Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
weltliche Musik im alten Leipzig

Sackpfeifen sungen. Was alle Stadtpfeifer des fünfzehnten Jahrhunderts über
die Dorfdudler hinaushob, war zunächst, daß sie die Sackpfeife ausschlossen,
und dazu waren sie in der Lage, da sie eine höhere mehrstimmige Musik
ausübten, wo sich nicht nur eine Melodiestimme über einer starr liegenden
Quinte auf und ab bewegte, sondern sich jede von drei, vier oder mehr Stimmen
melodisch vorwärts schwang, kontrapunktisch mit den andern zusammenklingend.

Die Anstellung von Stadtpfeifern entsprach aber nicht nur feinern Ge¬
schmacksforderungen, sondern hatte auch eine politische Seite. Ein süddeutscher
Dichter in fürstlichem Sold sprach das einmal mit einer kräftigen Wendung
gegen den Städtebegünstiger König Sigmund aus:

Im Jahre 1479 entschloß sich auch der Leipziger Rat, nachdem öfter aus¬
wärtige Stadtpfeifer, z. B. von Halle und von Göttingen, in Leipzig gespielt
hatten, selbst drei Stadtpfeifer anzunehmen, und bestimmte, daß jeder ein Hvf-
gewand und als besondres städtisches festliches Reprüsenwtionsabzeichen einen
vergoldeten silbernen Schild mit dem Stadtwappen erhalten sollte. Leipzig,
eine landesfürstliche Stadt, mußte darauf bedacht sein, der neuen Einrichtung
eine dem Landesherrn genehme Form zu geben, und so wurden, als sich die
erste Bestallung bald zerschlagen hatte und es 1488 zu einer zweiten, endgiltigen
kam, die neuen drei Stadtpfeifer "unserm gnädigen Herrn und gemeiner Stadt
zu Ehren und Nutz" angenommen. Im Jahre 1514 wurde einer Bitte Erfurts,
die Leipziger Stadtpfeifer einmal dorthin zu leihen, nicht stattgegeben, bevor man
die Sache nicht dem landesherrlichen Statthalter -- Herzog Georg war in Fries¬
land -- vorgetragen hatte, "denn sollten die Pfeifer ihnen geliehen werden, möchte
vielleicht der Kurfürst gedenken, wir hätten mit ihnen ein Verständnis." Finanziell
und sozial brachten es die Leipziger Stadtpfeifer von geringen Anfängen schnell
einigermaßen vorwärts. Der 1479 zuerst angestellte Hans Rail, dessen zwei Ge¬
sellen noch nach mittelalterlicher Weise als seine "Söhne" bezeichnet wurden, erhielt
zwar als festen Gesamtjahreslohn für alle drei nur vierzig Gulden, wozu Hoch¬
zeitsmusikeinnahmen und dergleichen kamen; seit 1488 aber wurden 51 Gulden
gezahlt und dazu freie Herberge, an der Pleißenburg, gewährt, und 1498 stieg
der Gehalt für vier, die es inzwischen geworden waren, auf 96, 1499 auf
194 Gulden. Auch die Einnahmen bei Hochzeiten und für Straßenabendmusiten,
die der Rat festsetzte, wurden erhöht, und einem so tüchtigen Mitgliede, wie es
um 1500 der 1488 aus Schautau zugezogne Mattes Heldrich war, gedachte
man wohl auch noch besonders zuzulegen, "um das, daß er die andern, seine
Gesellen, lernet und um seiner Meisterschaft willen." Was anfangs noch oft
genug vorkam, daß einer dieser unruhigen Leute, denen das Fahren noch in
den Gliedern steckte, davonlief, wurde damit immer seltner.

Die Stadtpfeifer hatten zwei Haupttütigkeiten. Bei öffentlichen Festlich-


Grenzboten IU 1904 77
weltliche Musik im alten Leipzig

Sackpfeifen sungen. Was alle Stadtpfeifer des fünfzehnten Jahrhunderts über
die Dorfdudler hinaushob, war zunächst, daß sie die Sackpfeife ausschlossen,
und dazu waren sie in der Lage, da sie eine höhere mehrstimmige Musik
ausübten, wo sich nicht nur eine Melodiestimme über einer starr liegenden
Quinte auf und ab bewegte, sondern sich jede von drei, vier oder mehr Stimmen
melodisch vorwärts schwang, kontrapunktisch mit den andern zusammenklingend.

Die Anstellung von Stadtpfeifern entsprach aber nicht nur feinern Ge¬
schmacksforderungen, sondern hatte auch eine politische Seite. Ein süddeutscher
Dichter in fürstlichem Sold sprach das einmal mit einer kräftigen Wendung
gegen den Städtebegünstiger König Sigmund aus:

Im Jahre 1479 entschloß sich auch der Leipziger Rat, nachdem öfter aus¬
wärtige Stadtpfeifer, z. B. von Halle und von Göttingen, in Leipzig gespielt
hatten, selbst drei Stadtpfeifer anzunehmen, und bestimmte, daß jeder ein Hvf-
gewand und als besondres städtisches festliches Reprüsenwtionsabzeichen einen
vergoldeten silbernen Schild mit dem Stadtwappen erhalten sollte. Leipzig,
eine landesfürstliche Stadt, mußte darauf bedacht sein, der neuen Einrichtung
eine dem Landesherrn genehme Form zu geben, und so wurden, als sich die
erste Bestallung bald zerschlagen hatte und es 1488 zu einer zweiten, endgiltigen
kam, die neuen drei Stadtpfeifer „unserm gnädigen Herrn und gemeiner Stadt
zu Ehren und Nutz" angenommen. Im Jahre 1514 wurde einer Bitte Erfurts,
die Leipziger Stadtpfeifer einmal dorthin zu leihen, nicht stattgegeben, bevor man
die Sache nicht dem landesherrlichen Statthalter — Herzog Georg war in Fries¬
land — vorgetragen hatte, „denn sollten die Pfeifer ihnen geliehen werden, möchte
vielleicht der Kurfürst gedenken, wir hätten mit ihnen ein Verständnis." Finanziell
und sozial brachten es die Leipziger Stadtpfeifer von geringen Anfängen schnell
einigermaßen vorwärts. Der 1479 zuerst angestellte Hans Rail, dessen zwei Ge¬
sellen noch nach mittelalterlicher Weise als seine „Söhne" bezeichnet wurden, erhielt
zwar als festen Gesamtjahreslohn für alle drei nur vierzig Gulden, wozu Hoch¬
zeitsmusikeinnahmen und dergleichen kamen; seit 1488 aber wurden 51 Gulden
gezahlt und dazu freie Herberge, an der Pleißenburg, gewährt, und 1498 stieg
der Gehalt für vier, die es inzwischen geworden waren, auf 96, 1499 auf
194 Gulden. Auch die Einnahmen bei Hochzeiten und für Straßenabendmusiten,
die der Rat festsetzte, wurden erhöht, und einem so tüchtigen Mitgliede, wie es
um 1500 der 1488 aus Schautau zugezogne Mattes Heldrich war, gedachte
man wohl auch noch besonders zuzulegen, „um das, daß er die andern, seine
Gesellen, lernet und um seiner Meisterschaft willen." Was anfangs noch oft
genug vorkam, daß einer dieser unruhigen Leute, denen das Fahren noch in
den Gliedern steckte, davonlief, wurde damit immer seltner.

Die Stadtpfeifer hatten zwei Haupttütigkeiten. Bei öffentlichen Festlich-


Grenzboten IU 1904 77
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295006"/>
          <fw type="header" place="top"> weltliche Musik im alten Leipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2649" prev="#ID_2648"> Sackpfeifen sungen. Was alle Stadtpfeifer des fünfzehnten Jahrhunderts über<lb/>
die Dorfdudler hinaushob, war zunächst, daß sie die Sackpfeife ausschlossen,<lb/>
und dazu waren sie in der Lage, da sie eine höhere mehrstimmige Musik<lb/>
ausübten, wo sich nicht nur eine Melodiestimme über einer starr liegenden<lb/>
Quinte auf und ab bewegte, sondern sich jede von drei, vier oder mehr Stimmen<lb/>
melodisch vorwärts schwang, kontrapunktisch mit den andern zusammenklingend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2650"> Die Anstellung von Stadtpfeifern entsprach aber nicht nur feinern Ge¬<lb/>
schmacksforderungen, sondern hatte auch eine politische Seite. Ein süddeutscher<lb/>
Dichter in fürstlichem Sold sprach das einmal mit einer kräftigen Wendung<lb/>
gegen den Städtebegünstiger König Sigmund aus:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_33" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2651"> Im Jahre 1479 entschloß sich auch der Leipziger Rat, nachdem öfter aus¬<lb/>
wärtige Stadtpfeifer, z. B. von Halle und von Göttingen, in Leipzig gespielt<lb/>
hatten, selbst drei Stadtpfeifer anzunehmen, und bestimmte, daß jeder ein Hvf-<lb/>
gewand und als besondres städtisches festliches Reprüsenwtionsabzeichen einen<lb/>
vergoldeten silbernen Schild mit dem Stadtwappen erhalten sollte. Leipzig,<lb/>
eine landesfürstliche Stadt, mußte darauf bedacht sein, der neuen Einrichtung<lb/>
eine dem Landesherrn genehme Form zu geben, und so wurden, als sich die<lb/>
erste Bestallung bald zerschlagen hatte und es 1488 zu einer zweiten, endgiltigen<lb/>
kam, die neuen drei Stadtpfeifer &#x201E;unserm gnädigen Herrn und gemeiner Stadt<lb/>
zu Ehren und Nutz" angenommen. Im Jahre 1514 wurde einer Bitte Erfurts,<lb/>
die Leipziger Stadtpfeifer einmal dorthin zu leihen, nicht stattgegeben, bevor man<lb/>
die Sache nicht dem landesherrlichen Statthalter &#x2014; Herzog Georg war in Fries¬<lb/>
land &#x2014; vorgetragen hatte, &#x201E;denn sollten die Pfeifer ihnen geliehen werden, möchte<lb/>
vielleicht der Kurfürst gedenken, wir hätten mit ihnen ein Verständnis." Finanziell<lb/>
und sozial brachten es die Leipziger Stadtpfeifer von geringen Anfängen schnell<lb/>
einigermaßen vorwärts. Der 1479 zuerst angestellte Hans Rail, dessen zwei Ge¬<lb/>
sellen noch nach mittelalterlicher Weise als seine &#x201E;Söhne" bezeichnet wurden, erhielt<lb/>
zwar als festen Gesamtjahreslohn für alle drei nur vierzig Gulden, wozu Hoch¬<lb/>
zeitsmusikeinnahmen und dergleichen kamen; seit 1488 aber wurden 51 Gulden<lb/>
gezahlt und dazu freie Herberge, an der Pleißenburg, gewährt, und 1498 stieg<lb/>
der Gehalt für vier, die es inzwischen geworden waren, auf 96, 1499 auf<lb/>
194 Gulden. Auch die Einnahmen bei Hochzeiten und für Straßenabendmusiten,<lb/>
die der Rat festsetzte, wurden erhöht, und einem so tüchtigen Mitgliede, wie es<lb/>
um 1500 der 1488 aus Schautau zugezogne Mattes Heldrich war, gedachte<lb/>
man wohl auch noch besonders zuzulegen, &#x201E;um das, daß er die andern, seine<lb/>
Gesellen, lernet und um seiner Meisterschaft willen." Was anfangs noch oft<lb/>
genug vorkam, daß einer dieser unruhigen Leute, denen das Fahren noch in<lb/>
den Gliedern steckte, davonlief, wurde damit immer seltner.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2652" next="#ID_2653"> Die Stadtpfeifer hatten zwei Haupttütigkeiten. Bei öffentlichen Festlich-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IU 1904 77</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0589] weltliche Musik im alten Leipzig Sackpfeifen sungen. Was alle Stadtpfeifer des fünfzehnten Jahrhunderts über die Dorfdudler hinaushob, war zunächst, daß sie die Sackpfeife ausschlossen, und dazu waren sie in der Lage, da sie eine höhere mehrstimmige Musik ausübten, wo sich nicht nur eine Melodiestimme über einer starr liegenden Quinte auf und ab bewegte, sondern sich jede von drei, vier oder mehr Stimmen melodisch vorwärts schwang, kontrapunktisch mit den andern zusammenklingend. Die Anstellung von Stadtpfeifern entsprach aber nicht nur feinern Ge¬ schmacksforderungen, sondern hatte auch eine politische Seite. Ein süddeutscher Dichter in fürstlichem Sold sprach das einmal mit einer kräftigen Wendung gegen den Städtebegünstiger König Sigmund aus: Im Jahre 1479 entschloß sich auch der Leipziger Rat, nachdem öfter aus¬ wärtige Stadtpfeifer, z. B. von Halle und von Göttingen, in Leipzig gespielt hatten, selbst drei Stadtpfeifer anzunehmen, und bestimmte, daß jeder ein Hvf- gewand und als besondres städtisches festliches Reprüsenwtionsabzeichen einen vergoldeten silbernen Schild mit dem Stadtwappen erhalten sollte. Leipzig, eine landesfürstliche Stadt, mußte darauf bedacht sein, der neuen Einrichtung eine dem Landesherrn genehme Form zu geben, und so wurden, als sich die erste Bestallung bald zerschlagen hatte und es 1488 zu einer zweiten, endgiltigen kam, die neuen drei Stadtpfeifer „unserm gnädigen Herrn und gemeiner Stadt zu Ehren und Nutz" angenommen. Im Jahre 1514 wurde einer Bitte Erfurts, die Leipziger Stadtpfeifer einmal dorthin zu leihen, nicht stattgegeben, bevor man die Sache nicht dem landesherrlichen Statthalter — Herzog Georg war in Fries¬ land — vorgetragen hatte, „denn sollten die Pfeifer ihnen geliehen werden, möchte vielleicht der Kurfürst gedenken, wir hätten mit ihnen ein Verständnis." Finanziell und sozial brachten es die Leipziger Stadtpfeifer von geringen Anfängen schnell einigermaßen vorwärts. Der 1479 zuerst angestellte Hans Rail, dessen zwei Ge¬ sellen noch nach mittelalterlicher Weise als seine „Söhne" bezeichnet wurden, erhielt zwar als festen Gesamtjahreslohn für alle drei nur vierzig Gulden, wozu Hoch¬ zeitsmusikeinnahmen und dergleichen kamen; seit 1488 aber wurden 51 Gulden gezahlt und dazu freie Herberge, an der Pleißenburg, gewährt, und 1498 stieg der Gehalt für vier, die es inzwischen geworden waren, auf 96, 1499 auf 194 Gulden. Auch die Einnahmen bei Hochzeiten und für Straßenabendmusiten, die der Rat festsetzte, wurden erhöht, und einem so tüchtigen Mitgliede, wie es um 1500 der 1488 aus Schautau zugezogne Mattes Heldrich war, gedachte man wohl auch noch besonders zuzulegen, „um das, daß er die andern, seine Gesellen, lernet und um seiner Meisterschaft willen." Was anfangs noch oft genug vorkam, daß einer dieser unruhigen Leute, denen das Fahren noch in den Gliedern steckte, davonlief, wurde damit immer seltner. Die Stadtpfeifer hatten zwei Haupttütigkeiten. Bei öffentlichen Festlich- Grenzboten IU 1904 77

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/589
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/589>, abgerufen am 17.06.2024.