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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Aamorm Neapels

gespannt. Auf ein Zeichen des Viertelsmeisters ruft der Sekretär: Los! und
der Kampf beginnt. Der Kandidat muß so geschickt sein, daß er seinen Gegner
innerhalb dreier Gange verwundet. Wenn aber der alte Sünder sieht, daß
der Kandidat nicht zum Ziele kommt, so läßt er sich freiwillig am Arme ver¬
wunden, schon um das vorbereitete Festmahl nicht ausfallen zu lassen. Sobald
die ersten Blutstropfen sichtbar werden, erhebt der Viertelsmeister die Hand
und ruft: Haltet ein! Der Kandidat leckt das Blut des von ihm Verwundeten
auf, und die t,irg.ta ist zu Ende. Nunmehr ist der e^ilioriista -i ooch zum
oamorrisw '<z äovm-e, geworden und hat vollen Anteil an den Einnahmen der
Kamvrra. Auf die Umarmung und den Kuß der anwesenden Genossen folgt
das übliche Festmahl auf Kosten des jungen Kamorristen, bestehend ans
Maccheroni in Öl mit Knoblauch, gebratnem Stockfisch und Hammelkeule. Dazu
werden viele Liter Gragnmm getrunken, und am Ende des Mahls erhält jeder
Genosse noch eine Zigarre, die den Namen Napoli führt, ein im übrigen schreck¬
liches Kraut.




Die Rechtsprechung innerhalb der Kamorra befaßt sich und Vermögens¬
und mit Ehrensachen. Als ihre Richtschnur stellen die Kamorristen den Satz
auf: "Unsre Urteile find gerecht, weil wir nicht mit der Feder, sondern mit
dem Herzen und dem Verstände urteilen." Wenn kein sicherer Ort gefunden
werden kann, einen Termin abzuhalten, so geht man in die Cnmpagna hinaus,
um uuter freiem Himmel zu tagen. Vorsitzender ist der betreffende Viertels¬
meister, öffentlicher Anklüger ist der Sekretär des Viertels, dem der Beleidigte
oder Geschädigte angehört, und zwei der "vernüuftigsten" Kamorristen werden
zu amtlichen Advokaten ernannt. Die übrigen Anwesenden können auch ihre
Meinung abgeben. Der Viertelsmeister schlüge nach Anhörung der Tatsachen
die Strafe vor, und der Sekretär macht einen andern Vorschlag. Nach kurzer
Debatte entscheidet meist der Viertelsmeister mit seinen zwei Stimmen. Gegen
das Urteil ist keine Berufung möglich. Bei Vermögensangelegenheiten ist die
Ausführung des Urteils meist sehr schnell geschehen. Wenn es aber um "Ehren"-
Händel geht, so müssen fast immer "die Hände gebraucht" werden; es kann
sich dabei um drei Fülle handeln:

1. Wenn der Beleidigte ein Kamvrrift, der Beleidiger ein xivoiuotto ist,
so muß die Vendetta von einem vom Beleidigten anszuwühleudeu pweinotto,
der immer sein Freund ist, ausgeführt werden.

2. Wenn beide von demselben Grade sind, so ist der Beauftragte immer
em andrer befreundeter Kamorrist.

3- Wenn der Beleidiger nicht zur Gesellschaft gehört, so will immer der
jüngste die ZrmxpMm ausführen; melden sich dazu aber mehrere, so ordnet der
Viertelsmeister die Auslosung an.

Die gewöhnlichen und gebräuchlichsten Strafen sind die folgenden: 1. Ver¬
weigerung des Anteils an den Steuern der Kamorra; 2. zeitliche Znrückbehaltuug
der Steuern; 3. zeitliche oder dauernde Ausstoßung ans der Gesellschaft;4- öffentliche Ohrfeignng; 5.. Verwundung im Gesichte mit einem Glasscherben


Die Aamorm Neapels

gespannt. Auf ein Zeichen des Viertelsmeisters ruft der Sekretär: Los! und
der Kampf beginnt. Der Kandidat muß so geschickt sein, daß er seinen Gegner
innerhalb dreier Gange verwundet. Wenn aber der alte Sünder sieht, daß
der Kandidat nicht zum Ziele kommt, so läßt er sich freiwillig am Arme ver¬
wunden, schon um das vorbereitete Festmahl nicht ausfallen zu lassen. Sobald
die ersten Blutstropfen sichtbar werden, erhebt der Viertelsmeister die Hand
und ruft: Haltet ein! Der Kandidat leckt das Blut des von ihm Verwundeten
auf, und die t,irg.ta ist zu Ende. Nunmehr ist der e^ilioriista -i ooch zum
oamorrisw '<z äovm-e, geworden und hat vollen Anteil an den Einnahmen der
Kamvrra. Auf die Umarmung und den Kuß der anwesenden Genossen folgt
das übliche Festmahl auf Kosten des jungen Kamorristen, bestehend ans
Maccheroni in Öl mit Knoblauch, gebratnem Stockfisch und Hammelkeule. Dazu
werden viele Liter Gragnmm getrunken, und am Ende des Mahls erhält jeder
Genosse noch eine Zigarre, die den Namen Napoli führt, ein im übrigen schreck¬
liches Kraut.




Die Rechtsprechung innerhalb der Kamorra befaßt sich und Vermögens¬
und mit Ehrensachen. Als ihre Richtschnur stellen die Kamorristen den Satz
auf: „Unsre Urteile find gerecht, weil wir nicht mit der Feder, sondern mit
dem Herzen und dem Verstände urteilen." Wenn kein sicherer Ort gefunden
werden kann, einen Termin abzuhalten, so geht man in die Cnmpagna hinaus,
um uuter freiem Himmel zu tagen. Vorsitzender ist der betreffende Viertels¬
meister, öffentlicher Anklüger ist der Sekretär des Viertels, dem der Beleidigte
oder Geschädigte angehört, und zwei der „vernüuftigsten" Kamorristen werden
zu amtlichen Advokaten ernannt. Die übrigen Anwesenden können auch ihre
Meinung abgeben. Der Viertelsmeister schlüge nach Anhörung der Tatsachen
die Strafe vor, und der Sekretär macht einen andern Vorschlag. Nach kurzer
Debatte entscheidet meist der Viertelsmeister mit seinen zwei Stimmen. Gegen
das Urteil ist keine Berufung möglich. Bei Vermögensangelegenheiten ist die
Ausführung des Urteils meist sehr schnell geschehen. Wenn es aber um „Ehren"-
Händel geht, so müssen fast immer „die Hände gebraucht" werden; es kann
sich dabei um drei Fülle handeln:

1. Wenn der Beleidigte ein Kamvrrift, der Beleidiger ein xivoiuotto ist,
so muß die Vendetta von einem vom Beleidigten anszuwühleudeu pweinotto,
der immer sein Freund ist, ausgeführt werden.

2. Wenn beide von demselben Grade sind, so ist der Beauftragte immer
em andrer befreundeter Kamorrist.

3- Wenn der Beleidiger nicht zur Gesellschaft gehört, so will immer der
jüngste die ZrmxpMm ausführen; melden sich dazu aber mehrere, so ordnet der
Viertelsmeister die Auslosung an.

Die gewöhnlichen und gebräuchlichsten Strafen sind die folgenden: 1. Ver¬
weigerung des Anteils an den Steuern der Kamorra; 2. zeitliche Znrückbehaltuug
der Steuern; 3. zeitliche oder dauernde Ausstoßung ans der Gesellschaft;4- öffentliche Ohrfeignng; 5.. Verwundung im Gesichte mit einem Glasscherben


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[0647] Die Aamorm Neapels gespannt. Auf ein Zeichen des Viertelsmeisters ruft der Sekretär: Los! und der Kampf beginnt. Der Kandidat muß so geschickt sein, daß er seinen Gegner innerhalb dreier Gange verwundet. Wenn aber der alte Sünder sieht, daß der Kandidat nicht zum Ziele kommt, so läßt er sich freiwillig am Arme ver¬ wunden, schon um das vorbereitete Festmahl nicht ausfallen zu lassen. Sobald die ersten Blutstropfen sichtbar werden, erhebt der Viertelsmeister die Hand und ruft: Haltet ein! Der Kandidat leckt das Blut des von ihm Verwundeten auf, und die t,irg.ta ist zu Ende. Nunmehr ist der e^ilioriista -i ooch zum oamorrisw '<z äovm-e, geworden und hat vollen Anteil an den Einnahmen der Kamvrra. Auf die Umarmung und den Kuß der anwesenden Genossen folgt das übliche Festmahl auf Kosten des jungen Kamorristen, bestehend ans Maccheroni in Öl mit Knoblauch, gebratnem Stockfisch und Hammelkeule. Dazu werden viele Liter Gragnmm getrunken, und am Ende des Mahls erhält jeder Genosse noch eine Zigarre, die den Namen Napoli führt, ein im übrigen schreck¬ liches Kraut. Die Rechtsprechung innerhalb der Kamorra befaßt sich und Vermögens¬ und mit Ehrensachen. Als ihre Richtschnur stellen die Kamorristen den Satz auf: „Unsre Urteile find gerecht, weil wir nicht mit der Feder, sondern mit dem Herzen und dem Verstände urteilen." Wenn kein sicherer Ort gefunden werden kann, einen Termin abzuhalten, so geht man in die Cnmpagna hinaus, um uuter freiem Himmel zu tagen. Vorsitzender ist der betreffende Viertels¬ meister, öffentlicher Anklüger ist der Sekretär des Viertels, dem der Beleidigte oder Geschädigte angehört, und zwei der „vernüuftigsten" Kamorristen werden zu amtlichen Advokaten ernannt. Die übrigen Anwesenden können auch ihre Meinung abgeben. Der Viertelsmeister schlüge nach Anhörung der Tatsachen die Strafe vor, und der Sekretär macht einen andern Vorschlag. Nach kurzer Debatte entscheidet meist der Viertelsmeister mit seinen zwei Stimmen. Gegen das Urteil ist keine Berufung möglich. Bei Vermögensangelegenheiten ist die Ausführung des Urteils meist sehr schnell geschehen. Wenn es aber um „Ehren"- Händel geht, so müssen fast immer „die Hände gebraucht" werden; es kann sich dabei um drei Fülle handeln: 1. Wenn der Beleidigte ein Kamvrrift, der Beleidiger ein xivoiuotto ist, so muß die Vendetta von einem vom Beleidigten anszuwühleudeu pweinotto, der immer sein Freund ist, ausgeführt werden. 2. Wenn beide von demselben Grade sind, so ist der Beauftragte immer em andrer befreundeter Kamorrist. 3- Wenn der Beleidiger nicht zur Gesellschaft gehört, so will immer der jüngste die ZrmxpMm ausführen; melden sich dazu aber mehrere, so ordnet der Viertelsmeister die Auslosung an. Die gewöhnlichen und gebräuchlichsten Strafen sind die folgenden: 1. Ver¬ weigerung des Anteils an den Steuern der Kamorra; 2. zeitliche Znrückbehaltuug der Steuern; 3. zeitliche oder dauernde Ausstoßung ans der Gesellschaft;4- öffentliche Ohrfeignng; 5.. Verwundung im Gesichte mit einem Glasscherben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/647>, abgerufen am 07.06.2024.