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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Rulturbtlder aus den Balkanstaaten

bestimmten Tagen offensteht, völlig an großen schattigen Anlagen, die bei dem
heißen Klima ein doppeltes Bedürfnis wären, freilich bei der Unfruchtbarkeit
des Bodens große Kosten verursachen würden und vor allem viel Wasser
brauchten, das nicht vorhanden ist. Die Nähe des Meeres muß diesen Mangel
ersetzen.

Der Nordländer wird trotzdem die Promenade an der Kiseleffchaussee in
Bukarest mit ihren prächtigen, schattigen Lindenalleen, wo sich an Sommer¬
abenden die elegante Welt zu Fuß und zu Wagen einfindet, der Promenade
am Zappion zu Athen vorziehn; denn so reizvoll, ja entzückend auch von hier
aus der Blick auf die Akropolis, das Meer und die Inseln ist, zumal bei
Sonnenuntergang, so fehlt doch der Landschaft die wuchernde Fülle des Lebens,
den Menschen die Unmittelbarkeit und die Bedürftigkeit des Genusses, die einen
nicht dauernd darin wohl werden läßt. Da geht einem das Herz bei lustigem
Lachen unter Lindenbäumen weiter auf als bei der stoischen Haltung moderner
Peripatetiker in heroischer Landschaft. Allerdings versichern Kenner der Ver¬
hältnisse, daß an dem starken Verkehr der Chaussee Kiseleff die Schaulust
stärker beteiligt ist als die Naturfreude; denn auch der Rumäne wie der Grieche
faßt den Spaziergang mehr im französischen Sinne des hö xrorasnör, d. h. des
sich Vorführens, als des behaglichen deutschen sich Ergehens auf; die Last der
Arbeit drückt auf diese noch nicht zu Kultursklaven gewordnen Erdenkinder
weniger stark als auf uns. Die Bureaustunden der Beamten in Bukarest und
in Athen beginnen meist nicht vor zehn Uhr und dauern weniger lange als
bei uns. Das Klima fordert schon zum äolos tar nisnts auf.

Berücksichtigt man dies, so darf man doch diesen neugebacknen Kultur¬
jüngern nicht den Vorwurf absoluter Faulheit oder gar Unfähigkeit zu geistiger
Arbeit machen, etwa weil sie, wie ein klassischer Philologe klassisch meinte, sich
in ihren Sprachen nicht des Kulturbesitzes eines Infinitivs erfreuen. Viel¬
mehr muß man zugeben, daß diese Städte nicht nur äußerlich europäisches
Gepräge, sondern auch innerlich immer mehr europäischen Geist annehmen, und
daß in ihnen schon viele talentvolle Schüler europäischer Geisteskultur mit¬
schaffend tätig sind, wenn sie auch bisher mehr Verständnis für wissenschaft¬
liche als für künstlerische Kultur zeigen. Die fünf Universitäten der Balkan¬
staaten -- außer der von Bukarest sämtlich aus Privatmitteln errichtet und
zum Teil auch daraus erhalten -- sind im Grunde deutsche Geisteskolonien:
die bedeutendsten Lehrer und Forscher haben ihre Ausbildung an deutschen
Universitäten genossen, und die deutsche Wissenschaft hat allen Grund, stolz
auf diese Kulturpioniere zu sein, die deutsche Lehr- und Forschungsmethode
durch Wort und Werk bis in die äußersten Winkel der Unkultur tragen.
Auch an Arbeitsgelegenheit fehlt es dem Jünger der Wissenschaft nicht: neben
den Universitäten verfügen diese Städte über gut dotierte und gut eingerichtete
öffentliche Bibliotheken, unter denen der neue Prachtbau der Nationalbibliothek
in Athen und das kleine, aber schmucke und vornehm ausgestattete Gebäude der


Rulturbtlder aus den Balkanstaaten

bestimmten Tagen offensteht, völlig an großen schattigen Anlagen, die bei dem
heißen Klima ein doppeltes Bedürfnis wären, freilich bei der Unfruchtbarkeit
des Bodens große Kosten verursachen würden und vor allem viel Wasser
brauchten, das nicht vorhanden ist. Die Nähe des Meeres muß diesen Mangel
ersetzen.

Der Nordländer wird trotzdem die Promenade an der Kiseleffchaussee in
Bukarest mit ihren prächtigen, schattigen Lindenalleen, wo sich an Sommer¬
abenden die elegante Welt zu Fuß und zu Wagen einfindet, der Promenade
am Zappion zu Athen vorziehn; denn so reizvoll, ja entzückend auch von hier
aus der Blick auf die Akropolis, das Meer und die Inseln ist, zumal bei
Sonnenuntergang, so fehlt doch der Landschaft die wuchernde Fülle des Lebens,
den Menschen die Unmittelbarkeit und die Bedürftigkeit des Genusses, die einen
nicht dauernd darin wohl werden läßt. Da geht einem das Herz bei lustigem
Lachen unter Lindenbäumen weiter auf als bei der stoischen Haltung moderner
Peripatetiker in heroischer Landschaft. Allerdings versichern Kenner der Ver¬
hältnisse, daß an dem starken Verkehr der Chaussee Kiseleff die Schaulust
stärker beteiligt ist als die Naturfreude; denn auch der Rumäne wie der Grieche
faßt den Spaziergang mehr im französischen Sinne des hö xrorasnör, d. h. des
sich Vorführens, als des behaglichen deutschen sich Ergehens auf; die Last der
Arbeit drückt auf diese noch nicht zu Kultursklaven gewordnen Erdenkinder
weniger stark als auf uns. Die Bureaustunden der Beamten in Bukarest und
in Athen beginnen meist nicht vor zehn Uhr und dauern weniger lange als
bei uns. Das Klima fordert schon zum äolos tar nisnts auf.

Berücksichtigt man dies, so darf man doch diesen neugebacknen Kultur¬
jüngern nicht den Vorwurf absoluter Faulheit oder gar Unfähigkeit zu geistiger
Arbeit machen, etwa weil sie, wie ein klassischer Philologe klassisch meinte, sich
in ihren Sprachen nicht des Kulturbesitzes eines Infinitivs erfreuen. Viel¬
mehr muß man zugeben, daß diese Städte nicht nur äußerlich europäisches
Gepräge, sondern auch innerlich immer mehr europäischen Geist annehmen, und
daß in ihnen schon viele talentvolle Schüler europäischer Geisteskultur mit¬
schaffend tätig sind, wenn sie auch bisher mehr Verständnis für wissenschaft¬
liche als für künstlerische Kultur zeigen. Die fünf Universitäten der Balkan¬
staaten — außer der von Bukarest sämtlich aus Privatmitteln errichtet und
zum Teil auch daraus erhalten — sind im Grunde deutsche Geisteskolonien:
die bedeutendsten Lehrer und Forscher haben ihre Ausbildung an deutschen
Universitäten genossen, und die deutsche Wissenschaft hat allen Grund, stolz
auf diese Kulturpioniere zu sein, die deutsche Lehr- und Forschungsmethode
durch Wort und Werk bis in die äußersten Winkel der Unkultur tragen.
Auch an Arbeitsgelegenheit fehlt es dem Jünger der Wissenschaft nicht: neben
den Universitäten verfügen diese Städte über gut dotierte und gut eingerichtete
öffentliche Bibliotheken, unter denen der neue Prachtbau der Nationalbibliothek
in Athen und das kleine, aber schmucke und vornehm ausgestattete Gebäude der


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[0267] Rulturbtlder aus den Balkanstaaten bestimmten Tagen offensteht, völlig an großen schattigen Anlagen, die bei dem heißen Klima ein doppeltes Bedürfnis wären, freilich bei der Unfruchtbarkeit des Bodens große Kosten verursachen würden und vor allem viel Wasser brauchten, das nicht vorhanden ist. Die Nähe des Meeres muß diesen Mangel ersetzen. Der Nordländer wird trotzdem die Promenade an der Kiseleffchaussee in Bukarest mit ihren prächtigen, schattigen Lindenalleen, wo sich an Sommer¬ abenden die elegante Welt zu Fuß und zu Wagen einfindet, der Promenade am Zappion zu Athen vorziehn; denn so reizvoll, ja entzückend auch von hier aus der Blick auf die Akropolis, das Meer und die Inseln ist, zumal bei Sonnenuntergang, so fehlt doch der Landschaft die wuchernde Fülle des Lebens, den Menschen die Unmittelbarkeit und die Bedürftigkeit des Genusses, die einen nicht dauernd darin wohl werden läßt. Da geht einem das Herz bei lustigem Lachen unter Lindenbäumen weiter auf als bei der stoischen Haltung moderner Peripatetiker in heroischer Landschaft. Allerdings versichern Kenner der Ver¬ hältnisse, daß an dem starken Verkehr der Chaussee Kiseleff die Schaulust stärker beteiligt ist als die Naturfreude; denn auch der Rumäne wie der Grieche faßt den Spaziergang mehr im französischen Sinne des hö xrorasnör, d. h. des sich Vorführens, als des behaglichen deutschen sich Ergehens auf; die Last der Arbeit drückt auf diese noch nicht zu Kultursklaven gewordnen Erdenkinder weniger stark als auf uns. Die Bureaustunden der Beamten in Bukarest und in Athen beginnen meist nicht vor zehn Uhr und dauern weniger lange als bei uns. Das Klima fordert schon zum äolos tar nisnts auf. Berücksichtigt man dies, so darf man doch diesen neugebacknen Kultur¬ jüngern nicht den Vorwurf absoluter Faulheit oder gar Unfähigkeit zu geistiger Arbeit machen, etwa weil sie, wie ein klassischer Philologe klassisch meinte, sich in ihren Sprachen nicht des Kulturbesitzes eines Infinitivs erfreuen. Viel¬ mehr muß man zugeben, daß diese Städte nicht nur äußerlich europäisches Gepräge, sondern auch innerlich immer mehr europäischen Geist annehmen, und daß in ihnen schon viele talentvolle Schüler europäischer Geisteskultur mit¬ schaffend tätig sind, wenn sie auch bisher mehr Verständnis für wissenschaft¬ liche als für künstlerische Kultur zeigen. Die fünf Universitäten der Balkan¬ staaten — außer der von Bukarest sämtlich aus Privatmitteln errichtet und zum Teil auch daraus erhalten — sind im Grunde deutsche Geisteskolonien: die bedeutendsten Lehrer und Forscher haben ihre Ausbildung an deutschen Universitäten genossen, und die deutsche Wissenschaft hat allen Grund, stolz auf diese Kulturpioniere zu sein, die deutsche Lehr- und Forschungsmethode durch Wort und Werk bis in die äußersten Winkel der Unkultur tragen. Auch an Arbeitsgelegenheit fehlt es dem Jünger der Wissenschaft nicht: neben den Universitäten verfügen diese Städte über gut dotierte und gut eingerichtete öffentliche Bibliotheken, unter denen der neue Prachtbau der Nationalbibliothek in Athen und das kleine, aber schmucke und vornehm ausgestattete Gebäude der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/267>, abgerufen am 17.06.2024.