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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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In der Residenz zu Aleinhausen

Hat es wohl auch gefühlt? fiel Robert lächelnd ein. Ja, Mutter, aber es
würde die ganze Farbenwirkung zerreißen -- und dann -- es gibt doch auch
nichts Schöneres als den menschlichen Körper!

Jösfes, Robbert! Sag so was nur nit bei de Leut oder gar bei der Fürschtin
heut Abend! Und erregt löffelte sie ihre aufgeweichte Semmel aus der Tasse.

Aber dann tu ihne doch wenigschdens was um. Ich mein so, wie ichs drin
im Salon bei unsrer statu gmcicht hab! Und sie deutete durch die offne Tür
auf das kleine Gipsfigürchen, das mit einer schwarzen Sammetbinde um die Hüften,
traurig unter seiner weißen Gazehülle, die zum Schutz gegen die Fliegen um sie
gelegt war, hervorsah.

Robert stand auf. Die niedere Stubendecke fing an, ihm wie Blei auf das
Hirn herabzudrücken. Da polterte es an der Tür -- sein Vater trat ein.

Ja, disch du schon zrück, Vatterle?

Der Alte antwortete nicht. Mit harten Schritten stieg er durchs Zimmer, daß
die Einmachegläser auf dem Schrank aneinander klirrten. Sein Gesicht war blaß -- die
roten Hände griffen zuckend in die Luft.

Vater, um Gottes willen, was ist passiert?

Nichts ist passiert! Aus ists! Und er warf sich keuchend in die Sofaecke.

So red doch, red doch, Vatter!

Meinen Namen soll ich unterschreiben unter ein Schriftstück, das ich mit
meiner Ehr nit verantworten kann! Er wills -- der . . .! Alle andern Herren
haben unterschrieben. Ne Dank- und Huldigungsadresse ists für den Minister, ehe
er in die andre Residenz hinüberzieht. Sein Sekretär, der verkrachte Pole, hat sie
aufgesetzt und in Umlauf gebracht. Von der aufrichtigen Trauer, daß er bald ab¬
reist, ist die Red, von leuchtendem Vorbild, selbstloser Pflichterfüllung, von Edel¬
sinn -- so gehts weiter, immer dicker, ganz unglaublich!

Ich sag dem Sekretär, das unterschreib ich nicht; wozu der Herr Minister
die Adreß nötig hätt. Auf die Bemerkung hin läßt mich der Minister kommen,
fragt mich nach längern Redensarten ganz einfach, ob ich unterschreiben will oder
nicht. Jetzt erfordere es seine Ehre, daß ich meine Bemerkungen auf diese Weise
gut mache. Er "volle meine Weigerung vergessen, aber -- Sie wissen, mein lieber
Forstmeister, daß Ihre Stellung seit letztem Winter so wie so auf etwas wackligen
Füßen steht. Ihr Alter kommt hinzu, eine jüngere Kraft wäre längst erwünscht,
überlegen Sie sich den Fall.

Ich bin gegangen; hab aber gesagt, ich brauche nichts zu überlegen.

Jösses, Vatter! Vatter! Laut weinend schlug die Frau die Hände zusammen,
so unterschreibs doch, 's wird ja nit so drauf ankomme! Häng doch der Mantel
K bissel mehr nach 'in Wind!

Weib! brüllte der Alte und donnerte mit der Faust auf den Tisch, daß der
Kaffeedeckel ab und in tausend Scherben zu Boden flog.

Robert legte seinem Vater ruhig den Arm um die Schulter. Komm, Vater.
Natürlich unterschreibst du es nicht. Jetzt trink aber mal erst deinen Kaffee. Dann
laß uns einen Gang in die Wiesen machen und besprich mit mir alles ausführlich.
Wir wollen sehen, was zu tun ist.

(Schluß folgt)




In der Residenz zu Aleinhausen

Hat es wohl auch gefühlt? fiel Robert lächelnd ein. Ja, Mutter, aber es
würde die ganze Farbenwirkung zerreißen — und dann — es gibt doch auch
nichts Schöneres als den menschlichen Körper!

Jösfes, Robbert! Sag so was nur nit bei de Leut oder gar bei der Fürschtin
heut Abend! Und erregt löffelte sie ihre aufgeweichte Semmel aus der Tasse.

Aber dann tu ihne doch wenigschdens was um. Ich mein so, wie ichs drin
im Salon bei unsrer statu gmcicht hab! Und sie deutete durch die offne Tür
auf das kleine Gipsfigürchen, das mit einer schwarzen Sammetbinde um die Hüften,
traurig unter seiner weißen Gazehülle, die zum Schutz gegen die Fliegen um sie
gelegt war, hervorsah.

Robert stand auf. Die niedere Stubendecke fing an, ihm wie Blei auf das
Hirn herabzudrücken. Da polterte es an der Tür — sein Vater trat ein.

Ja, disch du schon zrück, Vatterle?

Der Alte antwortete nicht. Mit harten Schritten stieg er durchs Zimmer, daß
die Einmachegläser auf dem Schrank aneinander klirrten. Sein Gesicht war blaß — die
roten Hände griffen zuckend in die Luft.

Vater, um Gottes willen, was ist passiert?

Nichts ist passiert! Aus ists! Und er warf sich keuchend in die Sofaecke.

So red doch, red doch, Vatter!

Meinen Namen soll ich unterschreiben unter ein Schriftstück, das ich mit
meiner Ehr nit verantworten kann! Er wills — der . . .! Alle andern Herren
haben unterschrieben. Ne Dank- und Huldigungsadresse ists für den Minister, ehe
er in die andre Residenz hinüberzieht. Sein Sekretär, der verkrachte Pole, hat sie
aufgesetzt und in Umlauf gebracht. Von der aufrichtigen Trauer, daß er bald ab¬
reist, ist die Red, von leuchtendem Vorbild, selbstloser Pflichterfüllung, von Edel¬
sinn — so gehts weiter, immer dicker, ganz unglaublich!

Ich sag dem Sekretär, das unterschreib ich nicht; wozu der Herr Minister
die Adreß nötig hätt. Auf die Bemerkung hin läßt mich der Minister kommen,
fragt mich nach längern Redensarten ganz einfach, ob ich unterschreiben will oder
nicht. Jetzt erfordere es seine Ehre, daß ich meine Bemerkungen auf diese Weise
gut mache. Er »volle meine Weigerung vergessen, aber — Sie wissen, mein lieber
Forstmeister, daß Ihre Stellung seit letztem Winter so wie so auf etwas wackligen
Füßen steht. Ihr Alter kommt hinzu, eine jüngere Kraft wäre längst erwünscht,
überlegen Sie sich den Fall.

Ich bin gegangen; hab aber gesagt, ich brauche nichts zu überlegen.

Jösses, Vatter! Vatter! Laut weinend schlug die Frau die Hände zusammen,
so unterschreibs doch, 's wird ja nit so drauf ankomme! Häng doch der Mantel
K bissel mehr nach 'in Wind!

Weib! brüllte der Alte und donnerte mit der Faust auf den Tisch, daß der
Kaffeedeckel ab und in tausend Scherben zu Boden flog.

Robert legte seinem Vater ruhig den Arm um die Schulter. Komm, Vater.
Natürlich unterschreibst du es nicht. Jetzt trink aber mal erst deinen Kaffee. Dann
laß uns einen Gang in die Wiesen machen und besprich mit mir alles ausführlich.
Wir wollen sehen, was zu tun ist.

(Schluß folgt)




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[0231] In der Residenz zu Aleinhausen Hat es wohl auch gefühlt? fiel Robert lächelnd ein. Ja, Mutter, aber es würde die ganze Farbenwirkung zerreißen — und dann — es gibt doch auch nichts Schöneres als den menschlichen Körper! Jösfes, Robbert! Sag so was nur nit bei de Leut oder gar bei der Fürschtin heut Abend! Und erregt löffelte sie ihre aufgeweichte Semmel aus der Tasse. Aber dann tu ihne doch wenigschdens was um. Ich mein so, wie ichs drin im Salon bei unsrer statu gmcicht hab! Und sie deutete durch die offne Tür auf das kleine Gipsfigürchen, das mit einer schwarzen Sammetbinde um die Hüften, traurig unter seiner weißen Gazehülle, die zum Schutz gegen die Fliegen um sie gelegt war, hervorsah. Robert stand auf. Die niedere Stubendecke fing an, ihm wie Blei auf das Hirn herabzudrücken. Da polterte es an der Tür — sein Vater trat ein. Ja, disch du schon zrück, Vatterle? Der Alte antwortete nicht. Mit harten Schritten stieg er durchs Zimmer, daß die Einmachegläser auf dem Schrank aneinander klirrten. Sein Gesicht war blaß — die roten Hände griffen zuckend in die Luft. Vater, um Gottes willen, was ist passiert? Nichts ist passiert! Aus ists! Und er warf sich keuchend in die Sofaecke. So red doch, red doch, Vatter! Meinen Namen soll ich unterschreiben unter ein Schriftstück, das ich mit meiner Ehr nit verantworten kann! Er wills — der . . .! Alle andern Herren haben unterschrieben. Ne Dank- und Huldigungsadresse ists für den Minister, ehe er in die andre Residenz hinüberzieht. Sein Sekretär, der verkrachte Pole, hat sie aufgesetzt und in Umlauf gebracht. Von der aufrichtigen Trauer, daß er bald ab¬ reist, ist die Red, von leuchtendem Vorbild, selbstloser Pflichterfüllung, von Edel¬ sinn — so gehts weiter, immer dicker, ganz unglaublich! Ich sag dem Sekretär, das unterschreib ich nicht; wozu der Herr Minister die Adreß nötig hätt. Auf die Bemerkung hin läßt mich der Minister kommen, fragt mich nach längern Redensarten ganz einfach, ob ich unterschreiben will oder nicht. Jetzt erfordere es seine Ehre, daß ich meine Bemerkungen auf diese Weise gut mache. Er »volle meine Weigerung vergessen, aber — Sie wissen, mein lieber Forstmeister, daß Ihre Stellung seit letztem Winter so wie so auf etwas wackligen Füßen steht. Ihr Alter kommt hinzu, eine jüngere Kraft wäre längst erwünscht, überlegen Sie sich den Fall. Ich bin gegangen; hab aber gesagt, ich brauche nichts zu überlegen. Jösses, Vatter! Vatter! Laut weinend schlug die Frau die Hände zusammen, so unterschreibs doch, 's wird ja nit so drauf ankomme! Häng doch der Mantel K bissel mehr nach 'in Wind! Weib! brüllte der Alte und donnerte mit der Faust auf den Tisch, daß der Kaffeedeckel ab und in tausend Scherben zu Boden flog. Robert legte seinem Vater ruhig den Arm um die Schulter. Komm, Vater. Natürlich unterschreibst du es nicht. Jetzt trink aber mal erst deinen Kaffee. Dann laß uns einen Gang in die Wiesen machen und besprich mit mir alles ausführlich. Wir wollen sehen, was zu tun ist. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/231>, abgerufen am 15.05.2024.