Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Kulturkampf und Schisma Hauptschlagworte in Frankreich. Mögen die Geistlichen doch auch jetzt schon Eine Reduktion der Geistlichen an Zahl wird überhaupt notwendig Kulturkampf und Schisma Hauptschlagworte in Frankreich. Mögen die Geistlichen doch auch jetzt schon Eine Reduktion der Geistlichen an Zahl wird überhaupt notwendig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0752" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295169"/> <fw type="header" place="top"> Kulturkampf und Schisma</fw><lb/> <p xml:id="ID_3634" prev="#ID_3633"> Hauptschlagworte in Frankreich. Mögen die Geistlichen doch auch jetzt schon<lb/> sich in Verbänden organisieren. Es ist kein Zweifel, daß sich gerade heute<lb/> große Fonds sammeln lassen, und die Freigebigkeit der reichen Gemeinde¬<lb/> angehörigen besonders in den Städten ist groß. Auch der bekannte Verfechter<lb/> der Trennung von Staat und Kirche, der schon genannte Sozialist Aristide<lb/> Briand, gibt den Klerikern diesen Rat. Die Kirchen können ja, so schreibt<lb/> er, ihre Einnahmen erhöhen durch Gebühren für Kultusdienste usw. Freilich<lb/> würden sich dadurch viele Laien bewegen lassen, der Kirche untreu zu werden.<lb/> In großen Verbänden können die Reichern den Armem zur Hilfe kommen.<lb/> Um ihnen diese Pflicht der Solidarität zu erleichtern, kommt der neue<lb/> Briandsche Gesetzentwurf über Trennung von Staat und Kirche den Gemeinden<lb/> sogar angeblich entgegen, da er zur Vermeidung von Güteransammlungen in<lb/> der toten Hand den Verbänden die Thesaurierung ihrer Einkünfte untersagt<lb/> und damit eine genügende Einnahmequelle schaffen wird, die laufenden Kultns-<lb/> kosten zu bestreiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3635" next="#ID_3636"> Eine Reduktion der Geistlichen an Zahl wird überhaupt notwendig<lb/> werden. Aber, die bleiben, das sind im Kampf gestählte Soldaten der<lb/> eoelWig. inilitims. Heute schon hallt Frankreich von einem Ende zum andern<lb/> wieder von Kundgebungen der unerschütterlichen Treue zum Papst und von<lb/> Heller Kampflust, die zu allen Opfern bereit ist. Dieser Aufmarsch der streit¬<lb/> baren Priesterschaft in allen Diözesen hat auch für den Nichtkatholiken etwas<lb/> imposantes. Die ganze klerikale Presse hat mobil gemacht, und ihre Macht<lb/> ist nicht gering. Der erste Napoleon konnte 1806 einfach die ganze kirchliche<lb/> Presse verbieten und die Abbes zwingen, allein das von ihm befohlne.lourniZ.!<lb/> clef Vur6s zu lesen. Die heutige Regierung hat diese Macht nicht, und sie<lb/> wird auch kaum die sonstigen drakonischen Maßregeln des ersten Kaiserreichs<lb/> und des Bürgerkönigtums anwenden wollen. Gewiß haben sich alle franzö¬<lb/> sischen Regierungen von den Tagen Ludwigs des Heiligen an bis auf unsre<lb/> Zeit weit kraftvoller und skrupelloser mit Rom auseinandersetzen können, als<lb/> Deutschland es vermochte. Aber es hat sich in der letzten Zeit gar manches<lb/> im französischen Klerus geändert. Die Politik des Vive hat zustande gebracht,<lb/> was alle Päpste der letzten Jahrhunderte vergeblich versucht haben: sie hat<lb/> die früher so staatskatholisch gesinnte französische Geistlichkeit ultramontanisiert.<lb/> Combes wird nicht die Unvorsichtigkeit begehn, die Geistlichkeit durch Gewnlt-<lb/> maßregeln noch weiter ins intransigente Lager zu drängen. Wir glauben<lb/> nicht, daß der Bruch von einer Politik der eisernen Hand gegen die Kirche<lb/> gefolgt sein wird. Eine wie staatsgeführliche Macht ein oppositioneller Klerus<lb/> entwickeln kann, auch in einem felsenfest fundierten Staat, zeigt unsre eigne<lb/> preußisch-deutsche Geschichte. Die französische Republik sitzt aber keineswegs<lb/> so fest im Sattel, daß sie überflüssige Wagestücke unternehmen könnte; das<lb/> weiß man an maßgebenden Stellen sehr wohl und wird das republikanische<lb/> Gefühl des Volkes, so sehr es auch in den letzten Jahren gestärkt sein mag,<lb/> keiner allzu schweren Belastungsprobe aussetzen. Eine Diplomatie des Ig-isser<lb/> kairs 1g,issM pg.886r würde am ehesten zeigen, ob die Kirche noch eigne Lebens¬<lb/> kraft hat oder nicht. Im ersten Falle muß der Staat auf sie Rücksicht nehmen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0752]
Kulturkampf und Schisma
Hauptschlagworte in Frankreich. Mögen die Geistlichen doch auch jetzt schon
sich in Verbänden organisieren. Es ist kein Zweifel, daß sich gerade heute
große Fonds sammeln lassen, und die Freigebigkeit der reichen Gemeinde¬
angehörigen besonders in den Städten ist groß. Auch der bekannte Verfechter
der Trennung von Staat und Kirche, der schon genannte Sozialist Aristide
Briand, gibt den Klerikern diesen Rat. Die Kirchen können ja, so schreibt
er, ihre Einnahmen erhöhen durch Gebühren für Kultusdienste usw. Freilich
würden sich dadurch viele Laien bewegen lassen, der Kirche untreu zu werden.
In großen Verbänden können die Reichern den Armem zur Hilfe kommen.
Um ihnen diese Pflicht der Solidarität zu erleichtern, kommt der neue
Briandsche Gesetzentwurf über Trennung von Staat und Kirche den Gemeinden
sogar angeblich entgegen, da er zur Vermeidung von Güteransammlungen in
der toten Hand den Verbänden die Thesaurierung ihrer Einkünfte untersagt
und damit eine genügende Einnahmequelle schaffen wird, die laufenden Kultns-
kosten zu bestreiten.
Eine Reduktion der Geistlichen an Zahl wird überhaupt notwendig
werden. Aber, die bleiben, das sind im Kampf gestählte Soldaten der
eoelWig. inilitims. Heute schon hallt Frankreich von einem Ende zum andern
wieder von Kundgebungen der unerschütterlichen Treue zum Papst und von
Heller Kampflust, die zu allen Opfern bereit ist. Dieser Aufmarsch der streit¬
baren Priesterschaft in allen Diözesen hat auch für den Nichtkatholiken etwas
imposantes. Die ganze klerikale Presse hat mobil gemacht, und ihre Macht
ist nicht gering. Der erste Napoleon konnte 1806 einfach die ganze kirchliche
Presse verbieten und die Abbes zwingen, allein das von ihm befohlne.lourniZ.!
clef Vur6s zu lesen. Die heutige Regierung hat diese Macht nicht, und sie
wird auch kaum die sonstigen drakonischen Maßregeln des ersten Kaiserreichs
und des Bürgerkönigtums anwenden wollen. Gewiß haben sich alle franzö¬
sischen Regierungen von den Tagen Ludwigs des Heiligen an bis auf unsre
Zeit weit kraftvoller und skrupelloser mit Rom auseinandersetzen können, als
Deutschland es vermochte. Aber es hat sich in der letzten Zeit gar manches
im französischen Klerus geändert. Die Politik des Vive hat zustande gebracht,
was alle Päpste der letzten Jahrhunderte vergeblich versucht haben: sie hat
die früher so staatskatholisch gesinnte französische Geistlichkeit ultramontanisiert.
Combes wird nicht die Unvorsichtigkeit begehn, die Geistlichkeit durch Gewnlt-
maßregeln noch weiter ins intransigente Lager zu drängen. Wir glauben
nicht, daß der Bruch von einer Politik der eisernen Hand gegen die Kirche
gefolgt sein wird. Eine wie staatsgeführliche Macht ein oppositioneller Klerus
entwickeln kann, auch in einem felsenfest fundierten Staat, zeigt unsre eigne
preußisch-deutsche Geschichte. Die französische Republik sitzt aber keineswegs
so fest im Sattel, daß sie überflüssige Wagestücke unternehmen könnte; das
weiß man an maßgebenden Stellen sehr wohl und wird das republikanische
Gefühl des Volkes, so sehr es auch in den letzten Jahren gestärkt sein mag,
keiner allzu schweren Belastungsprobe aussetzen. Eine Diplomatie des Ig-isser
kairs 1g,issM pg.886r würde am ehesten zeigen, ob die Kirche noch eigne Lebens¬
kraft hat oder nicht. Im ersten Falle muß der Staat auf sie Rücksicht nehmen,
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