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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

sie bis heute in voller Kraft geblieben wäre, leider aber sei sie samt allen echt
spanischen Einrichtungen verfallen, als die aus Frankreich stammenden Könige
den Jcmsenismus und den Enzyklopädismus einführten. Allerdings habe die
Inquisition noch, und daran habe sie recht getan, alle protestantischen Bücher
verboten, die zu ihrer Kenntnis gelangten, aber kein ausländisches Werk philo¬
sophischen Inhalts. "Denn Voltaire. La Mettrie, Holbach und die übrigen
Tröpfe des achtzehnten Jahrhunderts sind gar keine Philosophen; ihr Geschwätz
ist nur die Karikatur der Philosophie; ihre armseligen, gemeinen und unge¬
heuerlich gottlosen Lehren sind heute ein Gegenstand des Spottes und der
Verachtung für alle Männer der Wissenschaft, welchem philosophischen Heer¬
lager diese auch angehören mögen." Desdevises widerlegt diese Auffassung.
Die Inquisition habe wirklich geschadet, wirklich den Fortschritt gehemmt, alles
verboten und vernichtet, was nicht katholisch orthodox war. Im Jahre 1750
wurden zu Madrid einige Bücher verbrannt, weil sie "skandalöse Angriffe auf
die so nützliche, so verehrungswürdige, um die Kirche so Hochverdieute Gesell¬
schaft Jesu enthielten", und ein paar Jahre darauf wurden die Bücher ver¬
boten, die diese mittlerweile ausgehöhlte Gesellschaft verteidigten. Die Negierung
suchte die Wissenschaften dadurch zu heben, daß sie den Bücherpreis amtlich
regelte, das Papier billig machte und die königliche Druckerei luxuriös aus¬
stattete; hätte man, statt Luxus zu treiben, lieber Freiheit gewährt, bemerkt
Desdevises. Und so blieb denn Spanien das Land, wo, wie ein Patriot klagt,
niemand liest, weil niemand schreibt, und niemand schreibt, weil niemand liest.

Jedoch werden die Spanier wahrscheinlich auch in Freiheit weder die
Wissenschaft noch die Industrie sonderlich fördern. Ihre nationale Anlage
weist sie auf die Phantasietätigkeit, und in der schönen Literatur und den
bildenden Künsten haben sie auch geglänzt, und zwar gerade in der Zeit, wo
die Inquisition noch mit ungebrochner Kraft waltete und wütete. Das acht¬
zehnte Jahrhundert war eine Zeit der Dekadenz. In der Literatur herrschte
auf der einen Seite der Schwulst, auf der andern der Klassizismus, der nicht
Nachahmung der Alten, sondern Nachahmung der französischen Nachahmer der
Alten war. Desdevises bedauert -- und das ist einem Franzosen sehr hoch
anzurechnen --, daß die strebsamen Geister nach den ihrem Volksgenius wider¬
sprechenden französischen Mustern gegriffen haben, anstatt ihre eignen großen
Dichter zu Vorbildern zu erwählen. Ein Spanier, Former, hat den Grund,
weshalb nicht bloß seine Landsleute eine Zeit lang die Franzosen nachgeahmt
haben und das Französische vorübergehend Weltsprache geworden ist, sehr gut
angegeben. Sie stellen, schreibt er. jeden Gegenstand so fesselnd und so viel¬
seitig dar und in einer so angenehmen Form, einer so korrekten, klaren und
durchsichtigen Sprache, daß die andern Völker sogar das. was ehren dre
Franzosen entlehnt haben, erst durch diese kennen lernen, well es vor der
französischen Bearbeitung in keiner genießbaren Form vorhanden war Dre
Zeit, für die das gegolten hat, ist ja glücklicherweise vorüber, für Deutschland


Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

sie bis heute in voller Kraft geblieben wäre, leider aber sei sie samt allen echt
spanischen Einrichtungen verfallen, als die aus Frankreich stammenden Könige
den Jcmsenismus und den Enzyklopädismus einführten. Allerdings habe die
Inquisition noch, und daran habe sie recht getan, alle protestantischen Bücher
verboten, die zu ihrer Kenntnis gelangten, aber kein ausländisches Werk philo¬
sophischen Inhalts. „Denn Voltaire. La Mettrie, Holbach und die übrigen
Tröpfe des achtzehnten Jahrhunderts sind gar keine Philosophen; ihr Geschwätz
ist nur die Karikatur der Philosophie; ihre armseligen, gemeinen und unge¬
heuerlich gottlosen Lehren sind heute ein Gegenstand des Spottes und der
Verachtung für alle Männer der Wissenschaft, welchem philosophischen Heer¬
lager diese auch angehören mögen." Desdevises widerlegt diese Auffassung.
Die Inquisition habe wirklich geschadet, wirklich den Fortschritt gehemmt, alles
verboten und vernichtet, was nicht katholisch orthodox war. Im Jahre 1750
wurden zu Madrid einige Bücher verbrannt, weil sie „skandalöse Angriffe auf
die so nützliche, so verehrungswürdige, um die Kirche so Hochverdieute Gesell¬
schaft Jesu enthielten", und ein paar Jahre darauf wurden die Bücher ver¬
boten, die diese mittlerweile ausgehöhlte Gesellschaft verteidigten. Die Negierung
suchte die Wissenschaften dadurch zu heben, daß sie den Bücherpreis amtlich
regelte, das Papier billig machte und die königliche Druckerei luxuriös aus¬
stattete; hätte man, statt Luxus zu treiben, lieber Freiheit gewährt, bemerkt
Desdevises. Und so blieb denn Spanien das Land, wo, wie ein Patriot klagt,
niemand liest, weil niemand schreibt, und niemand schreibt, weil niemand liest.

Jedoch werden die Spanier wahrscheinlich auch in Freiheit weder die
Wissenschaft noch die Industrie sonderlich fördern. Ihre nationale Anlage
weist sie auf die Phantasietätigkeit, und in der schönen Literatur und den
bildenden Künsten haben sie auch geglänzt, und zwar gerade in der Zeit, wo
die Inquisition noch mit ungebrochner Kraft waltete und wütete. Das acht¬
zehnte Jahrhundert war eine Zeit der Dekadenz. In der Literatur herrschte
auf der einen Seite der Schwulst, auf der andern der Klassizismus, der nicht
Nachahmung der Alten, sondern Nachahmung der französischen Nachahmer der
Alten war. Desdevises bedauert — und das ist einem Franzosen sehr hoch
anzurechnen —, daß die strebsamen Geister nach den ihrem Volksgenius wider¬
sprechenden französischen Mustern gegriffen haben, anstatt ihre eignen großen
Dichter zu Vorbildern zu erwählen. Ein Spanier, Former, hat den Grund,
weshalb nicht bloß seine Landsleute eine Zeit lang die Franzosen nachgeahmt
haben und das Französische vorübergehend Weltsprache geworden ist, sehr gut
angegeben. Sie stellen, schreibt er. jeden Gegenstand so fesselnd und so viel¬
seitig dar und in einer so angenehmen Form, einer so korrekten, klaren und
durchsichtigen Sprache, daß die andern Völker sogar das. was ehren dre
Franzosen entlehnt haben, erst durch diese kennen lernen, well es vor der
französischen Bearbeitung in keiner genießbaren Form vorhanden war Dre
Zeit, für die das gegolten hat, ist ja glücklicherweise vorüber, für Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/203>, abgerufen am 13.06.2024.