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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Werden die Tozialdcmokrciten marschieren?

Gegenteil angenommen hat. Aber diese Vergeßlichen sind in guter Gesellschaft,
denn von der angeführten, "nnn schon zum zweitenmal abgegebnen" Erklärung
nahm auch der Reichskanzler als von etwas Neuem Notiz. Nein, neu waren
solche Äußerungen aus Bebels und auch aus Liebknechts Munde keineswegs.
Der Beweis dafür wird im nächsten Abschnitt erbracht werden: ich habe zu
dem Zwecke das Material von dem Beginn der neunziger Jahre an, also
fast durch drei Lustrci, durchgesehen.

Bei den Erörterungen, die ich an einen Teil dieses Materials knüpfe,
kommt es mir nicht darauf an, einen Gegenbeweis gegen die einzelnen sozial¬
demokratischen Irrlehren zu liefern, wenngleich ich manchmal eine gewisse Zurück¬
weisung und Abwehr nicht vermeiden konnte. Mein Ziel war wesentlich eine
Wiederherstellung des wahren Bildes von dem, was die Sozialdemokraten über
die Heeresfrage im Kriege denken, eines Bildes, das sich in manchen sonst
ganz klugen Köpfen zu verschieben beginnt. Zugleich auch möchte ich deu
"roten" Herren ein Spiegelbild, ein Sündenregister vorhalten. Auf die übliche
Verunglimpfung bin ich gefaßt.

Es ist gesagt worden, die Reden der sozialdemokratischen Führer gäben
ihre wahre Ansicht nicht wieder. Diese Meinung teile ich vollkommen. Aber
wonach soll man die Führer beurteilen, wenn nicht nach ihren Äußerungen
oorani xudlioo? Man muß ihre Worte nur unter die kritische Sonde nehmen,
sich durch allerlei schöne Versicherungen nicht blenden lassen und ihre Glaub¬
würdigkeit an den Grundsätzen und den Grundlehren der Partei abmessen. Man
darf auch nicht vergessen, daß die Führer der Sozialdemokraten bei der Zwangs¬
lage, in der die Partei tatsächlich der Negierung gegenüber ist, häufig genug
dem Spruche huldigen, daß die Worte erfunden sind, um die Gedanken zu ver¬
bergen. Ja, wenn sie frei reden dürften! In der Folge werden ein paar sehr
lehrreiche Bekenntnisse über diesen Punkt geboten werden.


^. Äußerungen der Führer über die Ariegswilligkeit der Partei

Auf dem sozialdemokratischen Parteitage zu Erfurt (Oktober 1891) ließ sich
Liebknecht vernehmen, wie folgt: "Wildberger bemerkte, ich habe im Reichs¬
tage gesagt, wenn das deutsche Vaterland von einem auswärtigen Feinde an¬
gegriffen werden sollte, dann würden auch die Sozialdemokraten die Flinte er¬
greifen und ihre Pflicht tun, um den Angreifer aus dem Lande zu jagen.
Selbstverständlich werden wir das tun."

Im Oktober 1902 ließ sich Bebel von Jules Huret vom "Figaro"
ausfragen:

"Werden die deutschen Sozialisten im Kriegsfalle gegen die französischen
kämpfen?

Ganz gewiß!

Wo bleiben da aber Ihre Theorien vom Internationalismus?

Wir sind keine Patrioten, nichts weniger als das. Und wenn wir eines
Tages gegen Frankreich oder Rußland ins Feld ziehn, so tun wir es, weil
wir dazu gezwungen sind. Weigern wir uns Folge zu leisten, so schießt
man uns nieder. Mußten wir nicht anziehn, so Hütten wir inzwischen Ge-


Werden die Tozialdcmokrciten marschieren?

Gegenteil angenommen hat. Aber diese Vergeßlichen sind in guter Gesellschaft,
denn von der angeführten, „nnn schon zum zweitenmal abgegebnen" Erklärung
nahm auch der Reichskanzler als von etwas Neuem Notiz. Nein, neu waren
solche Äußerungen aus Bebels und auch aus Liebknechts Munde keineswegs.
Der Beweis dafür wird im nächsten Abschnitt erbracht werden: ich habe zu
dem Zwecke das Material von dem Beginn der neunziger Jahre an, also
fast durch drei Lustrci, durchgesehen.

Bei den Erörterungen, die ich an einen Teil dieses Materials knüpfe,
kommt es mir nicht darauf an, einen Gegenbeweis gegen die einzelnen sozial¬
demokratischen Irrlehren zu liefern, wenngleich ich manchmal eine gewisse Zurück¬
weisung und Abwehr nicht vermeiden konnte. Mein Ziel war wesentlich eine
Wiederherstellung des wahren Bildes von dem, was die Sozialdemokraten über
die Heeresfrage im Kriege denken, eines Bildes, das sich in manchen sonst
ganz klugen Köpfen zu verschieben beginnt. Zugleich auch möchte ich deu
„roten" Herren ein Spiegelbild, ein Sündenregister vorhalten. Auf die übliche
Verunglimpfung bin ich gefaßt.

Es ist gesagt worden, die Reden der sozialdemokratischen Führer gäben
ihre wahre Ansicht nicht wieder. Diese Meinung teile ich vollkommen. Aber
wonach soll man die Führer beurteilen, wenn nicht nach ihren Äußerungen
oorani xudlioo? Man muß ihre Worte nur unter die kritische Sonde nehmen,
sich durch allerlei schöne Versicherungen nicht blenden lassen und ihre Glaub¬
würdigkeit an den Grundsätzen und den Grundlehren der Partei abmessen. Man
darf auch nicht vergessen, daß die Führer der Sozialdemokraten bei der Zwangs¬
lage, in der die Partei tatsächlich der Negierung gegenüber ist, häufig genug
dem Spruche huldigen, daß die Worte erfunden sind, um die Gedanken zu ver¬
bergen. Ja, wenn sie frei reden dürften! In der Folge werden ein paar sehr
lehrreiche Bekenntnisse über diesen Punkt geboten werden.


^. Äußerungen der Führer über die Ariegswilligkeit der Partei

Auf dem sozialdemokratischen Parteitage zu Erfurt (Oktober 1891) ließ sich
Liebknecht vernehmen, wie folgt: „Wildberger bemerkte, ich habe im Reichs¬
tage gesagt, wenn das deutsche Vaterland von einem auswärtigen Feinde an¬
gegriffen werden sollte, dann würden auch die Sozialdemokraten die Flinte er¬
greifen und ihre Pflicht tun, um den Angreifer aus dem Lande zu jagen.
Selbstverständlich werden wir das tun."

Im Oktober 1902 ließ sich Bebel von Jules Huret vom „Figaro"
ausfragen:

„Werden die deutschen Sozialisten im Kriegsfalle gegen die französischen
kämpfen?

Ganz gewiß!

Wo bleiben da aber Ihre Theorien vom Internationalismus?

Wir sind keine Patrioten, nichts weniger als das. Und wenn wir eines
Tages gegen Frankreich oder Rußland ins Feld ziehn, so tun wir es, weil
wir dazu gezwungen sind. Weigern wir uns Folge zu leisten, so schießt
man uns nieder. Mußten wir nicht anziehn, so Hütten wir inzwischen Ge-


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[0364] Werden die Tozialdcmokrciten marschieren? Gegenteil angenommen hat. Aber diese Vergeßlichen sind in guter Gesellschaft, denn von der angeführten, „nnn schon zum zweitenmal abgegebnen" Erklärung nahm auch der Reichskanzler als von etwas Neuem Notiz. Nein, neu waren solche Äußerungen aus Bebels und auch aus Liebknechts Munde keineswegs. Der Beweis dafür wird im nächsten Abschnitt erbracht werden: ich habe zu dem Zwecke das Material von dem Beginn der neunziger Jahre an, also fast durch drei Lustrci, durchgesehen. Bei den Erörterungen, die ich an einen Teil dieses Materials knüpfe, kommt es mir nicht darauf an, einen Gegenbeweis gegen die einzelnen sozial¬ demokratischen Irrlehren zu liefern, wenngleich ich manchmal eine gewisse Zurück¬ weisung und Abwehr nicht vermeiden konnte. Mein Ziel war wesentlich eine Wiederherstellung des wahren Bildes von dem, was die Sozialdemokraten über die Heeresfrage im Kriege denken, eines Bildes, das sich in manchen sonst ganz klugen Köpfen zu verschieben beginnt. Zugleich auch möchte ich deu „roten" Herren ein Spiegelbild, ein Sündenregister vorhalten. Auf die übliche Verunglimpfung bin ich gefaßt. Es ist gesagt worden, die Reden der sozialdemokratischen Führer gäben ihre wahre Ansicht nicht wieder. Diese Meinung teile ich vollkommen. Aber wonach soll man die Führer beurteilen, wenn nicht nach ihren Äußerungen oorani xudlioo? Man muß ihre Worte nur unter die kritische Sonde nehmen, sich durch allerlei schöne Versicherungen nicht blenden lassen und ihre Glaub¬ würdigkeit an den Grundsätzen und den Grundlehren der Partei abmessen. Man darf auch nicht vergessen, daß die Führer der Sozialdemokraten bei der Zwangs¬ lage, in der die Partei tatsächlich der Negierung gegenüber ist, häufig genug dem Spruche huldigen, daß die Worte erfunden sind, um die Gedanken zu ver¬ bergen. Ja, wenn sie frei reden dürften! In der Folge werden ein paar sehr lehrreiche Bekenntnisse über diesen Punkt geboten werden. ^. Äußerungen der Führer über die Ariegswilligkeit der Partei Auf dem sozialdemokratischen Parteitage zu Erfurt (Oktober 1891) ließ sich Liebknecht vernehmen, wie folgt: „Wildberger bemerkte, ich habe im Reichs¬ tage gesagt, wenn das deutsche Vaterland von einem auswärtigen Feinde an¬ gegriffen werden sollte, dann würden auch die Sozialdemokraten die Flinte er¬ greifen und ihre Pflicht tun, um den Angreifer aus dem Lande zu jagen. Selbstverständlich werden wir das tun." Im Oktober 1902 ließ sich Bebel von Jules Huret vom „Figaro" ausfragen: „Werden die deutschen Sozialisten im Kriegsfalle gegen die französischen kämpfen? Ganz gewiß! Wo bleiben da aber Ihre Theorien vom Internationalismus? Wir sind keine Patrioten, nichts weniger als das. Und wenn wir eines Tages gegen Frankreich oder Rußland ins Feld ziehn, so tun wir es, weil wir dazu gezwungen sind. Weigern wir uns Folge zu leisten, so schießt man uns nieder. Mußten wir nicht anziehn, so Hütten wir inzwischen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/364>, abgerufen am 13.06.2024.