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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Konstantinovolitanische Reiseerlebnisse

geziertes Kapitell über kleinen Winkelhäusern emporragen sahen, waren wir noch
lange nicht bei ihr. Ein Kerl führte uns endlich durch krumme Gänge in einen
verwilderten, kleinen Garten. In einer Mädchenschule an der Seite hörten wir
Kinderstimmen im Chor etwas hersagen, aber sowie unsre Tritte draußen er¬
schallten, wurden die dichtvergitterten Haremsfenster herabgelassen. Schade! Hier
Hütte ich gern einmal hospitiert. Neben der Tür stand ein hölzernes Gestell mit
Fächern, und in diesen je ein paar Schuhe, die die Kinder vor dem Eintritt ab¬
legen müssen, eine Sitte, die sicherlich nach dem Herzen unsrer Scheuerfrauen ist.
Die Säule selbst ist des langen Suchens nicht wert. Ihre Reliefs, auf der einen
Seite ein Schild, auf der andern eine Siegesgöttin, sind recht unvollkommen und
außerdem sehr schlecht erhalten.

Der Türke, der uns hierher gebracht hatte, führte uns dann noch weiter zu
der Moschee Sultan Mohammeds des Zweiten, des Eroberers. Diese ist, wie
alle großen Dschamis (Versammlungshäuser im Gegensatz zu den bloßen Mesdschids
oder Bethäusern, woraus "Moschee"), eine kleine Stadt für sich. Ein großer
Vorhof, der von Spitzbogenarkaden umgeben ist, empfängt den Besucher. In
seiner Mitte steht das von Zypressen beschattete achteckige Brunnenhaus, das vier-
undzwanzig Gläubigen Waschgelegenheit bietet. Neben und hinter dem eigentlichen
Gotteshause liegen acht Kollegienhäuser mit den dazugehörigen Studentenwohnungen,
eine Volksschule, eine große Armenküche, ein Hospital, eine Bibliothek, ein Logicr-
haus und ein Bad. Außerdem gibt es noch einen Garten mit den Turben
(Mausoleen) des Eroberers, seiner Gemahlin und einiger Prinzessinnen und endlich
einen großen Hinterhof. Viele Gläubige bringen den ganzen ausgeschlagnen Tag
in diesem Heiligtum zu, das ihnen alles bietet, dessen sie zum Leben und Wohlsein
bedürfen. Zu arbeiten brauchen sie nicht, Allah und der Padischah nähren und kleiden
sie schon; denn es werden etwa 30000 Menschen durch die Moscheeküchen gespeist.
So bringen sie ihre Zeit mit Ruhen, Waschen, Beten und Schweigen hin. Der
Moschee gegenüber liegt auch unter schattigen Bäumen ein Cafe, wo sie ihre beiden
Hauptbedürfnisse, Kaffee und Tabak trinken, befriedigen können. Ein fortwährender
Fest- und Feiertag ist diesen gottbegnadigten Moslemin das ganze Jahr ausge¬
breitet. Sie kennen keine Skrupel noch Zweifel, dienen einfältig nach der Väter
Weise ihrem Gotte und wissen, daß sie, wenn Allah will, eingehn werden zu den
ewigen Freuden des Paradieses. Haben diese Morgenländer, denen die Religion
noch wirklich der Mittelpunkt ihres Daseins ist, nicht vielleicht den eigentlichen
Wert und Zweck des Lebens besser erfaßt als wir bildungsstolzen, aber nie zu¬
friedner und im innersten Herzwiukel unruhigen Europäer, die ein nie rastendes,
faustisches Streben unausgesetzt von der Arbeit zum Genuß und vom Genuß wieder
zur Arbeit hetzt?*)

Die "Mehemedsche" -- so nennt der Türke diese Moschee -- steht an der
Stelle der heiligen Apostelkirche Kaiser Justinians, und in den für ihren Bau
verwandten Mörtel ist Asche und Gebein von Kaisern und Kirchenvätern gemischt
worden, die in der Kirche begraben lagen. Im Innern steht in goldnen Buchstaben
nuf einer Marmortafel das Wort des Propheten: "Sie werden Konstantinopel
erobern; wohl dem Fürsten und wohl dem Heere, die dies vollbringen werden!"
Dieser Innenraum ist, obwohl verunziert durch kürzlich hinzugefügte, geschmack-



^) Als diese Worte längst geschrieben waren, las ich in Chamberlains "Grundlagen des
1V> Jahrhunderts" (I, S. 44):' "Es ist eine Tatsache, daß die Türkei das letzte Stückchen
von Europa ist, wo eine ganze Bevölkerung in ungestörtem Glück und Wohlbehagen lebt, eine
Bevölkerung, die von sozialen Fragen, vom bittern Kampf ums Dasein und dergleichen nichts
weiß, wo es keine großen Vermögen gibt und buchstäblich gar keinen Pauperismus, wo alle
eine einzige brüderliche Familie bilden 'und keiner auf Kosten des andern nach Reichtum strebt.
>)es rede nicht das nach, was Zeitungen und Bücher berichten, sondern ich bezeuge, was ich
aus eigner Anschauung weiß." Mir aus der Seele gesprochen, mit Ausnahme dessen, daß
^ keiner auf Kosten'des andern nach Reichtum streben soll. Oder herrscht die Pascha- und
-Lackschischwirtschaft etwa nur Fremden und Ungläubigen gegenüber?
Konstantinovolitanische Reiseerlebnisse

geziertes Kapitell über kleinen Winkelhäusern emporragen sahen, waren wir noch
lange nicht bei ihr. Ein Kerl führte uns endlich durch krumme Gänge in einen
verwilderten, kleinen Garten. In einer Mädchenschule an der Seite hörten wir
Kinderstimmen im Chor etwas hersagen, aber sowie unsre Tritte draußen er¬
schallten, wurden die dichtvergitterten Haremsfenster herabgelassen. Schade! Hier
Hütte ich gern einmal hospitiert. Neben der Tür stand ein hölzernes Gestell mit
Fächern, und in diesen je ein paar Schuhe, die die Kinder vor dem Eintritt ab¬
legen müssen, eine Sitte, die sicherlich nach dem Herzen unsrer Scheuerfrauen ist.
Die Säule selbst ist des langen Suchens nicht wert. Ihre Reliefs, auf der einen
Seite ein Schild, auf der andern eine Siegesgöttin, sind recht unvollkommen und
außerdem sehr schlecht erhalten.

Der Türke, der uns hierher gebracht hatte, führte uns dann noch weiter zu
der Moschee Sultan Mohammeds des Zweiten, des Eroberers. Diese ist, wie
alle großen Dschamis (Versammlungshäuser im Gegensatz zu den bloßen Mesdschids
oder Bethäusern, woraus „Moschee"), eine kleine Stadt für sich. Ein großer
Vorhof, der von Spitzbogenarkaden umgeben ist, empfängt den Besucher. In
seiner Mitte steht das von Zypressen beschattete achteckige Brunnenhaus, das vier-
undzwanzig Gläubigen Waschgelegenheit bietet. Neben und hinter dem eigentlichen
Gotteshause liegen acht Kollegienhäuser mit den dazugehörigen Studentenwohnungen,
eine Volksschule, eine große Armenküche, ein Hospital, eine Bibliothek, ein Logicr-
haus und ein Bad. Außerdem gibt es noch einen Garten mit den Turben
(Mausoleen) des Eroberers, seiner Gemahlin und einiger Prinzessinnen und endlich
einen großen Hinterhof. Viele Gläubige bringen den ganzen ausgeschlagnen Tag
in diesem Heiligtum zu, das ihnen alles bietet, dessen sie zum Leben und Wohlsein
bedürfen. Zu arbeiten brauchen sie nicht, Allah und der Padischah nähren und kleiden
sie schon; denn es werden etwa 30000 Menschen durch die Moscheeküchen gespeist.
So bringen sie ihre Zeit mit Ruhen, Waschen, Beten und Schweigen hin. Der
Moschee gegenüber liegt auch unter schattigen Bäumen ein Cafe, wo sie ihre beiden
Hauptbedürfnisse, Kaffee und Tabak trinken, befriedigen können. Ein fortwährender
Fest- und Feiertag ist diesen gottbegnadigten Moslemin das ganze Jahr ausge¬
breitet. Sie kennen keine Skrupel noch Zweifel, dienen einfältig nach der Väter
Weise ihrem Gotte und wissen, daß sie, wenn Allah will, eingehn werden zu den
ewigen Freuden des Paradieses. Haben diese Morgenländer, denen die Religion
noch wirklich der Mittelpunkt ihres Daseins ist, nicht vielleicht den eigentlichen
Wert und Zweck des Lebens besser erfaßt als wir bildungsstolzen, aber nie zu¬
friedner und im innersten Herzwiukel unruhigen Europäer, die ein nie rastendes,
faustisches Streben unausgesetzt von der Arbeit zum Genuß und vom Genuß wieder
zur Arbeit hetzt?*)

Die „Mehemedsche" — so nennt der Türke diese Moschee — steht an der
Stelle der heiligen Apostelkirche Kaiser Justinians, und in den für ihren Bau
verwandten Mörtel ist Asche und Gebein von Kaisern und Kirchenvätern gemischt
worden, die in der Kirche begraben lagen. Im Innern steht in goldnen Buchstaben
nuf einer Marmortafel das Wort des Propheten: „Sie werden Konstantinopel
erobern; wohl dem Fürsten und wohl dem Heere, die dies vollbringen werden!"
Dieser Innenraum ist, obwohl verunziert durch kürzlich hinzugefügte, geschmack-



^) Als diese Worte längst geschrieben waren, las ich in Chamberlains „Grundlagen des
1V> Jahrhunderts" (I, S. 44):' „Es ist eine Tatsache, daß die Türkei das letzte Stückchen
von Europa ist, wo eine ganze Bevölkerung in ungestörtem Glück und Wohlbehagen lebt, eine
Bevölkerung, die von sozialen Fragen, vom bittern Kampf ums Dasein und dergleichen nichts
weiß, wo es keine großen Vermögen gibt und buchstäblich gar keinen Pauperismus, wo alle
eine einzige brüderliche Familie bilden 'und keiner auf Kosten des andern nach Reichtum strebt.
>)es rede nicht das nach, was Zeitungen und Bücher berichten, sondern ich bezeuge, was ich
aus eigner Anschauung weiß." Mir aus der Seele gesprochen, mit Ausnahme dessen, daß
^ keiner auf Kosten'des andern nach Reichtum streben soll. Oder herrscht die Pascha- und
-Lackschischwirtschaft etwa nur Fremden und Ungläubigen gegenüber?
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[0575] Konstantinovolitanische Reiseerlebnisse geziertes Kapitell über kleinen Winkelhäusern emporragen sahen, waren wir noch lange nicht bei ihr. Ein Kerl führte uns endlich durch krumme Gänge in einen verwilderten, kleinen Garten. In einer Mädchenschule an der Seite hörten wir Kinderstimmen im Chor etwas hersagen, aber sowie unsre Tritte draußen er¬ schallten, wurden die dichtvergitterten Haremsfenster herabgelassen. Schade! Hier Hütte ich gern einmal hospitiert. Neben der Tür stand ein hölzernes Gestell mit Fächern, und in diesen je ein paar Schuhe, die die Kinder vor dem Eintritt ab¬ legen müssen, eine Sitte, die sicherlich nach dem Herzen unsrer Scheuerfrauen ist. Die Säule selbst ist des langen Suchens nicht wert. Ihre Reliefs, auf der einen Seite ein Schild, auf der andern eine Siegesgöttin, sind recht unvollkommen und außerdem sehr schlecht erhalten. Der Türke, der uns hierher gebracht hatte, führte uns dann noch weiter zu der Moschee Sultan Mohammeds des Zweiten, des Eroberers. Diese ist, wie alle großen Dschamis (Versammlungshäuser im Gegensatz zu den bloßen Mesdschids oder Bethäusern, woraus „Moschee"), eine kleine Stadt für sich. Ein großer Vorhof, der von Spitzbogenarkaden umgeben ist, empfängt den Besucher. In seiner Mitte steht das von Zypressen beschattete achteckige Brunnenhaus, das vier- undzwanzig Gläubigen Waschgelegenheit bietet. Neben und hinter dem eigentlichen Gotteshause liegen acht Kollegienhäuser mit den dazugehörigen Studentenwohnungen, eine Volksschule, eine große Armenküche, ein Hospital, eine Bibliothek, ein Logicr- haus und ein Bad. Außerdem gibt es noch einen Garten mit den Turben (Mausoleen) des Eroberers, seiner Gemahlin und einiger Prinzessinnen und endlich einen großen Hinterhof. Viele Gläubige bringen den ganzen ausgeschlagnen Tag in diesem Heiligtum zu, das ihnen alles bietet, dessen sie zum Leben und Wohlsein bedürfen. Zu arbeiten brauchen sie nicht, Allah und der Padischah nähren und kleiden sie schon; denn es werden etwa 30000 Menschen durch die Moscheeküchen gespeist. So bringen sie ihre Zeit mit Ruhen, Waschen, Beten und Schweigen hin. Der Moschee gegenüber liegt auch unter schattigen Bäumen ein Cafe, wo sie ihre beiden Hauptbedürfnisse, Kaffee und Tabak trinken, befriedigen können. Ein fortwährender Fest- und Feiertag ist diesen gottbegnadigten Moslemin das ganze Jahr ausge¬ breitet. Sie kennen keine Skrupel noch Zweifel, dienen einfältig nach der Väter Weise ihrem Gotte und wissen, daß sie, wenn Allah will, eingehn werden zu den ewigen Freuden des Paradieses. Haben diese Morgenländer, denen die Religion noch wirklich der Mittelpunkt ihres Daseins ist, nicht vielleicht den eigentlichen Wert und Zweck des Lebens besser erfaßt als wir bildungsstolzen, aber nie zu¬ friedner und im innersten Herzwiukel unruhigen Europäer, die ein nie rastendes, faustisches Streben unausgesetzt von der Arbeit zum Genuß und vom Genuß wieder zur Arbeit hetzt?*) Die „Mehemedsche" — so nennt der Türke diese Moschee — steht an der Stelle der heiligen Apostelkirche Kaiser Justinians, und in den für ihren Bau verwandten Mörtel ist Asche und Gebein von Kaisern und Kirchenvätern gemischt worden, die in der Kirche begraben lagen. Im Innern steht in goldnen Buchstaben nuf einer Marmortafel das Wort des Propheten: „Sie werden Konstantinopel erobern; wohl dem Fürsten und wohl dem Heere, die dies vollbringen werden!" Dieser Innenraum ist, obwohl verunziert durch kürzlich hinzugefügte, geschmack- ^) Als diese Worte längst geschrieben waren, las ich in Chamberlains „Grundlagen des 1V> Jahrhunderts" (I, S. 44):' „Es ist eine Tatsache, daß die Türkei das letzte Stückchen von Europa ist, wo eine ganze Bevölkerung in ungestörtem Glück und Wohlbehagen lebt, eine Bevölkerung, die von sozialen Fragen, vom bittern Kampf ums Dasein und dergleichen nichts weiß, wo es keine großen Vermögen gibt und buchstäblich gar keinen Pauperismus, wo alle eine einzige brüderliche Familie bilden 'und keiner auf Kosten des andern nach Reichtum strebt. >)es rede nicht das nach, was Zeitungen und Bücher berichten, sondern ich bezeuge, was ich aus eigner Anschauung weiß." Mir aus der Seele gesprochen, mit Ausnahme dessen, daß ^ keiner auf Kosten'des andern nach Reichtum streben soll. Oder herrscht die Pascha- und -Lackschischwirtschaft etwa nur Fremden und Ungläubigen gegenüber?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/575>, abgerufen am 13.06.2024.