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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und Japan

dort den Kampf mit dem Neger, dem Klima und dem Wassermangel zugleich
führen. Aber die hohe Schule des großen Kriegs ist uns in Ostasien er¬
öffnet, wo auch die Heerführung großen Stils lehrreiche Proben ihrer Be¬
fähigung ablegt. Es wird berichtet, daß jüngst nach der Parade in Kassel
der Kaiser den Offizieren eine halbe Stunde lang eingehend über den japa¬
nischen Krieg gesprochen habe. Orients lux! Aus dem fernen Osten
kommen dem alten Europa die neuen Lehren der großen Kriegführung und
des Volkskriegs größten Stils. Denn ein solcher ist der Krieg auf der Seite
der Japaner, und zwar so sorglich in allen Richtungen vorbereitet, wie das
bisher nur bei den bestgeleiteten der alten großen Armeen Europas der Fall
war. Und das bei einem Volk, dessen Kultur erst seit einem Menschenalter
einen so großartigen Aufschwung genommen hat, daß es heute schon über
eine der ältesten, ja über die größte Militärmacht Europas zu triumphieren
vermag, einen Aufschwung obendrein, der nicht auf christlicher Grundlage steht
und sich doch stärker als die ihm gegenüberstehende christliche Kultur erweist.
Dieser letzte Umstand wird das charakteristische Merkmal des russisch-japanischen
Kriegs bleiben, wie auch der schließliche Ausgang sein möge. Japan hat ihn
im Symbol der aufgehenden Sonne geführt.

Aber auch eine ganze Reihe andrer Dinge drängt sich Deutschland auf.
Der Krieg wäre für Japan unmöglich gewesen, wenn es nicht rechtzeitig eine
bedeutende Überlegenheit zur See vorbereitet und behauptet hätte. Das ist
für Deutschland eine neue und eindringliche Lehre, die Bedeutung einer Flotte
sowohl für den Angriff wie für die Verteidigung im Auge zu behalten. Wir
haben uns in Europa während der letzten Jahrzehnte gerade in dieser Be¬
ziehung an gewisse Lehrmeinungen gewöhnt. Der russisch-japanische Krieg hat
aber schon so viele Überraschungen gebracht, daß wir auch in Europa, zumal
in Deutschland, mit solchen rechnen lernen müssen. Sollte es zum Beispiel
den Engländern, die, allerdings durch eine feindliche Flotte nicht behindert,
über zweihunderttausend Mann nach Südafrika transportierten, so ganz un¬
möglich sein, in einem Kriege gegen eine Kontinentalmacht nach einer gewon¬
nenen Seeschlacht gleichfalls hundert- bis zweihunderttausend Mann zu landen
und damit dem Kriege eine entscheidende Wendung zu geben? Dasselbe könnte
in einem deutsch-französischen Kriege sowohl für Deutschland wie für Frank¬
reich gelten.

Sodann stehn wir vor der Tatsache, daß die schwere Niederlage der rus¬
sischen Flotte in Ostasien, die ihrer Auflösung gleichkommt, Rußland in seiner
maritimen Bedeutung hinter Amerika und Deutschland zurückbringt, sodaß
Deutschland dadurch in der Reihe der Seemächte an die vierte Stelle statt der
bisher eingenommnen fünften rückt. Vor uns stehn nächst England nur noch
Frankreich und auch Amerika, dessen Linienschiffe neuer sind, und das uns an
Panzerkreuzern überlegen ist. Ferner nötigt der Krieg Rußland, für lange
Zeit zwischen seiner europäischen und seiner asiatischen Stellung zu optieren.
Will es seine asiatische Stellung behaupten oder wiedergewinnen, so wird es
zehn bis zwölf seiner europäischen Armeekorps dafür einsetzen müssen, die
Hälfte seiner europäischen Armee. Da die Eisenbahn im Durchschnitt täglich


Deutschland und Japan

dort den Kampf mit dem Neger, dem Klima und dem Wassermangel zugleich
führen. Aber die hohe Schule des großen Kriegs ist uns in Ostasien er¬
öffnet, wo auch die Heerführung großen Stils lehrreiche Proben ihrer Be¬
fähigung ablegt. Es wird berichtet, daß jüngst nach der Parade in Kassel
der Kaiser den Offizieren eine halbe Stunde lang eingehend über den japa¬
nischen Krieg gesprochen habe. Orients lux! Aus dem fernen Osten
kommen dem alten Europa die neuen Lehren der großen Kriegführung und
des Volkskriegs größten Stils. Denn ein solcher ist der Krieg auf der Seite
der Japaner, und zwar so sorglich in allen Richtungen vorbereitet, wie das
bisher nur bei den bestgeleiteten der alten großen Armeen Europas der Fall
war. Und das bei einem Volk, dessen Kultur erst seit einem Menschenalter
einen so großartigen Aufschwung genommen hat, daß es heute schon über
eine der ältesten, ja über die größte Militärmacht Europas zu triumphieren
vermag, einen Aufschwung obendrein, der nicht auf christlicher Grundlage steht
und sich doch stärker als die ihm gegenüberstehende christliche Kultur erweist.
Dieser letzte Umstand wird das charakteristische Merkmal des russisch-japanischen
Kriegs bleiben, wie auch der schließliche Ausgang sein möge. Japan hat ihn
im Symbol der aufgehenden Sonne geführt.

Aber auch eine ganze Reihe andrer Dinge drängt sich Deutschland auf.
Der Krieg wäre für Japan unmöglich gewesen, wenn es nicht rechtzeitig eine
bedeutende Überlegenheit zur See vorbereitet und behauptet hätte. Das ist
für Deutschland eine neue und eindringliche Lehre, die Bedeutung einer Flotte
sowohl für den Angriff wie für die Verteidigung im Auge zu behalten. Wir
haben uns in Europa während der letzten Jahrzehnte gerade in dieser Be¬
ziehung an gewisse Lehrmeinungen gewöhnt. Der russisch-japanische Krieg hat
aber schon so viele Überraschungen gebracht, daß wir auch in Europa, zumal
in Deutschland, mit solchen rechnen lernen müssen. Sollte es zum Beispiel
den Engländern, die, allerdings durch eine feindliche Flotte nicht behindert,
über zweihunderttausend Mann nach Südafrika transportierten, so ganz un¬
möglich sein, in einem Kriege gegen eine Kontinentalmacht nach einer gewon¬
nenen Seeschlacht gleichfalls hundert- bis zweihunderttausend Mann zu landen
und damit dem Kriege eine entscheidende Wendung zu geben? Dasselbe könnte
in einem deutsch-französischen Kriege sowohl für Deutschland wie für Frank¬
reich gelten.

Sodann stehn wir vor der Tatsache, daß die schwere Niederlage der rus¬
sischen Flotte in Ostasien, die ihrer Auflösung gleichkommt, Rußland in seiner
maritimen Bedeutung hinter Amerika und Deutschland zurückbringt, sodaß
Deutschland dadurch in der Reihe der Seemächte an die vierte Stelle statt der
bisher eingenommnen fünften rückt. Vor uns stehn nächst England nur noch
Frankreich und auch Amerika, dessen Linienschiffe neuer sind, und das uns an
Panzerkreuzern überlegen ist. Ferner nötigt der Krieg Rußland, für lange
Zeit zwischen seiner europäischen und seiner asiatischen Stellung zu optieren.
Will es seine asiatische Stellung behaupten oder wiedergewinnen, so wird es
zehn bis zwölf seiner europäischen Armeekorps dafür einsetzen müssen, die
Hälfte seiner europäischen Armee. Da die Eisenbahn im Durchschnitt täglich


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[0501] Deutschland und Japan dort den Kampf mit dem Neger, dem Klima und dem Wassermangel zugleich führen. Aber die hohe Schule des großen Kriegs ist uns in Ostasien er¬ öffnet, wo auch die Heerführung großen Stils lehrreiche Proben ihrer Be¬ fähigung ablegt. Es wird berichtet, daß jüngst nach der Parade in Kassel der Kaiser den Offizieren eine halbe Stunde lang eingehend über den japa¬ nischen Krieg gesprochen habe. Orients lux! Aus dem fernen Osten kommen dem alten Europa die neuen Lehren der großen Kriegführung und des Volkskriegs größten Stils. Denn ein solcher ist der Krieg auf der Seite der Japaner, und zwar so sorglich in allen Richtungen vorbereitet, wie das bisher nur bei den bestgeleiteten der alten großen Armeen Europas der Fall war. Und das bei einem Volk, dessen Kultur erst seit einem Menschenalter einen so großartigen Aufschwung genommen hat, daß es heute schon über eine der ältesten, ja über die größte Militärmacht Europas zu triumphieren vermag, einen Aufschwung obendrein, der nicht auf christlicher Grundlage steht und sich doch stärker als die ihm gegenüberstehende christliche Kultur erweist. Dieser letzte Umstand wird das charakteristische Merkmal des russisch-japanischen Kriegs bleiben, wie auch der schließliche Ausgang sein möge. Japan hat ihn im Symbol der aufgehenden Sonne geführt. Aber auch eine ganze Reihe andrer Dinge drängt sich Deutschland auf. Der Krieg wäre für Japan unmöglich gewesen, wenn es nicht rechtzeitig eine bedeutende Überlegenheit zur See vorbereitet und behauptet hätte. Das ist für Deutschland eine neue und eindringliche Lehre, die Bedeutung einer Flotte sowohl für den Angriff wie für die Verteidigung im Auge zu behalten. Wir haben uns in Europa während der letzten Jahrzehnte gerade in dieser Be¬ ziehung an gewisse Lehrmeinungen gewöhnt. Der russisch-japanische Krieg hat aber schon so viele Überraschungen gebracht, daß wir auch in Europa, zumal in Deutschland, mit solchen rechnen lernen müssen. Sollte es zum Beispiel den Engländern, die, allerdings durch eine feindliche Flotte nicht behindert, über zweihunderttausend Mann nach Südafrika transportierten, so ganz un¬ möglich sein, in einem Kriege gegen eine Kontinentalmacht nach einer gewon¬ nenen Seeschlacht gleichfalls hundert- bis zweihunderttausend Mann zu landen und damit dem Kriege eine entscheidende Wendung zu geben? Dasselbe könnte in einem deutsch-französischen Kriege sowohl für Deutschland wie für Frank¬ reich gelten. Sodann stehn wir vor der Tatsache, daß die schwere Niederlage der rus¬ sischen Flotte in Ostasien, die ihrer Auflösung gleichkommt, Rußland in seiner maritimen Bedeutung hinter Amerika und Deutschland zurückbringt, sodaß Deutschland dadurch in der Reihe der Seemächte an die vierte Stelle statt der bisher eingenommnen fünften rückt. Vor uns stehn nächst England nur noch Frankreich und auch Amerika, dessen Linienschiffe neuer sind, und das uns an Panzerkreuzern überlegen ist. Ferner nötigt der Krieg Rußland, für lange Zeit zwischen seiner europäischen und seiner asiatischen Stellung zu optieren. Will es seine asiatische Stellung behaupten oder wiedergewinnen, so wird es zehn bis zwölf seiner europäischen Armeekorps dafür einsetzen müssen, die Hälfte seiner europäischen Armee. Da die Eisenbahn im Durchschnitt täglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/501>, abgerufen am 16.06.2024.