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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Akademische Freiheit

>it welcher Inbrunst sangen wir Studenten vor dem großen
Kriegsjahre, das Deutschlands nationale Hoffnungen erfüllte,
Max von Schenkendorfs Sehnsuchtslied "Freiheit, die ich meine!"
Ja, welche Freiheit wir meinte", darüber haben wir uns oft heiß
gestritten. Führte die Freiheit mir ihren Reigen am Sternen¬
zelt? Nein, wir wollten sie auch in den Herzen und unter den Bäumen finden.
Sie war uns die Seele aller Wahrheit und Tugend, sie war das ungehemmte
Erblühen und Erwachsen alles Schönen und Guten, sie war der Charakter des
Helden. Und daß sie sich die deutsche Art besonders erlesen habe, das stand
uns ebenso felsenfest wie unsre Todfeindschaft wider alles Philistertum, diese
Verkörperung des finstern Geistes, "wie ein Gespenst auf Eiern" einhcrschleichend.
Kurz, Freiheit war uns alles, was das Herz wärmer und höher schlagen machte.
Wir fanden keine Formel für sie, aber wir atmeten sie, indem wir ehrlich und
wahrhaftig um Einsicht und Wissen rangen. Die Konfliktzeit trat ein in Preußen.
Sie belebte unsre Freiheitsideale. Bismarck war der bestgehaßte Mann, der
Vergewaltiger der Freiheit. Die gefesselte Gerechtigkeit und der hochmütige
Junker -- so stellte sich uns die innere Lage des Vaterlandes dar. Die
Redner der Fortschrittspartei waren uns die Hüter der Freiheit und der Wahr¬
heit. Wo es anging, drückten wir uns in die quetschende Enge der Zuhörer¬
loge in dem alten Hause am Dönhofsplatz, wenn ein Streittag zu erwarten
stand. Zwar als Virchow in seiner galligen, nörgelnden, saloppen Art das
große Wort gelassen aussprach: "Man muß Preußen den Großmachtskitzel
austreiben," da wurde uns trotz allem guten Willen zur Freiheitsbegeisterung
unbehaglich zumute. Aber Gneist erschien als ein Held, wie er den Ministern
zurief: "Sie tragen das Zeichen des Eidbruchs an der Stirn." Und vor
allem, wenn Karl Tochter mit seinen strahlenden blauen Augen auf der Tribüne
stand und den Etat zerpflückte, während dem Kriegsminister Roon die Zornader
an der Stirn immer sichtbarer hervortrat, dann vergaßen wir uns selbst über
dem mächtigen Eindruck schneidigster Sachkritik. Aber trotz alledem -- Bismarck
riß uns auch wider Willen mit sich fort. Wunderbar wurf, wie er sich ruhig,
überlegen, oft mit witzigen Wort dem Ansturm der Leidenschaften aussetzte und
ihm standhielt, wie wenn ihm alles das nur die Füße netzte.

Aus diesen Kämpfen wollten wir lernen, was Freiheit sei, damit wir als
freie Männer einem freien Volke dienen könnten, wir, die wir uns im Schatten
der Universität, unter dem milden Zepter verständnisvoller Rektoren und
Universitätsrichter so recht sicher in unsrer akademischen Freiheit fühlten. Ohs
uns gelungen ist? Nun, dann müßte es allerdings heute leicht sein, zu sagen,
was eigentlich die akademische Freiheit ist, von der in den letzten Wochen mehr




Akademische Freiheit

>it welcher Inbrunst sangen wir Studenten vor dem großen
Kriegsjahre, das Deutschlands nationale Hoffnungen erfüllte,
Max von Schenkendorfs Sehnsuchtslied „Freiheit, die ich meine!"
Ja, welche Freiheit wir meinte», darüber haben wir uns oft heiß
gestritten. Führte die Freiheit mir ihren Reigen am Sternen¬
zelt? Nein, wir wollten sie auch in den Herzen und unter den Bäumen finden.
Sie war uns die Seele aller Wahrheit und Tugend, sie war das ungehemmte
Erblühen und Erwachsen alles Schönen und Guten, sie war der Charakter des
Helden. Und daß sie sich die deutsche Art besonders erlesen habe, das stand
uns ebenso felsenfest wie unsre Todfeindschaft wider alles Philistertum, diese
Verkörperung des finstern Geistes, „wie ein Gespenst auf Eiern" einhcrschleichend.
Kurz, Freiheit war uns alles, was das Herz wärmer und höher schlagen machte.
Wir fanden keine Formel für sie, aber wir atmeten sie, indem wir ehrlich und
wahrhaftig um Einsicht und Wissen rangen. Die Konfliktzeit trat ein in Preußen.
Sie belebte unsre Freiheitsideale. Bismarck war der bestgehaßte Mann, der
Vergewaltiger der Freiheit. Die gefesselte Gerechtigkeit und der hochmütige
Junker — so stellte sich uns die innere Lage des Vaterlandes dar. Die
Redner der Fortschrittspartei waren uns die Hüter der Freiheit und der Wahr¬
heit. Wo es anging, drückten wir uns in die quetschende Enge der Zuhörer¬
loge in dem alten Hause am Dönhofsplatz, wenn ein Streittag zu erwarten
stand. Zwar als Virchow in seiner galligen, nörgelnden, saloppen Art das
große Wort gelassen aussprach: „Man muß Preußen den Großmachtskitzel
austreiben," da wurde uns trotz allem guten Willen zur Freiheitsbegeisterung
unbehaglich zumute. Aber Gneist erschien als ein Held, wie er den Ministern
zurief: „Sie tragen das Zeichen des Eidbruchs an der Stirn." Und vor
allem, wenn Karl Tochter mit seinen strahlenden blauen Augen auf der Tribüne
stand und den Etat zerpflückte, während dem Kriegsminister Roon die Zornader
an der Stirn immer sichtbarer hervortrat, dann vergaßen wir uns selbst über
dem mächtigen Eindruck schneidigster Sachkritik. Aber trotz alledem — Bismarck
riß uns auch wider Willen mit sich fort. Wunderbar wurf, wie er sich ruhig,
überlegen, oft mit witzigen Wort dem Ansturm der Leidenschaften aussetzte und
ihm standhielt, wie wenn ihm alles das nur die Füße netzte.

Aus diesen Kämpfen wollten wir lernen, was Freiheit sei, damit wir als
freie Männer einem freien Volke dienen könnten, wir, die wir uns im Schatten
der Universität, unter dem milden Zepter verständnisvoller Rektoren und
Universitätsrichter so recht sicher in unsrer akademischen Freiheit fühlten. Ohs
uns gelungen ist? Nun, dann müßte es allerdings heute leicht sein, zu sagen,
was eigentlich die akademische Freiheit ist, von der in den letzten Wochen mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/34>, abgerufen am 19.05.2024.