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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nachbarn nach rechts und links mir Unrecht tun, so lasse ich sie, -- Denn ich denke
der Zeiten, da ich das noch nicht besaß, was sie mir nahmen. -- Gehet hin, wo
der Palast Hang-Knäng stand, und sehet in die Ferne: der Herbstwind und das
Herbstunkraut haben da freie Bahn (d, h. wenn ein kaiserlicher Palast zur Ruine
werden kann, um wieviel mehr ist ein Bürgerhaus dem Schicksal preisgegeben)." --
Der Pferde- und Teekvntrolleur jammert wieder am Schluß über die gegenwärtigen
Zeiten (1587), wo man um einen Fuß Land herumprozessiert; wenn man an die
Zeiten zurückdenke, wo man nichts besaß, könne man sich mit wenigem wohl be¬
gnügen. Warum da mit andern streiten und prozessieren?

4. "Unterrichtet eure Söhne und Enkel."

Bilderklärung: Die Frau, die die auf den Webstuhl gespannte Leinwand
durchschneidet, ist die Mutter von Mong K'o; dieser selbst kniet vor ihr. Die
Mutter hatte der Erziehung des jungen Sohnes halber dreimal den Wohnsitz ge¬
wechselt. Nach einem Jahr auswärtigen Studiums kam er zurück; da ergriff die
Mutter ein Messer, schnitt das Gewebe durch und sagte: "Wenn man lernt und
geht nicht bis zum Ziele, so ist dies gerade, als wenn man ein nnfertiges Gewebe
durchschneidet." Darauf ging Mong K'o wieder fort, studierte weitere drei Jahre
ohne heimzukehren und wurde ein großer Gelehrter. -- Der Lcmdator vergangner
Zeiten muß hier wieder klagen: "Die Männer von heutzutage lassen ihre Söhne
nicht mehr lernen, als was dazu gehört, ein Examen zu bestehn, damit sie eine
Anstellung erhalten. Nehmet euch ein Beispiel an Mong K'os Mutter, die doch
nur eine Frau war; sie ließ ihren Sohn studieren, bis er weise wurde."
"

5. "Jeder sei mit seinem Stand und seiner Arbeit zufrieden.

Das Gemälde illustriert nicht eigentlich die Maxime: der Präfekt Knäng-kehn
trägt jeden Morgen hundert Krüge in sein Zimmer und Abends wieder hinaus,
um sich körperlich frisch zu halten. Die kaiserliche Poesie aber lautet:

"Die Lehre gebe ich meinem Volke: ein jeder sei zufrieden mit seiner Tätig¬
keit. -- Nichts Schöneres in der Welt, als sein Los zu tragen. -- Wer sein Los
annimmt, wer nichts andres verlangt, der lebt im Überfluß. -- Der Landmann
grabe seinen Brunnen und bestelle sein Feld -- der Künstler bleibe bei Meißel.
Pinsel und Messer -- der Kaufmann reise nach andern Gegenden und Schätzen --
der Händler halte am Markte seinen Stand. -- Betrachtet doch die Nebengeschäfte
als überflüssig; man kann aller Menschen Tätigkeit doch nicht ändern. -- Aber so
wird sich von selbst euer Wohlstand täglich bessern. -- Das Paradies wird auf
Erden sein. Ist dem nicht so, wenn alle Menschen mit ihrer Beschäftigung zu¬
frieden sind? -- Traget euer Los, traget euer Los; Schöneres gibt es nicht. --
Die Lehre gebe ich meinem Volke, ein jeder sei zufrieden mit seiner Tätigkeit."
"

6. "Haltet euch fern vom Unrechttun.

Das Gemälde stellt einen Mann in Zeremoniengewand und Mandarinenmütze
vor; es ist Tas'en Ehe (104 bis 187 n. Chr.). In der Nacht drang ein Dieb
vom Dach aus in sein Haus ein. Tas'en Ehe sah ihn, ohne daß der Dieb ihn
bemerkte, und rief seine Kinder und Enkel zu sich, denen er folgende Instruktionen
gab: "Der Mensch, der Schlechtes tut, ist nicht notwendig von Haus aus ein Ver¬
brecher; die Gewohnheit der Umgebung ist ihm zur zweiten Natur geworden, und
so kommt er zum Schlechten. So ist es sicher mit dem Mann auf dem Dache."
Der durch das Sprechen erschreckte Dieb warf sich Tas'en Ehe zu Füßen. Dieser
ließ ihm zwei Stücke Seide überreichen. Der Mann besserte sich, und in der
ganzen Provinz gab es bald keine Diebe mehr. Wo ist der Mensch, dessen Herz
nicht vor dem Schlechten zurückschauderte? Lasset die Menschen ihr eigentliches
Herz wiederfinden; keinen gibt es, der nicht besser und gut werden könnte. Solche
Vorbilder wie Tas'en Ehe können durch das Betspiel, das sie geben, das Land von
Verbrechen reinigen.

Es steckt etwas von unverfälschter Evangelienmoral in diesen chinesischen kaiser¬
lichen Morallehrer, obwohl die Gottesidee darin ebenso fehlt -- wenn auch einmal


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nachbarn nach rechts und links mir Unrecht tun, so lasse ich sie, — Denn ich denke
der Zeiten, da ich das noch nicht besaß, was sie mir nahmen. — Gehet hin, wo
der Palast Hang-Knäng stand, und sehet in die Ferne: der Herbstwind und das
Herbstunkraut haben da freie Bahn (d, h. wenn ein kaiserlicher Palast zur Ruine
werden kann, um wieviel mehr ist ein Bürgerhaus dem Schicksal preisgegeben)." —
Der Pferde- und Teekvntrolleur jammert wieder am Schluß über die gegenwärtigen
Zeiten (1587), wo man um einen Fuß Land herumprozessiert; wenn man an die
Zeiten zurückdenke, wo man nichts besaß, könne man sich mit wenigem wohl be¬
gnügen. Warum da mit andern streiten und prozessieren?

4. „Unterrichtet eure Söhne und Enkel."

Bilderklärung: Die Frau, die die auf den Webstuhl gespannte Leinwand
durchschneidet, ist die Mutter von Mong K'o; dieser selbst kniet vor ihr. Die
Mutter hatte der Erziehung des jungen Sohnes halber dreimal den Wohnsitz ge¬
wechselt. Nach einem Jahr auswärtigen Studiums kam er zurück; da ergriff die
Mutter ein Messer, schnitt das Gewebe durch und sagte: „Wenn man lernt und
geht nicht bis zum Ziele, so ist dies gerade, als wenn man ein nnfertiges Gewebe
durchschneidet." Darauf ging Mong K'o wieder fort, studierte weitere drei Jahre
ohne heimzukehren und wurde ein großer Gelehrter. — Der Lcmdator vergangner
Zeiten muß hier wieder klagen: „Die Männer von heutzutage lassen ihre Söhne
nicht mehr lernen, als was dazu gehört, ein Examen zu bestehn, damit sie eine
Anstellung erhalten. Nehmet euch ein Beispiel an Mong K'os Mutter, die doch
nur eine Frau war; sie ließ ihren Sohn studieren, bis er weise wurde."
"

5. „Jeder sei mit seinem Stand und seiner Arbeit zufrieden.

Das Gemälde illustriert nicht eigentlich die Maxime: der Präfekt Knäng-kehn
trägt jeden Morgen hundert Krüge in sein Zimmer und Abends wieder hinaus,
um sich körperlich frisch zu halten. Die kaiserliche Poesie aber lautet:

„Die Lehre gebe ich meinem Volke: ein jeder sei zufrieden mit seiner Tätig¬
keit. — Nichts Schöneres in der Welt, als sein Los zu tragen. — Wer sein Los
annimmt, wer nichts andres verlangt, der lebt im Überfluß. — Der Landmann
grabe seinen Brunnen und bestelle sein Feld — der Künstler bleibe bei Meißel.
Pinsel und Messer — der Kaufmann reise nach andern Gegenden und Schätzen —
der Händler halte am Markte seinen Stand. — Betrachtet doch die Nebengeschäfte
als überflüssig; man kann aller Menschen Tätigkeit doch nicht ändern. — Aber so
wird sich von selbst euer Wohlstand täglich bessern. — Das Paradies wird auf
Erden sein. Ist dem nicht so, wenn alle Menschen mit ihrer Beschäftigung zu¬
frieden sind? — Traget euer Los, traget euer Los; Schöneres gibt es nicht. —
Die Lehre gebe ich meinem Volke, ein jeder sei zufrieden mit seiner Tätigkeit."
"

6. „Haltet euch fern vom Unrechttun.

Das Gemälde stellt einen Mann in Zeremoniengewand und Mandarinenmütze
vor; es ist Tas'en Ehe (104 bis 187 n. Chr.). In der Nacht drang ein Dieb
vom Dach aus in sein Haus ein. Tas'en Ehe sah ihn, ohne daß der Dieb ihn
bemerkte, und rief seine Kinder und Enkel zu sich, denen er folgende Instruktionen
gab: „Der Mensch, der Schlechtes tut, ist nicht notwendig von Haus aus ein Ver¬
brecher; die Gewohnheit der Umgebung ist ihm zur zweiten Natur geworden, und
so kommt er zum Schlechten. So ist es sicher mit dem Mann auf dem Dache."
Der durch das Sprechen erschreckte Dieb warf sich Tas'en Ehe zu Füßen. Dieser
ließ ihm zwei Stücke Seide überreichen. Der Mann besserte sich, und in der
ganzen Provinz gab es bald keine Diebe mehr. Wo ist der Mensch, dessen Herz
nicht vor dem Schlechten zurückschauderte? Lasset die Menschen ihr eigentliches
Herz wiederfinden; keinen gibt es, der nicht besser und gut werden könnte. Solche
Vorbilder wie Tas'en Ehe können durch das Betspiel, das sie geben, das Land von
Verbrechen reinigen.

Es steckt etwas von unverfälschter Evangelienmoral in diesen chinesischen kaiser¬
lichen Morallehrer, obwohl die Gottesidee darin ebenso fehlt — wenn auch einmal


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[0555] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nachbarn nach rechts und links mir Unrecht tun, so lasse ich sie, — Denn ich denke der Zeiten, da ich das noch nicht besaß, was sie mir nahmen. — Gehet hin, wo der Palast Hang-Knäng stand, und sehet in die Ferne: der Herbstwind und das Herbstunkraut haben da freie Bahn (d, h. wenn ein kaiserlicher Palast zur Ruine werden kann, um wieviel mehr ist ein Bürgerhaus dem Schicksal preisgegeben)." — Der Pferde- und Teekvntrolleur jammert wieder am Schluß über die gegenwärtigen Zeiten (1587), wo man um einen Fuß Land herumprozessiert; wenn man an die Zeiten zurückdenke, wo man nichts besaß, könne man sich mit wenigem wohl be¬ gnügen. Warum da mit andern streiten und prozessieren? 4. „Unterrichtet eure Söhne und Enkel." Bilderklärung: Die Frau, die die auf den Webstuhl gespannte Leinwand durchschneidet, ist die Mutter von Mong K'o; dieser selbst kniet vor ihr. Die Mutter hatte der Erziehung des jungen Sohnes halber dreimal den Wohnsitz ge¬ wechselt. Nach einem Jahr auswärtigen Studiums kam er zurück; da ergriff die Mutter ein Messer, schnitt das Gewebe durch und sagte: „Wenn man lernt und geht nicht bis zum Ziele, so ist dies gerade, als wenn man ein nnfertiges Gewebe durchschneidet." Darauf ging Mong K'o wieder fort, studierte weitere drei Jahre ohne heimzukehren und wurde ein großer Gelehrter. — Der Lcmdator vergangner Zeiten muß hier wieder klagen: „Die Männer von heutzutage lassen ihre Söhne nicht mehr lernen, als was dazu gehört, ein Examen zu bestehn, damit sie eine Anstellung erhalten. Nehmet euch ein Beispiel an Mong K'os Mutter, die doch nur eine Frau war; sie ließ ihren Sohn studieren, bis er weise wurde." " 5. „Jeder sei mit seinem Stand und seiner Arbeit zufrieden. Das Gemälde illustriert nicht eigentlich die Maxime: der Präfekt Knäng-kehn trägt jeden Morgen hundert Krüge in sein Zimmer und Abends wieder hinaus, um sich körperlich frisch zu halten. Die kaiserliche Poesie aber lautet: „Die Lehre gebe ich meinem Volke: ein jeder sei zufrieden mit seiner Tätig¬ keit. — Nichts Schöneres in der Welt, als sein Los zu tragen. — Wer sein Los annimmt, wer nichts andres verlangt, der lebt im Überfluß. — Der Landmann grabe seinen Brunnen und bestelle sein Feld — der Künstler bleibe bei Meißel. Pinsel und Messer — der Kaufmann reise nach andern Gegenden und Schätzen — der Händler halte am Markte seinen Stand. — Betrachtet doch die Nebengeschäfte als überflüssig; man kann aller Menschen Tätigkeit doch nicht ändern. — Aber so wird sich von selbst euer Wohlstand täglich bessern. — Das Paradies wird auf Erden sein. Ist dem nicht so, wenn alle Menschen mit ihrer Beschäftigung zu¬ frieden sind? — Traget euer Los, traget euer Los; Schöneres gibt es nicht. — Die Lehre gebe ich meinem Volke, ein jeder sei zufrieden mit seiner Tätigkeit." " 6. „Haltet euch fern vom Unrechttun. Das Gemälde stellt einen Mann in Zeremoniengewand und Mandarinenmütze vor; es ist Tas'en Ehe (104 bis 187 n. Chr.). In der Nacht drang ein Dieb vom Dach aus in sein Haus ein. Tas'en Ehe sah ihn, ohne daß der Dieb ihn bemerkte, und rief seine Kinder und Enkel zu sich, denen er folgende Instruktionen gab: „Der Mensch, der Schlechtes tut, ist nicht notwendig von Haus aus ein Ver¬ brecher; die Gewohnheit der Umgebung ist ihm zur zweiten Natur geworden, und so kommt er zum Schlechten. So ist es sicher mit dem Mann auf dem Dache." Der durch das Sprechen erschreckte Dieb warf sich Tas'en Ehe zu Füßen. Dieser ließ ihm zwei Stücke Seide überreichen. Der Mann besserte sich, und in der ganzen Provinz gab es bald keine Diebe mehr. Wo ist der Mensch, dessen Herz nicht vor dem Schlechten zurückschauderte? Lasset die Menschen ihr eigentliches Herz wiederfinden; keinen gibt es, der nicht besser und gut werden könnte. Solche Vorbilder wie Tas'en Ehe können durch das Betspiel, das sie geben, das Land von Verbrechen reinigen. Es steckt etwas von unverfälschter Evangelienmoral in diesen chinesischen kaiser¬ lichen Morallehrer, obwohl die Gottesidee darin ebenso fehlt — wenn auch einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/555>, abgerufen am 12.05.2024.