Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

werfen, daß er ein von seinen Vorgängern begangnes Unrecht nicht zugesteht?
Würde die Königin Viktoria die Sünden Georgs des Vierten zugestanden haben?
Foltern und verbrennen kann ja auch die Inquisition heutzutage nicht mehr, wenn
sie auch noch Existenzen moralisch vernichten kann. Lord Antons Brief ist aller¬
dings charakteristisch dafür, wie ein von der römischen Kirche als einer ihrer
treusten Söhne öffentlich anerkannter gläubiger Katholik antipäpstlich sein kann,
vielleicht aber auch dafür, daß Rom gegenüber Engländern immer toleranter war
als gegen Deutsche. Lord Antons Gesinnung als eines frommen Katholiken war
gerade so bekannt wie seine Gegnerschaft gegen das Papsttum; aber er war ein Eng¬
länder, und in England gibt es kein Zentrum, fondern nnr katholische Engländer.

Zu dem Verständnis des Briefes muß vorausgeschickt werden, daß Lord Acton
kein Freund Rvsminis war, und daß eine große Anzahl anglikanischer Priester,
darunter Liddon, damals wohl geneigt war, ein Primat des Papstes über die
gesamte Christenheit aber keine Suprematie anzuerkennen. Diese Tendenzen sind
jetzt wieder in der Abnahme begriffen, und seit einigen Jahren macht sich in der
englischen Staatskirche ein energischer Widerspruch geltend gegen die Richtung, deren
Sympathien dem römischen Katholizismus zugewandt sind. Die "Ritunlisten" -- so
nennt man die Vertreter dieser Richtung, die sich selbst geradezu als "auglokatholisch"
bezeichneten -- haben eine vollständige Organisation ihrer Gegner hervorgerufen,
die es auch durchgesetzt hat, daß im April dieses Jahres eine königliche Kommission
ernannt wurde, die die angeblich vorkommenden Verletzungen und Versäumnisse der
staatskirchlichen Kultusvorschriften untersuchen, feststellen, welche Mittel nach dem
geltenden Rechte gegen solche Unregelmäßigkeiten zu Gebote stehn, und wenn nötig,
andre Maßregeln empfehlen soll. Diese Kommission, die aus Geistlichen und Laien
besteht, ist in Tätigkeit. Insofern ist Lord Antons Brief als der Ausdruck eines
römischen Katholiken über die römischen Tendenzen der Hochkirche auch aktuell:
"Rosmiui, abgesehen von den fünf von ihm gemachten oberflächlichen Reform¬
propositionen, war durch und dnrch Anhänger des römischen Stuhls. Sein Buch
sagt ja in sich selbst, daß. seine Reformvorschläge abgerechnet, nichts der Abhilfe
bedarf. Er nimmt das Papsttum, wie es ist, und er hat von seinen fünf Punkten
abgesehen nichts an ihm auszusetzen. Er war, was wir einen Ultramontanen nennen --
ein etwas widerstrebender Ultramontaner wie Lacordaire auch. Ein Angliknner, der
mit Genugtuung, mit Bewundrung den moralischen Zustand und die geistige Ver¬
fassung eines ultramontanen Priesters betrachtet, scheint mir über das wichtigste
Hindernis auf dem Wege nach Rom hinweggekommen zu sein, das moralische
Hindernis. Das moralische Hindernis ist, kurz gesagt, die Inquisition.

Die Inquisition ist die Hauptwaffe und das Hauptwerk des Papsttums. Keine
andre Institution, keine Doktrin, keine Zeremonie ist so klar und so ganz und gar
die individuelle Schöpfung des Papsttums, wenn man von der Kraft zu dispensieren
absieht. Sie ist die Hauptsache, mit der das Papsttum identifiziert und von der
aus es beurteilt werdeu muß. Das Prinzip der Inquisition ist des Papstes
souveräne Gewalt über Leben und Tod. Wer ihm nicht gehorcht, kann vor Gericht
gezogen, gefoltert, verbrannt werden. Kann man den Ungehorsamen nicht vor
Gericht stellen, geht es auch ohne Formalität, und der Beschuldigte kann als Vogel-
frei gemordet werden. Das will sagen: das Prinzip der Inquisition ist mörderisch,
und die Meinung eines Mannes über das Papsttum ist reguliert und bestimmt, je
nachdem wie er über religiösen Mord denkt. Betrachtet er die Inquisition ehrlich
als eine Abscheulichkeit, so kann er das Primat nur mit einem Hintergedanken, mit
Vorsicht, Verdacht, mit Abscheu vor seinen Taten ansehen. Sieht er das Primat
mit Vertrauen, Bewundrung, bedingungslosen Gehorsam an, muß er sich mit Mord
abgefunden haben. Deshalb haftet an den Leuten, die wir Ultramontane nennen
-- nach dem Maße ihrer Wissenschaft und ihres Eifers --, die schlimmste Be¬
schuldigung im Kataloge der Verbrechen. Die Streitfrage behandelt durchaus keine
theologischen Dinge: es handelt sich um den spirituellen Zustand eines Menschen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

werfen, daß er ein von seinen Vorgängern begangnes Unrecht nicht zugesteht?
Würde die Königin Viktoria die Sünden Georgs des Vierten zugestanden haben?
Foltern und verbrennen kann ja auch die Inquisition heutzutage nicht mehr, wenn
sie auch noch Existenzen moralisch vernichten kann. Lord Antons Brief ist aller¬
dings charakteristisch dafür, wie ein von der römischen Kirche als einer ihrer
treusten Söhne öffentlich anerkannter gläubiger Katholik antipäpstlich sein kann,
vielleicht aber auch dafür, daß Rom gegenüber Engländern immer toleranter war
als gegen Deutsche. Lord Antons Gesinnung als eines frommen Katholiken war
gerade so bekannt wie seine Gegnerschaft gegen das Papsttum; aber er war ein Eng¬
länder, und in England gibt es kein Zentrum, fondern nnr katholische Engländer.

Zu dem Verständnis des Briefes muß vorausgeschickt werden, daß Lord Acton
kein Freund Rvsminis war, und daß eine große Anzahl anglikanischer Priester,
darunter Liddon, damals wohl geneigt war, ein Primat des Papstes über die
gesamte Christenheit aber keine Suprematie anzuerkennen. Diese Tendenzen sind
jetzt wieder in der Abnahme begriffen, und seit einigen Jahren macht sich in der
englischen Staatskirche ein energischer Widerspruch geltend gegen die Richtung, deren
Sympathien dem römischen Katholizismus zugewandt sind. Die „Ritunlisten" — so
nennt man die Vertreter dieser Richtung, die sich selbst geradezu als „auglokatholisch"
bezeichneten — haben eine vollständige Organisation ihrer Gegner hervorgerufen,
die es auch durchgesetzt hat, daß im April dieses Jahres eine königliche Kommission
ernannt wurde, die die angeblich vorkommenden Verletzungen und Versäumnisse der
staatskirchlichen Kultusvorschriften untersuchen, feststellen, welche Mittel nach dem
geltenden Rechte gegen solche Unregelmäßigkeiten zu Gebote stehn, und wenn nötig,
andre Maßregeln empfehlen soll. Diese Kommission, die aus Geistlichen und Laien
besteht, ist in Tätigkeit. Insofern ist Lord Antons Brief als der Ausdruck eines
römischen Katholiken über die römischen Tendenzen der Hochkirche auch aktuell:
„Rosmiui, abgesehen von den fünf von ihm gemachten oberflächlichen Reform¬
propositionen, war durch und dnrch Anhänger des römischen Stuhls. Sein Buch
sagt ja in sich selbst, daß. seine Reformvorschläge abgerechnet, nichts der Abhilfe
bedarf. Er nimmt das Papsttum, wie es ist, und er hat von seinen fünf Punkten
abgesehen nichts an ihm auszusetzen. Er war, was wir einen Ultramontanen nennen —
ein etwas widerstrebender Ultramontaner wie Lacordaire auch. Ein Angliknner, der
mit Genugtuung, mit Bewundrung den moralischen Zustand und die geistige Ver¬
fassung eines ultramontanen Priesters betrachtet, scheint mir über das wichtigste
Hindernis auf dem Wege nach Rom hinweggekommen zu sein, das moralische
Hindernis. Das moralische Hindernis ist, kurz gesagt, die Inquisition.

Die Inquisition ist die Hauptwaffe und das Hauptwerk des Papsttums. Keine
andre Institution, keine Doktrin, keine Zeremonie ist so klar und so ganz und gar
die individuelle Schöpfung des Papsttums, wenn man von der Kraft zu dispensieren
absieht. Sie ist die Hauptsache, mit der das Papsttum identifiziert und von der
aus es beurteilt werdeu muß. Das Prinzip der Inquisition ist des Papstes
souveräne Gewalt über Leben und Tod. Wer ihm nicht gehorcht, kann vor Gericht
gezogen, gefoltert, verbrannt werden. Kann man den Ungehorsamen nicht vor
Gericht stellen, geht es auch ohne Formalität, und der Beschuldigte kann als Vogel-
frei gemordet werden. Das will sagen: das Prinzip der Inquisition ist mörderisch,
und die Meinung eines Mannes über das Papsttum ist reguliert und bestimmt, je
nachdem wie er über religiösen Mord denkt. Betrachtet er die Inquisition ehrlich
als eine Abscheulichkeit, so kann er das Primat nur mit einem Hintergedanken, mit
Vorsicht, Verdacht, mit Abscheu vor seinen Taten ansehen. Sieht er das Primat
mit Vertrauen, Bewundrung, bedingungslosen Gehorsam an, muß er sich mit Mord
abgefunden haben. Deshalb haftet an den Leuten, die wir Ultramontane nennen
— nach dem Maße ihrer Wissenschaft und ihres Eifers —, die schlimmste Be¬
schuldigung im Kataloge der Verbrechen. Die Streitfrage behandelt durchaus keine
theologischen Dinge: es handelt sich um den spirituellen Zustand eines Menschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0675" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295092"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_3306" prev="#ID_3305"> werfen, daß er ein von seinen Vorgängern begangnes Unrecht nicht zugesteht?<lb/>
Würde die Königin Viktoria die Sünden Georgs des Vierten zugestanden haben?<lb/>
Foltern und verbrennen kann ja auch die Inquisition heutzutage nicht mehr, wenn<lb/>
sie auch noch Existenzen moralisch vernichten kann. Lord Antons Brief ist aller¬<lb/>
dings charakteristisch dafür, wie ein von der römischen Kirche als einer ihrer<lb/>
treusten Söhne öffentlich anerkannter gläubiger Katholik antipäpstlich sein kann,<lb/>
vielleicht aber auch dafür, daß Rom gegenüber Engländern immer toleranter war<lb/>
als gegen Deutsche. Lord Antons Gesinnung als eines frommen Katholiken war<lb/>
gerade so bekannt wie seine Gegnerschaft gegen das Papsttum; aber er war ein Eng¬<lb/>
länder, und in England gibt es kein Zentrum, fondern nnr katholische Engländer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3307"> Zu dem Verständnis des Briefes muß vorausgeschickt werden, daß Lord Acton<lb/>
kein Freund Rvsminis war, und daß eine große Anzahl anglikanischer Priester,<lb/>
darunter Liddon, damals wohl geneigt war, ein Primat des Papstes über die<lb/>
gesamte Christenheit aber keine Suprematie anzuerkennen.  Diese Tendenzen sind<lb/>
jetzt wieder in der Abnahme begriffen, und seit einigen Jahren macht sich in der<lb/>
englischen Staatskirche ein energischer Widerspruch geltend gegen die Richtung, deren<lb/>
Sympathien dem römischen Katholizismus zugewandt sind. Die &#x201E;Ritunlisten" &#x2014; so<lb/>
nennt man die Vertreter dieser Richtung, die sich selbst geradezu als &#x201E;auglokatholisch"<lb/>
bezeichneten &#x2014; haben eine vollständige Organisation ihrer Gegner hervorgerufen,<lb/>
die es auch durchgesetzt hat, daß im April dieses Jahres eine königliche Kommission<lb/>
ernannt wurde, die die angeblich vorkommenden Verletzungen und Versäumnisse der<lb/>
staatskirchlichen Kultusvorschriften untersuchen, feststellen, welche Mittel nach dem<lb/>
geltenden Rechte gegen solche Unregelmäßigkeiten zu Gebote stehn, und wenn nötig,<lb/>
andre Maßregeln empfehlen soll. Diese Kommission, die aus Geistlichen und Laien<lb/>
besteht, ist in Tätigkeit.  Insofern ist Lord Antons Brief als der Ausdruck eines<lb/>
römischen Katholiken über die römischen Tendenzen der Hochkirche auch aktuell:<lb/>
&#x201E;Rosmiui, abgesehen von den fünf von ihm gemachten oberflächlichen Reform¬<lb/>
propositionen, war durch und dnrch Anhänger des römischen Stuhls.  Sein Buch<lb/>
sagt ja in sich selbst, daß. seine Reformvorschläge abgerechnet, nichts der Abhilfe<lb/>
bedarf. Er nimmt das Papsttum, wie es ist, und er hat von seinen fünf Punkten<lb/>
abgesehen nichts an ihm auszusetzen. Er war, was wir einen Ultramontanen nennen &#x2014;<lb/>
ein etwas widerstrebender Ultramontaner wie Lacordaire auch. Ein Angliknner, der<lb/>
mit Genugtuung, mit Bewundrung den moralischen Zustand und die geistige Ver¬<lb/>
fassung eines ultramontanen Priesters betrachtet, scheint mir über das wichtigste<lb/>
Hindernis auf dem Wege nach Rom hinweggekommen zu sein, das moralische<lb/>
Hindernis.  Das moralische Hindernis ist, kurz gesagt, die Inquisition.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3308" next="#ID_3309"> Die Inquisition ist die Hauptwaffe und das Hauptwerk des Papsttums. Keine<lb/>
andre Institution, keine Doktrin, keine Zeremonie ist so klar und so ganz und gar<lb/>
die individuelle Schöpfung des Papsttums, wenn man von der Kraft zu dispensieren<lb/>
absieht. Sie ist die Hauptsache, mit der das Papsttum identifiziert und von der<lb/>
aus es beurteilt werdeu muß. Das Prinzip der Inquisition ist des Papstes<lb/>
souveräne Gewalt über Leben und Tod. Wer ihm nicht gehorcht, kann vor Gericht<lb/>
gezogen, gefoltert, verbrannt werden. Kann man den Ungehorsamen nicht vor<lb/>
Gericht stellen, geht es auch ohne Formalität, und der Beschuldigte kann als Vogel-<lb/>
frei gemordet werden. Das will sagen: das Prinzip der Inquisition ist mörderisch,<lb/>
und die Meinung eines Mannes über das Papsttum ist reguliert und bestimmt, je<lb/>
nachdem wie er über religiösen Mord denkt. Betrachtet er die Inquisition ehrlich<lb/>
als eine Abscheulichkeit, so kann er das Primat nur mit einem Hintergedanken, mit<lb/>
Vorsicht, Verdacht, mit Abscheu vor seinen Taten ansehen. Sieht er das Primat<lb/>
mit Vertrauen, Bewundrung, bedingungslosen Gehorsam an, muß er sich mit Mord<lb/>
abgefunden haben. Deshalb haftet an den Leuten, die wir Ultramontane nennen<lb/>
&#x2014; nach dem Maße ihrer Wissenschaft und ihres Eifers &#x2014;, die schlimmste Be¬<lb/>
schuldigung im Kataloge der Verbrechen. Die Streitfrage behandelt durchaus keine<lb/>
theologischen Dinge: es handelt sich um den spirituellen Zustand eines Menschen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0675] Maßgebliches und Unmaßgebliches werfen, daß er ein von seinen Vorgängern begangnes Unrecht nicht zugesteht? Würde die Königin Viktoria die Sünden Georgs des Vierten zugestanden haben? Foltern und verbrennen kann ja auch die Inquisition heutzutage nicht mehr, wenn sie auch noch Existenzen moralisch vernichten kann. Lord Antons Brief ist aller¬ dings charakteristisch dafür, wie ein von der römischen Kirche als einer ihrer treusten Söhne öffentlich anerkannter gläubiger Katholik antipäpstlich sein kann, vielleicht aber auch dafür, daß Rom gegenüber Engländern immer toleranter war als gegen Deutsche. Lord Antons Gesinnung als eines frommen Katholiken war gerade so bekannt wie seine Gegnerschaft gegen das Papsttum; aber er war ein Eng¬ länder, und in England gibt es kein Zentrum, fondern nnr katholische Engländer. Zu dem Verständnis des Briefes muß vorausgeschickt werden, daß Lord Acton kein Freund Rvsminis war, und daß eine große Anzahl anglikanischer Priester, darunter Liddon, damals wohl geneigt war, ein Primat des Papstes über die gesamte Christenheit aber keine Suprematie anzuerkennen. Diese Tendenzen sind jetzt wieder in der Abnahme begriffen, und seit einigen Jahren macht sich in der englischen Staatskirche ein energischer Widerspruch geltend gegen die Richtung, deren Sympathien dem römischen Katholizismus zugewandt sind. Die „Ritunlisten" — so nennt man die Vertreter dieser Richtung, die sich selbst geradezu als „auglokatholisch" bezeichneten — haben eine vollständige Organisation ihrer Gegner hervorgerufen, die es auch durchgesetzt hat, daß im April dieses Jahres eine königliche Kommission ernannt wurde, die die angeblich vorkommenden Verletzungen und Versäumnisse der staatskirchlichen Kultusvorschriften untersuchen, feststellen, welche Mittel nach dem geltenden Rechte gegen solche Unregelmäßigkeiten zu Gebote stehn, und wenn nötig, andre Maßregeln empfehlen soll. Diese Kommission, die aus Geistlichen und Laien besteht, ist in Tätigkeit. Insofern ist Lord Antons Brief als der Ausdruck eines römischen Katholiken über die römischen Tendenzen der Hochkirche auch aktuell: „Rosmiui, abgesehen von den fünf von ihm gemachten oberflächlichen Reform¬ propositionen, war durch und dnrch Anhänger des römischen Stuhls. Sein Buch sagt ja in sich selbst, daß. seine Reformvorschläge abgerechnet, nichts der Abhilfe bedarf. Er nimmt das Papsttum, wie es ist, und er hat von seinen fünf Punkten abgesehen nichts an ihm auszusetzen. Er war, was wir einen Ultramontanen nennen — ein etwas widerstrebender Ultramontaner wie Lacordaire auch. Ein Angliknner, der mit Genugtuung, mit Bewundrung den moralischen Zustand und die geistige Ver¬ fassung eines ultramontanen Priesters betrachtet, scheint mir über das wichtigste Hindernis auf dem Wege nach Rom hinweggekommen zu sein, das moralische Hindernis. Das moralische Hindernis ist, kurz gesagt, die Inquisition. Die Inquisition ist die Hauptwaffe und das Hauptwerk des Papsttums. Keine andre Institution, keine Doktrin, keine Zeremonie ist so klar und so ganz und gar die individuelle Schöpfung des Papsttums, wenn man von der Kraft zu dispensieren absieht. Sie ist die Hauptsache, mit der das Papsttum identifiziert und von der aus es beurteilt werdeu muß. Das Prinzip der Inquisition ist des Papstes souveräne Gewalt über Leben und Tod. Wer ihm nicht gehorcht, kann vor Gericht gezogen, gefoltert, verbrannt werden. Kann man den Ungehorsamen nicht vor Gericht stellen, geht es auch ohne Formalität, und der Beschuldigte kann als Vogel- frei gemordet werden. Das will sagen: das Prinzip der Inquisition ist mörderisch, und die Meinung eines Mannes über das Papsttum ist reguliert und bestimmt, je nachdem wie er über religiösen Mord denkt. Betrachtet er die Inquisition ehrlich als eine Abscheulichkeit, so kann er das Primat nur mit einem Hintergedanken, mit Vorsicht, Verdacht, mit Abscheu vor seinen Taten ansehen. Sieht er das Primat mit Vertrauen, Bewundrung, bedingungslosen Gehorsam an, muß er sich mit Mord abgefunden haben. Deshalb haftet an den Leuten, die wir Ultramontane nennen — nach dem Maße ihrer Wissenschaft und ihres Eifers —, die schlimmste Be¬ schuldigung im Kataloge der Verbrechen. Die Streitfrage behandelt durchaus keine theologischen Dinge: es handelt sich um den spirituellen Zustand eines Menschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/675
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/675>, abgerufen am 13.05.2024.