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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Giordano Bruno

einem Lande, wo der gewissenlose Kaufmann leicht zum Krösus wird, der
Tüchtige aber, wenn er kein Geld hat, als Diogenes gilt; Ihnen, der Sie
den Nolcmer unter Ihrem Dache, nämlich im obersten Stockwerk Ihres Hauses
beherbergen. Hierher würden, wenn dieses Land an Stelle der tausend plumpen
Riesen, die es hervorbringt, eben so viel Männer von der Natur eines
Alexanders des Großen hervorgebracht hätte, mehr als 500 emporsteigen, um
Ihrem Gaste einen Huldigungsbesuch zu machen." Aber Mcmvissiere sei der
einzige, der ihm manchmal den durch sein Kammerfensterchen einfallenden
Sonnenstrahl versperre. Darauf folgt eine schwülstige Lobpreisung des fran¬
zösischen Königs.

Sehr ergötzlich beschreibt Teofilo, wie einige Freunde den Nolcmer ab¬
geholt und mit ihm die gefährliche Reise zum Hause Grevilles durch die
Straßen Londons und auf der Themse unternommen haben, wie sie lauge im
Kreise herumgeirrt und endlich, über und über mit Schweinemist besudelt, am
Orte des Gastmahls angekommen und froh gewesen sind, daß der grobe, un¬
flätige und verbrecherische Straßenpöbel sie nicht totgeschlagen hat. Da noch
anderthalbhundert Jahre später Hume in bitterm Ernste London als eine ab¬
scheuliche Düngergrube geschildert hat, brauchen wir Brunos Bericht nicht für
satirische Übertreibung zu halten. Er schätzt sich glücklich, daß er nicht ge¬
nötigt worden sei, die Unsitte des Zutrinkens aus einem großen Pokale mit¬
zumachen, der dieses Bauernvolk huldige, bei der es einem manchmal begegne,
daß man die Fettablagerungen, Speisereste und Barthaare zu kosten bekomme,
die der Vortrinker darin gelassen habe.

Den wesentlichen Inhalt der Disputation nun macht die Verteidigung
der von Bruno verbesserten und vervollständigten kopernikanischen Lehre aus,
die die Gegner höchstens als eine zur bequemern Berechnung der Bewegungen
der Himmelskörper aufgestellte mathematische Hypothese wollen gelten lassen.
Er beweist aus der Länge des Schattenkegels der Erde, daß diese kleiner ist
als die Sonne, erwähnt die Sonnenflecken, die nach der hergebrachten Mei¬
nung erst Scheiner und Galilei entdeckt haben sollen, zeigt, daß die Erde ein
leuchtender Stern ist, daß weder die Weltkörper vollkommne Kugeln noch ihre
Bahnen vollkommne Kreise sind, und daß die Sonne so wenig der Mittelpunkt
des Weltalls ist wie die Erde, die man vor Kopernikus dafür gehalten hatte.
Das Weltall sei unendlich und habe keinen Mittelpunkt (ein Satz, der hente
wunderlicherweise von Eugen Dühring und Eduard von Hartmann, die im
übrigen Gegner sind, bestritten wird). Alle Weltkörper seien von demselben
Stoff und unterschieden sich voneinander nur teils der Größe, teils des Grades
ihrer Erwärmung nach, indem die selbstleuchtenden im feurigen Zustande seien.
Gegen die antik-mittelalterliche Astronomie behauptet er, die Weltkörper würden
nicht von außen bewegt, durch phantastische Sphären, an die sie angenagelt
wären. Das würde eine gewaltsame Bewegung sein. Jede natürliche Be¬
wegung sei die Wirkung eines innerlichen mehr oder weniger bewußten Dranges
gleich dem, der den Mann zum Weibe, das Eisen zum Magnet, den Stroh¬
halm zum Bernstein treibe. Das von innen treibende nennt Bruno Seele,
und wenn er den Gestirnseelen Empfindung und Intelligenz zuschreibt, so


Giordano Bruno

einem Lande, wo der gewissenlose Kaufmann leicht zum Krösus wird, der
Tüchtige aber, wenn er kein Geld hat, als Diogenes gilt; Ihnen, der Sie
den Nolcmer unter Ihrem Dache, nämlich im obersten Stockwerk Ihres Hauses
beherbergen. Hierher würden, wenn dieses Land an Stelle der tausend plumpen
Riesen, die es hervorbringt, eben so viel Männer von der Natur eines
Alexanders des Großen hervorgebracht hätte, mehr als 500 emporsteigen, um
Ihrem Gaste einen Huldigungsbesuch zu machen." Aber Mcmvissiere sei der
einzige, der ihm manchmal den durch sein Kammerfensterchen einfallenden
Sonnenstrahl versperre. Darauf folgt eine schwülstige Lobpreisung des fran¬
zösischen Königs.

Sehr ergötzlich beschreibt Teofilo, wie einige Freunde den Nolcmer ab¬
geholt und mit ihm die gefährliche Reise zum Hause Grevilles durch die
Straßen Londons und auf der Themse unternommen haben, wie sie lauge im
Kreise herumgeirrt und endlich, über und über mit Schweinemist besudelt, am
Orte des Gastmahls angekommen und froh gewesen sind, daß der grobe, un¬
flätige und verbrecherische Straßenpöbel sie nicht totgeschlagen hat. Da noch
anderthalbhundert Jahre später Hume in bitterm Ernste London als eine ab¬
scheuliche Düngergrube geschildert hat, brauchen wir Brunos Bericht nicht für
satirische Übertreibung zu halten. Er schätzt sich glücklich, daß er nicht ge¬
nötigt worden sei, die Unsitte des Zutrinkens aus einem großen Pokale mit¬
zumachen, der dieses Bauernvolk huldige, bei der es einem manchmal begegne,
daß man die Fettablagerungen, Speisereste und Barthaare zu kosten bekomme,
die der Vortrinker darin gelassen habe.

Den wesentlichen Inhalt der Disputation nun macht die Verteidigung
der von Bruno verbesserten und vervollständigten kopernikanischen Lehre aus,
die die Gegner höchstens als eine zur bequemern Berechnung der Bewegungen
der Himmelskörper aufgestellte mathematische Hypothese wollen gelten lassen.
Er beweist aus der Länge des Schattenkegels der Erde, daß diese kleiner ist
als die Sonne, erwähnt die Sonnenflecken, die nach der hergebrachten Mei¬
nung erst Scheiner und Galilei entdeckt haben sollen, zeigt, daß die Erde ein
leuchtender Stern ist, daß weder die Weltkörper vollkommne Kugeln noch ihre
Bahnen vollkommne Kreise sind, und daß die Sonne so wenig der Mittelpunkt
des Weltalls ist wie die Erde, die man vor Kopernikus dafür gehalten hatte.
Das Weltall sei unendlich und habe keinen Mittelpunkt (ein Satz, der hente
wunderlicherweise von Eugen Dühring und Eduard von Hartmann, die im
übrigen Gegner sind, bestritten wird). Alle Weltkörper seien von demselben
Stoff und unterschieden sich voneinander nur teils der Größe, teils des Grades
ihrer Erwärmung nach, indem die selbstleuchtenden im feurigen Zustande seien.
Gegen die antik-mittelalterliche Astronomie behauptet er, die Weltkörper würden
nicht von außen bewegt, durch phantastische Sphären, an die sie angenagelt
wären. Das würde eine gewaltsame Bewegung sein. Jede natürliche Be¬
wegung sei die Wirkung eines innerlichen mehr oder weniger bewußten Dranges
gleich dem, der den Mann zum Weibe, das Eisen zum Magnet, den Stroh¬
halm zum Bernstein treibe. Das von innen treibende nennt Bruno Seele,
und wenn er den Gestirnseelen Empfindung und Intelligenz zuschreibt, so


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[0759] Giordano Bruno einem Lande, wo der gewissenlose Kaufmann leicht zum Krösus wird, der Tüchtige aber, wenn er kein Geld hat, als Diogenes gilt; Ihnen, der Sie den Nolcmer unter Ihrem Dache, nämlich im obersten Stockwerk Ihres Hauses beherbergen. Hierher würden, wenn dieses Land an Stelle der tausend plumpen Riesen, die es hervorbringt, eben so viel Männer von der Natur eines Alexanders des Großen hervorgebracht hätte, mehr als 500 emporsteigen, um Ihrem Gaste einen Huldigungsbesuch zu machen." Aber Mcmvissiere sei der einzige, der ihm manchmal den durch sein Kammerfensterchen einfallenden Sonnenstrahl versperre. Darauf folgt eine schwülstige Lobpreisung des fran¬ zösischen Königs. Sehr ergötzlich beschreibt Teofilo, wie einige Freunde den Nolcmer ab¬ geholt und mit ihm die gefährliche Reise zum Hause Grevilles durch die Straßen Londons und auf der Themse unternommen haben, wie sie lauge im Kreise herumgeirrt und endlich, über und über mit Schweinemist besudelt, am Orte des Gastmahls angekommen und froh gewesen sind, daß der grobe, un¬ flätige und verbrecherische Straßenpöbel sie nicht totgeschlagen hat. Da noch anderthalbhundert Jahre später Hume in bitterm Ernste London als eine ab¬ scheuliche Düngergrube geschildert hat, brauchen wir Brunos Bericht nicht für satirische Übertreibung zu halten. Er schätzt sich glücklich, daß er nicht ge¬ nötigt worden sei, die Unsitte des Zutrinkens aus einem großen Pokale mit¬ zumachen, der dieses Bauernvolk huldige, bei der es einem manchmal begegne, daß man die Fettablagerungen, Speisereste und Barthaare zu kosten bekomme, die der Vortrinker darin gelassen habe. Den wesentlichen Inhalt der Disputation nun macht die Verteidigung der von Bruno verbesserten und vervollständigten kopernikanischen Lehre aus, die die Gegner höchstens als eine zur bequemern Berechnung der Bewegungen der Himmelskörper aufgestellte mathematische Hypothese wollen gelten lassen. Er beweist aus der Länge des Schattenkegels der Erde, daß diese kleiner ist als die Sonne, erwähnt die Sonnenflecken, die nach der hergebrachten Mei¬ nung erst Scheiner und Galilei entdeckt haben sollen, zeigt, daß die Erde ein leuchtender Stern ist, daß weder die Weltkörper vollkommne Kugeln noch ihre Bahnen vollkommne Kreise sind, und daß die Sonne so wenig der Mittelpunkt des Weltalls ist wie die Erde, die man vor Kopernikus dafür gehalten hatte. Das Weltall sei unendlich und habe keinen Mittelpunkt (ein Satz, der hente wunderlicherweise von Eugen Dühring und Eduard von Hartmann, die im übrigen Gegner sind, bestritten wird). Alle Weltkörper seien von demselben Stoff und unterschieden sich voneinander nur teils der Größe, teils des Grades ihrer Erwärmung nach, indem die selbstleuchtenden im feurigen Zustande seien. Gegen die antik-mittelalterliche Astronomie behauptet er, die Weltkörper würden nicht von außen bewegt, durch phantastische Sphären, an die sie angenagelt wären. Das würde eine gewaltsame Bewegung sein. Jede natürliche Be¬ wegung sei die Wirkung eines innerlichen mehr oder weniger bewußten Dranges gleich dem, der den Mann zum Weibe, das Eisen zum Magnet, den Stroh¬ halm zum Bernstein treibe. Das von innen treibende nennt Bruno Seele, und wenn er den Gestirnseelen Empfindung und Intelligenz zuschreibt, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/759>, abgerufen am 23.05.2024.