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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Aainorra Neapels

antwortet er auf die Frage, was er wünsche: "Ich Wunsche xivviuotto zu
werden," und erklärt dann auf Aufforderung des Viertelsmeisters das Wort,
wie folgt: "?ivowotto will besagen, einen Mann von kaltem Blute, Diener
der Kamorristen, der Honig im Munde und ein Rasiermesser im Busen hat."
Der Sinn dieser merkwürdigen Antwort ist klar. Trotzdem muß der giovanotto
die letzten Ausdrücke noch weiter erklären: "Der Honig dient dazu, Streitig¬
keiten zu mildern, und das Rasiermesser, der Infamie zu entgehn." Nach
weitern Redensarten folgt die Szene des Handkusses, wie oben, und dann
bittet der Aiovanotto, daß auch für ihn etwas von den Kamorraeinncchmen ab¬
fallen möge, obschon er kein Recht darauf habe. Der Viertelsmcister sagt das
zu und fährt dann fort: "Ich ernenne Euch im Namen der Gesellschaft der
Demut zum zMewotto und erkläre, daß Ihr von deu Ziovanutti onorM los¬
gelöst seid." Nach Lvsbittung von Genossen, die Kamorrastrafcn verbüßen, ist
die "Feier" beendigt.

Bis zum Jahre 1857 konnten Mitglieder der niedern Kamvrra, die zwei
bestimmt bezeichnete außerordentlich entehrende Lastergewerbe betrieben, nicht
Kamorristen werden. Das zeugte noch von einem gewissen Ehrgefühl und
etwas Scham. Seit jener Zeit jedoch hat man auch mit dieser Bestimmung
aufgeräumt, und es besteht keinerlei Verbot dieser Art mehr. Die Verbrecher-
gesellschaft ist also durch Zulassung auch dieser verworfensten und sittlich am
tiefsten stehenden Menschen selbst so tief gesunken, wie es nur möglich ist. Ein
jeder darf sich also melden, Camorrista zu werden, wenn er nachweisen kann,
daß er im Verbrechen solche Fortschritte gemacht hat, daß er würdig ist, aus-
zurücken. Der Aufnahmeritus gleicht in vielem dem vorhin erzählten. Das
wichtigste daraus setze ich hierher:

Viertelsmcister: Wen sucht Ihr?

Piccinotto: Ich suche meine Genossen.

Viertelsmcister: Wer sind Eure Genossen?

Picciuotto: Es sind die Kamorristen.

Viertelsmeister: Was bedeutet das Wort Kamvrrist?

Picciuotto: Kamorrist bedeutet einen kühnen Mann, der der niedern Gesell¬
schaft befiehlt, und der mit einem Fuße auf der Erde und mit dem andern ne
der Grube steht.

Der Viertelsmeister erklärt daraufhin, daß die gegebnen Proben genügen,
den Kandidaten als ni-nim-ristÄ a voos aufzunehmen; er erklärt ihn also für
aufgenommen, gibt den Kamorristen aber vierzehn Tage Zeit, Einspruch dagegen
zu erheben, und dem Kandidaten, seine "Pflicht" zu tun. Dann muß der
Kandidat folgenden Eid schwören: "Ich schwöre vor Gott und meinen Genossen,
allen Gesetzen der Gesellschaft der Demut treu zu sein und alle Befehle, die
mir von meinen Oberen zukommen, auszuführen."

Kommt dann der Tag, wo der Kandidat seine "Pflicht" zu erfüllen hat,
so versammeln sich die Kamorristen des Viertels, um der tirata, dem Messer-
duell, beizuwohnen. Der Viertclsmeister befiehlt, sich im Kreise aufzustellen;
der o-Mron-istÄ a vovo steht in der Mitte und empfängt ein Messer, während
ein älterer Kamorrist auch ein solches bekommt. Alle sind ans das höchste


Die Aainorra Neapels

antwortet er auf die Frage, was er wünsche: „Ich Wunsche xivviuotto zu
werden," und erklärt dann auf Aufforderung des Viertelsmeisters das Wort,
wie folgt: „?ivowotto will besagen, einen Mann von kaltem Blute, Diener
der Kamorristen, der Honig im Munde und ein Rasiermesser im Busen hat."
Der Sinn dieser merkwürdigen Antwort ist klar. Trotzdem muß der giovanotto
die letzten Ausdrücke noch weiter erklären: „Der Honig dient dazu, Streitig¬
keiten zu mildern, und das Rasiermesser, der Infamie zu entgehn." Nach
weitern Redensarten folgt die Szene des Handkusses, wie oben, und dann
bittet der Aiovanotto, daß auch für ihn etwas von den Kamorraeinncchmen ab¬
fallen möge, obschon er kein Recht darauf habe. Der Viertelsmcister sagt das
zu und fährt dann fort: „Ich ernenne Euch im Namen der Gesellschaft der
Demut zum zMewotto und erkläre, daß Ihr von deu Ziovanutti onorM los¬
gelöst seid." Nach Lvsbittung von Genossen, die Kamorrastrafcn verbüßen, ist
die „Feier" beendigt.

Bis zum Jahre 1857 konnten Mitglieder der niedern Kamvrra, die zwei
bestimmt bezeichnete außerordentlich entehrende Lastergewerbe betrieben, nicht
Kamorristen werden. Das zeugte noch von einem gewissen Ehrgefühl und
etwas Scham. Seit jener Zeit jedoch hat man auch mit dieser Bestimmung
aufgeräumt, und es besteht keinerlei Verbot dieser Art mehr. Die Verbrecher-
gesellschaft ist also durch Zulassung auch dieser verworfensten und sittlich am
tiefsten stehenden Menschen selbst so tief gesunken, wie es nur möglich ist. Ein
jeder darf sich also melden, Camorrista zu werden, wenn er nachweisen kann,
daß er im Verbrechen solche Fortschritte gemacht hat, daß er würdig ist, aus-
zurücken. Der Aufnahmeritus gleicht in vielem dem vorhin erzählten. Das
wichtigste daraus setze ich hierher:

Viertelsmcister: Wen sucht Ihr?

Piccinotto: Ich suche meine Genossen.

Viertelsmcister: Wer sind Eure Genossen?

Picciuotto: Es sind die Kamorristen.

Viertelsmeister: Was bedeutet das Wort Kamvrrist?

Picciuotto: Kamorrist bedeutet einen kühnen Mann, der der niedern Gesell¬
schaft befiehlt, und der mit einem Fuße auf der Erde und mit dem andern ne
der Grube steht.

Der Viertelsmeister erklärt daraufhin, daß die gegebnen Proben genügen,
den Kandidaten als ni-nim-ristÄ a voos aufzunehmen; er erklärt ihn also für
aufgenommen, gibt den Kamorristen aber vierzehn Tage Zeit, Einspruch dagegen
zu erheben, und dem Kandidaten, seine „Pflicht" zu tun. Dann muß der
Kandidat folgenden Eid schwören: „Ich schwöre vor Gott und meinen Genossen,
allen Gesetzen der Gesellschaft der Demut treu zu sein und alle Befehle, die
mir von meinen Oberen zukommen, auszuführen."

Kommt dann der Tag, wo der Kandidat seine „Pflicht" zu erfüllen hat,
so versammeln sich die Kamorristen des Viertels, um der tirata, dem Messer-
duell, beizuwohnen. Der Viertclsmeister befiehlt, sich im Kreise aufzustellen;
der o-Mron-istÄ a vovo steht in der Mitte und empfängt ein Messer, während
ein älterer Kamorrist auch ein solches bekommt. Alle sind ans das höchste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/646>, abgerufen am 13.05.2024.