleinern Eßlöffeln widerrechtlich aneignet. Dazu treten
auch hier zahlreiche Zusammensetzungen, wie (von schon in unsrer Sprache vorhandnen)
z- B. Regenwurm, Wurst. Feldhühner, Kartoffeln, Fledermaus, Brief oder
(von neugeschaffnem) Baumkrebs, Birne, Sauerhase (oder Surhase), Zwiebel,
Bachkatze, Stein. Grünlingsbock, Klee, Schneidhammel, Schere (vielleicht mit
Anspielung auf den Hammel als verschrieenes Tier), Füllwurm. Trichter usw.

Nach diese" Beispielen, die sich leicht noch vermehren ließen, wird es kaum
wundernehmen, daß man endlich auch umgekehrt die Tiere -- die ja auch in unsrer
Volkspoesie ganz wie mit menschlichem Leben beseelt erscheinen -- personifiziert, ja
zum Teil unmittelbar mit den Berufsarten der Menschen verglichen hat. Deshalb heißt
zum Beispiel die Ente Teichgräber (niederd. Bakentrecker, Bachzieher, Kanal¬
bauer) oder auch Dreckpatscher, die Gans Strohbohrer oder Strohputzer,
das Schwein Wurzelgraber. das Ungeziefer "die stillen Marschierer," der
Floh Schwarzreiter oder schwarzer Dragoner, der Spatz Bauerndieb-


pas „Rotwelsch" des deutschen Gauners

gewandte und listige Polizist (Stadtknecht. Büttel), der Teckel, d. h. der Gendarm,
der, um seinem Berufe gerecht zu werden — mit den „Fliegenden Blättern" zu
reden —, ebenfalls „schlau wie ein Dackel" sein muß, die Eule, d. h. der wie dieser
Vogel die Nacht zum Tage machende Nachtwächter, der Krebs, der (in der Kunden¬
sprache) den Seiler bedeutet, weil er sich bei der Ausübung seines Handwerks rückwärts
zu bewegen pflegt (vgl. ferner Mücke, Spion. Rabe, junger Gauner, Äffchen, u. c>,
junger, unerfahrner Handwerksbursche). Viel zahlreicher sind noch die mit Tier¬
namen gebildeten Zusammensetzungen, die teils wirklich in der Natur vorhandnen
Geschöpfen entsprechen (wie Holzwurm, der Schreiner, Taschenkrebs, der Taschen¬
dieb, Wasserratte, der Schiffsdieb), teilweise jedoch als bloße gaunerische Phantasie¬
gebilde erscheinen; so das anscheinend halbjüdische Zehkemkatze, der Verräter (vgl.
unsre „falsche Katze"), Nachtschwalbe, der Nachtdieb, Dreckschwalbe, der Maurer
oder Maler, Teigaffe, der Bäcker, Pechhengst, der Schuster, Scherbling¬
hengst, der Glaser, Kleisterhengst, der Buchbinder, Hobelhengst, der Tischler.
Am reichsten aber ist das Hasenvolk vertreten: mit Sandhase, Soldat (Infanterist),
Dachhase, Dachdecker. Kohlhase. Gärtner, Koruhase, obdachloser Vagabund,
der im Kornfeld übernachtet. Spinnhase, Feigling. Sogar einzelne Zeitwörter
für gewisse menschliche Tätigkeiten hat man von Tieren hergeleitet. Wie wir jemand
etwas „abluchsen," uns „fuchsen" (ärgern) oder „mopsen" (langweilen) können, wie
der Student aufs Examen zu „büffeln" oder zu „ochsen" Pflegt, so versteh» unsre
Vagabunden zu „eisbären" (viel Geld zusammenzubetteln), wenn aber die Polizei
naht, „Hasen zu machen" (wegzulaufen) oder zu „tigem," d. h. große Strecken
schnell (gleichsam nach Art der Tigersprünge) zurückzulegen (Vgl. auch „Katerei"
für Raschheit, Schnelligkeit).

Aber nicht bloß auf Menschen und ihr Tun und Treiben beschränken sich
solche Vergleiche aus dem Tierreiche; man hat wohl auch die Namen einzelner
Tiere auf andre, zuweilen selbst solche einer ganz verschiednen Gattung übertragen
(wie das auch sonst volkstümliche Dachhase, Katze jvgl. dar. keiämiavoi't, Feld-
kntze-^Hase^, Hornbock, Ochse, Waldhahnl, Schwan, Haifisch oder Schneider¬
karpfen, Hering ^als Gerichts, Flosserkatz, Fischotter, Spitzvogel oder Sü߬
lingvogel. Biene. Sackratten oder Bienen, Ungeziefer, Padde ^niederdeutsch
für Kröte^, Gans usw.), dann aber namentlich auch leblose Gegenstände den Tieren
gleichgestellt. Dies beweisen Ausdrücke wie Igel für Koffer (wegen dessen rauhen
Fellüberzugs in ältern Zeiten), Hund für Vorhängeschloß, das gleichsam wie der
Haushund vor dem Tore Wache hält (vgl. das franz. ebion et'un kühn; deutsch: Hahn,
engl. cock am Flintenschlosse), Schlange für Kette jeder Art, Krebs für Schere,
Spinne für Gitter, Raupe oder Katze für Ranzen, Dohle für (steifen) Hut,
Padde für Geldbeutel, Unke für Branntweinflasche. Besonders anmutig klingt
das humoristische „Klucke mit den Kücken" (Henne mit den Hühnchen), die
der Dieb gleichsam mit sich laufen läßt, wenn er sich ein ganzes Eßbesteck, den
großen Suppenlöffel samt den kleinern Eßlöffeln widerrechtlich aneignet. Dazu treten
auch hier zahlreiche Zusammensetzungen, wie (von schon in unsrer Sprache vorhandnen)
z- B. Regenwurm, Wurst. Feldhühner, Kartoffeln, Fledermaus, Brief oder
(von neugeschaffnem) Baumkrebs, Birne, Sauerhase (oder Surhase), Zwiebel,
Bachkatze, Stein. Grünlingsbock, Klee, Schneidhammel, Schere (vielleicht mit
Anspielung auf den Hammel als verschrieenes Tier), Füllwurm. Trichter usw.

Nach diese» Beispielen, die sich leicht noch vermehren ließen, wird es kaum
wundernehmen, daß man endlich auch umgekehrt die Tiere — die ja auch in unsrer
Volkspoesie ganz wie mit menschlichem Leben beseelt erscheinen — personifiziert, ja
zum Teil unmittelbar mit den Berufsarten der Menschen verglichen hat. Deshalb heißt
zum Beispiel die Ente Teichgräber (niederd. Bakentrecker, Bachzieher, Kanal¬
bauer) oder auch Dreckpatscher, die Gans Strohbohrer oder Strohputzer,
das Schwein Wurzelgraber. das Ungeziefer „die stillen Marschierer," der
Floh Schwarzreiter oder schwarzer Dragoner, der Spatz Bauerndieb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/357>, abgerufen am 13.05.2024.