Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Wir wollen die erste Maxime in ihrer vollständigen Wiedergabe der gelehrten 1. "Seid beseelt von kindlicher Ergebenheit und gehorsam gegen Vater und Poesie: Ich ermahne mein Volk, Vater und Mutter zu ehren. -- Die Wohl¬ Es folgt das die Kindesliebe darstellende Gemälde, das so erklärt wird: Der Tchong Hua-min, der Pferde- und Teekontrolleur, schließt daran einige Aus¬ 2. "Ehret die, die älter und euch vorgesetzt sind." Bilderklärung: Die stehende Figur ist Sseu-ma Knäng, sein ältester Bruder 3. "Lebet in Ruhe und Frieden mit euern Distrikts- und Kantonsnachbarn. Bilderklaruug: Der Man", der hier ein Gedicht niederschreibe, ist der Minister¬ Wir wollen die erste Maxime in ihrer vollständigen Wiedergabe der gelehrten 1. „Seid beseelt von kindlicher Ergebenheit und gehorsam gegen Vater und Poesie: Ich ermahne mein Volk, Vater und Mutter zu ehren. — Die Wohl¬ Es folgt das die Kindesliebe darstellende Gemälde, das so erklärt wird: Der Tchong Hua-min, der Pferde- und Teekontrolleur, schließt daran einige Aus¬ 2. „Ehret die, die älter und euch vorgesetzt sind." Bilderklärung: Die stehende Figur ist Sseu-ma Knäng, sein ältester Bruder 3. „Lebet in Ruhe und Frieden mit euern Distrikts- und Kantonsnachbarn. Bilderklaruug: Der Man», der hier ein Gedicht niederschreibe, ist der Minister¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294971"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2510"> Wir wollen die erste Maxime in ihrer vollständigen Wiedergabe der gelehrten<lb/> französischen Zeitschrift entnehmen, für die andern genüge der Moralspruch und die<lb/> Legende oder Bilderklärung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2511"> 1. „Seid beseelt von kindlicher Ergebenheit und gehorsam gegen Vater und<lb/> Mutter!" Der Mensch ist zwischen Himmel und Erde geboren; sein Körper, woher<lb/> stammt er denn? Vater und Mutter verdankt er sein Dasein, die ihn genährt und<lb/> nach zehntausend Schmerzen und Mühen zum Guten geführt haben. Jeder Menschen-<lb/> sohn soll Vater und Mutter zu Gefallen leben. Bei jedem Streit mit einem andern<lb/> sollen wir daran denken, daß wir Vater und Mutter dadurch Unehre schaffen, und<lb/> sofort werde» wir geduldig sein. Bei jeder unrechten Tat, die wir begehn, sollen<lb/> wir uns die Schande vorhalten, die wir den Eltern dadurch bereiten, und sofort<lb/> werden wir davon abstehn. Mit solchen Vorsätzen handelt man als würdiger Mensch<lb/> und als Vorbild für die Nachwelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2512"> Poesie: Ich ermahne mein Volk, Vater und Mutter zu ehren. — Die Wohl¬<lb/> taten der Väter und der Mütter, kennet ihr sie? — Tausend Schmerzen und der<lb/> Mühsale zehntausend trugen sie für uns. — Vom Morgen zum Abend haben sie<lb/> gewacht und ihre Hände nicht von uns gelassen. Ist dabei jemals Süßes in ihren<lb/> Mund gekommen? Alles Gute war für uns. — Und waren wir krank, hat doppelte<lb/> Sorge sie gequält. — Den Schlaf zu opfern, das Mahl zu übergehn, dies war<lb/> ihr beständiges Teil. — Tiger und Wölfe verstehn die Liebe ihrer Alten, und der<lb/> Mensch sollte zurückbleiben hinter wilden Bestien? — Leset das Gedicht mit dem<lb/> Titel „Lu-ngo": Sehet den Mann, der unendliche Güte der Eltern vergelten möchte;<lb/> doch vergeblich wendet er den Kopf nach ihnen (denn sie sind tot). — nennet mir<lb/> einen, der nicht Elternliebe genossen und Eltern Sorge gemacht hat. — Ich er¬<lb/> mahne mein Volk, Vater und Mutter zu ehren. '</p><lb/> <p xml:id="ID_2513"> Es folgt das die Kindesliebe darstellende Gemälde, das so erklärt wird: Der<lb/> Mann, der auf dem Eise liegt, ist Wang Siang ans der Tsinveriode (etwa 20V<lb/> n. Chr.). Seine Stiefmutter war krank und äußerte den Wunsch nach frischem<lb/> Fisch. Es war kalt, und der Fluß gefroren. Wang Siang ging auf. das Eis.<lb/> zog seine Kleider aus und legte sich auf das Eis, um es durch seine Körperwärme<lb/> zu schmelze». Plötzlich ging der gefrorne Fluß von selbst auseinander, zwei Karpfen<lb/> sprangen heraus. Wang Siang ergriff sie und brachte sie seiner Stiefmutter, die.<lb/> sofort gesund wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2514"> Tchong Hua-min, der Pferde- und Teekontrolleur, schließt daran einige Aus¬<lb/> fälle über die modernen Zeiten, wo Kinder oft ihre leiblichen Eltern wenig ehren,<lb/> geschweige denn wie Wang Siang eine Stiefmutter. Aber Wang Siang wurde,<lb/> auch vom Himniel belohnt; er erreichte den hohen Rang eines Fürsten des Palastes,<lb/> und die chinesische Nachwelt kennt ihn als eins der vierundzwanzig Vorbilder kind¬<lb/> licher Liebe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2515"> 2. „Ehret die, die älter und euch vorgesetzt sind."</p><lb/> <p xml:id="ID_2516"> Bilderklärung: Die stehende Figur ist Sseu-ma Knäng, sein ältester Bruder<lb/> Po-K'arg sitzt vor ihm. Knäng bediente ihn wie einen ehrwürdigen Vater; er<lb/> umgab ihn mit Fürsorge wie ein unmündiges Kind. Aß Po-K'arg, so fragte er<lb/> ihn jeden Augenblick: Hast du nicht noch Hunger? Wurde es kälter, befühlte er<lb/> Po-K'angs Rucke» »»d sagte: Ist deine Kleidung nicht vielleicht zu leicht? Und.<lb/> Sseu-ma Knäng war Premierminister, aber er ehrte und respektierte seinen ältesten<lb/> Bruder. Wenn Menschen, die noch nicht die geringste öffentliche Stellung oder<lb/> einen Grad erreicht haben, vor ältern oder vorgesetzten keinen Respekt haben, sollen<lb/> sie dies Bild betrachten. Dann werden sie sich schämen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2517"> 3. „Lebet in Ruhe und Frieden mit euern Distrikts- und Kantonsnachbarn.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_2518" next="#ID_2519"> Bilderklaruug: Der Man», der hier ein Gedicht niederschreibe, ist der Minister¬<lb/> präsident Hnang aus der Songperiode (etwa 1100 n. Chr.). Ein Nachbar hatte,<lb/> von Hucmgs alter Wohnung Besitz ergriffe»; seine Söhne und jüngern Brüder<lb/> wollten darauf eine Klage einreichen. Hnang schrieb folgende Verse: „Wenn meine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0554]
Wir wollen die erste Maxime in ihrer vollständigen Wiedergabe der gelehrten
französischen Zeitschrift entnehmen, für die andern genüge der Moralspruch und die
Legende oder Bilderklärung.
1. „Seid beseelt von kindlicher Ergebenheit und gehorsam gegen Vater und
Mutter!" Der Mensch ist zwischen Himmel und Erde geboren; sein Körper, woher
stammt er denn? Vater und Mutter verdankt er sein Dasein, die ihn genährt und
nach zehntausend Schmerzen und Mühen zum Guten geführt haben. Jeder Menschen-
sohn soll Vater und Mutter zu Gefallen leben. Bei jedem Streit mit einem andern
sollen wir daran denken, daß wir Vater und Mutter dadurch Unehre schaffen, und
sofort werde» wir geduldig sein. Bei jeder unrechten Tat, die wir begehn, sollen
wir uns die Schande vorhalten, die wir den Eltern dadurch bereiten, und sofort
werden wir davon abstehn. Mit solchen Vorsätzen handelt man als würdiger Mensch
und als Vorbild für die Nachwelt.
Poesie: Ich ermahne mein Volk, Vater und Mutter zu ehren. — Die Wohl¬
taten der Väter und der Mütter, kennet ihr sie? — Tausend Schmerzen und der
Mühsale zehntausend trugen sie für uns. — Vom Morgen zum Abend haben sie
gewacht und ihre Hände nicht von uns gelassen. Ist dabei jemals Süßes in ihren
Mund gekommen? Alles Gute war für uns. — Und waren wir krank, hat doppelte
Sorge sie gequält. — Den Schlaf zu opfern, das Mahl zu übergehn, dies war
ihr beständiges Teil. — Tiger und Wölfe verstehn die Liebe ihrer Alten, und der
Mensch sollte zurückbleiben hinter wilden Bestien? — Leset das Gedicht mit dem
Titel „Lu-ngo": Sehet den Mann, der unendliche Güte der Eltern vergelten möchte;
doch vergeblich wendet er den Kopf nach ihnen (denn sie sind tot). — nennet mir
einen, der nicht Elternliebe genossen und Eltern Sorge gemacht hat. — Ich er¬
mahne mein Volk, Vater und Mutter zu ehren. '
Es folgt das die Kindesliebe darstellende Gemälde, das so erklärt wird: Der
Mann, der auf dem Eise liegt, ist Wang Siang ans der Tsinveriode (etwa 20V
n. Chr.). Seine Stiefmutter war krank und äußerte den Wunsch nach frischem
Fisch. Es war kalt, und der Fluß gefroren. Wang Siang ging auf. das Eis.
zog seine Kleider aus und legte sich auf das Eis, um es durch seine Körperwärme
zu schmelze». Plötzlich ging der gefrorne Fluß von selbst auseinander, zwei Karpfen
sprangen heraus. Wang Siang ergriff sie und brachte sie seiner Stiefmutter, die.
sofort gesund wurde.
Tchong Hua-min, der Pferde- und Teekontrolleur, schließt daran einige Aus¬
fälle über die modernen Zeiten, wo Kinder oft ihre leiblichen Eltern wenig ehren,
geschweige denn wie Wang Siang eine Stiefmutter. Aber Wang Siang wurde,
auch vom Himniel belohnt; er erreichte den hohen Rang eines Fürsten des Palastes,
und die chinesische Nachwelt kennt ihn als eins der vierundzwanzig Vorbilder kind¬
licher Liebe.
2. „Ehret die, die älter und euch vorgesetzt sind."
Bilderklärung: Die stehende Figur ist Sseu-ma Knäng, sein ältester Bruder
Po-K'arg sitzt vor ihm. Knäng bediente ihn wie einen ehrwürdigen Vater; er
umgab ihn mit Fürsorge wie ein unmündiges Kind. Aß Po-K'arg, so fragte er
ihn jeden Augenblick: Hast du nicht noch Hunger? Wurde es kälter, befühlte er
Po-K'angs Rucke» »»d sagte: Ist deine Kleidung nicht vielleicht zu leicht? Und.
Sseu-ma Knäng war Premierminister, aber er ehrte und respektierte seinen ältesten
Bruder. Wenn Menschen, die noch nicht die geringste öffentliche Stellung oder
einen Grad erreicht haben, vor ältern oder vorgesetzten keinen Respekt haben, sollen
sie dies Bild betrachten. Dann werden sie sich schämen."
3. „Lebet in Ruhe und Frieden mit euern Distrikts- und Kantonsnachbarn.
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Bilderklaruug: Der Man», der hier ein Gedicht niederschreibe, ist der Minister¬
präsident Hnang aus der Songperiode (etwa 1100 n. Chr.). Ein Nachbar hatte,
von Hucmgs alter Wohnung Besitz ergriffe»; seine Söhne und jüngern Brüder
wollten darauf eine Klage einreichen. Hnang schrieb folgende Verse: „Wenn meine
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