Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters

Chaussee war großes Feuer. Ju Burg, das ich erst am Abend vorher verlassen
hatte, wurde ich beim Pferdewechsel von einem Freunde, dem Wasserbauinspektor
Schäffer aus Magdeburg, mit tränenden Augen begrüßt. In Genthin geschah
dieses von dem Postmeister, dem frühern Major von Harder, der mich bedauerte
und mir mitteilte, daß er mich als Kind häufig auf den Armen getragen habe.

In Zehlendorf wurde die Extrapost mit vier Pferden, die zurückgingen, be¬
spannt. Mit diesen vier Pferden hielt ich Abends 9^ Uhr, während es noch
ziemlich hell war, in Berlin meinen Einzug und wurde vor die Stadtvogtei ge¬
fahren. Es sammelte sich dort während der über meine Annahme geführten Ver¬
handlungen eine große Menge von Personen. Schließlich wurde ich in der Stadt¬
vogtei nicht angenommen, mußte die Extrapost wieder besteigen und wurde nach
der Hausvogtei gebracht. In dieser nahm mich der Inspektor Wintersberg in
Empfang und brachte mich in dem Zimmer Nummer 54 unter. Das Zimmer
enthielt einen Tisch, einen Schemel, eine Matratze, war gegen sechs Fuß breit,
zehn Fuß lang und hatte ein in der Höhe angebrachtes Fenster, vor dem ein Blech-
knsten hing.

Ich warf mich ermüdet auf die Matratze und verbrachte eine schlaflose Nacht.
Am andern Morgen nahm ich mein Gefängnis näher in Augenschein. Aus dein
mit Kasten versehenen Fenster konnte ich, wenn ich auf den Tisch stieg, die Dächer
der umliegenden Häuser und in einem auch eine Dachluke erblicken, ans der sich,
wie ich später beobachtete, von Zeit zu Zeit eine Person umschaute. Unter dem
Fenster war die Militärwache, vor der ich zeitweise deu wachthabenden Posten
durch den schmalen Zwischenraum zwischen dem Kasten und der Gebäudewand er¬
blicken konnte. In diesem Lokale habe ich längere Zeit einsam, ohne Freistunde, ohne
Schreibmaterial und ohne Lektüre zugebracht. Eine Spinne gewährte mir Unterhaltung.
Der Ablauf der Tage wurde durch Striche an die Wand mit einem Fingernagel
vermerkt. Später, gegen Ende September, wurden, wie ich hier vorweg bemerken
will, mir sämtliche Freiheiten, die man hier haben konnte, gewährt. Ich durfte
lese", schreiben und jeden Tag eine Stunde auf einem kleinen, von hohen Mauern
umgebnen Hofe zubringen, aber ebenfalls einsam. In der Freistunde konnte man
rauchen, was in den Gefängnissen nicht erlaubt war, wozu der Zündschwamm
jedesmal vou dem überwachende" Zivilwächter in Brand gesetzt und dann verab¬
reicht wurde. Von dem verabreichten Zündschwamm wurde häufig durch den Ge¬
fangnen unbemerkt ein Stück abgerissen und in Sicherheit gebracht; es wurde nun
im Gefängnisse zum Zweck des heimlichen Rauchers von neuem in Brand gesetzt,
wozu aus Mangel an Stahl und Feuerstein wohl eine Hosen Schnalle und ein auf
dem Hofe cmfgefundner Stein die Mittel gewährte. Bei einer Revision der Ge¬
fängnisse wurden versteckt dergleichen abgerissene Schwammstücke in Menge vorge¬
funden, worauf, nachdem man über deren Verwendung klar geworden war, schwere
Disziplinarstrafen gegen die Wächter und die Gefangnen eintraten.

Briefe, sowohl die ankommenden wie die abgehenden, wurden durchgesehen,
jedoch nur Sonntags, bis wohin sie zurückgelegt wurden. Ich ließ mir Papier
und Bücher von Hause schicken. Licht durfte man bis zehn Uhr Abends haben.
Alle Abend um neun Uhr wurden die Gefängnisse vom Inspektor Wintersberg
revidiert. Wer über zehn Uhr Licht hatte, wurde von den Schildwachen ange¬
rufen, bis das Licht ausgelöscht war, weshalb man es häufig in der Ofenröhre
durch einen vor derselben gestellten Kasten zu verdecken suchte. Ungeachtet der
genauen Aufsicht wußten die Gefangnen sich vielfach untereinander Mitteilung zu
machen. Man steckte zusammengerollte Zettel durch das Schlüsselloch der Gefängnis¬
tür, die dann von einem vorübergeführten Gefangnen möglichst unbemerkt in
Empfang genommen wurden; auch telegraphierte man durch Klopfen an die Wand
des angrenzenden Gefängnisses oder durch die Art des Gehens in der Freistunde
wobei die Buchstaben unes Maßgabe ihrer Stelle im Alphabet durch Pausen
markiert wurden. In der Freistunde ging man möglichst dicht um der Gefängnis-


Grmzboten III 1904 102
Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters

Chaussee war großes Feuer. Ju Burg, das ich erst am Abend vorher verlassen
hatte, wurde ich beim Pferdewechsel von einem Freunde, dem Wasserbauinspektor
Schäffer aus Magdeburg, mit tränenden Augen begrüßt. In Genthin geschah
dieses von dem Postmeister, dem frühern Major von Harder, der mich bedauerte
und mir mitteilte, daß er mich als Kind häufig auf den Armen getragen habe.

In Zehlendorf wurde die Extrapost mit vier Pferden, die zurückgingen, be¬
spannt. Mit diesen vier Pferden hielt ich Abends 9^ Uhr, während es noch
ziemlich hell war, in Berlin meinen Einzug und wurde vor die Stadtvogtei ge¬
fahren. Es sammelte sich dort während der über meine Annahme geführten Ver¬
handlungen eine große Menge von Personen. Schließlich wurde ich in der Stadt¬
vogtei nicht angenommen, mußte die Extrapost wieder besteigen und wurde nach
der Hausvogtei gebracht. In dieser nahm mich der Inspektor Wintersberg in
Empfang und brachte mich in dem Zimmer Nummer 54 unter. Das Zimmer
enthielt einen Tisch, einen Schemel, eine Matratze, war gegen sechs Fuß breit,
zehn Fuß lang und hatte ein in der Höhe angebrachtes Fenster, vor dem ein Blech-
knsten hing.

Ich warf mich ermüdet auf die Matratze und verbrachte eine schlaflose Nacht.
Am andern Morgen nahm ich mein Gefängnis näher in Augenschein. Aus dein
mit Kasten versehenen Fenster konnte ich, wenn ich auf den Tisch stieg, die Dächer
der umliegenden Häuser und in einem auch eine Dachluke erblicken, ans der sich,
wie ich später beobachtete, von Zeit zu Zeit eine Person umschaute. Unter dem
Fenster war die Militärwache, vor der ich zeitweise deu wachthabenden Posten
durch den schmalen Zwischenraum zwischen dem Kasten und der Gebäudewand er¬
blicken konnte. In diesem Lokale habe ich längere Zeit einsam, ohne Freistunde, ohne
Schreibmaterial und ohne Lektüre zugebracht. Eine Spinne gewährte mir Unterhaltung.
Der Ablauf der Tage wurde durch Striche an die Wand mit einem Fingernagel
vermerkt. Später, gegen Ende September, wurden, wie ich hier vorweg bemerken
will, mir sämtliche Freiheiten, die man hier haben konnte, gewährt. Ich durfte
lese«, schreiben und jeden Tag eine Stunde auf einem kleinen, von hohen Mauern
umgebnen Hofe zubringen, aber ebenfalls einsam. In der Freistunde konnte man
rauchen, was in den Gefängnissen nicht erlaubt war, wozu der Zündschwamm
jedesmal vou dem überwachende» Zivilwächter in Brand gesetzt und dann verab¬
reicht wurde. Von dem verabreichten Zündschwamm wurde häufig durch den Ge¬
fangnen unbemerkt ein Stück abgerissen und in Sicherheit gebracht; es wurde nun
im Gefängnisse zum Zweck des heimlichen Rauchers von neuem in Brand gesetzt,
wozu aus Mangel an Stahl und Feuerstein wohl eine Hosen Schnalle und ein auf
dem Hofe cmfgefundner Stein die Mittel gewährte. Bei einer Revision der Ge¬
fängnisse wurden versteckt dergleichen abgerissene Schwammstücke in Menge vorge¬
funden, worauf, nachdem man über deren Verwendung klar geworden war, schwere
Disziplinarstrafen gegen die Wächter und die Gefangnen eintraten.

Briefe, sowohl die ankommenden wie die abgehenden, wurden durchgesehen,
jedoch nur Sonntags, bis wohin sie zurückgelegt wurden. Ich ließ mir Papier
und Bücher von Hause schicken. Licht durfte man bis zehn Uhr Abends haben.
Alle Abend um neun Uhr wurden die Gefängnisse vom Inspektor Wintersberg
revidiert. Wer über zehn Uhr Licht hatte, wurde von den Schildwachen ange¬
rufen, bis das Licht ausgelöscht war, weshalb man es häufig in der Ofenröhre
durch einen vor derselben gestellten Kasten zu verdecken suchte. Ungeachtet der
genauen Aufsicht wußten die Gefangnen sich vielfach untereinander Mitteilung zu
machen. Man steckte zusammengerollte Zettel durch das Schlüsselloch der Gefängnis¬
tür, die dann von einem vorübergeführten Gefangnen möglichst unbemerkt in
Empfang genommen wurden; auch telegraphierte man durch Klopfen an die Wand
des angrenzenden Gefängnisses oder durch die Art des Gehens in der Freistunde
wobei die Buchstaben unes Maßgabe ihrer Stelle im Alphabet durch Pausen
markiert wurden. In der Freistunde ging man möglichst dicht um der Gefängnis-


Grmzboten III 1904 102
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0777" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295194"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3701" prev="#ID_3700"> Chaussee war großes Feuer. Ju Burg, das ich erst am Abend vorher verlassen<lb/>
hatte, wurde ich beim Pferdewechsel von einem Freunde, dem Wasserbauinspektor<lb/>
Schäffer aus Magdeburg, mit tränenden Augen begrüßt. In Genthin geschah<lb/>
dieses von dem Postmeister, dem frühern Major von Harder, der mich bedauerte<lb/>
und mir mitteilte, daß er mich als Kind häufig auf den Armen getragen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3702"> In Zehlendorf wurde die Extrapost mit vier Pferden, die zurückgingen, be¬<lb/>
spannt. Mit diesen vier Pferden hielt ich Abends 9^ Uhr, während es noch<lb/>
ziemlich hell war, in Berlin meinen Einzug und wurde vor die Stadtvogtei ge¬<lb/>
fahren. Es sammelte sich dort während der über meine Annahme geführten Ver¬<lb/>
handlungen eine große Menge von Personen. Schließlich wurde ich in der Stadt¬<lb/>
vogtei nicht angenommen, mußte die Extrapost wieder besteigen und wurde nach<lb/>
der Hausvogtei gebracht. In dieser nahm mich der Inspektor Wintersberg in<lb/>
Empfang und brachte mich in dem Zimmer Nummer 54 unter. Das Zimmer<lb/>
enthielt einen Tisch, einen Schemel, eine Matratze, war gegen sechs Fuß breit,<lb/>
zehn Fuß lang und hatte ein in der Höhe angebrachtes Fenster, vor dem ein Blech-<lb/>
knsten hing.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3703"> Ich warf mich ermüdet auf die Matratze und verbrachte eine schlaflose Nacht.<lb/>
Am andern Morgen nahm ich mein Gefängnis näher in Augenschein. Aus dein<lb/>
mit Kasten versehenen Fenster konnte ich, wenn ich auf den Tisch stieg, die Dächer<lb/>
der umliegenden Häuser und in einem auch eine Dachluke erblicken, ans der sich,<lb/>
wie ich später beobachtete, von Zeit zu Zeit eine Person umschaute. Unter dem<lb/>
Fenster war die Militärwache, vor der ich zeitweise deu wachthabenden Posten<lb/>
durch den schmalen Zwischenraum zwischen dem Kasten und der Gebäudewand er¬<lb/>
blicken konnte. In diesem Lokale habe ich längere Zeit einsam, ohne Freistunde, ohne<lb/>
Schreibmaterial und ohne Lektüre zugebracht. Eine Spinne gewährte mir Unterhaltung.<lb/>
Der Ablauf der Tage wurde durch Striche an die Wand mit einem Fingernagel<lb/>
vermerkt. Später, gegen Ende September, wurden, wie ich hier vorweg bemerken<lb/>
will, mir sämtliche Freiheiten, die man hier haben konnte, gewährt. Ich durfte<lb/>
lese«, schreiben und jeden Tag eine Stunde auf einem kleinen, von hohen Mauern<lb/>
umgebnen Hofe zubringen, aber ebenfalls einsam. In der Freistunde konnte man<lb/>
rauchen, was in den Gefängnissen nicht erlaubt war, wozu der Zündschwamm<lb/>
jedesmal vou dem überwachende» Zivilwächter in Brand gesetzt und dann verab¬<lb/>
reicht wurde. Von dem verabreichten Zündschwamm wurde häufig durch den Ge¬<lb/>
fangnen unbemerkt ein Stück abgerissen und in Sicherheit gebracht; es wurde nun<lb/>
im Gefängnisse zum Zweck des heimlichen Rauchers von neuem in Brand gesetzt,<lb/>
wozu aus Mangel an Stahl und Feuerstein wohl eine Hosen Schnalle und ein auf<lb/>
dem Hofe cmfgefundner Stein die Mittel gewährte. Bei einer Revision der Ge¬<lb/>
fängnisse wurden versteckt dergleichen abgerissene Schwammstücke in Menge vorge¬<lb/>
funden, worauf, nachdem man über deren Verwendung klar geworden war, schwere<lb/>
Disziplinarstrafen gegen die Wächter und die Gefangnen eintraten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3704" next="#ID_3705"> Briefe, sowohl die ankommenden wie die abgehenden, wurden durchgesehen,<lb/>
jedoch nur Sonntags, bis wohin sie zurückgelegt wurden. Ich ließ mir Papier<lb/>
und Bücher von Hause schicken. Licht durfte man bis zehn Uhr Abends haben.<lb/>
Alle Abend um neun Uhr wurden die Gefängnisse vom Inspektor Wintersberg<lb/>
revidiert. Wer über zehn Uhr Licht hatte, wurde von den Schildwachen ange¬<lb/>
rufen, bis das Licht ausgelöscht war, weshalb man es häufig in der Ofenröhre<lb/>
durch einen vor derselben gestellten Kasten zu verdecken suchte. Ungeachtet der<lb/>
genauen Aufsicht wußten die Gefangnen sich vielfach untereinander Mitteilung zu<lb/>
machen. Man steckte zusammengerollte Zettel durch das Schlüsselloch der Gefängnis¬<lb/>
tür, die dann von einem vorübergeführten Gefangnen möglichst unbemerkt in<lb/>
Empfang genommen wurden; auch telegraphierte man durch Klopfen an die Wand<lb/>
des angrenzenden Gefängnisses oder durch die Art des Gehens in der Freistunde<lb/>
wobei die Buchstaben unes Maßgabe ihrer Stelle im Alphabet durch Pausen<lb/>
markiert wurden. In der Freistunde ging man möglichst dicht um der Gefängnis-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzboten III 1904 102</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0777] Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters Chaussee war großes Feuer. Ju Burg, das ich erst am Abend vorher verlassen hatte, wurde ich beim Pferdewechsel von einem Freunde, dem Wasserbauinspektor Schäffer aus Magdeburg, mit tränenden Augen begrüßt. In Genthin geschah dieses von dem Postmeister, dem frühern Major von Harder, der mich bedauerte und mir mitteilte, daß er mich als Kind häufig auf den Armen getragen habe. In Zehlendorf wurde die Extrapost mit vier Pferden, die zurückgingen, be¬ spannt. Mit diesen vier Pferden hielt ich Abends 9^ Uhr, während es noch ziemlich hell war, in Berlin meinen Einzug und wurde vor die Stadtvogtei ge¬ fahren. Es sammelte sich dort während der über meine Annahme geführten Ver¬ handlungen eine große Menge von Personen. Schließlich wurde ich in der Stadt¬ vogtei nicht angenommen, mußte die Extrapost wieder besteigen und wurde nach der Hausvogtei gebracht. In dieser nahm mich der Inspektor Wintersberg in Empfang und brachte mich in dem Zimmer Nummer 54 unter. Das Zimmer enthielt einen Tisch, einen Schemel, eine Matratze, war gegen sechs Fuß breit, zehn Fuß lang und hatte ein in der Höhe angebrachtes Fenster, vor dem ein Blech- knsten hing. Ich warf mich ermüdet auf die Matratze und verbrachte eine schlaflose Nacht. Am andern Morgen nahm ich mein Gefängnis näher in Augenschein. Aus dein mit Kasten versehenen Fenster konnte ich, wenn ich auf den Tisch stieg, die Dächer der umliegenden Häuser und in einem auch eine Dachluke erblicken, ans der sich, wie ich später beobachtete, von Zeit zu Zeit eine Person umschaute. Unter dem Fenster war die Militärwache, vor der ich zeitweise deu wachthabenden Posten durch den schmalen Zwischenraum zwischen dem Kasten und der Gebäudewand er¬ blicken konnte. In diesem Lokale habe ich längere Zeit einsam, ohne Freistunde, ohne Schreibmaterial und ohne Lektüre zugebracht. Eine Spinne gewährte mir Unterhaltung. Der Ablauf der Tage wurde durch Striche an die Wand mit einem Fingernagel vermerkt. Später, gegen Ende September, wurden, wie ich hier vorweg bemerken will, mir sämtliche Freiheiten, die man hier haben konnte, gewährt. Ich durfte lese«, schreiben und jeden Tag eine Stunde auf einem kleinen, von hohen Mauern umgebnen Hofe zubringen, aber ebenfalls einsam. In der Freistunde konnte man rauchen, was in den Gefängnissen nicht erlaubt war, wozu der Zündschwamm jedesmal vou dem überwachende» Zivilwächter in Brand gesetzt und dann verab¬ reicht wurde. Von dem verabreichten Zündschwamm wurde häufig durch den Ge¬ fangnen unbemerkt ein Stück abgerissen und in Sicherheit gebracht; es wurde nun im Gefängnisse zum Zweck des heimlichen Rauchers von neuem in Brand gesetzt, wozu aus Mangel an Stahl und Feuerstein wohl eine Hosen Schnalle und ein auf dem Hofe cmfgefundner Stein die Mittel gewährte. Bei einer Revision der Ge¬ fängnisse wurden versteckt dergleichen abgerissene Schwammstücke in Menge vorge¬ funden, worauf, nachdem man über deren Verwendung klar geworden war, schwere Disziplinarstrafen gegen die Wächter und die Gefangnen eintraten. Briefe, sowohl die ankommenden wie die abgehenden, wurden durchgesehen, jedoch nur Sonntags, bis wohin sie zurückgelegt wurden. Ich ließ mir Papier und Bücher von Hause schicken. Licht durfte man bis zehn Uhr Abends haben. Alle Abend um neun Uhr wurden die Gefängnisse vom Inspektor Wintersberg revidiert. Wer über zehn Uhr Licht hatte, wurde von den Schildwachen ange¬ rufen, bis das Licht ausgelöscht war, weshalb man es häufig in der Ofenröhre durch einen vor derselben gestellten Kasten zu verdecken suchte. Ungeachtet der genauen Aufsicht wußten die Gefangnen sich vielfach untereinander Mitteilung zu machen. Man steckte zusammengerollte Zettel durch das Schlüsselloch der Gefängnis¬ tür, die dann von einem vorübergeführten Gefangnen möglichst unbemerkt in Empfang genommen wurden; auch telegraphierte man durch Klopfen an die Wand des angrenzenden Gefängnisses oder durch die Art des Gehens in der Freistunde wobei die Buchstaben unes Maßgabe ihrer Stelle im Alphabet durch Pausen markiert wurden. In der Freistunde ging man möglichst dicht um der Gefängnis- Grmzboten III 1904 102

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/777
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/777>, abgerufen am 12.05.2024.