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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Volks- und Bauernkunst

Schönheit an Feste des Lebens erinnern und sonst nicht zur Verwendung
kommen. Hochzeitsgeschirre, Braut- und Bräutigamsstuhl, allerhand geschnitzte
und bemalte Symbole, die eine solche Beziehung ausdrücken und an vielen
Dingen des Alltags anzutreffen sind. Kein Gegenstand bäuerlicher Hand¬
arbeit ist zu gering, jeder offenbart irgendeine interessante Besonderheit.

Dieses und vieles andre mag der Kunstwandrer auf dem Lande heute
noch antreffen, aber er wird auch viele minder erfreuliche Zeichen des Wandels
und des Niedergangs finden. Sollte die alte reiche Bauernkultur wirklich im
Aussterben begriffen sein? Es ist nicht zu glauben und auch nicht zu
wünschen. Aber es muß endlich einmal etwas geschehen, das Vorhandne vor der
Vernichtung und der Verschleppung zu schützen und der bäuerlichen Be¬
völkerung wieder die Freude und die Anhänglichkeit an der heimischen und
angestammten Art zu geben, die vielfach einer demoralisierenden Stadtsucht in
Kleidung, Sitten und Lebensart Platz gemacht hat.

Damit wird auch die bei uns wichtige Frage des Heimatschutzes aufge¬
rollt. Ist es nicht sündhaft und schändlich, wie mit den alten Gütern draußen
auf dem Lande aufgeräumt wird? Legt nicht jede winzige Sommerfrische einen
Ehrgeiz darein, mit "städtischem Komfort" zu prunken? Wenn es nur wirk¬
licher Komfort wäre! Wie aber sieht es damit in Wahrheit aus? Der
Bauer wandelt sein Haus für die Sommerfrischler um, klebt ihm eine protzige
Zinshausfassade an, läßt große Fenster einsetzen, die das einst so behäbige,
wohlbehütete Heim jedem Witterungswechsel, im Sommer der Hitze, im Winter
der Kälte und der Feuchtigkeit preisgeben, und schafft auf diese Weise die
elenden, unwirtlichen Hundelöcher, die als "Sommerwohnung" um teures
Geld angepriesen werden. Im alten Bauernhause gab es wirklichen Komfort,
es war ein Behagen, darinnen zu leben. Nun aber will jedes Dorf städtisch
sein, auf die billigste und schlechteste Art natürlich. Die Bauspekulation stellt
kleine Schablonen unsrer städtischen Mietkasernenarchitektur hin, der Dorf¬
wirt tauft sein Lokal "Restauration" und tauft dementsprechend seinen Wein,
für die Stadtleut ist alles gut; der Verschönerungsverein ruht nicht eher, bis
im Dorfe und seiner Umgebung "städtische Parkanlagen" als armselige Kari¬
katuren und lächerliche Surrogate der freien Natur entstehn. Es ist nun
wirklich schon dringend notwendig, daß wir uns mit dem "Heimatschutz" be¬
fassen, der ganz leicht zu organisieren ist. Es wohnen doch so viele ge¬
bildete Menschen auf dem Lande: Geistliche, Lehrer, Arzte, Apotheker, Guts¬
besitzer, eine Unzahl Naturfreunde, Touristen usw. gehn ins Freie, deren Ob¬
sorge es sein könnte, das Bestehende vor dem Wandalismus des Unverstands
zu schützen, alle Einzelheiten zu zeichnen und zu malen -- es wird ja soviel
gezeichnet und gemalt, das ziemlich überflüssig ist --, kleine Ortsmuseen an¬
zulegen, die der Dorfjugend und den andern Einwohnern die Beispiele der
Kunstgeschicklichkeit ihrer Vorfahren vor Augen halten, um solcherart die Er¬
haltung der Tradition und die Stärkung des Heimatgefühls zu erreichen.


Deutsche Volks- und Bauernkunst

Schönheit an Feste des Lebens erinnern und sonst nicht zur Verwendung
kommen. Hochzeitsgeschirre, Braut- und Bräutigamsstuhl, allerhand geschnitzte
und bemalte Symbole, die eine solche Beziehung ausdrücken und an vielen
Dingen des Alltags anzutreffen sind. Kein Gegenstand bäuerlicher Hand¬
arbeit ist zu gering, jeder offenbart irgendeine interessante Besonderheit.

Dieses und vieles andre mag der Kunstwandrer auf dem Lande heute
noch antreffen, aber er wird auch viele minder erfreuliche Zeichen des Wandels
und des Niedergangs finden. Sollte die alte reiche Bauernkultur wirklich im
Aussterben begriffen sein? Es ist nicht zu glauben und auch nicht zu
wünschen. Aber es muß endlich einmal etwas geschehen, das Vorhandne vor der
Vernichtung und der Verschleppung zu schützen und der bäuerlichen Be¬
völkerung wieder die Freude und die Anhänglichkeit an der heimischen und
angestammten Art zu geben, die vielfach einer demoralisierenden Stadtsucht in
Kleidung, Sitten und Lebensart Platz gemacht hat.

Damit wird auch die bei uns wichtige Frage des Heimatschutzes aufge¬
rollt. Ist es nicht sündhaft und schändlich, wie mit den alten Gütern draußen
auf dem Lande aufgeräumt wird? Legt nicht jede winzige Sommerfrische einen
Ehrgeiz darein, mit „städtischem Komfort" zu prunken? Wenn es nur wirk¬
licher Komfort wäre! Wie aber sieht es damit in Wahrheit aus? Der
Bauer wandelt sein Haus für die Sommerfrischler um, klebt ihm eine protzige
Zinshausfassade an, läßt große Fenster einsetzen, die das einst so behäbige,
wohlbehütete Heim jedem Witterungswechsel, im Sommer der Hitze, im Winter
der Kälte und der Feuchtigkeit preisgeben, und schafft auf diese Weise die
elenden, unwirtlichen Hundelöcher, die als „Sommerwohnung" um teures
Geld angepriesen werden. Im alten Bauernhause gab es wirklichen Komfort,
es war ein Behagen, darinnen zu leben. Nun aber will jedes Dorf städtisch
sein, auf die billigste und schlechteste Art natürlich. Die Bauspekulation stellt
kleine Schablonen unsrer städtischen Mietkasernenarchitektur hin, der Dorf¬
wirt tauft sein Lokal „Restauration" und tauft dementsprechend seinen Wein,
für die Stadtleut ist alles gut; der Verschönerungsverein ruht nicht eher, bis
im Dorfe und seiner Umgebung „städtische Parkanlagen" als armselige Kari¬
katuren und lächerliche Surrogate der freien Natur entstehn. Es ist nun
wirklich schon dringend notwendig, daß wir uns mit dem „Heimatschutz" be¬
fassen, der ganz leicht zu organisieren ist. Es wohnen doch so viele ge¬
bildete Menschen auf dem Lande: Geistliche, Lehrer, Arzte, Apotheker, Guts¬
besitzer, eine Unzahl Naturfreunde, Touristen usw. gehn ins Freie, deren Ob¬
sorge es sein könnte, das Bestehende vor dem Wandalismus des Unverstands
zu schützen, alle Einzelheiten zu zeichnen und zu malen — es wird ja soviel
gezeichnet und gemalt, das ziemlich überflüssig ist —, kleine Ortsmuseen an¬
zulegen, die der Dorfjugend und den andern Einwohnern die Beispiele der
Kunstgeschicklichkeit ihrer Vorfahren vor Augen halten, um solcherart die Er¬
haltung der Tradition und die Stärkung des Heimatgefühls zu erreichen.


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[0260] Deutsche Volks- und Bauernkunst Schönheit an Feste des Lebens erinnern und sonst nicht zur Verwendung kommen. Hochzeitsgeschirre, Braut- und Bräutigamsstuhl, allerhand geschnitzte und bemalte Symbole, die eine solche Beziehung ausdrücken und an vielen Dingen des Alltags anzutreffen sind. Kein Gegenstand bäuerlicher Hand¬ arbeit ist zu gering, jeder offenbart irgendeine interessante Besonderheit. Dieses und vieles andre mag der Kunstwandrer auf dem Lande heute noch antreffen, aber er wird auch viele minder erfreuliche Zeichen des Wandels und des Niedergangs finden. Sollte die alte reiche Bauernkultur wirklich im Aussterben begriffen sein? Es ist nicht zu glauben und auch nicht zu wünschen. Aber es muß endlich einmal etwas geschehen, das Vorhandne vor der Vernichtung und der Verschleppung zu schützen und der bäuerlichen Be¬ völkerung wieder die Freude und die Anhänglichkeit an der heimischen und angestammten Art zu geben, die vielfach einer demoralisierenden Stadtsucht in Kleidung, Sitten und Lebensart Platz gemacht hat. Damit wird auch die bei uns wichtige Frage des Heimatschutzes aufge¬ rollt. Ist es nicht sündhaft und schändlich, wie mit den alten Gütern draußen auf dem Lande aufgeräumt wird? Legt nicht jede winzige Sommerfrische einen Ehrgeiz darein, mit „städtischem Komfort" zu prunken? Wenn es nur wirk¬ licher Komfort wäre! Wie aber sieht es damit in Wahrheit aus? Der Bauer wandelt sein Haus für die Sommerfrischler um, klebt ihm eine protzige Zinshausfassade an, läßt große Fenster einsetzen, die das einst so behäbige, wohlbehütete Heim jedem Witterungswechsel, im Sommer der Hitze, im Winter der Kälte und der Feuchtigkeit preisgeben, und schafft auf diese Weise die elenden, unwirtlichen Hundelöcher, die als „Sommerwohnung" um teures Geld angepriesen werden. Im alten Bauernhause gab es wirklichen Komfort, es war ein Behagen, darinnen zu leben. Nun aber will jedes Dorf städtisch sein, auf die billigste und schlechteste Art natürlich. Die Bauspekulation stellt kleine Schablonen unsrer städtischen Mietkasernenarchitektur hin, der Dorf¬ wirt tauft sein Lokal „Restauration" und tauft dementsprechend seinen Wein, für die Stadtleut ist alles gut; der Verschönerungsverein ruht nicht eher, bis im Dorfe und seiner Umgebung „städtische Parkanlagen" als armselige Kari¬ katuren und lächerliche Surrogate der freien Natur entstehn. Es ist nun wirklich schon dringend notwendig, daß wir uns mit dem „Heimatschutz" be¬ fassen, der ganz leicht zu organisieren ist. Es wohnen doch so viele ge¬ bildete Menschen auf dem Lande: Geistliche, Lehrer, Arzte, Apotheker, Guts¬ besitzer, eine Unzahl Naturfreunde, Touristen usw. gehn ins Freie, deren Ob¬ sorge es sein könnte, das Bestehende vor dem Wandalismus des Unverstands zu schützen, alle Einzelheiten zu zeichnen und zu malen — es wird ja soviel gezeichnet und gemalt, das ziemlich überflüssig ist —, kleine Ortsmuseen an¬ zulegen, die der Dorfjugend und den andern Einwohnern die Beispiele der Kunstgeschicklichkeit ihrer Vorfahren vor Augen halten, um solcherart die Er¬ haltung der Tradition und die Stärkung des Heimatgefühls zu erreichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/260>, abgerufen am 17.06.2024.