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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Weltliche Musik im alten Leipzig

leiten, wozu zunächst der große Natsfastnachttanz gehörte, mußten sie auf Befehl
des Rats und bei Jnnnngstänzen auf Wunsch der Jnnungsmeister, bei Hoch¬
zeiten auf Wunsch des Hochzeitvaters nach bestimmtem Satz mit Marsch-, Tafel-
nnd Tanzmusik aufwarten; fast alle diese öffentlichen und Hausfeste fanden da¬
mals auf dem Rathaus statt. Außerdem durften sie, wenn sie sonst Zeit hatten,
Abends in der Stadt "hofieren" gehn, d. h. hier und dort ein Ständchen ab¬
blasen; nur in Kriegszeiten wurde das Hofieren eingeschränkt oder ganz ver¬
boten. Ihre Musik war auf der Gasse wie im großen Saal des Rathauses
im wesentlichen dieselbe; Lieder wurden ja vielfach auch als Gehtanzstücke ge¬
spielt. Doch hatte sich auch schon eine bestimmte Form von Tanzmusik dadurch
entwickelt, daß man regelmäßig der aus zwei oder drei meist viertaktigen Gruppen
in geradem Rhythmus bestehenden Hauptmelodie eine Variation im Tripeltakt
folgen ließ, den Nachtanz oder die Proportion. Ein ganz einfacher gemein¬
deutscher Tanz z. B., der um 1550 in Leipzig gern mit vier Instrumenten ge¬
blasen wurde, klang so:



Alle Paare, die diesen Reihen mitgingen und den Nachtanz mithüpften, er¬
freuten sich an dem energischen Rhythmus eines solchen kleinen Stückes, das
kaum angehoben hat und schon auf die erste Kadenz zueilt, namentlich dem
RlHthmuswechsel zu Beginn der Proportion nud an der bunten Folge harmo¬
nischer Klänge, die im einzelnen trotz des Fis vor dem Schlußakkord doch noch
nicht in das strenge Gängelband von Dur oder Moll genommen sind und doch
eine tonartliche Einheitlichkeit (mixolydisch) keineswegs verleugnen. Musikalischere
Tänzer hatten auch an der einfachen Herablegung der führenden Tenorstimme


Weltliche Musik im alten Leipzig

leiten, wozu zunächst der große Natsfastnachttanz gehörte, mußten sie auf Befehl
des Rats und bei Jnnnngstänzen auf Wunsch der Jnnungsmeister, bei Hoch¬
zeiten auf Wunsch des Hochzeitvaters nach bestimmtem Satz mit Marsch-, Tafel-
nnd Tanzmusik aufwarten; fast alle diese öffentlichen und Hausfeste fanden da¬
mals auf dem Rathaus statt. Außerdem durften sie, wenn sie sonst Zeit hatten,
Abends in der Stadt „hofieren" gehn, d. h. hier und dort ein Ständchen ab¬
blasen; nur in Kriegszeiten wurde das Hofieren eingeschränkt oder ganz ver¬
boten. Ihre Musik war auf der Gasse wie im großen Saal des Rathauses
im wesentlichen dieselbe; Lieder wurden ja vielfach auch als Gehtanzstücke ge¬
spielt. Doch hatte sich auch schon eine bestimmte Form von Tanzmusik dadurch
entwickelt, daß man regelmäßig der aus zwei oder drei meist viertaktigen Gruppen
in geradem Rhythmus bestehenden Hauptmelodie eine Variation im Tripeltakt
folgen ließ, den Nachtanz oder die Proportion. Ein ganz einfacher gemein¬
deutscher Tanz z. B., der um 1550 in Leipzig gern mit vier Instrumenten ge¬
blasen wurde, klang so:



Alle Paare, die diesen Reihen mitgingen und den Nachtanz mithüpften, er¬
freuten sich an dem energischen Rhythmus eines solchen kleinen Stückes, das
kaum angehoben hat und schon auf die erste Kadenz zueilt, namentlich dem
RlHthmuswechsel zu Beginn der Proportion nud an der bunten Folge harmo¬
nischer Klänge, die im einzelnen trotz des Fis vor dem Schlußakkord doch noch
nicht in das strenge Gängelband von Dur oder Moll genommen sind und doch
eine tonartliche Einheitlichkeit (mixolydisch) keineswegs verleugnen. Musikalischere
Tänzer hatten auch an der einfachen Herablegung der führenden Tenorstimme


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[0590] Weltliche Musik im alten Leipzig leiten, wozu zunächst der große Natsfastnachttanz gehörte, mußten sie auf Befehl des Rats und bei Jnnnngstänzen auf Wunsch der Jnnungsmeister, bei Hoch¬ zeiten auf Wunsch des Hochzeitvaters nach bestimmtem Satz mit Marsch-, Tafel- nnd Tanzmusik aufwarten; fast alle diese öffentlichen und Hausfeste fanden da¬ mals auf dem Rathaus statt. Außerdem durften sie, wenn sie sonst Zeit hatten, Abends in der Stadt „hofieren" gehn, d. h. hier und dort ein Ständchen ab¬ blasen; nur in Kriegszeiten wurde das Hofieren eingeschränkt oder ganz ver¬ boten. Ihre Musik war auf der Gasse wie im großen Saal des Rathauses im wesentlichen dieselbe; Lieder wurden ja vielfach auch als Gehtanzstücke ge¬ spielt. Doch hatte sich auch schon eine bestimmte Form von Tanzmusik dadurch entwickelt, daß man regelmäßig der aus zwei oder drei meist viertaktigen Gruppen in geradem Rhythmus bestehenden Hauptmelodie eine Variation im Tripeltakt folgen ließ, den Nachtanz oder die Proportion. Ein ganz einfacher gemein¬ deutscher Tanz z. B., der um 1550 in Leipzig gern mit vier Instrumenten ge¬ blasen wurde, klang so: [Abbildung] Alle Paare, die diesen Reihen mitgingen und den Nachtanz mithüpften, er¬ freuten sich an dem energischen Rhythmus eines solchen kleinen Stückes, das kaum angehoben hat und schon auf die erste Kadenz zueilt, namentlich dem RlHthmuswechsel zu Beginn der Proportion nud an der bunten Folge harmo¬ nischer Klänge, die im einzelnen trotz des Fis vor dem Schlußakkord doch noch nicht in das strenge Gängelband von Dur oder Moll genommen sind und doch eine tonartliche Einheitlichkeit (mixolydisch) keineswegs verleugnen. Musikalischere Tänzer hatten auch an der einfachen Herablegung der führenden Tenorstimme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/590>, abgerufen am 17.06.2024.