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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Bernstorffs

das Bernstorff über sie fällte: sie habe keinen Körper, sondern nur einen
Schleier, der ihre Seele verhülle.

Aber nicht nur in religiöser Hinsicht bewahrte Bernstorff das Erbgut der
Heimat. Bei aller Hinneigung zum französischen Esprit und zur englischen
Philosophie behielt er auch für die deutsche Literatur ein lebhaftes Interesse.
Dieser suchte er auch in Dänemark eine Heimstätte zu bereiten. Freilich mußte
diese Literatur erst geschaffen werden, wenigstens die dramatische. "Leider, schrieb
er dem dänischen Minister Grafen Berckentin, haben wir sin Deutschlands keinen
Hof, der daran denkt, diesen Teil der Literatur zu ermutigen und der Nation
die Berühmtheit zu verschaffen, die eine Frucht solcher Bestrebungen sein
würde. Wir versteh" nur, die Ausländer und ihre Werke zu bewundern und
bestreben uns sogar zu glauben, daß wir selbst und unsre Sprache außerstande
seien, Gedanken zu bilden und auszudrücken, die den ihrigen gleichkommen.
Ich möchte wohl, daß man dies ungerechte und demütigende Vorurteil aus¬
rotten könnte, aber ich wage nicht es zu hoffen." Da schickte ihm 1746 Graf
Berckentin das Schauspiel "Canut", ein Werk des nach Dänemark übergesiedelten
Sachsen Johann Elias Schlegel, und Bernstorff fand dieses Stück würdig,
unter die besten Theaterstücke aller Völker gerechnet zu werden, und hoffte,
daß Schlegel den Namen eines deutschen Corneille erwerben könne. Noch in
Paris wurde Bernstorff auf Klopstock aufmerksam, indem ihm sein Legations¬
prediger Schreiber die drei ersten Gesänge des "Messias" zu lesen gab. Sofort
formte sich in Bernstorff der Gedanke, auch diesen vielversprechenden Dichter
nach Dänemark zu verpflanzen. Da traf Bernstorff im Anfang des Jahres 1750
die schon längst erwartete bestimmte Nachricht, daß ihn der seit 1746 regierende
junge König Friedrich der Fünfte aus Paris abberufe, damit er Minister
im Kopenhagner Staatsrat werde. Nur sehr schwer riß sich Bernstorff von
Paris los, wo ihn so vieles fesselte, noch schwerer gewöhnte er sich an den
Gedanken, künftig als Minister in Kopenhagen seine Wohnung zu nehmen.
Aber das liebenswürdige Zureden des Königs bewog ihn schließlich, am
14. Mai 1751 als Minister des Äußern und Chef der deutschen Kanzlei in
das Conseil einzutreten. Noch in demselben Jahre, am 27. Dezember 1751,
verheiratete sich der neununddreißigjährige Mann mit der neunzehnjährigen
nicht eben schönen, aber liebenswürdigen und reichen Charitas Emilie von Buch¬
wald. Maßgebend war bei diesem Entschlüsse wohl der Wunsch, für die in
Paris in befreundeter Familie genossene Häuslichkeit irgendwelchen Ersatz zu
finden. "Wehmütig schrieben Madame de Belle-Jsle und andre seiner fran¬
zösischen Freunde, sie sähen ein, daß nun von der Rückkehr Bernstorffs zu
ihnen nicht mehr die Rede sein könne." In der Tat hatte sich Bernstorff
nunmehr durch Amt und Familie an Dänemark gebunden. Der zweite größere
Zeitraum seines Wirkens begann, doch von ihm berichtet der vorliegende erste
Band des Friisschen Werkes noch nicht. Die letzten Kapitel des Buches be¬
handeln vielmehr das Leben des ältern Bruders Andreas Gottlieb auf Gartow


Die Bernstorffs

das Bernstorff über sie fällte: sie habe keinen Körper, sondern nur einen
Schleier, der ihre Seele verhülle.

Aber nicht nur in religiöser Hinsicht bewahrte Bernstorff das Erbgut der
Heimat. Bei aller Hinneigung zum französischen Esprit und zur englischen
Philosophie behielt er auch für die deutsche Literatur ein lebhaftes Interesse.
Dieser suchte er auch in Dänemark eine Heimstätte zu bereiten. Freilich mußte
diese Literatur erst geschaffen werden, wenigstens die dramatische. „Leider, schrieb
er dem dänischen Minister Grafen Berckentin, haben wir sin Deutschlands keinen
Hof, der daran denkt, diesen Teil der Literatur zu ermutigen und der Nation
die Berühmtheit zu verschaffen, die eine Frucht solcher Bestrebungen sein
würde. Wir versteh» nur, die Ausländer und ihre Werke zu bewundern und
bestreben uns sogar zu glauben, daß wir selbst und unsre Sprache außerstande
seien, Gedanken zu bilden und auszudrücken, die den ihrigen gleichkommen.
Ich möchte wohl, daß man dies ungerechte und demütigende Vorurteil aus¬
rotten könnte, aber ich wage nicht es zu hoffen." Da schickte ihm 1746 Graf
Berckentin das Schauspiel „Canut", ein Werk des nach Dänemark übergesiedelten
Sachsen Johann Elias Schlegel, und Bernstorff fand dieses Stück würdig,
unter die besten Theaterstücke aller Völker gerechnet zu werden, und hoffte,
daß Schlegel den Namen eines deutschen Corneille erwerben könne. Noch in
Paris wurde Bernstorff auf Klopstock aufmerksam, indem ihm sein Legations¬
prediger Schreiber die drei ersten Gesänge des „Messias" zu lesen gab. Sofort
formte sich in Bernstorff der Gedanke, auch diesen vielversprechenden Dichter
nach Dänemark zu verpflanzen. Da traf Bernstorff im Anfang des Jahres 1750
die schon längst erwartete bestimmte Nachricht, daß ihn der seit 1746 regierende
junge König Friedrich der Fünfte aus Paris abberufe, damit er Minister
im Kopenhagner Staatsrat werde. Nur sehr schwer riß sich Bernstorff von
Paris los, wo ihn so vieles fesselte, noch schwerer gewöhnte er sich an den
Gedanken, künftig als Minister in Kopenhagen seine Wohnung zu nehmen.
Aber das liebenswürdige Zureden des Königs bewog ihn schließlich, am
14. Mai 1751 als Minister des Äußern und Chef der deutschen Kanzlei in
das Conseil einzutreten. Noch in demselben Jahre, am 27. Dezember 1751,
verheiratete sich der neununddreißigjährige Mann mit der neunzehnjährigen
nicht eben schönen, aber liebenswürdigen und reichen Charitas Emilie von Buch¬
wald. Maßgebend war bei diesem Entschlüsse wohl der Wunsch, für die in
Paris in befreundeter Familie genossene Häuslichkeit irgendwelchen Ersatz zu
finden. „Wehmütig schrieben Madame de Belle-Jsle und andre seiner fran¬
zösischen Freunde, sie sähen ein, daß nun von der Rückkehr Bernstorffs zu
ihnen nicht mehr die Rede sein könne." In der Tat hatte sich Bernstorff
nunmehr durch Amt und Familie an Dänemark gebunden. Der zweite größere
Zeitraum seines Wirkens begann, doch von ihm berichtet der vorliegende erste
Band des Friisschen Werkes noch nicht. Die letzten Kapitel des Buches be¬
handeln vielmehr das Leben des ältern Bruders Andreas Gottlieb auf Gartow


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[0256] Die Bernstorffs das Bernstorff über sie fällte: sie habe keinen Körper, sondern nur einen Schleier, der ihre Seele verhülle. Aber nicht nur in religiöser Hinsicht bewahrte Bernstorff das Erbgut der Heimat. Bei aller Hinneigung zum französischen Esprit und zur englischen Philosophie behielt er auch für die deutsche Literatur ein lebhaftes Interesse. Dieser suchte er auch in Dänemark eine Heimstätte zu bereiten. Freilich mußte diese Literatur erst geschaffen werden, wenigstens die dramatische. „Leider, schrieb er dem dänischen Minister Grafen Berckentin, haben wir sin Deutschlands keinen Hof, der daran denkt, diesen Teil der Literatur zu ermutigen und der Nation die Berühmtheit zu verschaffen, die eine Frucht solcher Bestrebungen sein würde. Wir versteh» nur, die Ausländer und ihre Werke zu bewundern und bestreben uns sogar zu glauben, daß wir selbst und unsre Sprache außerstande seien, Gedanken zu bilden und auszudrücken, die den ihrigen gleichkommen. Ich möchte wohl, daß man dies ungerechte und demütigende Vorurteil aus¬ rotten könnte, aber ich wage nicht es zu hoffen." Da schickte ihm 1746 Graf Berckentin das Schauspiel „Canut", ein Werk des nach Dänemark übergesiedelten Sachsen Johann Elias Schlegel, und Bernstorff fand dieses Stück würdig, unter die besten Theaterstücke aller Völker gerechnet zu werden, und hoffte, daß Schlegel den Namen eines deutschen Corneille erwerben könne. Noch in Paris wurde Bernstorff auf Klopstock aufmerksam, indem ihm sein Legations¬ prediger Schreiber die drei ersten Gesänge des „Messias" zu lesen gab. Sofort formte sich in Bernstorff der Gedanke, auch diesen vielversprechenden Dichter nach Dänemark zu verpflanzen. Da traf Bernstorff im Anfang des Jahres 1750 die schon längst erwartete bestimmte Nachricht, daß ihn der seit 1746 regierende junge König Friedrich der Fünfte aus Paris abberufe, damit er Minister im Kopenhagner Staatsrat werde. Nur sehr schwer riß sich Bernstorff von Paris los, wo ihn so vieles fesselte, noch schwerer gewöhnte er sich an den Gedanken, künftig als Minister in Kopenhagen seine Wohnung zu nehmen. Aber das liebenswürdige Zureden des Königs bewog ihn schließlich, am 14. Mai 1751 als Minister des Äußern und Chef der deutschen Kanzlei in das Conseil einzutreten. Noch in demselben Jahre, am 27. Dezember 1751, verheiratete sich der neununddreißigjährige Mann mit der neunzehnjährigen nicht eben schönen, aber liebenswürdigen und reichen Charitas Emilie von Buch¬ wald. Maßgebend war bei diesem Entschlüsse wohl der Wunsch, für die in Paris in befreundeter Familie genossene Häuslichkeit irgendwelchen Ersatz zu finden. „Wehmütig schrieben Madame de Belle-Jsle und andre seiner fran¬ zösischen Freunde, sie sähen ein, daß nun von der Rückkehr Bernstorffs zu ihnen nicht mehr die Rede sein könne." In der Tat hatte sich Bernstorff nunmehr durch Amt und Familie an Dänemark gebunden. Der zweite größere Zeitraum seines Wirkens begann, doch von ihm berichtet der vorliegende erste Band des Friisschen Werkes noch nicht. Die letzten Kapitel des Buches be¬ handeln vielmehr das Leben des ältern Bruders Andreas Gottlieb auf Gartow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/256>, abgerufen am 15.05.2024.