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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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weltliche Musik im alten Leipzig

"Dialektik" redet einfältig daher, schlecht und gerecht; als wenn ich sage: Gib
mir trinken! Rhetorika aber schmuckes und spricht: Gib mir des lieblichen Safts
im Keller, das fein krause stehet und die Leute fröhlich macht."

Wenn neue Texte, auf Volkswirkung berechnet, zu einer alten Melodie
gedichtet wurden, wie in Sachsen 1548 zu "Innsbruck, ich muß dich lassen"
auf den gefangnen Fürsten Johann Friedrich, als er sein Land lassen mußte,
so hatte man zunächst die Benutzung der Weise im Auge. Die mehrstimmige
Komposition war nur für musikalisch geschulte ausführbar; es waren Ausnahmen,
daß unter Volksliedern auf fliegenden Blättern auch mehrstimmige erschienen,
etwa mit der Bemerkung "Für die Gelehrten, mit vier Stimmen." Wer trug
nun aber in dem Leipzig des sechzehnten Jahrhunderts diese kunstinäßigen mehr¬
stimmigen Lieder vor? Zu welchen Gelegenheiten, an welchen Orten wurden sie
gesungen? Waren auch Instrumente an dem Vortrag beteiligt?




Im zweiten Buch des Parzival schildert Wolfram von Eschenbach einmal,
wie sein Held Herr Gahmnret zum Turniere reitet.

Voran Posaunen, einfache, wohl eintönige, nur rhythmisch belebte Fanfaren
schmetternd, dann zwei Tambure, die auf ihre Trommeln mit solchen weiten
Armschwüngen schlagen, wie es der Trommler Tod auf einigen von Holbeins
Totentanzblättern tut, daraus Flötenpfeifer, deren Neisenote, vermutlich über¬
einstimmend mit einer gleichzeitigen französischen oornurs 6e ensmin, wohl
ebenfalls nur aus verschieden rhythmisierter Wiederholung eines Tones bestehend,
schrill in den Lärm der Posaunen und Trommeln hineinklingt, und schließlich
zur Seite des Ritters selbst fiedelnde Geiger.

Der musikökonomisch kluge Aufbau dieses kleinen Zuges darf gewiß als
Typus manches der Fürsten- und Herreneinzüge zur Messe oder zu Fürsten¬
lager des spätern Mittelalters in Leipzig gelten, die aus den Natsrechnungen
und sonstigen Quellen zu erschließen sind. Die Verlobung der sächsische"
Prinzessin Anna mit dem brandenburgischen Markgrafen Albrecht 1458 in Leipzig
oder die Hochzeit Herzog Georgs 1496 mit Barbara, der Tochter des Polen¬
königs Kasimir, ebenfalls in Leipzig begangen, u. a. mit Turnierspielen, werden
zu solchen Aufzügen manche Gelegenheit geboten haben. Unter ähnlichem



") Tös ist Getöse, Galen Lärm.
weltliche Musik im alten Leipzig

„Dialektik« redet einfältig daher, schlecht und gerecht; als wenn ich sage: Gib
mir trinken! Rhetorika aber schmuckes und spricht: Gib mir des lieblichen Safts
im Keller, das fein krause stehet und die Leute fröhlich macht."

Wenn neue Texte, auf Volkswirkung berechnet, zu einer alten Melodie
gedichtet wurden, wie in Sachsen 1548 zu „Innsbruck, ich muß dich lassen"
auf den gefangnen Fürsten Johann Friedrich, als er sein Land lassen mußte,
so hatte man zunächst die Benutzung der Weise im Auge. Die mehrstimmige
Komposition war nur für musikalisch geschulte ausführbar; es waren Ausnahmen,
daß unter Volksliedern auf fliegenden Blättern auch mehrstimmige erschienen,
etwa mit der Bemerkung „Für die Gelehrten, mit vier Stimmen." Wer trug
nun aber in dem Leipzig des sechzehnten Jahrhunderts diese kunstinäßigen mehr¬
stimmigen Lieder vor? Zu welchen Gelegenheiten, an welchen Orten wurden sie
gesungen? Waren auch Instrumente an dem Vortrag beteiligt?




Im zweiten Buch des Parzival schildert Wolfram von Eschenbach einmal,
wie sein Held Herr Gahmnret zum Turniere reitet.

Voran Posaunen, einfache, wohl eintönige, nur rhythmisch belebte Fanfaren
schmetternd, dann zwei Tambure, die auf ihre Trommeln mit solchen weiten
Armschwüngen schlagen, wie es der Trommler Tod auf einigen von Holbeins
Totentanzblättern tut, daraus Flötenpfeifer, deren Neisenote, vermutlich über¬
einstimmend mit einer gleichzeitigen französischen oornurs 6e ensmin, wohl
ebenfalls nur aus verschieden rhythmisierter Wiederholung eines Tones bestehend,
schrill in den Lärm der Posaunen und Trommeln hineinklingt, und schließlich
zur Seite des Ritters selbst fiedelnde Geiger.

Der musikökonomisch kluge Aufbau dieses kleinen Zuges darf gewiß als
Typus manches der Fürsten- und Herreneinzüge zur Messe oder zu Fürsten¬
lager des spätern Mittelalters in Leipzig gelten, die aus den Natsrechnungen
und sonstigen Quellen zu erschließen sind. Die Verlobung der sächsische»
Prinzessin Anna mit dem brandenburgischen Markgrafen Albrecht 1458 in Leipzig
oder die Hochzeit Herzog Georgs 1496 mit Barbara, der Tochter des Polen¬
königs Kasimir, ebenfalls in Leipzig begangen, u. a. mit Turnierspielen, werden
zu solchen Aufzügen manche Gelegenheit geboten haben. Unter ähnlichem



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[0586] weltliche Musik im alten Leipzig „Dialektik« redet einfältig daher, schlecht und gerecht; als wenn ich sage: Gib mir trinken! Rhetorika aber schmuckes und spricht: Gib mir des lieblichen Safts im Keller, das fein krause stehet und die Leute fröhlich macht." Wenn neue Texte, auf Volkswirkung berechnet, zu einer alten Melodie gedichtet wurden, wie in Sachsen 1548 zu „Innsbruck, ich muß dich lassen" auf den gefangnen Fürsten Johann Friedrich, als er sein Land lassen mußte, so hatte man zunächst die Benutzung der Weise im Auge. Die mehrstimmige Komposition war nur für musikalisch geschulte ausführbar; es waren Ausnahmen, daß unter Volksliedern auf fliegenden Blättern auch mehrstimmige erschienen, etwa mit der Bemerkung „Für die Gelehrten, mit vier Stimmen." Wer trug nun aber in dem Leipzig des sechzehnten Jahrhunderts diese kunstinäßigen mehr¬ stimmigen Lieder vor? Zu welchen Gelegenheiten, an welchen Orten wurden sie gesungen? Waren auch Instrumente an dem Vortrag beteiligt? Im zweiten Buch des Parzival schildert Wolfram von Eschenbach einmal, wie sein Held Herr Gahmnret zum Turniere reitet. Voran Posaunen, einfache, wohl eintönige, nur rhythmisch belebte Fanfaren schmetternd, dann zwei Tambure, die auf ihre Trommeln mit solchen weiten Armschwüngen schlagen, wie es der Trommler Tod auf einigen von Holbeins Totentanzblättern tut, daraus Flötenpfeifer, deren Neisenote, vermutlich über¬ einstimmend mit einer gleichzeitigen französischen oornurs 6e ensmin, wohl ebenfalls nur aus verschieden rhythmisierter Wiederholung eines Tones bestehend, schrill in den Lärm der Posaunen und Trommeln hineinklingt, und schließlich zur Seite des Ritters selbst fiedelnde Geiger. Der musikökonomisch kluge Aufbau dieses kleinen Zuges darf gewiß als Typus manches der Fürsten- und Herreneinzüge zur Messe oder zu Fürsten¬ lager des spätern Mittelalters in Leipzig gelten, die aus den Natsrechnungen und sonstigen Quellen zu erschließen sind. Die Verlobung der sächsische» Prinzessin Anna mit dem brandenburgischen Markgrafen Albrecht 1458 in Leipzig oder die Hochzeit Herzog Georgs 1496 mit Barbara, der Tochter des Polen¬ königs Kasimir, ebenfalls in Leipzig begangen, u. a. mit Turnierspielen, werden zu solchen Aufzügen manche Gelegenheit geboten haben. Unter ähnlichem ") Tös ist Getöse, Galen Lärm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/586>, abgerufen am 17.06.2024.