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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Lin Aolonialprogramm

ganisierte Aufklärung durch Presse und Vorträge soll dann die der Schule Ent-
wachsueu weiter mit kolonialen Geist erfüllen. Die Männer werden dann die
Kolonialpolitik mit verständnisvollern Augen anschauen, begreifen, daß sie Zeit
braucht, Früchte zu bringen, willig werden, die nötigen Opfer zu bringen, sich
selbst an kolonialen Unternehmungen mehr und mehr beteiligen und besser unter¬
richtete und gebefreudigere Vertreter in den Reichstag senden.

2. Regierung und Volk müssen auch einsehen, daß dem Mutterlande heute
und diesen Kolonien gegenüber eine andre Rolle obliegt als früher. Die Re¬
gierung hat -- in dieser ersten Periode der Erschließung wenigstens -- für die
mangelnden Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung zu sorgen. Dahin ge¬
hören: die wissenschaftliche und wirtschaftliche Erforschung der Kolonien in jeder
Beziehung, Schaffung und Verbesserung hygienischer Einrichtungen jeder Art,
Studium und Bekämpfung der endemischen Krankheiten und Viehseuchen, Ver¬
besserung der Verkehrsverhältnisse, Errichtung von Versuchsstationen und Ent¬
sendung von SpezialMissionen für Ackerbau, Plantageubau und Viehzucht, berg¬
männische Untersuchung des Landes, die Ansiedlung von Europäern usw., und
dies alles -- zunächst wenigstens -- unter möglichster Einschränkung fiskalischer
Erwägungen.

3. Diesen Aufgaben ist eine Ministerialabteilung nicht gewachsen; wir
brauchen ein Neichscnnt für die Kolonien, unter das auch Kiautschou gestellt werdeu
musz. Der Kolonialrat sollte ferner zu einer reinen Interessenvertretung ge¬
macht werden.

4. Das Privatkapital muß geworben werden, indem man es besser infor¬
miert und ihm gut vorbereitete Projekte von autoritativer Seite mehr als bisher
vorlegen läßt. Dies wäre Sache des Kolvnialwirtschaftlichen Komitees zu Berlin.*)
Eine Kolonialbank ist ferner ein dringendes Bedürfnis, und die Scheu vor der
Beteiligung fremden Kapitals müssen wir unbedingt ablegen. Warum sollen
wir das Risiko der ersten Versuche tragen, das andre zu tragen sich drängen?
Der Mindestanteil an Kolvnialgesellschaftcn sollte nach englischem Vorbilde ans
zwanzig Mark festgesetzt werden.

5. Die Wissenschaft soll unablässig Land und Leute studieren, um der Praxis
den Weg zu ebnen. Die Männer der Praxis sollen jederzeit mit den Fort¬
schritten der Wissenschaften Fühlung behalten und sie nicht geringschätzen, sollen
sich dadurch aber nicht von praktischen Versuchen abhalten lassen auch da, wo
die Wissenschaft ihnen noch nicht vorgearbeitet hat. Dem Mutigen hilft das
Glück!

6. Die Mission muß von der Regierung und dem Volke reichlicher unter¬
stützt werden. Sie hebt das allgemeine Kulturniveau des Eingebornen. Er
erwirbt und fühlt Bedürfnisse: er kann kaufen und will kaufen.

7. Die Kolonialbeamten -- öffentliche wie private -- sollen mit peinlichster
Sorgfalt ausgesucht, daun aber auch selbständig gestellt und gut bezahlt werden.



*) Inzwischen habe ich eine "Zentralstelle zur Vorbereitung deutschkolonialer Unterneh¬
mungen" begründet.
Lin Aolonialprogramm

ganisierte Aufklärung durch Presse und Vorträge soll dann die der Schule Ent-
wachsueu weiter mit kolonialen Geist erfüllen. Die Männer werden dann die
Kolonialpolitik mit verständnisvollern Augen anschauen, begreifen, daß sie Zeit
braucht, Früchte zu bringen, willig werden, die nötigen Opfer zu bringen, sich
selbst an kolonialen Unternehmungen mehr und mehr beteiligen und besser unter¬
richtete und gebefreudigere Vertreter in den Reichstag senden.

2. Regierung und Volk müssen auch einsehen, daß dem Mutterlande heute
und diesen Kolonien gegenüber eine andre Rolle obliegt als früher. Die Re¬
gierung hat — in dieser ersten Periode der Erschließung wenigstens — für die
mangelnden Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung zu sorgen. Dahin ge¬
hören: die wissenschaftliche und wirtschaftliche Erforschung der Kolonien in jeder
Beziehung, Schaffung und Verbesserung hygienischer Einrichtungen jeder Art,
Studium und Bekämpfung der endemischen Krankheiten und Viehseuchen, Ver¬
besserung der Verkehrsverhältnisse, Errichtung von Versuchsstationen und Ent¬
sendung von SpezialMissionen für Ackerbau, Plantageubau und Viehzucht, berg¬
männische Untersuchung des Landes, die Ansiedlung von Europäern usw., und
dies alles — zunächst wenigstens — unter möglichster Einschränkung fiskalischer
Erwägungen.

3. Diesen Aufgaben ist eine Ministerialabteilung nicht gewachsen; wir
brauchen ein Neichscnnt für die Kolonien, unter das auch Kiautschou gestellt werdeu
musz. Der Kolonialrat sollte ferner zu einer reinen Interessenvertretung ge¬
macht werden.

4. Das Privatkapital muß geworben werden, indem man es besser infor¬
miert und ihm gut vorbereitete Projekte von autoritativer Seite mehr als bisher
vorlegen läßt. Dies wäre Sache des Kolvnialwirtschaftlichen Komitees zu Berlin.*)
Eine Kolonialbank ist ferner ein dringendes Bedürfnis, und die Scheu vor der
Beteiligung fremden Kapitals müssen wir unbedingt ablegen. Warum sollen
wir das Risiko der ersten Versuche tragen, das andre zu tragen sich drängen?
Der Mindestanteil an Kolvnialgesellschaftcn sollte nach englischem Vorbilde ans
zwanzig Mark festgesetzt werden.

5. Die Wissenschaft soll unablässig Land und Leute studieren, um der Praxis
den Weg zu ebnen. Die Männer der Praxis sollen jederzeit mit den Fort¬
schritten der Wissenschaften Fühlung behalten und sie nicht geringschätzen, sollen
sich dadurch aber nicht von praktischen Versuchen abhalten lassen auch da, wo
die Wissenschaft ihnen noch nicht vorgearbeitet hat. Dem Mutigen hilft das
Glück!

6. Die Mission muß von der Regierung und dem Volke reichlicher unter¬
stützt werden. Sie hebt das allgemeine Kulturniveau des Eingebornen. Er
erwirbt und fühlt Bedürfnisse: er kann kaufen und will kaufen.

7. Die Kolonialbeamten — öffentliche wie private — sollen mit peinlichster
Sorgfalt ausgesucht, daun aber auch selbständig gestellt und gut bezahlt werden.



*) Inzwischen habe ich eine „Zentralstelle zur Vorbereitung deutschkolonialer Unterneh¬
mungen" begründet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/521>, abgerufen am 19.05.2024.