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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Landschaftsbilder von der Rüste Norwegens

rühmten Romsdal, wo man sich plötzlich in die Schweiz versetzt glaubt; dann
mit einem Abstecher über den Moldefjord nach der alten Hauptstadt Norwegens,
nach Drontheim. Gern möchte ich von Drontheim und seinem Dom, einem
Juwel der romanischen Baukunst, erzählen, aber ich muß um so mehr darauf
verzichten, als ich es, um den Gang der landschaftlichen Schilderung nicht
zu unterbrechen, versäumt habe, von der Stadt Bergen zu sprechen, in der ich
vor der letzten Überlcmdtour einen Tag zugebracht habe.

Bergen hat im Mittelalter für uns Deutsche eine große Rolle gespielt,
als eines der hauptsächlichsten auswärtigen Kondore der Hansa. Die Hansen
haben es fertig gebracht, jahrhundertelang den ganzen Handel Norwegens
nach Bergen zu zentralisieren und sogar den eignen Landesbewohnern gegen¬
über zu monopolisieren; sie hatten dort ihre besondre mit einer Mauer um-
gebne Niederlassung mit eignem Landungskai, der jetzt noch die "Deutsche
Brücke" heißt. Die Mauer umschloß eine Kirche, die vielen Kondore und
ausgedehnten Stapelhäuser, von denen noch viele erhalten sind, dazu die Ver¬
gnügungslokale für die zur Ehelosigkeit verurteilten Hansen, Herren und Knechte.
Eins von den alten Kaufhäusern hat sich baulich so ziemlich im ursprüng¬
lichen Zustand erhalten. Es ist als "Hanseatisches Museum" eingerichtet
worden und gibt ein höchst anschauliches Bild von dem Leben und Treiben
der fleißigen, kühnen, gewalttätiger und üppigen Kaufherren und Zwingherren.
Daß man anch die weniger erfreulichen Züge des Bildes nicht übersieht, dafür
sorgt der Führer, ein junger Norweger, der ausgezeichnet Deutsch spricht. Er
zeigt die verschiednen Gewichte, die im Handel mit den Eingebornen, je
nachdem es sich um Ankauf oder Verkauf handelte, gebraucht wurden, und
weist aus den wunderschön geführten Büchern nach, wie jeder der Kontor¬
herren seine Fischer durch ein richtiges Sweatingsystem in dauernder Abhängig¬
keit erhielt, d. h. die Leute wurden nie ganz ausbezahlt und mußten zum Teil
Waren an Zahlungsstatt nehmen.

In Drontheim endigt die sogenannte Fjordtour. Noch an demselben
Tage trat ich auf einem andern Schiff die eigentliche Nordlandreise an.

Wenn ich meinen Eindruck über den Charakter des Pflanzenkleides der
bisher durchmessenen Strecke schildern soll, so kann ich nur sagen, daß sich in
dem, was ich gesehen habe, kein irgendwie auffälliger Unterschied gegenüber
unsrer Flora aufdrängt. Das einzige, was immer wieder auffiel, war das
häufige Vorkommen der Traubenkriche ^runus?Aauh), die übrigens allgemein
von einer Blattkrankheit befallen war, sodaß die Sträucher und die Bäume
schlecht aussahen, namentlich an den Zweigenden, wo die Mütter rot oder
braun verfärbt und vielfach aufgerollt waren. Ich darf aber nicht unterlassen,
darauf hinzuweisen, daß ich die Flora des Fjelds, die Flora der Tundra, nicht
sehen konnte, weil auf dem Fjeld noch alles mit Schnee bedeckt war.

Am Abend des 19. Juni 1905 steuerten wir auf dem Dampfer Neptun
weiter nach Norden. Das Wetter war nicht mehr so prächtig, und die Auf-


Landschaftsbilder von der Rüste Norwegens

rühmten Romsdal, wo man sich plötzlich in die Schweiz versetzt glaubt; dann
mit einem Abstecher über den Moldefjord nach der alten Hauptstadt Norwegens,
nach Drontheim. Gern möchte ich von Drontheim und seinem Dom, einem
Juwel der romanischen Baukunst, erzählen, aber ich muß um so mehr darauf
verzichten, als ich es, um den Gang der landschaftlichen Schilderung nicht
zu unterbrechen, versäumt habe, von der Stadt Bergen zu sprechen, in der ich
vor der letzten Überlcmdtour einen Tag zugebracht habe.

Bergen hat im Mittelalter für uns Deutsche eine große Rolle gespielt,
als eines der hauptsächlichsten auswärtigen Kondore der Hansa. Die Hansen
haben es fertig gebracht, jahrhundertelang den ganzen Handel Norwegens
nach Bergen zu zentralisieren und sogar den eignen Landesbewohnern gegen¬
über zu monopolisieren; sie hatten dort ihre besondre mit einer Mauer um-
gebne Niederlassung mit eignem Landungskai, der jetzt noch die „Deutsche
Brücke" heißt. Die Mauer umschloß eine Kirche, die vielen Kondore und
ausgedehnten Stapelhäuser, von denen noch viele erhalten sind, dazu die Ver¬
gnügungslokale für die zur Ehelosigkeit verurteilten Hansen, Herren und Knechte.
Eins von den alten Kaufhäusern hat sich baulich so ziemlich im ursprüng¬
lichen Zustand erhalten. Es ist als „Hanseatisches Museum" eingerichtet
worden und gibt ein höchst anschauliches Bild von dem Leben und Treiben
der fleißigen, kühnen, gewalttätiger und üppigen Kaufherren und Zwingherren.
Daß man anch die weniger erfreulichen Züge des Bildes nicht übersieht, dafür
sorgt der Führer, ein junger Norweger, der ausgezeichnet Deutsch spricht. Er
zeigt die verschiednen Gewichte, die im Handel mit den Eingebornen, je
nachdem es sich um Ankauf oder Verkauf handelte, gebraucht wurden, und
weist aus den wunderschön geführten Büchern nach, wie jeder der Kontor¬
herren seine Fischer durch ein richtiges Sweatingsystem in dauernder Abhängig¬
keit erhielt, d. h. die Leute wurden nie ganz ausbezahlt und mußten zum Teil
Waren an Zahlungsstatt nehmen.

In Drontheim endigt die sogenannte Fjordtour. Noch an demselben
Tage trat ich auf einem andern Schiff die eigentliche Nordlandreise an.

Wenn ich meinen Eindruck über den Charakter des Pflanzenkleides der
bisher durchmessenen Strecke schildern soll, so kann ich nur sagen, daß sich in
dem, was ich gesehen habe, kein irgendwie auffälliger Unterschied gegenüber
unsrer Flora aufdrängt. Das einzige, was immer wieder auffiel, war das
häufige Vorkommen der Traubenkriche ^runus?Aauh), die übrigens allgemein
von einer Blattkrankheit befallen war, sodaß die Sträucher und die Bäume
schlecht aussahen, namentlich an den Zweigenden, wo die Mütter rot oder
braun verfärbt und vielfach aufgerollt waren. Ich darf aber nicht unterlassen,
darauf hinzuweisen, daß ich die Flora des Fjelds, die Flora der Tundra, nicht
sehen konnte, weil auf dem Fjeld noch alles mit Schnee bedeckt war.

Am Abend des 19. Juni 1905 steuerten wir auf dem Dampfer Neptun
weiter nach Norden. Das Wetter war nicht mehr so prächtig, und die Auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/475>, abgerufen am 21.05.2024.