Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.weltliche Musik im alten Leipzig sang so gesungen lvorden sein; Senft macht daraus, indem er einzelne Silben Es fällt uns nicht ganz leicht, die Reize dieser Kompositionsweise nachzuempfinden, weltliche Musik im alten Leipzig sang so gesungen lvorden sein; Senft macht daraus, indem er einzelne Silben Es fällt uns nicht ganz leicht, die Reize dieser Kompositionsweise nachzuempfinden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0585" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295002"/> <fw type="header" place="top"> weltliche Musik im alten Leipzig</fw><lb/> <p xml:id="ID_2633" prev="#ID_2632" next="#ID_2634"> sang so gesungen lvorden sein; Senft macht daraus, indem er einzelne Silben<lb/> in breitere Rhythmen einrenkt, Wiederholungen bringt, die Zeilen erst zweistimmig<lb/> vom Diskant und Alt oder Alt und Baß und darauf erst mit allen vier<lb/> Stimmen — wobei der Tenor, wie sein Name sagt, in der Regel der Melodie¬<lb/> halter ist —singen läßt und auf ausnutzbare Textworte wie „singen" Melismen<lb/> einschaltet, einunddreißig Takte, von denen z. B. die dreizehn letzten heißen:</p><lb/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341879_294416/figures/grenzboten_341879_294416_295002_003.jpg"/><lb/> <p xml:id="ID_2634" prev="#ID_2633" next="#ID_2635"> Es fällt uns nicht ganz leicht, die Reize dieser Kompositionsweise nachzuempfinden,<lb/> weil wir teilweise mit andern lautlicher Verhältnissen der Sprache rechnen<lb/> ("Wohl" z. B. war für Senft eine leichtere Silbe) und durch die Taktstriche, die<lb/> Wir zu bequemerer Übersicht zwischen die Noten legen, die Musik zu rücksichtslos<lb/> auf einem einförmigen Grundrhythmus festnageln; erst wer sich genug sprach-<lb/> nnd musikgeschichtliche Bildungsfreiheit zu eigen gemacht hat, dieser Ungeschicklich¬<lb/> keiten der Überlieferung Herr zu werden, vermag mit voller Freude ans dem<lb/> reichen Quell der deutschen mehrstimmigen Komposition ans der ersten Hälfte<lb/> des sechzehnten Jahrhunderts zu schöpfen. So waren die Senflschen ..Mudelen"<lb/> gearbeitet, von denen Luther sich verwundernd sagte, er vermöchte sie nicht zu<lb/> machen, wenn er sich auch zerreißen sollte. Gewiß war Luther musikalisch und<lb/> ein genialer Phonask. aber von da zum Symphoueteu war ein ähnlich weiter<lb/> Weg wie von der Dialektik zur Rhetorik, wie sie Luther einmal hübsch unterscheidet:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0585]
weltliche Musik im alten Leipzig
sang so gesungen lvorden sein; Senft macht daraus, indem er einzelne Silben
in breitere Rhythmen einrenkt, Wiederholungen bringt, die Zeilen erst zweistimmig
vom Diskant und Alt oder Alt und Baß und darauf erst mit allen vier
Stimmen — wobei der Tenor, wie sein Name sagt, in der Regel der Melodie¬
halter ist —singen läßt und auf ausnutzbare Textworte wie „singen" Melismen
einschaltet, einunddreißig Takte, von denen z. B. die dreizehn letzten heißen:
[Abbildung]
Es fällt uns nicht ganz leicht, die Reize dieser Kompositionsweise nachzuempfinden,
weil wir teilweise mit andern lautlicher Verhältnissen der Sprache rechnen
("Wohl" z. B. war für Senft eine leichtere Silbe) und durch die Taktstriche, die
Wir zu bequemerer Übersicht zwischen die Noten legen, die Musik zu rücksichtslos
auf einem einförmigen Grundrhythmus festnageln; erst wer sich genug sprach-
nnd musikgeschichtliche Bildungsfreiheit zu eigen gemacht hat, dieser Ungeschicklich¬
keiten der Überlieferung Herr zu werden, vermag mit voller Freude ans dem
reichen Quell der deutschen mehrstimmigen Komposition ans der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts zu schöpfen. So waren die Senflschen ..Mudelen"
gearbeitet, von denen Luther sich verwundernd sagte, er vermöchte sie nicht zu
machen, wenn er sich auch zerreißen sollte. Gewiß war Luther musikalisch und
ein genialer Phonask. aber von da zum Symphoueteu war ein ähnlich weiter
Weg wie von der Dialektik zur Rhetorik, wie sie Luther einmal hübsch unterscheidet:
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