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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

einzelne Strafanstalten oder Lokale für den Pvtizeigewahrsnm in bestimmten Orten,
in deren Erfindung namentlich die Berliner Gauner von jeher groß gewesen sind
(vgl. z. B.: "Gasthof zum goldnen Strauß" fcilter^ oder "Niesenburg" sneuer^
für die Stadtvogtei).

Übrigens sind die Euphemismen in der Gaunersprache keineswegs bloß auf
das allerdings Wohl ursprünglichste und hauptsächlichste Gebiet, die Verbrechen und
Strafen, beschränkt geblieben, sondern auch für andre Begriffe verwandt worden. So
kommt z, B. für die Apotheke mit ihren meist recht bitter schmeckenden Arzneien
der Ausdruck "Schmeckwohl" vor; ja solche Bezeichnungen haben weiter dazu ge¬
führt, auch nichteuphemistische, sondern nur ironische Umkehrungen in das gerade
Gegenteil zu schaffen (sogenannte Encmtiosemien), wie zum Beispiel die Wiedergabe
des Honigs durch "Beterwasser" (-- Bitterwässer), der Brille durch "Blöd¬
schein" oder "Trübschein" beweisen. Auch wird man es hierher rechnen dürfen,
wenn im sogenannten "Waldheimer Lexikon" von 1726 die damals doch immerhin
schon ziemlich bedeutende Stadt Leipzig als "kleines Dörffgen" erscheint,
Während bei der Vogelsberger Bande zu Anfang des vorigen Jahrhunderts das
kleine Gießen "grannig Motum," d. h. die große, schöne Stadt hieß.

Da nun ohne Zweifel die Gaunerncitur im wesentlichen überall auf Erden
dieselbe ist, "die treibenden Kräfte, aus denen die Gaunerwörter sich ausbilden,
so ziemlich in allen Ländern denselben Gesetzen folgen" (Lombroso, S. 392), so
läßt sich auch eine gewisse Ähnlichkeit aller Gaunersprachen behaupten und nach¬
weisen. Denn unser Notwelsch ist ja keine vereinzelte Erscheinung. Nicht nur bei
den uns verwandten Nationen germanischen Stammes findet sich Ähnliches, wie
zum Beispiel bei den Engländern das sogenannte caut, sondern auch die Franzosen
haben ihr besondres gaunerisches s.rgot,, wie die Italiener ihr xeiAo, die Spanier
ihre xsi-in-mia,, die Portugiesen ihr og.I"os, und auch bei den slawischen Völkern
existieren zum Teil sehr reichhaltige Verbrechersprachen.

Eben deshalb aber darf man auch nicht -- wie es zuweilen geschieht --
schlechthin bloß von der Gaunersprache reden und dieser einen völlig internatio¬
nalen oder "kosmopolitischen" Charakter aufzuprägen versuchen. Die Behauptung
zum Beispiel, die ich kürzlich in einer populären Schilderung des modernen Ver¬
brechertums aufgestellt fand, daß sich die Betrüger und Hochstapler fast sämtlicher
Länder Europas im Verkehr untereinander alle einer und derselben Sprache be¬
dienten, "als wären sie Geschwister, die an derselben Mutterbrust gelegen" hätten,
enthält unbedingt eine sehr starke Übertreibung. Man kann in dieser Beziehung
nur so viel zugeben, daß einmal infolge des unstete" Wanderlebens der Gauner
-- namentlich in frühern Zeiten mit ihrer Strafe der Landesverweisung -- manche
Fremdwörter in übereinstimmender Weise in den Gaunerjargon verschiedner Länder
Eingang gefunden haben (so zum Beispiel einzelne Vokabeln aus dem Hebräischen
und aus den romanischen Sprachen ebenso ins englische Cent wie in unser Not¬
welsch), sodann aber auch, daß wegen des schon erwähnten gleichen Gedankengangs
aller gewerbsmäßigen Eigentumsverbrecher eine ganze Reihe mehr oder weniger
sachlich ähnlicher Bezeichnungen für dieselben Begriffe, namentlich auch Umschrei¬
bungen oder Vergleiche, in allen Gaunersprachen wiederkehren. Gerade hierfür
lassen sich an der Hand der neuern Literatur die Beispiele leicht häufen. Doch
wird es an dieser Stelle genügen, einige Parallelen zu den schon oben angeführten
rotwelschen Ausdrücken anzuführen. Dem "schwarzen Gendarm" für Pfarrer einspricht
zum Beispiel im englischen Carl die Bezeichnung bi-rek brixActo für die Geist¬
lichkeit. Auch der spanische Ganner nennt seine Tätigkeit, besonders das Stehlen,
euphemistisch t,rg.da,jg,r (arbeiten) und die beiden größern, beim Taschendiebstahl
tätigen Finger tisors," (Schere), während sie bei den Engländern korks (Gabel)
heißen. In Übereinstimmung damit steht dann wieder einerseits der böhmische Aus¬
druck Klölövoto (Krebsschere) für die ganze Hand, andrerseits das in Italien
(Parma) gebräuchliche koroiolirlg, (Gabelader) für die Finger überhaupt, endlich
auch die Benennung des Taschendiebs selbst als kork in England oder korliu


Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

einzelne Strafanstalten oder Lokale für den Pvtizeigewahrsnm in bestimmten Orten,
in deren Erfindung namentlich die Berliner Gauner von jeher groß gewesen sind
(vgl. z. B.: „Gasthof zum goldnen Strauß" fcilter^ oder „Niesenburg" sneuer^
für die Stadtvogtei).

Übrigens sind die Euphemismen in der Gaunersprache keineswegs bloß auf
das allerdings Wohl ursprünglichste und hauptsächlichste Gebiet, die Verbrechen und
Strafen, beschränkt geblieben, sondern auch für andre Begriffe verwandt worden. So
kommt z, B. für die Apotheke mit ihren meist recht bitter schmeckenden Arzneien
der Ausdruck „Schmeckwohl" vor; ja solche Bezeichnungen haben weiter dazu ge¬
führt, auch nichteuphemistische, sondern nur ironische Umkehrungen in das gerade
Gegenteil zu schaffen (sogenannte Encmtiosemien), wie zum Beispiel die Wiedergabe
des Honigs durch „Beterwasser" (— Bitterwässer), der Brille durch „Blöd¬
schein" oder „Trübschein" beweisen. Auch wird man es hierher rechnen dürfen,
wenn im sogenannten „Waldheimer Lexikon" von 1726 die damals doch immerhin
schon ziemlich bedeutende Stadt Leipzig als „kleines Dörffgen" erscheint,
Während bei der Vogelsberger Bande zu Anfang des vorigen Jahrhunderts das
kleine Gießen „grannig Motum," d. h. die große, schöne Stadt hieß.

Da nun ohne Zweifel die Gaunerncitur im wesentlichen überall auf Erden
dieselbe ist, „die treibenden Kräfte, aus denen die Gaunerwörter sich ausbilden,
so ziemlich in allen Ländern denselben Gesetzen folgen" (Lombroso, S. 392), so
läßt sich auch eine gewisse Ähnlichkeit aller Gaunersprachen behaupten und nach¬
weisen. Denn unser Notwelsch ist ja keine vereinzelte Erscheinung. Nicht nur bei
den uns verwandten Nationen germanischen Stammes findet sich Ähnliches, wie
zum Beispiel bei den Engländern das sogenannte caut, sondern auch die Franzosen
haben ihr besondres gaunerisches s.rgot,, wie die Italiener ihr xeiAo, die Spanier
ihre xsi-in-mia,, die Portugiesen ihr og.I»os, und auch bei den slawischen Völkern
existieren zum Teil sehr reichhaltige Verbrechersprachen.

Eben deshalb aber darf man auch nicht — wie es zuweilen geschieht —
schlechthin bloß von der Gaunersprache reden und dieser einen völlig internatio¬
nalen oder „kosmopolitischen" Charakter aufzuprägen versuchen. Die Behauptung
zum Beispiel, die ich kürzlich in einer populären Schilderung des modernen Ver¬
brechertums aufgestellt fand, daß sich die Betrüger und Hochstapler fast sämtlicher
Länder Europas im Verkehr untereinander alle einer und derselben Sprache be¬
dienten, „als wären sie Geschwister, die an derselben Mutterbrust gelegen" hätten,
enthält unbedingt eine sehr starke Übertreibung. Man kann in dieser Beziehung
nur so viel zugeben, daß einmal infolge des unstete» Wanderlebens der Gauner
— namentlich in frühern Zeiten mit ihrer Strafe der Landesverweisung — manche
Fremdwörter in übereinstimmender Weise in den Gaunerjargon verschiedner Länder
Eingang gefunden haben (so zum Beispiel einzelne Vokabeln aus dem Hebräischen
und aus den romanischen Sprachen ebenso ins englische Cent wie in unser Not¬
welsch), sodann aber auch, daß wegen des schon erwähnten gleichen Gedankengangs
aller gewerbsmäßigen Eigentumsverbrecher eine ganze Reihe mehr oder weniger
sachlich ähnlicher Bezeichnungen für dieselben Begriffe, namentlich auch Umschrei¬
bungen oder Vergleiche, in allen Gaunersprachen wiederkehren. Gerade hierfür
lassen sich an der Hand der neuern Literatur die Beispiele leicht häufen. Doch
wird es an dieser Stelle genügen, einige Parallelen zu den schon oben angeführten
rotwelschen Ausdrücken anzuführen. Dem „schwarzen Gendarm" für Pfarrer einspricht
zum Beispiel im englischen Carl die Bezeichnung bi-rek brixActo für die Geist¬
lichkeit. Auch der spanische Ganner nennt seine Tätigkeit, besonders das Stehlen,
euphemistisch t,rg.da,jg,r (arbeiten) und die beiden größern, beim Taschendiebstahl
tätigen Finger tisors,« (Schere), während sie bei den Engländern korks (Gabel)
heißen. In Übereinstimmung damit steht dann wieder einerseits der böhmische Aus¬
druck Klölövoto (Krebsschere) für die ganze Hand, andrerseits das in Italien
(Parma) gebräuchliche koroiolirlg, (Gabelader) für die Finger überhaupt, endlich
auch die Benennung des Taschendiebs selbst als kork in England oder korliu


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[0050] Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners einzelne Strafanstalten oder Lokale für den Pvtizeigewahrsnm in bestimmten Orten, in deren Erfindung namentlich die Berliner Gauner von jeher groß gewesen sind (vgl. z. B.: „Gasthof zum goldnen Strauß" fcilter^ oder „Niesenburg" sneuer^ für die Stadtvogtei). Übrigens sind die Euphemismen in der Gaunersprache keineswegs bloß auf das allerdings Wohl ursprünglichste und hauptsächlichste Gebiet, die Verbrechen und Strafen, beschränkt geblieben, sondern auch für andre Begriffe verwandt worden. So kommt z, B. für die Apotheke mit ihren meist recht bitter schmeckenden Arzneien der Ausdruck „Schmeckwohl" vor; ja solche Bezeichnungen haben weiter dazu ge¬ führt, auch nichteuphemistische, sondern nur ironische Umkehrungen in das gerade Gegenteil zu schaffen (sogenannte Encmtiosemien), wie zum Beispiel die Wiedergabe des Honigs durch „Beterwasser" (— Bitterwässer), der Brille durch „Blöd¬ schein" oder „Trübschein" beweisen. Auch wird man es hierher rechnen dürfen, wenn im sogenannten „Waldheimer Lexikon" von 1726 die damals doch immerhin schon ziemlich bedeutende Stadt Leipzig als „kleines Dörffgen" erscheint, Während bei der Vogelsberger Bande zu Anfang des vorigen Jahrhunderts das kleine Gießen „grannig Motum," d. h. die große, schöne Stadt hieß. Da nun ohne Zweifel die Gaunerncitur im wesentlichen überall auf Erden dieselbe ist, „die treibenden Kräfte, aus denen die Gaunerwörter sich ausbilden, so ziemlich in allen Ländern denselben Gesetzen folgen" (Lombroso, S. 392), so läßt sich auch eine gewisse Ähnlichkeit aller Gaunersprachen behaupten und nach¬ weisen. Denn unser Notwelsch ist ja keine vereinzelte Erscheinung. Nicht nur bei den uns verwandten Nationen germanischen Stammes findet sich Ähnliches, wie zum Beispiel bei den Engländern das sogenannte caut, sondern auch die Franzosen haben ihr besondres gaunerisches s.rgot,, wie die Italiener ihr xeiAo, die Spanier ihre xsi-in-mia,, die Portugiesen ihr og.I»os, und auch bei den slawischen Völkern existieren zum Teil sehr reichhaltige Verbrechersprachen. Eben deshalb aber darf man auch nicht — wie es zuweilen geschieht — schlechthin bloß von der Gaunersprache reden und dieser einen völlig internatio¬ nalen oder „kosmopolitischen" Charakter aufzuprägen versuchen. Die Behauptung zum Beispiel, die ich kürzlich in einer populären Schilderung des modernen Ver¬ brechertums aufgestellt fand, daß sich die Betrüger und Hochstapler fast sämtlicher Länder Europas im Verkehr untereinander alle einer und derselben Sprache be¬ dienten, „als wären sie Geschwister, die an derselben Mutterbrust gelegen" hätten, enthält unbedingt eine sehr starke Übertreibung. Man kann in dieser Beziehung nur so viel zugeben, daß einmal infolge des unstete» Wanderlebens der Gauner — namentlich in frühern Zeiten mit ihrer Strafe der Landesverweisung — manche Fremdwörter in übereinstimmender Weise in den Gaunerjargon verschiedner Länder Eingang gefunden haben (so zum Beispiel einzelne Vokabeln aus dem Hebräischen und aus den romanischen Sprachen ebenso ins englische Cent wie in unser Not¬ welsch), sodann aber auch, daß wegen des schon erwähnten gleichen Gedankengangs aller gewerbsmäßigen Eigentumsverbrecher eine ganze Reihe mehr oder weniger sachlich ähnlicher Bezeichnungen für dieselben Begriffe, namentlich auch Umschrei¬ bungen oder Vergleiche, in allen Gaunersprachen wiederkehren. Gerade hierfür lassen sich an der Hand der neuern Literatur die Beispiele leicht häufen. Doch wird es an dieser Stelle genügen, einige Parallelen zu den schon oben angeführten rotwelschen Ausdrücken anzuführen. Dem „schwarzen Gendarm" für Pfarrer einspricht zum Beispiel im englischen Carl die Bezeichnung bi-rek brixActo für die Geist¬ lichkeit. Auch der spanische Ganner nennt seine Tätigkeit, besonders das Stehlen, euphemistisch t,rg.da,jg,r (arbeiten) und die beiden größern, beim Taschendiebstahl tätigen Finger tisors,« (Schere), während sie bei den Engländern korks (Gabel) heißen. In Übereinstimmung damit steht dann wieder einerseits der böhmische Aus¬ druck Klölövoto (Krebsschere) für die ganze Hand, andrerseits das in Italien (Parma) gebräuchliche koroiolirlg, (Gabelader) für die Finger überhaupt, endlich auch die Benennung des Taschendiebs selbst als kork in England oder korliu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/50>, abgerufen am 12.05.2024.