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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Werden die Hozialdemokraten marschieren?
Karl v. Bruch Hausen Line zeitgemäße Untersuchung von
Einleitung

el dem starken Anwachsen der sozialdemokratischen Partei, von
dem wir hoffen, daß es seinen Höhepunkt erreicht hat, ist die
Frage, wie sich im Kriegsfalle die dieser Partei angehörenden
Wehrpflichtigen Verhalten werden, von nicht zu unterschätzender
Bedeutung. Die Sozicildemokraten wissen sehr gut, was eine
Störung der Mobilmachung für Folgen haben kann, und von unsern Nachbarn
wissen es die, mit denen wir einmal mit der Waffe in der Hand aneinander
geraten könnten, ebensogut. Wären die Sozialdemokraten in der Zahl, in
der sie sich heute unter den aktiven Soldaten und den Wehrleuten finden
durften, ernstlich gewillt, nicht zu marschieren und die daraus unvermeidlich
für sie entstehenden Folgen auf sich zu nehmen, so bedeutete das nicht gerade
eine Lähmung, wohl aber eine ernste Störung der Mobilmachung und eine
Schwächung unsrer Kampfmittel, die von den lieben Nachbarn bei der Ab¬
schätzung des Deutschland zu zollenden Respekts sicherlich mit in Rechnung
gestellt würde. Insoweit zieht eine zweideutige Haltung der Sozialdemokraten
eine Steigerung der Kriegsgefahr nach sich.

Harmlose Gemüter werden nun voll befriedigt auf die Erklärungen Bebels
im Reichstage hinweisen und triumphierend sagen: Es hat sich im Programm
der Sozialdemokratie ein Umschwung vollzogen; sie "mausert" sich weiter und
weiter bis zu einer in Wahrheit staatserhaltenden Partei. Bebel sagte am
14. April dieses Jahres im Reichstage: "Wir Sozialdemokraten mögen andre
Ansichten über nationale Ehre und Würde haben. Aber wir werden niemals
zugeben, daß auch nur ein Plätzchen deutscher Erde uns verloren geht. Diese
Erklärung, die ich vor wenig Wochen hier abgab, hat damals großes Auf¬
sehen erregt. Aber ich habe ähnliche Äußerungen bereits in den achtziger
Jahren getan."

Das ist, wie im folgenden gezeigt werden wird, auch für die Zeit nach
den achtziger Jahren zutreffend, und es zeugt nur von dem kurzen Gedächtnis
der zeitunglesenden Mitwelt, daß man das vergessen und kurzerhand das


Grenzboten IV 19N4 49


Werden die Hozialdemokraten marschieren?
Karl v. Bruch Hausen Line zeitgemäße Untersuchung von
Einleitung

el dem starken Anwachsen der sozialdemokratischen Partei, von
dem wir hoffen, daß es seinen Höhepunkt erreicht hat, ist die
Frage, wie sich im Kriegsfalle die dieser Partei angehörenden
Wehrpflichtigen Verhalten werden, von nicht zu unterschätzender
Bedeutung. Die Sozicildemokraten wissen sehr gut, was eine
Störung der Mobilmachung für Folgen haben kann, und von unsern Nachbarn
wissen es die, mit denen wir einmal mit der Waffe in der Hand aneinander
geraten könnten, ebensogut. Wären die Sozialdemokraten in der Zahl, in
der sie sich heute unter den aktiven Soldaten und den Wehrleuten finden
durften, ernstlich gewillt, nicht zu marschieren und die daraus unvermeidlich
für sie entstehenden Folgen auf sich zu nehmen, so bedeutete das nicht gerade
eine Lähmung, wohl aber eine ernste Störung der Mobilmachung und eine
Schwächung unsrer Kampfmittel, die von den lieben Nachbarn bei der Ab¬
schätzung des Deutschland zu zollenden Respekts sicherlich mit in Rechnung
gestellt würde. Insoweit zieht eine zweideutige Haltung der Sozialdemokraten
eine Steigerung der Kriegsgefahr nach sich.

Harmlose Gemüter werden nun voll befriedigt auf die Erklärungen Bebels
im Reichstage hinweisen und triumphierend sagen: Es hat sich im Programm
der Sozialdemokratie ein Umschwung vollzogen; sie „mausert" sich weiter und
weiter bis zu einer in Wahrheit staatserhaltenden Partei. Bebel sagte am
14. April dieses Jahres im Reichstage: „Wir Sozialdemokraten mögen andre
Ansichten über nationale Ehre und Würde haben. Aber wir werden niemals
zugeben, daß auch nur ein Plätzchen deutscher Erde uns verloren geht. Diese
Erklärung, die ich vor wenig Wochen hier abgab, hat damals großes Auf¬
sehen erregt. Aber ich habe ähnliche Äußerungen bereits in den achtziger
Jahren getan."

Das ist, wie im folgenden gezeigt werden wird, auch für die Zeit nach
den achtziger Jahren zutreffend, und es zeugt nur von dem kurzen Gedächtnis
der zeitunglesenden Mitwelt, daß man das vergessen und kurzerhand das


Grenzboten IV 19N4 49
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[0363] [Abbildung] Werden die Hozialdemokraten marschieren? Karl v. Bruch Hausen Line zeitgemäße Untersuchung von Einleitung el dem starken Anwachsen der sozialdemokratischen Partei, von dem wir hoffen, daß es seinen Höhepunkt erreicht hat, ist die Frage, wie sich im Kriegsfalle die dieser Partei angehörenden Wehrpflichtigen Verhalten werden, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die Sozicildemokraten wissen sehr gut, was eine Störung der Mobilmachung für Folgen haben kann, und von unsern Nachbarn wissen es die, mit denen wir einmal mit der Waffe in der Hand aneinander geraten könnten, ebensogut. Wären die Sozialdemokraten in der Zahl, in der sie sich heute unter den aktiven Soldaten und den Wehrleuten finden durften, ernstlich gewillt, nicht zu marschieren und die daraus unvermeidlich für sie entstehenden Folgen auf sich zu nehmen, so bedeutete das nicht gerade eine Lähmung, wohl aber eine ernste Störung der Mobilmachung und eine Schwächung unsrer Kampfmittel, die von den lieben Nachbarn bei der Ab¬ schätzung des Deutschland zu zollenden Respekts sicherlich mit in Rechnung gestellt würde. Insoweit zieht eine zweideutige Haltung der Sozialdemokraten eine Steigerung der Kriegsgefahr nach sich. Harmlose Gemüter werden nun voll befriedigt auf die Erklärungen Bebels im Reichstage hinweisen und triumphierend sagen: Es hat sich im Programm der Sozialdemokratie ein Umschwung vollzogen; sie „mausert" sich weiter und weiter bis zu einer in Wahrheit staatserhaltenden Partei. Bebel sagte am 14. April dieses Jahres im Reichstage: „Wir Sozialdemokraten mögen andre Ansichten über nationale Ehre und Würde haben. Aber wir werden niemals zugeben, daß auch nur ein Plätzchen deutscher Erde uns verloren geht. Diese Erklärung, die ich vor wenig Wochen hier abgab, hat damals großes Auf¬ sehen erregt. Aber ich habe ähnliche Äußerungen bereits in den achtziger Jahren getan." Das ist, wie im folgenden gezeigt werden wird, auch für die Zeit nach den achtziger Jahren zutreffend, und es zeugt nur von dem kurzen Gedächtnis der zeitunglesenden Mitwelt, daß man das vergessen und kurzerhand das Grenzboten IV 19N4 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/363>, abgerufen am 20.05.2024.