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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Bernstorffs

mußten so handeln, auch der ernsthafte Kaunitz-Nietberg. der spätere Minister
der tugendhaften Maria Theresia; denn der Weg zu Einfluß und Macht ging
damals in Frankreich durch die Gunst der königlichen Maitresse. Auffallender
ist es. daß Bernstorff auch in seinen amtlichen und privaten Korrespondenzen
von ihr mit einer gewissen Achtung spricht: eine wirkliche Leidenschaft sei die
Quelle ihres Unglücks und ihres Fehltritts, ihr Charakter sei übrigens "gut
und sanft". Auch imponierte sie ihm als Beschützerin der Künstler und Schrift¬
steller. "Sie interessierte sich für die Erneuerung von Frankreichs Kunst¬
industrie und schuf in Vincennes eine Porzellanfabrik, die später nach Sevres
verlegt Porzellan hervorbrachte, das Meißens und Chinas feinste Ware über¬
traf. Der Gedanke dieser siegreichen Konkurrenz hatte Madame de Pompadour
begeistert; es war ein halb ökonomisch-patriotisches, halb künstlerisches Streben,
das Bernstorff später nachahmte."

Wenn man Bernstorff inmitten dieser Sphäre als den überall wohl-
gelittnen, in die intimsten Hofzirkel eingeführten Mann der Gesellschaft sieht,
könnte man wohl auf den Gedanken kommen, daß er in Paris bis zu dem¬
selben Grade zum Franzosen geworden sei, wie ein Menschenalter später der
Prinz Xaver von Sachsen und Prinz Heinrich von Preußen. Aber das ist
nicht so. Er gab sich mit ästhetischem Behagen den feinen Genüssen der fran¬
zösischen Gesellschaft hin, aber stand ihr -- mit einer einzigen Ausnahme --
innerlich kühl gegenüber. Als er später seinen Neffen Andreas Peter Bernstorff
an die Herzoginnen Boufflers und La Balliere empfahl, schrieb er ihm ins¬
geheim: "Laß Dich nicht von ihrer Moral verführen; nicht in dieser Beziehung
kann ich sie loben und lieben. Beklage ihre Unkenntnis der wahren Güter,
aber ziehe Vorteil aus den großen Vorzügen ihres Geistes." Bernstorff blieb
-- und das macht uns seine Gestalt besonders anziehend -- auch in Paris
unter der Hülle des vollkommnen Galcmtuomo ein rechtschaffner, frommer
Deutscher. Im unberührten Mittelpunkt seines Lebens stehn die Begriffe:
Arbeit, Pflichterfüllung und Religion. Er sieht in den literarischen und
Philosophischen Größen der Aufklärung und des Deismus "strahlende und
gefeierte Geister, die verbrecherisch und verderblich ihr Genie dazu gebrauchen,
die Autorität des Glaubens zum Wanken zu bringen". Woher kam ihm
solche Festigkeit? Sie kam aus den unverrückbaren Eindrücken seiner Jugend
und Erziehung, aus dem ununterbrochnem Strom altlutherischer, deutscher
Frömmigkeit, der in dem mit den Geschwistern auf Gartow unterhaltnen Brief¬
wechsel aus der Heimat in sein Leben rauschte, sie kam endlich aus seinem
Verhältnis zur Marschallin Belle-Jsle. die sich "unaffektiert und äouos, stiller
und milder" als die meisten vornehmen Französinnen jener Zeit auch in
innerlichem Gegensatz zu den Heldinnen der damaligen Salons fühlte. Sie
und Bernstorff trafen "als gläubige Katholikin und gläubiger Protestant im
Kernpunkte ihrer Lebensanschauungen zusammen". Sie war ihm die Heimat
in der Fremde, und von hier aus versteht man erst völlig das zarte Urteil,


Die Bernstorffs

mußten so handeln, auch der ernsthafte Kaunitz-Nietberg. der spätere Minister
der tugendhaften Maria Theresia; denn der Weg zu Einfluß und Macht ging
damals in Frankreich durch die Gunst der königlichen Maitresse. Auffallender
ist es. daß Bernstorff auch in seinen amtlichen und privaten Korrespondenzen
von ihr mit einer gewissen Achtung spricht: eine wirkliche Leidenschaft sei die
Quelle ihres Unglücks und ihres Fehltritts, ihr Charakter sei übrigens „gut
und sanft". Auch imponierte sie ihm als Beschützerin der Künstler und Schrift¬
steller. „Sie interessierte sich für die Erneuerung von Frankreichs Kunst¬
industrie und schuf in Vincennes eine Porzellanfabrik, die später nach Sevres
verlegt Porzellan hervorbrachte, das Meißens und Chinas feinste Ware über¬
traf. Der Gedanke dieser siegreichen Konkurrenz hatte Madame de Pompadour
begeistert; es war ein halb ökonomisch-patriotisches, halb künstlerisches Streben,
das Bernstorff später nachahmte."

Wenn man Bernstorff inmitten dieser Sphäre als den überall wohl-
gelittnen, in die intimsten Hofzirkel eingeführten Mann der Gesellschaft sieht,
könnte man wohl auf den Gedanken kommen, daß er in Paris bis zu dem¬
selben Grade zum Franzosen geworden sei, wie ein Menschenalter später der
Prinz Xaver von Sachsen und Prinz Heinrich von Preußen. Aber das ist
nicht so. Er gab sich mit ästhetischem Behagen den feinen Genüssen der fran¬
zösischen Gesellschaft hin, aber stand ihr — mit einer einzigen Ausnahme —
innerlich kühl gegenüber. Als er später seinen Neffen Andreas Peter Bernstorff
an die Herzoginnen Boufflers und La Balliere empfahl, schrieb er ihm ins¬
geheim: „Laß Dich nicht von ihrer Moral verführen; nicht in dieser Beziehung
kann ich sie loben und lieben. Beklage ihre Unkenntnis der wahren Güter,
aber ziehe Vorteil aus den großen Vorzügen ihres Geistes." Bernstorff blieb
— und das macht uns seine Gestalt besonders anziehend — auch in Paris
unter der Hülle des vollkommnen Galcmtuomo ein rechtschaffner, frommer
Deutscher. Im unberührten Mittelpunkt seines Lebens stehn die Begriffe:
Arbeit, Pflichterfüllung und Religion. Er sieht in den literarischen und
Philosophischen Größen der Aufklärung und des Deismus „strahlende und
gefeierte Geister, die verbrecherisch und verderblich ihr Genie dazu gebrauchen,
die Autorität des Glaubens zum Wanken zu bringen". Woher kam ihm
solche Festigkeit? Sie kam aus den unverrückbaren Eindrücken seiner Jugend
und Erziehung, aus dem ununterbrochnem Strom altlutherischer, deutscher
Frömmigkeit, der in dem mit den Geschwistern auf Gartow unterhaltnen Brief¬
wechsel aus der Heimat in sein Leben rauschte, sie kam endlich aus seinem
Verhältnis zur Marschallin Belle-Jsle. die sich „unaffektiert und äouos, stiller
und milder" als die meisten vornehmen Französinnen jener Zeit auch in
innerlichem Gegensatz zu den Heldinnen der damaligen Salons fühlte. Sie
und Bernstorff trafen „als gläubige Katholikin und gläubiger Protestant im
Kernpunkte ihrer Lebensanschauungen zusammen". Sie war ihm die Heimat
in der Fremde, und von hier aus versteht man erst völlig das zarte Urteil,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/255>, abgerufen am 11.06.2024.