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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Ganners

Dinge ist das Dichten und Trachten echter Gauner gerichtet, und auch das hat
natürlich seinen Widerschein in ihrer Redeweise zurückgelassen. Sie erscheint nämlich
sehr arm an selbständigen Ausdrücken für rein abstrakte Begriffe, und die wenigen,
die sie davon aufweist, hat sie zudem meist den fremden Sprachen entlehnt. Häufig
aber sind die Abstrakta durch konkrete, dem gaunerischen Vorstellungskreise näher
liegende Dinge umschrieben. So findet sich zum Beispiel für das Gericht die
Bezeichnung "Dolch," für das gerichtliche Verhör (wo es dem Angeschuldigten
heiß wird) "Hitze," was den (besonders auch in der Vagabunden- oder sog. "Kunden¬
sprache" geläufigen) Wendungen "es ist heiß" oder "die Steine brennen" ent¬
spricht, wie gesagt wird, wenn die Sicherheitsbehörden in einzelnen Gegenden den
Gaunern scharf oder sehr scharf auf die Finger passen. Das Unglück wird durch
"Essig" oder "Pech," der Jähzorn durch "Löwe" wiedergegeben, die Vorsicht
Wohl mit Eiern verglichen, sodaß, wer sie gebraucht, also bei einer Tat vorsichtig
zu Werke geht, "Beitze (jüdisch-deutsch für Eier) hciudelt" (also gleichsam wie auf
Eiern geht; daher dann auch wohl schlechthin Beitze -- sehr gewagter Diebstahl).

Weiter erklären sich viele sonderbare euphemistische Begrisfsverhüllungen psycho¬
logisch nicht allzu schwer aus der Scheu des Gauners, sowohl seine verbrecherische
Tätigkeit als auch die dafür zu erwartenden geschlichen Folgen beim rechten Namen
zu nennen. Darum bezeichnet sich zum Beispiel der deutsche Gauner selbst charak¬
teristischerweise als Kochemer oder Kochern, d. h. der Kluge, Geschenke (vom
hebr. elwelwm; daher: Kochemer Löschen -- Gaunersprache, eigentlich die Sprache
shebr. lahmen) der klugen Leute). Als solcher fühlt er sich gleichsam berechtigt,
die Wittschen, d. h. die Nichtgauner, die dummen Gimpel (abzuleiten vielleicht
eher vom niederdeutschen witt, weiß, der Farbe der einfältigen Unschuld, als aus
dem Hebräischen) auszuplündern, sie zu "behandeln," wie der Arzt den Patienten,
ja bei Widerstand sie zu "meistern," wobei auch eine "Regierung" (Strick) oft
gute Dienste leisten kann. In einer ähnlichen Anschauungsweise bewegen sich die
harmlosen Ausdrücke "Handel," "Geschäft" (jüdisch-deutsch: Masematten) oder
"Arbeit" für die gaunerische Tätigkeit. Wer sich zu dieser anschickt, der "fährt"
deshalb "aus," um zu "handeln" oder zu "fachem" (schachern), sich "ein Stück
Brot" zu "verdienen" oder auch schlechthin nur etwas zu "machen," sodnß er
ein "Faktum" (gestohlnes Gut), das er dem "Gemachtem" abgenommen hat, mit
nach Hause bringt. Dem entsprechen denn auch die Bezeichnungen für die einzelnen
Gnunerspezialitäten: der Dieb auf der Landstraße heißt zum Beispiel Strade-
händler. der Räuber Scharfhändler, der Nachtdieb Schwarzhttndler, der Pferd¬
dieb Zoskenhnndler, der Markt- und Messedieb Freikäufer oder Weißkänfer,
der gewerbsmäßige Spieler Kommerziant; der Taschendieb aber wird gar mit dem
friedlichen Gewerbe eines Scherenschleifers verglichen, weil er nicht selten "Schere
macht," d. h. mit zwei geradegcstreckten Fingern dem zu Bcstehlenden in die Tasche
fährt. Von einer Art Galgenhumor zeugen die verhüllenden Umschreibungen des
Notwelsch, namentlich in der ältern Zeit, für die verschiednen Strafformen, ob¬
wohl die Gauner in, ganzen hierin nicht so viel geleistet haben, als man mit Rück¬
sicht auf die zahlreichen ähnlichen Wortscherze des mittelalterlichen Volkswitzes wohl
erwarten sollte. Als Beispiele seien hier genannt die Bezeichnung des Galgens
"is "Feldglocke," worin sich der Gehängte gleichsam als Klöppel oder "Galgen¬
schwengel" hin und her bewegt, die Wiedergabe des Stanpenschlags durch "Speck
und Blnukohl" (mit Rücksicht auf die blauen Flecken des Geschlagnen), des Stehens
Pranger durch "Feilhalten," der Landesverweisung durch "Wegweiser,"
der Handschelleu durch "Armspangen," "Manschetten," "Rosenkranz" oder
"Bretzeln." Daran reihen sich dann die meist erst ans neuerer Zeit stammenden
humoristischen Ausdrücke für die Gefängnisse (oder Kriminalgebände), die von dem
einfachen "Kasten." dem "Kahn" oder "dem Kühlen," aufsteigen zudem "Gym¬
nasium," der "hohen Schule" (in der "Kuudensprache") oder gnr dem "Graupen¬
palais," ganz zu geschweigen noch von den speziellen sonderbaren Namen für


Grenzboten III 1W4 ß
Das „Rotwelsch" des deutschen Ganners

Dinge ist das Dichten und Trachten echter Gauner gerichtet, und auch das hat
natürlich seinen Widerschein in ihrer Redeweise zurückgelassen. Sie erscheint nämlich
sehr arm an selbständigen Ausdrücken für rein abstrakte Begriffe, und die wenigen,
die sie davon aufweist, hat sie zudem meist den fremden Sprachen entlehnt. Häufig
aber sind die Abstrakta durch konkrete, dem gaunerischen Vorstellungskreise näher
liegende Dinge umschrieben. So findet sich zum Beispiel für das Gericht die
Bezeichnung „Dolch," für das gerichtliche Verhör (wo es dem Angeschuldigten
heiß wird) „Hitze," was den (besonders auch in der Vagabunden- oder sog. „Kunden¬
sprache" geläufigen) Wendungen „es ist heiß" oder „die Steine brennen" ent¬
spricht, wie gesagt wird, wenn die Sicherheitsbehörden in einzelnen Gegenden den
Gaunern scharf oder sehr scharf auf die Finger passen. Das Unglück wird durch
„Essig" oder „Pech," der Jähzorn durch „Löwe" wiedergegeben, die Vorsicht
Wohl mit Eiern verglichen, sodaß, wer sie gebraucht, also bei einer Tat vorsichtig
zu Werke geht, „Beitze (jüdisch-deutsch für Eier) hciudelt" (also gleichsam wie auf
Eiern geht; daher dann auch wohl schlechthin Beitze — sehr gewagter Diebstahl).

Weiter erklären sich viele sonderbare euphemistische Begrisfsverhüllungen psycho¬
logisch nicht allzu schwer aus der Scheu des Gauners, sowohl seine verbrecherische
Tätigkeit als auch die dafür zu erwartenden geschlichen Folgen beim rechten Namen
zu nennen. Darum bezeichnet sich zum Beispiel der deutsche Gauner selbst charak¬
teristischerweise als Kochemer oder Kochern, d. h. der Kluge, Geschenke (vom
hebr. elwelwm; daher: Kochemer Löschen — Gaunersprache, eigentlich die Sprache
shebr. lahmen) der klugen Leute). Als solcher fühlt er sich gleichsam berechtigt,
die Wittschen, d. h. die Nichtgauner, die dummen Gimpel (abzuleiten vielleicht
eher vom niederdeutschen witt, weiß, der Farbe der einfältigen Unschuld, als aus
dem Hebräischen) auszuplündern, sie zu „behandeln," wie der Arzt den Patienten,
ja bei Widerstand sie zu „meistern," wobei auch eine „Regierung" (Strick) oft
gute Dienste leisten kann. In einer ähnlichen Anschauungsweise bewegen sich die
harmlosen Ausdrücke „Handel," „Geschäft" (jüdisch-deutsch: Masematten) oder
„Arbeit" für die gaunerische Tätigkeit. Wer sich zu dieser anschickt, der „fährt"
deshalb „aus," um zu „handeln" oder zu „fachem" (schachern), sich „ein Stück
Brot" zu „verdienen" oder auch schlechthin nur etwas zu „machen," sodnß er
ein „Faktum" (gestohlnes Gut), das er dem „Gemachtem" abgenommen hat, mit
nach Hause bringt. Dem entsprechen denn auch die Bezeichnungen für die einzelnen
Gnunerspezialitäten: der Dieb auf der Landstraße heißt zum Beispiel Strade-
händler. der Räuber Scharfhändler, der Nachtdieb Schwarzhttndler, der Pferd¬
dieb Zoskenhnndler, der Markt- und Messedieb Freikäufer oder Weißkänfer,
der gewerbsmäßige Spieler Kommerziant; der Taschendieb aber wird gar mit dem
friedlichen Gewerbe eines Scherenschleifers verglichen, weil er nicht selten „Schere
macht," d. h. mit zwei geradegcstreckten Fingern dem zu Bcstehlenden in die Tasche
fährt. Von einer Art Galgenhumor zeugen die verhüllenden Umschreibungen des
Notwelsch, namentlich in der ältern Zeit, für die verschiednen Strafformen, ob¬
wohl die Gauner in, ganzen hierin nicht so viel geleistet haben, als man mit Rück¬
sicht auf die zahlreichen ähnlichen Wortscherze des mittelalterlichen Volkswitzes wohl
erwarten sollte. Als Beispiele seien hier genannt die Bezeichnung des Galgens
"is „Feldglocke," worin sich der Gehängte gleichsam als Klöppel oder „Galgen¬
schwengel" hin und her bewegt, die Wiedergabe des Stanpenschlags durch „Speck
und Blnukohl" (mit Rücksicht auf die blauen Flecken des Geschlagnen), des Stehens
Pranger durch „Feilhalten," der Landesverweisung durch „Wegweiser,"
der Handschelleu durch „Armspangen," „Manschetten," „Rosenkranz" oder
«Bretzeln." Daran reihen sich dann die meist erst ans neuerer Zeit stammenden
humoristischen Ausdrücke für die Gefängnisse (oder Kriminalgebände), die von dem
einfachen „Kasten." dem „Kahn" oder „dem Kühlen," aufsteigen zudem „Gym¬
nasium," der „hohen Schule" (in der „Kuudensprache") oder gnr dem „Graupen¬
palais," ganz zu geschweigen noch von den speziellen sonderbaren Namen für


Grenzboten III 1W4 ß
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[0049] Das „Rotwelsch" des deutschen Ganners Dinge ist das Dichten und Trachten echter Gauner gerichtet, und auch das hat natürlich seinen Widerschein in ihrer Redeweise zurückgelassen. Sie erscheint nämlich sehr arm an selbständigen Ausdrücken für rein abstrakte Begriffe, und die wenigen, die sie davon aufweist, hat sie zudem meist den fremden Sprachen entlehnt. Häufig aber sind die Abstrakta durch konkrete, dem gaunerischen Vorstellungskreise näher liegende Dinge umschrieben. So findet sich zum Beispiel für das Gericht die Bezeichnung „Dolch," für das gerichtliche Verhör (wo es dem Angeschuldigten heiß wird) „Hitze," was den (besonders auch in der Vagabunden- oder sog. „Kunden¬ sprache" geläufigen) Wendungen „es ist heiß" oder „die Steine brennen" ent¬ spricht, wie gesagt wird, wenn die Sicherheitsbehörden in einzelnen Gegenden den Gaunern scharf oder sehr scharf auf die Finger passen. Das Unglück wird durch „Essig" oder „Pech," der Jähzorn durch „Löwe" wiedergegeben, die Vorsicht Wohl mit Eiern verglichen, sodaß, wer sie gebraucht, also bei einer Tat vorsichtig zu Werke geht, „Beitze (jüdisch-deutsch für Eier) hciudelt" (also gleichsam wie auf Eiern geht; daher dann auch wohl schlechthin Beitze — sehr gewagter Diebstahl). Weiter erklären sich viele sonderbare euphemistische Begrisfsverhüllungen psycho¬ logisch nicht allzu schwer aus der Scheu des Gauners, sowohl seine verbrecherische Tätigkeit als auch die dafür zu erwartenden geschlichen Folgen beim rechten Namen zu nennen. Darum bezeichnet sich zum Beispiel der deutsche Gauner selbst charak¬ teristischerweise als Kochemer oder Kochern, d. h. der Kluge, Geschenke (vom hebr. elwelwm; daher: Kochemer Löschen — Gaunersprache, eigentlich die Sprache shebr. lahmen) der klugen Leute). Als solcher fühlt er sich gleichsam berechtigt, die Wittschen, d. h. die Nichtgauner, die dummen Gimpel (abzuleiten vielleicht eher vom niederdeutschen witt, weiß, der Farbe der einfältigen Unschuld, als aus dem Hebräischen) auszuplündern, sie zu „behandeln," wie der Arzt den Patienten, ja bei Widerstand sie zu „meistern," wobei auch eine „Regierung" (Strick) oft gute Dienste leisten kann. In einer ähnlichen Anschauungsweise bewegen sich die harmlosen Ausdrücke „Handel," „Geschäft" (jüdisch-deutsch: Masematten) oder „Arbeit" für die gaunerische Tätigkeit. Wer sich zu dieser anschickt, der „fährt" deshalb „aus," um zu „handeln" oder zu „fachem" (schachern), sich „ein Stück Brot" zu „verdienen" oder auch schlechthin nur etwas zu „machen," sodnß er ein „Faktum" (gestohlnes Gut), das er dem „Gemachtem" abgenommen hat, mit nach Hause bringt. Dem entsprechen denn auch die Bezeichnungen für die einzelnen Gnunerspezialitäten: der Dieb auf der Landstraße heißt zum Beispiel Strade- händler. der Räuber Scharfhändler, der Nachtdieb Schwarzhttndler, der Pferd¬ dieb Zoskenhnndler, der Markt- und Messedieb Freikäufer oder Weißkänfer, der gewerbsmäßige Spieler Kommerziant; der Taschendieb aber wird gar mit dem friedlichen Gewerbe eines Scherenschleifers verglichen, weil er nicht selten „Schere macht," d. h. mit zwei geradegcstreckten Fingern dem zu Bcstehlenden in die Tasche fährt. Von einer Art Galgenhumor zeugen die verhüllenden Umschreibungen des Notwelsch, namentlich in der ältern Zeit, für die verschiednen Strafformen, ob¬ wohl die Gauner in, ganzen hierin nicht so viel geleistet haben, als man mit Rück¬ sicht auf die zahlreichen ähnlichen Wortscherze des mittelalterlichen Volkswitzes wohl erwarten sollte. Als Beispiele seien hier genannt die Bezeichnung des Galgens "is „Feldglocke," worin sich der Gehängte gleichsam als Klöppel oder „Galgen¬ schwengel" hin und her bewegt, die Wiedergabe des Stanpenschlags durch „Speck und Blnukohl" (mit Rücksicht auf die blauen Flecken des Geschlagnen), des Stehens Pranger durch „Feilhalten," der Landesverweisung durch „Wegweiser," der Handschelleu durch „Armspangen," „Manschetten," „Rosenkranz" oder «Bretzeln." Daran reihen sich dann die meist erst ans neuerer Zeit stammenden humoristischen Ausdrücke für die Gefängnisse (oder Kriminalgebände), die von dem einfachen „Kasten." dem „Kahn" oder „dem Kühlen," aufsteigen zudem „Gym¬ nasium," der „hohen Schule" (in der „Kuudensprache") oder gnr dem „Graupen¬ palais," ganz zu geschweigen noch von den speziellen sonderbaren Namen für Grenzboten III 1W4 ß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/49>, abgerufen am 13.05.2024.