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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

seit Lessing. Doch gab es einige spanische Dichter, die sich an die vater¬
ländischen Traditionen hielten, und deren Begabung über die der zahlreichen
Dichterlinge jener Zeit hinausragte. Der bedeutendste war Ramon de la Cruz,
durch und durch ein Spanier, der die ssallirM-listW verspottete, nicht wollte,
"daß sein Vaterland ein frankospanischer Diphthong werde, sein Volk ein Narr,
der nicht weiß, was er, vom Hut bis zu den Schuhen, morgen tragen wird;
denn wenn der leichtsinnige Franzose das unterste zu oberst kehrt, machen es
die spanischen Französlinge mit, und was kein Alexander fertig gebracht hätte,
die Spanier zu ändern, das gelingt diesen Hanswursten". Obwohl seine volks¬
tümlichen Stücke sehr gefielen, und er auch einige vornehme Gönner fand,
scheint es ihm doch nicht zum besten gegangen zu sein. Er schreibt: "Die
Nacht hindurch arbeiten und bei Tage sich müde reden, von aller Welt ge¬
scholten, von niemand belohnt werden, nicht wissen, wann das Stück aufgeführt
werden wird, das man geschrieben hat, mit seinem Rufe mehr von Beschimpfungen
als vom Beifall abhängen -- so sieht das Dichterleben aus." Man hat Ramon
den Goya des Theaters genannt.

Goya, von dem im letzten Jahre bei uns soviel die Rede gewesen ist,
war der einzige große Maler des achtzehnten Jahrhunderts in Spanien. Er
definierte die Malerei als eine Dichtkunst, die aus dem Weltall auswähle,
was für ihre Zwecke geeignet sei, und in einem Phantasiegebilde Charakter¬
züge vereinige, die die Natur an mehrere Individuen verteilt habe. Ein
echter Künstler sei nicht Kopist sondern Schöpfer. Goya kannte das Ausland,
die Welt, aber, schreibt Desdevises, er stellte mit Vorliebe Spanien dar; die
Gesamtheit seiner Werke "ist der Spiegel, in dem sich das ganze Spanien
malt; nicht bloß sein Äußeres, seine Moden, seine Sitten, sondern auch seine
Geschichte, seine Religion, seine Philosophie, seine Wünsche und seine Träume.
Ein unerschrockner Realist, scheut er vor keinem noch so rohen und abstoßenden
Gegenstande zurück, zugleich aber ist er König im Reiche des Phantastischen;
er malt Monstra, die sich wandeln wie Wolkengebilde." Mit religiösen Bildern
hat er angefangen, dann aber, nachdem er den Glauben verloren, seine Kunst
zum Werkzeug seiner pessimistischen, eigentlich nihilistischen Weltverachtung und
seiner patriotischen Satire gemacht. Ms Hofmaler hat Goya das Äußerste an
Kühnheit gewagt. "Sie sind alle da: der König (Karl der Vierte), die Königin,
der Prinz von Asturien und seine Frau Maria Antonia, seine Brüder Carlos
und Francisco, seine Schwestern Carlota Joaquina, Maria Luisa, Maria
Madel, sein Schwager der Prinz von Parma, sein Oheim Don Antonio,
seine Tante Maria Josefa. Alle in Hoftracht, mit Orden und Grand Cordon
behängt. Der Sammet, die Seidenstoffe, die Stickereien, die Edelsteine schillern
und funkeln, aber all dieser Reichtum dient nur dazu, die Häßlichkeit und
die Gemeinheit der Gesichter noch abstoßender zu machen." Das Größte, meint
Desdevises, habe Goya mit der Radiernadel geleistet. Seine satirischen Stiche
hat er mit boshaften Unterschriften versehen. Der "Friedensfürst", Godoy,


Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert

seit Lessing. Doch gab es einige spanische Dichter, die sich an die vater¬
ländischen Traditionen hielten, und deren Begabung über die der zahlreichen
Dichterlinge jener Zeit hinausragte. Der bedeutendste war Ramon de la Cruz,
durch und durch ein Spanier, der die ssallirM-listW verspottete, nicht wollte,
„daß sein Vaterland ein frankospanischer Diphthong werde, sein Volk ein Narr,
der nicht weiß, was er, vom Hut bis zu den Schuhen, morgen tragen wird;
denn wenn der leichtsinnige Franzose das unterste zu oberst kehrt, machen es
die spanischen Französlinge mit, und was kein Alexander fertig gebracht hätte,
die Spanier zu ändern, das gelingt diesen Hanswursten". Obwohl seine volks¬
tümlichen Stücke sehr gefielen, und er auch einige vornehme Gönner fand,
scheint es ihm doch nicht zum besten gegangen zu sein. Er schreibt: „Die
Nacht hindurch arbeiten und bei Tage sich müde reden, von aller Welt ge¬
scholten, von niemand belohnt werden, nicht wissen, wann das Stück aufgeführt
werden wird, das man geschrieben hat, mit seinem Rufe mehr von Beschimpfungen
als vom Beifall abhängen — so sieht das Dichterleben aus." Man hat Ramon
den Goya des Theaters genannt.

Goya, von dem im letzten Jahre bei uns soviel die Rede gewesen ist,
war der einzige große Maler des achtzehnten Jahrhunderts in Spanien. Er
definierte die Malerei als eine Dichtkunst, die aus dem Weltall auswähle,
was für ihre Zwecke geeignet sei, und in einem Phantasiegebilde Charakter¬
züge vereinige, die die Natur an mehrere Individuen verteilt habe. Ein
echter Künstler sei nicht Kopist sondern Schöpfer. Goya kannte das Ausland,
die Welt, aber, schreibt Desdevises, er stellte mit Vorliebe Spanien dar; die
Gesamtheit seiner Werke „ist der Spiegel, in dem sich das ganze Spanien
malt; nicht bloß sein Äußeres, seine Moden, seine Sitten, sondern auch seine
Geschichte, seine Religion, seine Philosophie, seine Wünsche und seine Träume.
Ein unerschrockner Realist, scheut er vor keinem noch so rohen und abstoßenden
Gegenstande zurück, zugleich aber ist er König im Reiche des Phantastischen;
er malt Monstra, die sich wandeln wie Wolkengebilde." Mit religiösen Bildern
hat er angefangen, dann aber, nachdem er den Glauben verloren, seine Kunst
zum Werkzeug seiner pessimistischen, eigentlich nihilistischen Weltverachtung und
seiner patriotischen Satire gemacht. Ms Hofmaler hat Goya das Äußerste an
Kühnheit gewagt. „Sie sind alle da: der König (Karl der Vierte), die Königin,
der Prinz von Asturien und seine Frau Maria Antonia, seine Brüder Carlos
und Francisco, seine Schwestern Carlota Joaquina, Maria Luisa, Maria
Madel, sein Schwager der Prinz von Parma, sein Oheim Don Antonio,
seine Tante Maria Josefa. Alle in Hoftracht, mit Orden und Grand Cordon
behängt. Der Sammet, die Seidenstoffe, die Stickereien, die Edelsteine schillern
und funkeln, aber all dieser Reichtum dient nur dazu, die Häßlichkeit und
die Gemeinheit der Gesichter noch abstoßender zu machen." Das Größte, meint
Desdevises, habe Goya mit der Radiernadel geleistet. Seine satirischen Stiche
hat er mit boshaften Unterschriften versehen. Der „Friedensfürst", Godoy,


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[0204] Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert seit Lessing. Doch gab es einige spanische Dichter, die sich an die vater¬ ländischen Traditionen hielten, und deren Begabung über die der zahlreichen Dichterlinge jener Zeit hinausragte. Der bedeutendste war Ramon de la Cruz, durch und durch ein Spanier, der die ssallirM-listW verspottete, nicht wollte, „daß sein Vaterland ein frankospanischer Diphthong werde, sein Volk ein Narr, der nicht weiß, was er, vom Hut bis zu den Schuhen, morgen tragen wird; denn wenn der leichtsinnige Franzose das unterste zu oberst kehrt, machen es die spanischen Französlinge mit, und was kein Alexander fertig gebracht hätte, die Spanier zu ändern, das gelingt diesen Hanswursten". Obwohl seine volks¬ tümlichen Stücke sehr gefielen, und er auch einige vornehme Gönner fand, scheint es ihm doch nicht zum besten gegangen zu sein. Er schreibt: „Die Nacht hindurch arbeiten und bei Tage sich müde reden, von aller Welt ge¬ scholten, von niemand belohnt werden, nicht wissen, wann das Stück aufgeführt werden wird, das man geschrieben hat, mit seinem Rufe mehr von Beschimpfungen als vom Beifall abhängen — so sieht das Dichterleben aus." Man hat Ramon den Goya des Theaters genannt. Goya, von dem im letzten Jahre bei uns soviel die Rede gewesen ist, war der einzige große Maler des achtzehnten Jahrhunderts in Spanien. Er definierte die Malerei als eine Dichtkunst, die aus dem Weltall auswähle, was für ihre Zwecke geeignet sei, und in einem Phantasiegebilde Charakter¬ züge vereinige, die die Natur an mehrere Individuen verteilt habe. Ein echter Künstler sei nicht Kopist sondern Schöpfer. Goya kannte das Ausland, die Welt, aber, schreibt Desdevises, er stellte mit Vorliebe Spanien dar; die Gesamtheit seiner Werke „ist der Spiegel, in dem sich das ganze Spanien malt; nicht bloß sein Äußeres, seine Moden, seine Sitten, sondern auch seine Geschichte, seine Religion, seine Philosophie, seine Wünsche und seine Träume. Ein unerschrockner Realist, scheut er vor keinem noch so rohen und abstoßenden Gegenstande zurück, zugleich aber ist er König im Reiche des Phantastischen; er malt Monstra, die sich wandeln wie Wolkengebilde." Mit religiösen Bildern hat er angefangen, dann aber, nachdem er den Glauben verloren, seine Kunst zum Werkzeug seiner pessimistischen, eigentlich nihilistischen Weltverachtung und seiner patriotischen Satire gemacht. Ms Hofmaler hat Goya das Äußerste an Kühnheit gewagt. „Sie sind alle da: der König (Karl der Vierte), die Königin, der Prinz von Asturien und seine Frau Maria Antonia, seine Brüder Carlos und Francisco, seine Schwestern Carlota Joaquina, Maria Luisa, Maria Madel, sein Schwager der Prinz von Parma, sein Oheim Don Antonio, seine Tante Maria Josefa. Alle in Hoftracht, mit Orden und Grand Cordon behängt. Der Sammet, die Seidenstoffe, die Stickereien, die Edelsteine schillern und funkeln, aber all dieser Reichtum dient nur dazu, die Häßlichkeit und die Gemeinheit der Gesichter noch abstoßender zu machen." Das Größte, meint Desdevises, habe Goya mit der Radiernadel geleistet. Seine satirischen Stiche hat er mit boshaften Unterschriften versehen. Der „Friedensfürst", Godoy,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/204>, abgerufen am 13.06.2024.