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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Den größten Abschnitt in dieser Zeit machte nicht die Schule selbst, sondern
das Gefühl eines gewissen Herabsteigens in moralischer Beziehung als Folge des
Umgangs mit andern Kindern, Der gescheite Knabe sucht seine Freunde am liebsten
unter denen, die ihn anstaunen, weil sie unter ihm stehen, und unsre Schwachheiten
entdecken wir nur denen gern, denen wir gleiche oder noch größere zutrauen. Wir
steigen auch geistig und moralisch lieber bergab, als daß nur steile Höhen erklimmen.
Es mochte im ersten oder zweiten Schuljahre sein, als ich meine Mutter sagen
hörte: Ja, wenn du noch wärst wie in deinem vierten oder fünften Jahre, allein
so brav wirst du dein Leben nicht mehr! Also das Paradies schon hinter mir?
Da mir viel an dem lag, was meine Mutter von mir hielt, habe ich dieses Wort
nicht vergessen. Eine andre Änderung machte sich erst allmählich fühlbar. Die
kleine Seele wurde ganz langsam inne, daß das äußere Leben etwas von ihr wolle,
immer mehr, womöglich sie selbst möchte sie ganz an sich heranziehn. Sie soll nicht
länger mit sich allein bleiben. Die Schule klopft am härtesten mit dieser Forderung
an, doch wird diese jahrelang hartnäckig nicht vernommen. Das Knäblein versteht
diese Sprache noch nicht.

Nicht alles kommt zum Vorschein, was in einem Kindergemüt an Gutem und
Bösem in wunderbarer Mischung kreist. Die Triebe, die in ihm liegen, und die
Anregungen, die von außen kommen, begegnen sich wie die Ströme des steigenden
Saftes in einem jungen Baume. Es gibt stille innere Kämpfe und Gärungen
zwischen Schädlichkeiten und Heilmitteln, die die Natur selbst bereitet. In solchen
unbewußter Vorgängen schwand unmerklich der Kindersinn, wie die Blüten fallen.
Diese ganze Traumzeit verflog, als wäre sie in ein besseres Land zurückgekehrt, und
die Gegenwart kam mir zum erstenmal ohne Blüte und Farbe vor. Zu derselben
Zeit habe ich vielleicht zum erstenmal empfunden, was Langeweile, innere Öde ist.

Wie um treibenden Stock die Knospen bald da bald dort hervortreten, die
eine von der Sonne gehegt aufbricht, die andre vom Frost getötet abfällt, so trieb
nun meine junge Seele ihre Knospen, und zwar sowohl der Sonne als dem Schatten
entgegen. Nur blieben diese lange geschlossen, fielen vielleicht bald ganz ab, während
jene fröhlich aufblühten. Die Schule stand nnn jahrelang gänzlich auf der Schatten¬
seite. Keine wahre Lebensader lief nach ihr hin, das warme Jugendblut ver¬
brauchte sich ganz in Spielen, Träumen, halb träumenden Versuchen zu selbständiger
Tätigkeit und in der Anhänglichkeit an Elternhaus und Freunde. Die Wehmut
der gebrochnen Freundschaft und das unbeschreibliche Glück, wenn sie wieder her¬
gestellt würde, das waren die Wellengipfel nud Welleutäler dieses Lebensabschnittes.

Ich habe aus meinem ganzen ersten Schuljahre nnr die eine Szene in ganz
Heller Erinnerung, als uns eine herrliche Bergkristalldruse gezeigt wurde. Die muß
meine Liebe zu den Kristallen zuerst wachgerufen haben. Leid tat es mir nur,
daß sie in einem so staubigen Glaskcistchen wie eingefangen saß. Weil ich leicht
lernte, stand ich schon zur Elementarschule wie später zur Universität: ich ergriff,
was mir gefiel, und hielt mich an keinen strengen Gang. Was ich gelernt habe,
ist selbst erarbeitet, die Schulen aller Stufen haben mich immer nur angeregt und
mir Wege gezeigt, darunter auch Holzwege.

Erst die Schulaufgabe" und dann das Spielen! war das erste Gesetz, das ich
znerst für grausam und mit der Zeit anch für unsinnig hielt. Denn da alles Spiel
hieß, was nicht von der Schule vorgeschrieben war, so fielen in spätern Jahren
auch die mit Leidenschaft betriebnen Naturstudien und die Privatlektüre unter dieses
Gebot, und ich fühlte doch schon damals, daß in ihnen Leben und Fortschritt war,
während sich die Schulaufgaben so oft wüstenhaft trocken, Paragraph für Paragraph
durch die Lehrstunden hinstreckten. Wie öde kamen mir die Grnmmatikstunden vor,
als ich schon angefangen hatte, aus Lesstug und Schiller zu lernen, was an der
deutschen Sprache gut und schön ist. Die Jugend kann so viel Widersprechendes
in sich aufnehmen, weil sie es einfach zum andern stellt; wenn sie es erleben müßte,


Grenzboten IV 1904 14

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Den größten Abschnitt in dieser Zeit machte nicht die Schule selbst, sondern
das Gefühl eines gewissen Herabsteigens in moralischer Beziehung als Folge des
Umgangs mit andern Kindern, Der gescheite Knabe sucht seine Freunde am liebsten
unter denen, die ihn anstaunen, weil sie unter ihm stehen, und unsre Schwachheiten
entdecken wir nur denen gern, denen wir gleiche oder noch größere zutrauen. Wir
steigen auch geistig und moralisch lieber bergab, als daß nur steile Höhen erklimmen.
Es mochte im ersten oder zweiten Schuljahre sein, als ich meine Mutter sagen
hörte: Ja, wenn du noch wärst wie in deinem vierten oder fünften Jahre, allein
so brav wirst du dein Leben nicht mehr! Also das Paradies schon hinter mir?
Da mir viel an dem lag, was meine Mutter von mir hielt, habe ich dieses Wort
nicht vergessen. Eine andre Änderung machte sich erst allmählich fühlbar. Die
kleine Seele wurde ganz langsam inne, daß das äußere Leben etwas von ihr wolle,
immer mehr, womöglich sie selbst möchte sie ganz an sich heranziehn. Sie soll nicht
länger mit sich allein bleiben. Die Schule klopft am härtesten mit dieser Forderung
an, doch wird diese jahrelang hartnäckig nicht vernommen. Das Knäblein versteht
diese Sprache noch nicht.

Nicht alles kommt zum Vorschein, was in einem Kindergemüt an Gutem und
Bösem in wunderbarer Mischung kreist. Die Triebe, die in ihm liegen, und die
Anregungen, die von außen kommen, begegnen sich wie die Ströme des steigenden
Saftes in einem jungen Baume. Es gibt stille innere Kämpfe und Gärungen
zwischen Schädlichkeiten und Heilmitteln, die die Natur selbst bereitet. In solchen
unbewußter Vorgängen schwand unmerklich der Kindersinn, wie die Blüten fallen.
Diese ganze Traumzeit verflog, als wäre sie in ein besseres Land zurückgekehrt, und
die Gegenwart kam mir zum erstenmal ohne Blüte und Farbe vor. Zu derselben
Zeit habe ich vielleicht zum erstenmal empfunden, was Langeweile, innere Öde ist.

Wie um treibenden Stock die Knospen bald da bald dort hervortreten, die
eine von der Sonne gehegt aufbricht, die andre vom Frost getötet abfällt, so trieb
nun meine junge Seele ihre Knospen, und zwar sowohl der Sonne als dem Schatten
entgegen. Nur blieben diese lange geschlossen, fielen vielleicht bald ganz ab, während
jene fröhlich aufblühten. Die Schule stand nnn jahrelang gänzlich auf der Schatten¬
seite. Keine wahre Lebensader lief nach ihr hin, das warme Jugendblut ver¬
brauchte sich ganz in Spielen, Träumen, halb träumenden Versuchen zu selbständiger
Tätigkeit und in der Anhänglichkeit an Elternhaus und Freunde. Die Wehmut
der gebrochnen Freundschaft und das unbeschreibliche Glück, wenn sie wieder her¬
gestellt würde, das waren die Wellengipfel nud Welleutäler dieses Lebensabschnittes.

Ich habe aus meinem ganzen ersten Schuljahre nnr die eine Szene in ganz
Heller Erinnerung, als uns eine herrliche Bergkristalldruse gezeigt wurde. Die muß
meine Liebe zu den Kristallen zuerst wachgerufen haben. Leid tat es mir nur,
daß sie in einem so staubigen Glaskcistchen wie eingefangen saß. Weil ich leicht
lernte, stand ich schon zur Elementarschule wie später zur Universität: ich ergriff,
was mir gefiel, und hielt mich an keinen strengen Gang. Was ich gelernt habe,
ist selbst erarbeitet, die Schulen aller Stufen haben mich immer nur angeregt und
mir Wege gezeigt, darunter auch Holzwege.

Erst die Schulaufgabe» und dann das Spielen! war das erste Gesetz, das ich
znerst für grausam und mit der Zeit anch für unsinnig hielt. Denn da alles Spiel
hieß, was nicht von der Schule vorgeschrieben war, so fielen in spätern Jahren
auch die mit Leidenschaft betriebnen Naturstudien und die Privatlektüre unter dieses
Gebot, und ich fühlte doch schon damals, daß in ihnen Leben und Fortschritt war,
während sich die Schulaufgaben so oft wüstenhaft trocken, Paragraph für Paragraph
durch die Lehrstunden hinstreckten. Wie öde kamen mir die Grnmmatikstunden vor,
als ich schon angefangen hatte, aus Lesstug und Schiller zu lernen, was an der
deutschen Sprache gut und schön ist. Die Jugend kann so viel Widersprechendes
in sich aufnehmen, weil sie es einfach zum andern stellt; wenn sie es erleben müßte,


Grenzboten IV 1904 14
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[0107] 2 Den größten Abschnitt in dieser Zeit machte nicht die Schule selbst, sondern das Gefühl eines gewissen Herabsteigens in moralischer Beziehung als Folge des Umgangs mit andern Kindern, Der gescheite Knabe sucht seine Freunde am liebsten unter denen, die ihn anstaunen, weil sie unter ihm stehen, und unsre Schwachheiten entdecken wir nur denen gern, denen wir gleiche oder noch größere zutrauen. Wir steigen auch geistig und moralisch lieber bergab, als daß nur steile Höhen erklimmen. Es mochte im ersten oder zweiten Schuljahre sein, als ich meine Mutter sagen hörte: Ja, wenn du noch wärst wie in deinem vierten oder fünften Jahre, allein so brav wirst du dein Leben nicht mehr! Also das Paradies schon hinter mir? Da mir viel an dem lag, was meine Mutter von mir hielt, habe ich dieses Wort nicht vergessen. Eine andre Änderung machte sich erst allmählich fühlbar. Die kleine Seele wurde ganz langsam inne, daß das äußere Leben etwas von ihr wolle, immer mehr, womöglich sie selbst möchte sie ganz an sich heranziehn. Sie soll nicht länger mit sich allein bleiben. Die Schule klopft am härtesten mit dieser Forderung an, doch wird diese jahrelang hartnäckig nicht vernommen. Das Knäblein versteht diese Sprache noch nicht. Nicht alles kommt zum Vorschein, was in einem Kindergemüt an Gutem und Bösem in wunderbarer Mischung kreist. Die Triebe, die in ihm liegen, und die Anregungen, die von außen kommen, begegnen sich wie die Ströme des steigenden Saftes in einem jungen Baume. Es gibt stille innere Kämpfe und Gärungen zwischen Schädlichkeiten und Heilmitteln, die die Natur selbst bereitet. In solchen unbewußter Vorgängen schwand unmerklich der Kindersinn, wie die Blüten fallen. Diese ganze Traumzeit verflog, als wäre sie in ein besseres Land zurückgekehrt, und die Gegenwart kam mir zum erstenmal ohne Blüte und Farbe vor. Zu derselben Zeit habe ich vielleicht zum erstenmal empfunden, was Langeweile, innere Öde ist. Wie um treibenden Stock die Knospen bald da bald dort hervortreten, die eine von der Sonne gehegt aufbricht, die andre vom Frost getötet abfällt, so trieb nun meine junge Seele ihre Knospen, und zwar sowohl der Sonne als dem Schatten entgegen. Nur blieben diese lange geschlossen, fielen vielleicht bald ganz ab, während jene fröhlich aufblühten. Die Schule stand nnn jahrelang gänzlich auf der Schatten¬ seite. Keine wahre Lebensader lief nach ihr hin, das warme Jugendblut ver¬ brauchte sich ganz in Spielen, Träumen, halb träumenden Versuchen zu selbständiger Tätigkeit und in der Anhänglichkeit an Elternhaus und Freunde. Die Wehmut der gebrochnen Freundschaft und das unbeschreibliche Glück, wenn sie wieder her¬ gestellt würde, das waren die Wellengipfel nud Welleutäler dieses Lebensabschnittes. Ich habe aus meinem ganzen ersten Schuljahre nnr die eine Szene in ganz Heller Erinnerung, als uns eine herrliche Bergkristalldruse gezeigt wurde. Die muß meine Liebe zu den Kristallen zuerst wachgerufen haben. Leid tat es mir nur, daß sie in einem so staubigen Glaskcistchen wie eingefangen saß. Weil ich leicht lernte, stand ich schon zur Elementarschule wie später zur Universität: ich ergriff, was mir gefiel, und hielt mich an keinen strengen Gang. Was ich gelernt habe, ist selbst erarbeitet, die Schulen aller Stufen haben mich immer nur angeregt und mir Wege gezeigt, darunter auch Holzwege. Erst die Schulaufgabe» und dann das Spielen! war das erste Gesetz, das ich znerst für grausam und mit der Zeit anch für unsinnig hielt. Denn da alles Spiel hieß, was nicht von der Schule vorgeschrieben war, so fielen in spätern Jahren auch die mit Leidenschaft betriebnen Naturstudien und die Privatlektüre unter dieses Gebot, und ich fühlte doch schon damals, daß in ihnen Leben und Fortschritt war, während sich die Schulaufgaben so oft wüstenhaft trocken, Paragraph für Paragraph durch die Lehrstunden hinstreckten. Wie öde kamen mir die Grnmmatikstunden vor, als ich schon angefangen hatte, aus Lesstug und Schiller zu lernen, was an der deutschen Sprache gut und schön ist. Die Jugend kann so viel Widersprechendes in sich aufnehmen, weil sie es einfach zum andern stellt; wenn sie es erleben müßte, Grenzboten IV 1904 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/107>, abgerufen am 15.06.2024.