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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

herein eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten, damit er nicht voreilig Etymologien
ausstellt, die sich vielleicht nur allzu bald als bloße Phantasiegebilde entpuppen.
Leichter zu erkennen sind die einheimischen Wurzeln unsrer Gaunersprache, die von
alters her deren Grundstock gewesen und durch ihre eigentümliche Behandlung,
ihre oft überraschende Verwendung in der Rede nicht nur die Aufmerksamkeit des
Fachgelehrten, sondern auch das Interesse jedermanns in hohem Grade zu erregen
geeignet sind. So wenig darum auch eine Studie über die deutsche Gaunersprache,
die für einen weitern Leserkreis bestimmt ist, die Wörter und Wendungen "exo¬
tischen" Ursprungs ganz übergehn kann -- denn das wäre eine geradezu unver¬
zeihliche Unterlassungssünde --, so wird sie doch die mit unsrer Muttersprache
zusammenhängenden Gebilde und deren Gruppierung nach bestimmten Grund¬
sätzen in den Vordergrund stellen dürfen, und zwar um so mehr, als gerade
diese Seite des Themas von seinen bisherigen Bearbeitern entschieden noch lange
nicht genügend gewürdigt ist. Wenn demnach in der vorliegenden Skizze hierauf
besondres Gewicht gelegt worden ist, so konnten freilich -- in Anbetracht des zur Ver¬
fügung stehenden Raums -- auch aus diesem Gebiete doch nur die wichtigsten Er¬
scheinungen herausgegriffen und durch einige besonders charakteristische Beispiele
aus der überreichen Fülle des vorhandnen Stoffs erläutert werden.

Bevor es nun möglich ist, ans die besondern Eigentümlichkeiten unsrer deutschen
Gaunersprache näher einzugehn, muß notwendigerweise zuvor der Begriff der
"Gaunersprache" überhaupt festgestellt werden. Dabei handelt es sich natürlich vor
allem wieder um die Frage, was denn in dieser Zusammensetzung das Wort
"Gauner" bedeutet. Zunächst ist dafür keinesfalls der Sprachgebrauch des täglichen
Lebens entscheidend; denn danach verwenden wir den Ausdruck nicht nur öfter
schlechthin für "Lump" oder "Schuft," sondern erheben ihn wohl gar zu einer
Art Kosenamen, wie den "Spitzbuben," den "Racker," den "Strick" und andre
Wörter, die ursprünglich auch nur üble Bedeutung hatten. Näher bringen uns
schon Bezeichnungen wie "Gaunerphysiognomie," "Gaunerstreiche," "Gaunerstückchen"
dem kriminalistischen Gebiete, das hier allein in Betracht kommt. Wir müssen uns
jedoch davor hüten, auch Ausdrücke wie etwa "GesetzesÜbertreter," "Missetäter"
oder "Verbrecher" schlechthin mit "Gauner" gleichzustellen; ja sogar der von dem
Italiener Lombroso und seinen Anhängern aufgestellte Typus des sogenannten
gebornen Verbrechers ("äsIillauMts malo") deckt sich noch nicht ohne weiteres und dem
Gauner, da es bei diesem nicht sowohl auf die "Prädestination" zum Verbrechen
als auf die gewerbsmäßige Ausübung strafbarer Handlungen, und zwar ganz
bestimmter Art, ankommt. Zur Gaunerzunft gehören nämlich nur die Berufs¬
verbrecher, deren -- "noch bestimmten Kunstregeln" ausgeübte -- Tätigkeit sich
auf die Schädigung des Eigentums ihrer Mitmensche" richtet zu dem Zwecke, sich
selbst in gewinnsüchtiger Weise zu bereichern, was freilich nicht ausschließt, daß
auch von Gaunern einmal ein Verbrechen andrer Art (wie Mord, Totschlag,
Körperverletzung, Brandstiftung) in "Realkonkurreuz" mit Eigentumsdelikten be¬
gangen werden kann. Noch konkreter ausgedrückt darf man also sagen: Gauner
sind die gewerbsmäßigen Diebe, "Räuber" und Betrüger aller Art, mit Einschluß
auch zum Beispiel der betrügerischen Bettler und Falschspieler.

Die ausdrückliche Hervorhebung der beiden zuletzt erwähnten Gaunerklassen
hat übrigens für unser Thema noch eine besondre Bedeutung. Sie gibt uus "änlich
einmal den Schlüssel zu der Etymologie des Ausdrucks "Gauner," sodann zur
Erklärung der ältesten Bezeichnung unsrer Gaunersprache als "Rotwelsch" und
damit wieder endlich einen Hinweis auf den kulturgeschichtlich höchst interessanten
Zusammenhang des deutschen Gcmnertnms mit dem gewerbsmäßigen Bettlertum.
"

Über die Ableitung des Wortes "Gauner sind früher manche recht sonder¬
bare Vermutungen aufgestellt worden. Sogar noch Aos-Lallemand hat alles Ernstes
darin nur eine abgekürzte Form von "Zigauner," d. h. Zigeuner sehen wollen.
Heute steht es fest, daß der Ausdruck von dem hebräischen MnL (übervorteilen, be-


Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

herein eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten, damit er nicht voreilig Etymologien
ausstellt, die sich vielleicht nur allzu bald als bloße Phantasiegebilde entpuppen.
Leichter zu erkennen sind die einheimischen Wurzeln unsrer Gaunersprache, die von
alters her deren Grundstock gewesen und durch ihre eigentümliche Behandlung,
ihre oft überraschende Verwendung in der Rede nicht nur die Aufmerksamkeit des
Fachgelehrten, sondern auch das Interesse jedermanns in hohem Grade zu erregen
geeignet sind. So wenig darum auch eine Studie über die deutsche Gaunersprache,
die für einen weitern Leserkreis bestimmt ist, die Wörter und Wendungen „exo¬
tischen" Ursprungs ganz übergehn kann — denn das wäre eine geradezu unver¬
zeihliche Unterlassungssünde —, so wird sie doch die mit unsrer Muttersprache
zusammenhängenden Gebilde und deren Gruppierung nach bestimmten Grund¬
sätzen in den Vordergrund stellen dürfen, und zwar um so mehr, als gerade
diese Seite des Themas von seinen bisherigen Bearbeitern entschieden noch lange
nicht genügend gewürdigt ist. Wenn demnach in der vorliegenden Skizze hierauf
besondres Gewicht gelegt worden ist, so konnten freilich — in Anbetracht des zur Ver¬
fügung stehenden Raums — auch aus diesem Gebiete doch nur die wichtigsten Er¬
scheinungen herausgegriffen und durch einige besonders charakteristische Beispiele
aus der überreichen Fülle des vorhandnen Stoffs erläutert werden.

Bevor es nun möglich ist, ans die besondern Eigentümlichkeiten unsrer deutschen
Gaunersprache näher einzugehn, muß notwendigerweise zuvor der Begriff der
„Gaunersprache" überhaupt festgestellt werden. Dabei handelt es sich natürlich vor
allem wieder um die Frage, was denn in dieser Zusammensetzung das Wort
„Gauner" bedeutet. Zunächst ist dafür keinesfalls der Sprachgebrauch des täglichen
Lebens entscheidend; denn danach verwenden wir den Ausdruck nicht nur öfter
schlechthin für „Lump" oder „Schuft," sondern erheben ihn wohl gar zu einer
Art Kosenamen, wie den „Spitzbuben," den „Racker," den „Strick" und andre
Wörter, die ursprünglich auch nur üble Bedeutung hatten. Näher bringen uns
schon Bezeichnungen wie „Gaunerphysiognomie," „Gaunerstreiche," „Gaunerstückchen"
dem kriminalistischen Gebiete, das hier allein in Betracht kommt. Wir müssen uns
jedoch davor hüten, auch Ausdrücke wie etwa „GesetzesÜbertreter," „Missetäter"
oder „Verbrecher" schlechthin mit „Gauner" gleichzustellen; ja sogar der von dem
Italiener Lombroso und seinen Anhängern aufgestellte Typus des sogenannten
gebornen Verbrechers („äsIillauMts malo") deckt sich noch nicht ohne weiteres und dem
Gauner, da es bei diesem nicht sowohl auf die „Prädestination" zum Verbrechen
als auf die gewerbsmäßige Ausübung strafbarer Handlungen, und zwar ganz
bestimmter Art, ankommt. Zur Gaunerzunft gehören nämlich nur die Berufs¬
verbrecher, deren — „noch bestimmten Kunstregeln" ausgeübte — Tätigkeit sich
auf die Schädigung des Eigentums ihrer Mitmensche» richtet zu dem Zwecke, sich
selbst in gewinnsüchtiger Weise zu bereichern, was freilich nicht ausschließt, daß
auch von Gaunern einmal ein Verbrechen andrer Art (wie Mord, Totschlag,
Körperverletzung, Brandstiftung) in „Realkonkurreuz" mit Eigentumsdelikten be¬
gangen werden kann. Noch konkreter ausgedrückt darf man also sagen: Gauner
sind die gewerbsmäßigen Diebe, „Räuber" und Betrüger aller Art, mit Einschluß
auch zum Beispiel der betrügerischen Bettler und Falschspieler.

Die ausdrückliche Hervorhebung der beiden zuletzt erwähnten Gaunerklassen
hat übrigens für unser Thema noch eine besondre Bedeutung. Sie gibt uus «änlich
einmal den Schlüssel zu der Etymologie des Ausdrucks „Gauner," sodann zur
Erklärung der ältesten Bezeichnung unsrer Gaunersprache als „Rotwelsch" und
damit wieder endlich einen Hinweis auf den kulturgeschichtlich höchst interessanten
Zusammenhang des deutschen Gcmnertnms mit dem gewerbsmäßigen Bettlertum.
"

Über die Ableitung des Wortes „Gauner sind früher manche recht sonder¬
bare Vermutungen aufgestellt worden. Sogar noch Aos-Lallemand hat alles Ernstes
darin nur eine abgekürzte Form von „Zigauner," d. h. Zigeuner sehen wollen.
Heute steht es fest, daß der Ausdruck von dem hebräischen MnL (übervorteilen, be-


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[0043] Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners herein eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten, damit er nicht voreilig Etymologien ausstellt, die sich vielleicht nur allzu bald als bloße Phantasiegebilde entpuppen. Leichter zu erkennen sind die einheimischen Wurzeln unsrer Gaunersprache, die von alters her deren Grundstock gewesen und durch ihre eigentümliche Behandlung, ihre oft überraschende Verwendung in der Rede nicht nur die Aufmerksamkeit des Fachgelehrten, sondern auch das Interesse jedermanns in hohem Grade zu erregen geeignet sind. So wenig darum auch eine Studie über die deutsche Gaunersprache, die für einen weitern Leserkreis bestimmt ist, die Wörter und Wendungen „exo¬ tischen" Ursprungs ganz übergehn kann — denn das wäre eine geradezu unver¬ zeihliche Unterlassungssünde —, so wird sie doch die mit unsrer Muttersprache zusammenhängenden Gebilde und deren Gruppierung nach bestimmten Grund¬ sätzen in den Vordergrund stellen dürfen, und zwar um so mehr, als gerade diese Seite des Themas von seinen bisherigen Bearbeitern entschieden noch lange nicht genügend gewürdigt ist. Wenn demnach in der vorliegenden Skizze hierauf besondres Gewicht gelegt worden ist, so konnten freilich — in Anbetracht des zur Ver¬ fügung stehenden Raums — auch aus diesem Gebiete doch nur die wichtigsten Er¬ scheinungen herausgegriffen und durch einige besonders charakteristische Beispiele aus der überreichen Fülle des vorhandnen Stoffs erläutert werden. Bevor es nun möglich ist, ans die besondern Eigentümlichkeiten unsrer deutschen Gaunersprache näher einzugehn, muß notwendigerweise zuvor der Begriff der „Gaunersprache" überhaupt festgestellt werden. Dabei handelt es sich natürlich vor allem wieder um die Frage, was denn in dieser Zusammensetzung das Wort „Gauner" bedeutet. Zunächst ist dafür keinesfalls der Sprachgebrauch des täglichen Lebens entscheidend; denn danach verwenden wir den Ausdruck nicht nur öfter schlechthin für „Lump" oder „Schuft," sondern erheben ihn wohl gar zu einer Art Kosenamen, wie den „Spitzbuben," den „Racker," den „Strick" und andre Wörter, die ursprünglich auch nur üble Bedeutung hatten. Näher bringen uns schon Bezeichnungen wie „Gaunerphysiognomie," „Gaunerstreiche," „Gaunerstückchen" dem kriminalistischen Gebiete, das hier allein in Betracht kommt. Wir müssen uns jedoch davor hüten, auch Ausdrücke wie etwa „GesetzesÜbertreter," „Missetäter" oder „Verbrecher" schlechthin mit „Gauner" gleichzustellen; ja sogar der von dem Italiener Lombroso und seinen Anhängern aufgestellte Typus des sogenannten gebornen Verbrechers („äsIillauMts malo") deckt sich noch nicht ohne weiteres und dem Gauner, da es bei diesem nicht sowohl auf die „Prädestination" zum Verbrechen als auf die gewerbsmäßige Ausübung strafbarer Handlungen, und zwar ganz bestimmter Art, ankommt. Zur Gaunerzunft gehören nämlich nur die Berufs¬ verbrecher, deren — „noch bestimmten Kunstregeln" ausgeübte — Tätigkeit sich auf die Schädigung des Eigentums ihrer Mitmensche» richtet zu dem Zwecke, sich selbst in gewinnsüchtiger Weise zu bereichern, was freilich nicht ausschließt, daß auch von Gaunern einmal ein Verbrechen andrer Art (wie Mord, Totschlag, Körperverletzung, Brandstiftung) in „Realkonkurreuz" mit Eigentumsdelikten be¬ gangen werden kann. Noch konkreter ausgedrückt darf man also sagen: Gauner sind die gewerbsmäßigen Diebe, „Räuber" und Betrüger aller Art, mit Einschluß auch zum Beispiel der betrügerischen Bettler und Falschspieler. Die ausdrückliche Hervorhebung der beiden zuletzt erwähnten Gaunerklassen hat übrigens für unser Thema noch eine besondre Bedeutung. Sie gibt uus «änlich einmal den Schlüssel zu der Etymologie des Ausdrucks „Gauner," sodann zur Erklärung der ältesten Bezeichnung unsrer Gaunersprache als „Rotwelsch" und damit wieder endlich einen Hinweis auf den kulturgeschichtlich höchst interessanten Zusammenhang des deutschen Gcmnertnms mit dem gewerbsmäßigen Bettlertum. " Über die Ableitung des Wortes „Gauner sind früher manche recht sonder¬ bare Vermutungen aufgestellt worden. Sogar noch Aos-Lallemand hat alles Ernstes darin nur eine abgekürzte Form von „Zigauner," d. h. Zigeuner sehen wollen. Heute steht es fest, daß der Ausdruck von dem hebräischen MnL (übervorteilen, be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/43>, abgerufen am 13.05.2024.