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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Literarisches

konträren Himmelsrichtungen Ost und West orientiert. Zur Ausstattung des
einen Dichters, bei dem die östlichen Rosen gedeihen, gehören, die Dichter
sollen ja freigebig sein, Cyklopenfüße in spinatgrünen Pantoffeln. Vielleicht
kann man sich das Bild freundlich ergänzen: ein Birnenkopf, aber mit dem
dünnen Ende für das Hirn oben, während man den breiten Kinnbacken
zutraut, daß sie mit Leichtigkeit Kokosnüsse knacken können. Auch der andre,
westliche, obgleich sehr komfortabel wohnend, macht dem Sucher keinen günstigen
Eindruck. Dagegen in einem andern Gedicht ist wenigstens einer von drei
Dichtern sympathisch. Trotz diesen kleinen Freuden

Dasz die Verteidigung gegen die Liebe so ewig ist, läßt mich schließen,
daß der Dichter noch nicht das Alter des Sophokles erreicht hat, der sich
bei Plato einmal glücklich preist, daß er diesem wilden und tollen Herrscher
nun entgangen ist.

Da schließlich alle Gedichtsammlungen zur Gesamtpoesie gehören und
zur Charakteristik dessen beitragen, was wir in dieser Betätigung der Menschen
zu suchen haben, so kann man sich noch zwei Fragen stellen. Wilhelm
von Humboldt nämlich sagt uns einmal, die Einbildungskraft durch die Ein¬
bildungskraft zu entzünden sei das Geheimnis des Künstlers. Dieses muß
mau, scheint mir, Presber zugestehn. Fragen wir weiter, in welches Schub¬
fach theoretischer Einteilung seine Gedichte gehören, so stünden uns die drei
von Bischer für die Lyrik gezimmerten zur Verfügung. Da nun diese drei
Arten selten ganz rein auftreten und in unserm Falle alle drei vertreten
wären, so ist es vielleicht besser, die Kategorie des Kontrastes zur Charakteristik
zu wählen. Der Kontrast ist ja überall in der poetischen Darstellung äußerst
beliebt, wie er sich dein, den Menschen anch sonst so oft aufdrängt. In Er¬
zählungen und Dramen stehn sich gute und böse, reiche und arme, starke und
schwache Menschen gegenüber, Unschuld siegt unerwartet über listige Ver¬
schlagenheit und dergleichen mehr. Ebenso läßt man in Einzelheiten den
Kontrast wirken. Verrinas arme Berta soll gerade in dem Augenblick "ver¬
bunden" (I, 12), wo Bourgognino sie heiraten will. Bei Konrad Ferdinand
Meyer geht sehr zur Unzeit der profane Schuß auf der Kanzel los, als man
singt: Preiset Gott mit lautem Schalle. In dem schon in vielen tausend
Exemplaren verbreiteten Roman von Ernst Zahn "Albin Jndergand" sagt
eben der "Präses" zum Pfarrer: "Es ist hierzulande selten eine so fried¬
liche Zeit gewesen. ... Es war ein milder Abend ... es war still ringsum,
so still, daß die beiden Männer die Stimmen dämpften, weil sie ihnen zu
laut in die große Ruhe klangen. Da, während sie sich noch einmal die
Hände schüttelten, brach laut, schreckhaft, unerwartet ein Schuß in die Stille."


Literarisches

konträren Himmelsrichtungen Ost und West orientiert. Zur Ausstattung des
einen Dichters, bei dem die östlichen Rosen gedeihen, gehören, die Dichter
sollen ja freigebig sein, Cyklopenfüße in spinatgrünen Pantoffeln. Vielleicht
kann man sich das Bild freundlich ergänzen: ein Birnenkopf, aber mit dem
dünnen Ende für das Hirn oben, während man den breiten Kinnbacken
zutraut, daß sie mit Leichtigkeit Kokosnüsse knacken können. Auch der andre,
westliche, obgleich sehr komfortabel wohnend, macht dem Sucher keinen günstigen
Eindruck. Dagegen in einem andern Gedicht ist wenigstens einer von drei
Dichtern sympathisch. Trotz diesen kleinen Freuden

Dasz die Verteidigung gegen die Liebe so ewig ist, läßt mich schließen,
daß der Dichter noch nicht das Alter des Sophokles erreicht hat, der sich
bei Plato einmal glücklich preist, daß er diesem wilden und tollen Herrscher
nun entgangen ist.

Da schließlich alle Gedichtsammlungen zur Gesamtpoesie gehören und
zur Charakteristik dessen beitragen, was wir in dieser Betätigung der Menschen
zu suchen haben, so kann man sich noch zwei Fragen stellen. Wilhelm
von Humboldt nämlich sagt uns einmal, die Einbildungskraft durch die Ein¬
bildungskraft zu entzünden sei das Geheimnis des Künstlers. Dieses muß
mau, scheint mir, Presber zugestehn. Fragen wir weiter, in welches Schub¬
fach theoretischer Einteilung seine Gedichte gehören, so stünden uns die drei
von Bischer für die Lyrik gezimmerten zur Verfügung. Da nun diese drei
Arten selten ganz rein auftreten und in unserm Falle alle drei vertreten
wären, so ist es vielleicht besser, die Kategorie des Kontrastes zur Charakteristik
zu wählen. Der Kontrast ist ja überall in der poetischen Darstellung äußerst
beliebt, wie er sich dein, den Menschen anch sonst so oft aufdrängt. In Er¬
zählungen und Dramen stehn sich gute und böse, reiche und arme, starke und
schwache Menschen gegenüber, Unschuld siegt unerwartet über listige Ver¬
schlagenheit und dergleichen mehr. Ebenso läßt man in Einzelheiten den
Kontrast wirken. Verrinas arme Berta soll gerade in dem Augenblick „ver¬
bunden" (I, 12), wo Bourgognino sie heiraten will. Bei Konrad Ferdinand
Meyer geht sehr zur Unzeit der profane Schuß auf der Kanzel los, als man
singt: Preiset Gott mit lautem Schalle. In dem schon in vielen tausend
Exemplaren verbreiteten Roman von Ernst Zahn „Albin Jndergand" sagt
eben der „Präses" zum Pfarrer: „Es ist hierzulande selten eine so fried¬
liche Zeit gewesen. ... Es war ein milder Abend ... es war still ringsum,
so still, daß die beiden Männer die Stimmen dämpften, weil sie ihnen zu
laut in die große Ruhe klangen. Da, während sie sich noch einmal die
Hände schüttelten, brach laut, schreckhaft, unerwartet ein Schuß in die Stille."


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[0635] Literarisches konträren Himmelsrichtungen Ost und West orientiert. Zur Ausstattung des einen Dichters, bei dem die östlichen Rosen gedeihen, gehören, die Dichter sollen ja freigebig sein, Cyklopenfüße in spinatgrünen Pantoffeln. Vielleicht kann man sich das Bild freundlich ergänzen: ein Birnenkopf, aber mit dem dünnen Ende für das Hirn oben, während man den breiten Kinnbacken zutraut, daß sie mit Leichtigkeit Kokosnüsse knacken können. Auch der andre, westliche, obgleich sehr komfortabel wohnend, macht dem Sucher keinen günstigen Eindruck. Dagegen in einem andern Gedicht ist wenigstens einer von drei Dichtern sympathisch. Trotz diesen kleinen Freuden Dasz die Verteidigung gegen die Liebe so ewig ist, läßt mich schließen, daß der Dichter noch nicht das Alter des Sophokles erreicht hat, der sich bei Plato einmal glücklich preist, daß er diesem wilden und tollen Herrscher nun entgangen ist. Da schließlich alle Gedichtsammlungen zur Gesamtpoesie gehören und zur Charakteristik dessen beitragen, was wir in dieser Betätigung der Menschen zu suchen haben, so kann man sich noch zwei Fragen stellen. Wilhelm von Humboldt nämlich sagt uns einmal, die Einbildungskraft durch die Ein¬ bildungskraft zu entzünden sei das Geheimnis des Künstlers. Dieses muß mau, scheint mir, Presber zugestehn. Fragen wir weiter, in welches Schub¬ fach theoretischer Einteilung seine Gedichte gehören, so stünden uns die drei von Bischer für die Lyrik gezimmerten zur Verfügung. Da nun diese drei Arten selten ganz rein auftreten und in unserm Falle alle drei vertreten wären, so ist es vielleicht besser, die Kategorie des Kontrastes zur Charakteristik zu wählen. Der Kontrast ist ja überall in der poetischen Darstellung äußerst beliebt, wie er sich dein, den Menschen anch sonst so oft aufdrängt. In Er¬ zählungen und Dramen stehn sich gute und böse, reiche und arme, starke und schwache Menschen gegenüber, Unschuld siegt unerwartet über listige Ver¬ schlagenheit und dergleichen mehr. Ebenso läßt man in Einzelheiten den Kontrast wirken. Verrinas arme Berta soll gerade in dem Augenblick „ver¬ bunden" (I, 12), wo Bourgognino sie heiraten will. Bei Konrad Ferdinand Meyer geht sehr zur Unzeit der profane Schuß auf der Kanzel los, als man singt: Preiset Gott mit lautem Schalle. In dem schon in vielen tausend Exemplaren verbreiteten Roman von Ernst Zahn „Albin Jndergand" sagt eben der „Präses" zum Pfarrer: „Es ist hierzulande selten eine so fried¬ liche Zeit gewesen. ... Es war ein milder Abend ... es war still ringsum, so still, daß die beiden Männer die Stimmen dämpften, weil sie ihnen zu laut in die große Ruhe klangen. Da, während sie sich noch einmal die Hände schüttelten, brach laut, schreckhaft, unerwartet ein Schuß in die Stille."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/635>, abgerufen am 13.06.2024.