Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Die christliche Mystik und die Religion der Zukunft Mich die im engsten Sinne religiösen Obliegenheiten der Kirche auf sich nehmen Daraus ergibt sich, wie weit wir mit den beiden Herausgebern der Schriften Die christliche Mystik und die Religion der Zukunft Mich die im engsten Sinne religiösen Obliegenheiten der Kirche auf sich nehmen Daraus ergibt sich, wie weit wir mit den beiden Herausgebern der Schriften <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295059"/> <fw type="header" place="top"> Die christliche Mystik und die Religion der Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_2945" prev="#ID_2944"> Mich die im engsten Sinne religiösen Obliegenheiten der Kirche auf sich nehmen<lb/> wird, wie er ihr nach und nach schon alle weltlichen und gemischten abgenommen<lb/> hat. Wir halten das zweite für nicht sehr wahrscheinlich. Bei einer dritten<lb/> Art von Vermittlung handelt es sich nicht um die Entscheidung für oder wider<lb/> sie selbst, sondern für oder wider den Glauben an sie. Wir stimmen mit den<lb/> Kirchen darin überein, daß die große Erscheinung des Christentums aus den<lb/> natürlichen Entstehungsbedingungen, die wir selbst oft dargestellt haben, allein<lb/> nicht zu erklären ist, und daß es einer außerordentlichen Vermittlung, die durch<lb/> die geheimnisvolle Person Jesu, bedurft hat, dem Menschengeschlecht diese Wohltat,<lb/> in der seine geistige Vollendung beschlossen liegt, zu bringen. Wir zerbrechen<lb/> uns nicht den Kopf über diese geheimnisvolle Persönlichkeit; wir bescheiden uns<lb/> bei der Erfahrungstatsache, daß der Anfang alles Seins und Lebens in ein für<lb/> unser irdisches Erkenntnisvermögen undurchdringliches Dunkel gehüllt bleibt,<lb/> sodaß uns die modernen Naturwissenschaften diesen Mysterien auch nicht um<lb/> einen Schritt näher gebracht haben, und wir nehmen das Wunder der Erlösung<lb/> wie das der Schöpfung und Erhaltung, wie das unsers eignen uns völlig un¬<lb/> begreiflichen Daseins als Geschenk Gottes mit dem gebührenden Danke hin,<lb/> ohne den unsinnigen Anspruch zu erheben, daß wir es verstehen müßten, wenn<lb/> wir es annehmen sollten; folgerichtig müßten wir uns weigern zu leben, solange<lb/> wir nicht einsehen, wie es zugeht, daß wir auf der Welt sind, und daß über¬<lb/> haupt eine Welt vorhanden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2946" next="#ID_2947"> Daraus ergibt sich, wie weit wir mit den beiden Herausgebern der Schriften<lb/> Eckharts und mit dem eingangs erwähnten Wilhelm Bousset übereinstimmen und<lb/> wie weit nicht. Landauer schreibt u. a.: „Die christlichen Dogmen und Über¬<lb/> lieferungen haben für Eckhart fast nur symbolische Bedeutung, . . . aber es ge¬<lb/> lingt ihm nicht, zu erkennen, daß diese Vorstellungen überhaupt keine Realität<lb/> haben." Auch wir schützen die Kirchendogmen, ähnlich den Kulthandlungen,<lb/> nur als Symbole, aber wir leugnen nicht die Wirklichkeit des Gesinnbildetm.<lb/> Demnach brauchen wir nicht ausdrücklich zu erklären, wie wir zu dem Satze<lb/> stehn: „Diese Art Glauben: in der Vergangenheit, an einem bestimmten Orte,<lb/> sei ^der Menschheit^ ein für allemal Heil widerfahren, ist nur noch ein arm¬<lb/> seliger Erdenrest einer gestorbnen Religion; der gestaltende Geist hat sich ver¬<lb/> flüchtigt; seitdem sind für unsre Orthodoxen alle echten Christen heillose Ketzer."<lb/> Büttner schreibt von Eckhart: „Das mythologisierende Mittlerchristentnm der<lb/> Kirche hinüberzufnhren in die schlechthin menschliche Religion Christi, das ist<lb/> der Sinn seiner Wirksamkeit gewesen." Nun, wir haben gezeigt, welche Ver¬<lb/> mittlung abzulehnen, welche unentbehrlich ist; ein unvermitteltes Menschentum,<lb/> ein Menschsein, bei dem ein jeder sich selbst schüfe und beseligte, ohne weder<lb/> Gott noch seinen Mitmenschen noch der Natur die einzelnen Bestandteile seines<lb/> Daseins und seiner Seligkeit zu danken, ein solches gibt es nicht. An einer<lb/> andern Stelle schreibt Büttner: „Die an sich ergreifend schöne Mythologie, mit<lb/> der die Kirche ihre Moralität unterband, war im germanischen Geist immer ein<lb/> Fremdkörper." Das ist eine von den Nurdeutschen ausgeklügelte Schrulle.<lb/> Alle unsre heutigen geistigen Schütze sind insofern Fremdkörper im germanischen<lb/> Geiste, als dieser sie ursprünglich nicht gehabt hat; aber heute gehören die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0642]
Die christliche Mystik und die Religion der Zukunft
Mich die im engsten Sinne religiösen Obliegenheiten der Kirche auf sich nehmen
wird, wie er ihr nach und nach schon alle weltlichen und gemischten abgenommen
hat. Wir halten das zweite für nicht sehr wahrscheinlich. Bei einer dritten
Art von Vermittlung handelt es sich nicht um die Entscheidung für oder wider
sie selbst, sondern für oder wider den Glauben an sie. Wir stimmen mit den
Kirchen darin überein, daß die große Erscheinung des Christentums aus den
natürlichen Entstehungsbedingungen, die wir selbst oft dargestellt haben, allein
nicht zu erklären ist, und daß es einer außerordentlichen Vermittlung, die durch
die geheimnisvolle Person Jesu, bedurft hat, dem Menschengeschlecht diese Wohltat,
in der seine geistige Vollendung beschlossen liegt, zu bringen. Wir zerbrechen
uns nicht den Kopf über diese geheimnisvolle Persönlichkeit; wir bescheiden uns
bei der Erfahrungstatsache, daß der Anfang alles Seins und Lebens in ein für
unser irdisches Erkenntnisvermögen undurchdringliches Dunkel gehüllt bleibt,
sodaß uns die modernen Naturwissenschaften diesen Mysterien auch nicht um
einen Schritt näher gebracht haben, und wir nehmen das Wunder der Erlösung
wie das der Schöpfung und Erhaltung, wie das unsers eignen uns völlig un¬
begreiflichen Daseins als Geschenk Gottes mit dem gebührenden Danke hin,
ohne den unsinnigen Anspruch zu erheben, daß wir es verstehen müßten, wenn
wir es annehmen sollten; folgerichtig müßten wir uns weigern zu leben, solange
wir nicht einsehen, wie es zugeht, daß wir auf der Welt sind, und daß über¬
haupt eine Welt vorhanden ist.
Daraus ergibt sich, wie weit wir mit den beiden Herausgebern der Schriften
Eckharts und mit dem eingangs erwähnten Wilhelm Bousset übereinstimmen und
wie weit nicht. Landauer schreibt u. a.: „Die christlichen Dogmen und Über¬
lieferungen haben für Eckhart fast nur symbolische Bedeutung, . . . aber es ge¬
lingt ihm nicht, zu erkennen, daß diese Vorstellungen überhaupt keine Realität
haben." Auch wir schützen die Kirchendogmen, ähnlich den Kulthandlungen,
nur als Symbole, aber wir leugnen nicht die Wirklichkeit des Gesinnbildetm.
Demnach brauchen wir nicht ausdrücklich zu erklären, wie wir zu dem Satze
stehn: „Diese Art Glauben: in der Vergangenheit, an einem bestimmten Orte,
sei ^der Menschheit^ ein für allemal Heil widerfahren, ist nur noch ein arm¬
seliger Erdenrest einer gestorbnen Religion; der gestaltende Geist hat sich ver¬
flüchtigt; seitdem sind für unsre Orthodoxen alle echten Christen heillose Ketzer."
Büttner schreibt von Eckhart: „Das mythologisierende Mittlerchristentnm der
Kirche hinüberzufnhren in die schlechthin menschliche Religion Christi, das ist
der Sinn seiner Wirksamkeit gewesen." Nun, wir haben gezeigt, welche Ver¬
mittlung abzulehnen, welche unentbehrlich ist; ein unvermitteltes Menschentum,
ein Menschsein, bei dem ein jeder sich selbst schüfe und beseligte, ohne weder
Gott noch seinen Mitmenschen noch der Natur die einzelnen Bestandteile seines
Daseins und seiner Seligkeit zu danken, ein solches gibt es nicht. An einer
andern Stelle schreibt Büttner: „Die an sich ergreifend schöne Mythologie, mit
der die Kirche ihre Moralität unterband, war im germanischen Geist immer ein
Fremdkörper." Das ist eine von den Nurdeutschen ausgeklügelte Schrulle.
Alle unsre heutigen geistigen Schütze sind insofern Fremdkörper im germanischen
Geiste, als dieser sie ursprünglich nicht gehabt hat; aber heute gehören die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |